BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 13.04.2022, AZ IV ZR 60/20, ECLI:DE:BGH:2022:130422UIVZR60.20.0
§ 22 Nr 1 VGB 2000, § 23 Nr 1 VHB 2000
Verfahrensgang
vorgehend OLG Nürnberg, 10. Februar 2020, Az: 8 U 2056/19
vorgehend LG Weiden, 5. Juni 2019, Az: 21 O 19/19 Ver
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg – 8. Zivilsenat – vom 10. Februar 2020 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 21.348,39 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten aus einer Wohngebäude- und einer Hausratversicherung wegen eines Leitungswasserschadens.
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Zwischen den Parteien bestehen seit 2005 eine Wohngebäudeversicherung auf der Grundlage der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen der Beklagten (VGB 2000 – BVV/BLBV, im Folgenden: VGB 2000) und eine Hausratversicherung auf der Grundlage der Allgemeinen Hausratversicherungsbedingungen der Beklagten (VHB 2000 – BVV, im Folgenden: VHB 2000). Beide Versicherungen schließen das Risiko von Leitungswasserschäden ein.
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Vor Antritt eines mehrmonatigen Urlaubs im Januar 2018 drehte der Kläger in dem versicherten Wohnhaus den Hausabsperrhahn vor der Wasseruhr zu, entleerte die Wasserleitungen und betätigte die Toilettenspülungen, um die Absperrung zu überprüfen. Einen nach der Wasseruhr befindlichen zweiten Absperrhahn drehte er nicht zu. Als er am 7. Juni 2018 aus dem Urlaub zurückkehrte, stellte er fest, dass ein erheblicher Wasseraustritt stattgefunden hatte. Dieser war entstanden, weil der zugedrehte Hausabsperrhahn die Wasserzufuhr nicht vollständig verschlossen hatte und ein Ventil am Anschluss der Waschmaschine undicht geworden war. Durch den Wasseraustritt sind in beiden Versicherungen versicherte Schäden eingetreten, deren Höhe zwischen den Parteien streitig ist.
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Der Kläger beziffert die Schadensumme in der Wohngebäudeversicherung mit 43.370,98 € und schätzt den Hausratschaden auf 10.000 €.
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Mit der Klage hat er zuletzt die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Versicherungsleistungen aus der Wohngebäudeversicherung und aus der Hausratversicherung aufgrund des Leitungswasserschadens vorbehaltlich einer Leistungsfreiheit gemäß § 22 Nr. 1 VGB 2000 bzw. gemäß § 23 Nr. 1 VHB 2000 zu gewähren. Außerdem hat er die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 € nebst Zinsen verlangt.
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Die Beklagte hält die Feststellungsklage mangels Feststellungsinteresse für unzulässig und beruft sich im Übrigen für beide Versicherungen auf ein Kürzungsrecht wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung, Gefahrerhöhung und mindestens fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles.
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Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger Versicherungsleistungen aus beiden Versicherungen in voller Höhe vorbehaltlich einer Leistungsfreiheit gemäß § 28 Nr. 1 VGB 2000 bzw. § 31 Nr. 1 VHB 2000 zu gewähren. Außerdem hat es unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger Kosten der außergerichtlichen Rechtsvertretung in Höhe von 1.100,51 € nebst Zinsen zu zahlen.
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Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Diese verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat keinen Erfolg.
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I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat das Landgericht zu Recht ein Feststellungsinteresse des Klägers und damit die Zulässigkeit der Feststellungsanträge bejaht. Eine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage gebe es nicht. Vielmehr sei eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, dann zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führe. Dies sei im Streitfall insbesondere deswegen der Fall, weil der Versicherungsnehmer nach den vereinbarten AVB gerade nicht darauf beschränkt sei, einen etwaigen Streit um die Höhe des Anspruchs gerichtlich klären zu lassen, sondern vielmehr alternativ ein für beide Seiten verbindliches Sachverständigenverfahren anstrengen könne. Dies müsse gerade auch in Fällen gelten, in denen die Höhe des Anspruchs streitig sei oder streitig werden könne, weil anderenfalls die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens gerade nicht erforderlich wäre. Dem stehe entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (r+s 2019, 25 [juris Rn. 17]) nicht entgegen, dass zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere bei der Feststellung der Höhe des Schadens, Umstände erkennbar werden könnten, die den Anspruch bereits dem Grunde nach entfallen lassen könnten. Maßgebliches Argument für die Zulässigkeit der Feststellungsklage sei in diesem Fall nicht, dass der Versicherer bereits auf die Feststellung leisten werde, sondern dass der Versicherte nicht zwingend auf die gerichtliche Klärung der Anspruchshöhe angewiesen sei und alternativ die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens verlangen könne.
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Durch eine zulässige Auslegung der Klageanträge habe das Landgericht einen ausdrücklichen Vorbehalt für den möglichen nachträglichen Eintritt einer Leistungsfreiheit nach § 28 Nr. 1 VGB 2000 bzw. § 31 Nr. 1 VHB 2000 beanstandungsfrei in den Feststellungstenor aufgenommen. Es habe in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger weder vorsätzlich noch grob fahrlässig eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder den Versicherungsfall herbeigeführt habe, so dass der Beklagten kein Leistungskürzungsrecht zustehe.
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Auch den Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht zu Recht zugesprochen.
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Die Revision werde im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (r+s 2019, 25) zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zugelassen.
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II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Feststellungsklage zulässig und insbesondere das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers gegeben ist. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert entgegen der Ansicht der Revision nicht am Vorrang der Leistungsklage.
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1. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm zwar regelmäßig das – auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende – Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann. Die auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete Feststellungsklage ist dann unzulässig (BGH, Urteile vom 23. Februar 2021 – II ZR 200/19, WM 2021, 633 Rn. 53; vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823 Rn. 14; jeweils m.w.N.). Eine allgemeine Subsidiarität einer Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage besteht aber nicht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Trotz möglicher Leistungsklage kann das Feststellungsinteresse bejaht werden, wenn schon ein Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führt, weil der Beklagte erwarten lässt, dass er bereits auf ein Feststellungsurteil hin leisten wird. So kann von einem beklagten Versicherer erwartet werden, dass er auf ein entsprechendes rechtskräftiges Feststellungsurteil hin seinen rechtlichen Schadensersatzverpflichtungen nachkommt, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 1999 – VI ZR 195/98, VersR 1999, 1555 unter II 1 b cc [juris Rn. 19]). Mit dieser Begründung kann im Streitfall jedoch die Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht bejaht werden. Die genannte Erwartung ist hier nicht gerechtfertigt, weil die Beklagte ausdrücklich die Zulässigkeit der Feststellungsklage in Abrede stellt und die Ansprüche der Höhe nach bestreitet.
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2. Allerdings kann, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, nach der Senatsrechtsprechung einer auf Feststellung der Eintrittspflicht eines Versicherers gerichteten Klage eines Versicherungsnehmers grundsätzlich nicht die Möglichkeit einer Leistungsklage entgegengehalten werden, wenn in den Versicherungsbedingungen – wie hier nach § 31 Nr. 1 Satz 1 VGB 2000 und nach § 34 Nr. 1 Satz 1 VHB 2000 – die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens zur Klärung der Schadenhöhe vorgesehen ist (Senatsbeschluss vom 19. November 2008 – IV ZR 341/07, r+s 2010, 64 Rn. 5; Senatsurteile vom 17. Dezember 1997 – IV ZR 136/96, BGHZ 137, 318 unter A. [juris Rn. 6]; vom 16. April 1986 – IVa ZR 210/84, r+s 1986, 185 unter a und b [juris Rn. 8 ff.] m.w.N.). Ein solches nach bestimmten Regeln durchzuführendes Sachverständigenverfahren endet mit verbindlichen Feststellungen für die Parteien des Versicherungsvertrages, wenn nicht nachgewiesen wird, dass die Feststellungen offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen. Ein weiterer Prozess zur Höhe der zu leistenden Entschädigungen ist demnach gerade nicht die typische Folge des Feststellungsurteils trotz unentschieden gelassenen Streits über die Höhe der versicherten Schäden. Mit Rücksicht auf das in den Versicherungsbedingungen vorgesehene Sachverständigenverfahren, das jede Partei ohne Zustimmung der anderen in Gang bringen kann und auf dessen Durchführung der Kläger bislang nicht verzichtet hat, braucht sich der Versicherungsnehmer nicht auf eine Leistungsklage verweisen zu lassen. Damit würde er sich des Rechts begeben, ein Sachverständigenverfahren zur Schadenhöhe zu beantragen. Eine Verpflichtung, sich schon im Rechtsstreit zu erklären, ob er das Sachverständigenverfahren beantragen werde, besteht nicht (vgl. Senatsurteil vom 16. April 1986 aaO [juris Rn. 10 f.] m.w.N.).
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3. In Anbetracht der noch bestehenden Möglichkeit eines Sachverständigenverfahrens kann, anders als die Revision meint, das Feststellungsinteresse nicht allein deshalb verneint werden, weil – wie im Streitfall – auch die Anspruchshöhe bestritten wird (so aber OLG Frankfurt am Main, r+s 2019, 25 unter aa (1) [juris Rn. 17 f.]; a.A. OLG Hamm, VersR 2021, 1096 unter 1 c [juris Rn. 80 ff.]; OLG Celle, VersR 2020, 768 unter 1 c [juris Rn. 46 ff.]). In Fällen, in denen dem Versicherungsnehmer noch ein Sachverständigenverfahren offensteht, ist es typisch, dass auch die Anspruchshöhe streitig ist oder noch werden kann, wie die Revisionserwiderung zutreffend hervorhebt. Das Feststellungsinteresse ergibt sich bei dieser Konstellation nicht aus der Erwartung, dass der Versicherer bereits auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil leisten wird. Entscheidend ist vielmehr, dass der Versicherungsnehmer nicht auf eine gerichtliche Klärung der Anspruchshöhe angewiesen ist, sondern stattdessen die Durchführung des vom Versicherer in den Versicherungsbedingungen vorgesehenen Sachverständigenverfahrens wählen kann. Diese dem Versicherungsnehmer eingeräumte Option würde unterlaufen, wenn er sich nur deshalb auf eine Leistungsklage verweisen lassen müsste, weil der Versicherer die Höhe des bezifferten oder nur geschätzten Anspruchs bestreitet.
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Nichts anderes gilt, wenn es nicht auszuschließen ist, dass sich bei der späteren Klärung der Schadenshöhe bislang nicht erörterte Umstände ergeben, die Rückschlüsse auf ein etwaiges arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers und dessen Motivation zulassen könnten. Insoweit können nicht generell die bei einer solchen Sachlage geltenden Grund-sätze zur Unzulässigkeit eines Grundurteils gemäß § 304 ZPO auf die Frage der Zulässigkeit einer Feststellungsklage übertragen werden (so OLG Frankfurt am Main, r+s 2019, 25 unter a aa (1) [juris Rn. 18]). Eine Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs gemäß § 304 Abs. 1 ZPO ist nur dann zulässig, wenn sämtliche den Grund des Anspruchs betreffenden Einwände zur Entscheidung reif sind. Dazu gehört insbesondere auch der Einwand, dass sich der Versicherungsnehmer des Versuchs einer arglistigen Täuschung über die Schadenshöhe schuldig gemacht habe und der Versicherer deshalb von der Entschädigungspflicht frei sei. Sind in einem solchen Fall die zur Feststellung der Anspruchshöhe erforderlichen Tatsachen auch für den Grund des Anspruchs maßgeblich, ist ein Grundurteil unzulässig (vgl. Senatsurteile vom 21. April 1993 – IV ZR 41/92, NJW-RR 1993, 1116 unter I 1 a und b [juris Rn. 10 ff.]; vom 23. September 1992 – IV ZR 199/91, r+s 1992, 420 unter I 1 [juris Rn. 7] m.w.N.). Indes besteht die bei Erlass eines Grundurteils mögliche Gefahr, dass es innerhalb desselben Prozesses zu sich widersprechenden Entscheidungen kommen kann (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 1992 – IV ZR 42/91, VersR 1992, 1087 unter I 2 [juris Rn. 8]), in der Regel nicht, wenn sich an ein antragsgemäß erlassenes Feststellungsurteil ein außergerichtliches Sachverständigenverfahren anschließt.
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4. Ohne Erfolg wendet die Revision weiter ein, im Sachverständigenverfahren könne lediglich der Umfang des Schadens festgestellt werden, daher könne der Sachverständige nicht feststellen, ob die versicherten, von ihm zu bewertenden Sachen vor Eintritt des Versicherungsfalles tatsächlich vorhanden gewesen seien. Das greift schon deshalb nicht, weil nach den hier einschlägigen Versicherungsbedingungen (§ 31 Nr. 3 a) VGB 2000 bzw. § 34 Nr. 3 a) VHB 2000) dem Sachverständigen ausdrücklich auch die Erstellung eines Bestandsverzeichnisses übertragen ist.
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III. Soweit der Kläger die materiell-rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts angreift, ist die Revision bereits mangels Zulassung nicht statthaft. Zwar enthält die Entscheidungsformel keinen Zusatz, der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Die Beschränkung der Revisionszulassung kann sich aber auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn sich die Beschränkung aus den Gründen klar ergibt. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 9 m.w.N.). Die Zulassung der Revision kann insbesondere auf die Frage der Zulässigkeit der Klage beschränkt werden, über die gemäß § 280 ZPO vorab durch Zwischenurteil entschieden werden kann (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 aaO Rn. 8 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die Frage beschränkt, ob die vom Kläger erhobene Feststellungsklage zulässig ist. Die von ihm für möglich erachtete und zum Anlass für die Zulassung genannte Abweichung von der in dem Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. Mai 2018 (r+s 2019, 25) zum Ausdruck gebrachten Auffassung betrifft nur die Zulässigkeit der Feststellungsanträge.
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