Verhandlungstermin in Sachen III ZR 3/21 und III ZR 4/21 am 9. Dezember 2021, 9.00 Uhr, Sitzungssaal E 101 (Klarnamenpflicht bei der Nutzung eines sozialen Netzwerks)
Ausgabejahr2021
Erscheinungsdatum16.11.2021
Nr. 212/2021
Der für Rechtsstreitigkeiten über Dienstverhältnisse zuständige III. Zivilsenat wird über zwei Rechtsstreite zu entscheiden haben, in denen sich die Frage stellt, ob der Anbieter eines sozialen Netzwerks dessen Nutzung unter Pseudonym zu ermöglichen hat.
Sachverhalt:
In den zwei beim III. Zivilsenat anhängigen Revisionssachen streiten die Parteien über die in den Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks vorgesehene Klarnamenpflicht der Nutzer.
Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für ein von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebenes weltweites soziales Netzwerk, dessen Anbieter und Vertragspartner für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist. Die Nutzungsbedingungen der Beklagten vom 30. Januar 2015 enthalten eine Regelung, wonach die Nutzer ihre wahren Namen und Daten anzugeben haben. Nach den Nutzungsbedingungen vom 19. April 2018 hat der Nutzer bei der Nutzung des Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet (sogenannte Klarnamenpflicht).
In dem Verfahren III ZR 3/21 hatte der Kläger als seinen Profilnamen ursprünglich ein Pseudonym verwendet. Nachdem er im März 2018 auf Nachfrage nicht bestätigt hatte, dass es sich um seinen im Alltag verwendeten Namen handelt, sperrte die Beklagte sein Nutzerkonto. Sie schaltete es erst nach einer Änderung des Profilnamens wieder frei. Der Kläger nimmt die Beklagte vor diesem Hintergrund auf Unterlassung in Anspruch, Änderungen seines von ihm in dem Netzwerk verwendeten Profilnamens zu verhindern.
In dem Verfahren III ZR 4/21 gab die Klägerin als Profilnamen ebenfalls ein Pseudonym an. Ihr Nutzerkonto wurde von der Beklagten im Januar 2018 gesperrt, nachdem sie der Aufforderung, ihren Profilnamen zu ändern, nicht nachgekommen war. Die Klägerin begehrt die Aufhebung dieser Sperrung.
Die Kläger machen geltend, die Nutzungsbedingungen der Beklagten verstießen hinsichtlich der Klarnamenpflicht gegen § 13 Abs. 6 Satz 1 Telemediengesetz (TMG) und seien damit rechtswidrig. Außerdem stelle das Erfordernis, bei der Nutzung des Netzwerks nach außen mit dem Klarnamen aufzutreten, einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften dar.
Bisheriger Prozessverlauf:
Im Verfahren III ZR 3/21 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Im Verfahren III ZR 4/21 hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und ihr unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen des Kontos zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat in beiden Berufungsurteilen ausgeführt, die Beklagte sei nicht gemäß § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG verpflichtet, ihren Vertragspartnern die Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter Pseudonym zu ermöglichen. Die in den Nutzungsbedingungen der Beklagten statuierte Verpflichtung der Nutzer, ihre wahren Namen und Daten anzugeben bzw. denselben Namen zu verwenden, dessen sie sich auch im täglichen Leben bedienten, halte der gebotenen Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB stand. Sie benachteilige die Nutzer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben in unangemessener Weise. Die entsprechenden Klauseln seien auch nicht im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Bestimmungen des § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG unvereinbar. Mit Blick auf die Datenschutz-Grundverordnung sei der Beklagten bei der Frage, ob ihr die Ermöglichung einer Nutzung des Netzwerks unter Pseudonym zuzumuten ist, ein größerer Spielraum zuzubilligen. Eine spezifische Einwilligung im Sinne dieser Verordnung sei in Bezug auf die Klauseln nicht erforderlich.
Mit den vom Oberlandesgericht – teilweise beschränkt – zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger ihre Begehren weiter.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist.
Vorinstanzen:
Verfahren III ZR 3/21:
LG Traunstein – Urteil vom 2. Mai 2019 – 8 O 3510/18
OLG München – Urteil vom 8. Dezember 2020 – 18 U 2822/19 Pre
und
Verfahren III ZR 4/21:
LG Ingolstadt – Urteil vom 13. September 2019 – 31 O 227/18
OLG München – Urteil vom 8. Dezember 2020 – 18 U 5493/19 Pre
Karlsruhe, den 16. November 2021
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