BFH 4. Senat, Beschluss vom 13.04.2022, AZ IV B 61/21, ECLI:DE:BFH:2022:B.130422.IVB61.21.0
§ 94a S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 96 Abs 2 FGO
Leitsatz
NV: Das FG verletzt den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör, wenn es gemäß § 94a Satz 1 FGO im vereinfachten Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet, ohne dem Beteiligten zuvor seine dahingehende Absicht und den Zeitpunkt mitzuteilen, bis zu dem er sein Vorbringen in den Prozess einführen kann (Anschluss an BFH-Beschluss vom 06.06.2016 – III B 92/15, BFHE 253, 315, BStBl II 2016, 844).
Verfahrensgang
vorgehend FG Hamburg, 10. August 2021, Az: 4 K 61/21, Urteil
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 10.08.2021 – 4 K 61/21 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Hamburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Gründe
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung –;FGO–).
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1. Das FG hat das grundrechtsgleiche Recht der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es gemäß § 94a FGO durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ohne dies der Klägerin zuvor in hinreichender Deutlichkeit mitzuteilen. Hierin liegt ein Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO).
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a) Unter Berufung auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18.11.2008 – 2 BvR 290/08 (Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2009, 562) hat der III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in Abkehr von der früheren BFH-Rechtsprechung entschieden, dass das FG den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt, wenn es gemäß § 94a Satz 1 FGO im vereinfachten Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet, ohne dem Beteiligten zuvor seine dahingehende Absicht und den Zeitpunkt mitzuteilen, bis zu dem er sein Vorbringen in den Prozess einführen kann (ausführlich BFH-Beschluss vom 06.06.2016 – III B 92/15, BFHE 253, 315, BStBl II 2016, 844). Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung an.
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b) Diesem Maßstab wird die angefochtene Entscheidung auch unter Berücksichtigung der anwaltlichen Vertretung der Klägerin vor dem FG nicht gerecht. Denn der FG-Akte ist keinerlei Hinweis des FG auf die Absicht des Gerichts zu entnehmen, im schriftlichen Verfahren entscheiden zu wollen. Dem Vertreter der Klägerin sind vor der Entscheidung des FG lediglich der Beschluss des FG über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vom 27.07.2021 und aufgrund richterlicher Verfügung vom 02.08.2021 die Klageerwiderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt) mitgeteilt worden.
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2. Da das angefochtene Urteil bereits aufgrund dieses Verfahrensfehlers keinen Bestand haben kann, bedarf es keines Eingehens auf das weitere Vorbringen der Klägerin.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz
2 FGO, der auch für den Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO gilt (z.B. BFH-Beschluss vom 25.10.2012 – X B 22/12, Rz 12, m.w.N.), ab.