BGH 9. Zivilsenat, Beschluss vom 18.02.2021, AZ IX ZB 6/20, ECLI:DE:BGH:2021:180221BIXZB6.20.0
§ 38 InsO, § 89 Abs 1 InsO, § 73c StGB
Leitsatz
Der Anspruch auf Einziehung von Wertersatz wird insolvenzrechtlich mit der Erlangung des Gegenstands begründet.
Verfahrensgang
vorgehend LG Ravensburg, 21. Januar 2020, Az: 3 T 53/19
vorgehend AG Ravensburg, 3. Dezember 2019, Az: 701 AR 272/19
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 21. Januar 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 46.516,01 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Schuldner wurde im Dezember 2017 wegen Bankrotts zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich ordnete das Urteil die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 46.016,26 € an. Am 7. Juni 2018 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Das Strafurteil wurde Anfang Juli 2018 rechtskräftig. Das antragstellende Land betreibt die Zwangsvollstreckung wegen des Wertersatzes und wegen der Kosten des Verfahrens in Höhe von 499,75 €. Der zuständige Gerichtsvollzieher lehnte den Vollstreckungsauftrag mit Verweis auf das Insolvenzverfahren ab. Erinnerung und sofortige Beschwerde des Antragstellers sind beim Amtsgericht – Insolvenzgericht – und Landgericht jeweils ohne Erfolg geblieben. Die Vorinstanzen haben die Auffassung vertreten, der Zwangsvollstreckung stehe das eröffnete Insolvenzverfahren entgegen. Bereits mit dem Erlangen des Geldbetrages durch den Schuldner im Rahmen der Straftatbegehung und nicht erst mit seiner rechtskräftigen Verurteilung sei der Vermögensanspruch des Landes begründet worden. Mit der von dem Beschwerdegericht durch den Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Antragsteller die Verpflichtung des Gerichtsvollziehers zur Vollziehung des Vollstreckungsauftrages.
II.
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Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Landgericht.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 793, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft. Das Insolvenzgericht hat gemäß § 89 Abs. 3 Satz 1 InsO funktional als Vollstreckungsgericht entschieden. § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO ist daher nicht anzuwenden (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 – IX ZB 97/03, ZIP 2004, 732; vom 6. Mai 2004 – IX ZB 104/04, ZIP 2004, 1379; vom 5. April 2006 – IX ZB 169/04, ZVI 2007, 78).
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Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat. Der angefochtene Beschluss unterliegt indes der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist. Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2011 – VIII ZB 81/11, NJW-RR 2012, 125 Rn. 9; vom 18. September 2018 – VI ZB 34/17, NJW-RR 2018, 1460 Rn. 5; vom 19. Dezember 2018 – VII ZB 45/18, WM 2019, 271 Rn. 7 ff; vom 27. Juni 2019 – IX ZB 5/19, WM 2019, 1461 Rn. 4 f).
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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Gerichtsvollzieher nach jetzigem Sach- und Streitstand den Vollstreckungsauftrag mit Recht abgelehnt hat.
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Der von dem Antragsteller betriebenen Zwangsvollstreckung steht das eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners entgegen. Gemäß § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Diese Bestimmung soll eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens sicherstellen und enthält daher den Grundsatz, dass das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren die Einzelzwangsvollstreckung verdrängt. Insolvenzgläubiger sind nach § 38 InsO persönliche Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Der Anspruch auf Wertersatz gemäß § 73c StGB wird insolvenzrechtlich nicht erst mit der Rechtskraft der entsprechenden Anordnung in dem Urteil des Strafgerichts, sondern bereits mit dem Erlangen des Gegenstands der späteren Wertersatzeinziehung durch den Schuldner begründet.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, mag sich eine Forderung des Gläubigers daraus auch erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergeben. Nur die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein. Unerheblich ist hingegen, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist (BGH, Beschluss vom 22. September 2011 – IX ZB 121/11, ZVI 2011, 408 Rn. 3; vom 6. Februar 2014 – IX ZB 57/12, WM 2014, 470 Rn. 10).
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b) Gemäß § 73c StGB in der gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB im vorliegenden Fall anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 1. Juli 2017 (BGBl. I S. 872) ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des durch die rechtswidrige Tat Erlangten entspricht, wenn die Einziehung des erlangten Gegenstandes selbst gemäß § 73 StGB nicht möglich ist. Der Einziehungsanspruch steht dabei originär dem Staat zu (BT-Drucks. 18/11640, S. 86; BGH, Beschluss vom 14. November 2018 – 3 StR 447/18, ZInsO 2019, 499 Rn. 17). Aus § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO folgt die Nachrangigkeit einer auf die Einziehung von Wertersatz gerichteten Insolvenzforderung, weil die Einziehung von Wertersatz im Sinne dieser Bestimmung Nebenfolge einer Straftat ist, die zu einer Geldzahlung verpflichtet (BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 – IX ZR 138/09, ZIP 2010, 1250 Rn. 5 ff; Beschluss vom 14. November, aaO Rn.18).
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c) Es besteht kein durchgreifender Grund, die Frage der Einordnung des Wertersatzeinziehungsanspruchs gemäß § 73c StGB als Insolvenzforderung abweichend von der vorgenannten Begriffsbestimmung zu beurteilen. Entscheidend ist, wann die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs eintreten. Im Falle der Einziehung von Wertersatz ist mithin allein die Begehung der zugrundeliegenden Straftat und das damit verbundene Erlangen des Gegenstandes der Wertersatzeinziehung durch den Täter maßgeblich und nicht erst die rechtskräftige Anordnung der Wertersatzeinziehung durch das Strafgericht (in der Tendenz ebenso, wenn auch letztlich offengelassen: BGH, Beschluss vom 14. November 2018, aaO, Rn. 17; befürwortend Tschakert, ZInsO 2019, 1149, 1152; offengelassen von Köllner, NZI 2019, 307, 308).
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aa) Diese Wertung entspricht dem Willen des Gesetzgebers. In den Materialien zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 1. Juli 2017 (BGBl. I S. 872) heißt es: „Bei dem Einziehungsanspruch handelt es sich um einen strafrechtlichen Anspruch eigener Art, der entsprechend seiner quasi-bereicherungsrechtlichen Rechtsnatur mit dem Erlangen durch den Betroffenen entsteht und fällig wird. Der staatliche (Wertersatz-)Einziehungsanspruch wird durch Beschlagnahme oder Vermögensarrest gesichert und durch die Einziehungs- oder Wertersatzeinziehungsanordnung des Gerichts (§ 73 StGB-E) tituliert.“ (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/11640, S. 86). Aus diesen Ausführungen folgt insbesondere, dass der Wertersatzanspruch entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde jedenfalls als schuldrechtsähnlich anzusehen ist, was genügt, um ihn auch insoweit unter die oben angeführte Begriffsdefinition der Insolvenzforderung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu fassen. Ohne Bedeutung ist, dass der Staat den Anspruch nach § 73c StGB originär und nicht etwa von dem Geschädigten erwirbt und dem Schuldner eines (Wertersatz-)Einziehungsanspruchs nicht im Gleichordnungsverhältnis wie zwischen den Parteien eines Zivilprozesses gegenübertritt.
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bb) Der insolvenzrechtlich zunächst systemwidrig erscheinende Umstand, dass die Titulierung einer Insolvenzforderung in der vorliegenden Konstellation nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abweichend von den §§ 174 ff InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens durch das Strafgericht und nicht (erst) durch die Anmeldung und Feststellung der Forderung zur Tabelle nach den Vorschriften der Insolvenzordnung erfolgt, ist auf die gesetzliche Regelung im Strafgesetzbuch zurückzuführen. Denn bei der Einziehung (von Wertersatz) handelt es sich um eine strafrechtliche Nebenfolge (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB), die daher – nicht anders als nach alter Rechtslage – dem strafrechtlichen Erkenntnis vorbehalten bleiben muss (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, BGHSt 50, 299, 312; Beschluss vom 14. November 2018 – 3 StR 447/18, ZInsO 2019, 499 Rn. 16). Die Einziehung ist mithin ohne Rücksicht auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Täters durch das Strafgericht und ohne Unterbrechung des Strafverfahrens (wie im Zivilrechtsstreit in § 240 ZPO vorgesehen) anzuordnen (BGH, Beschluss vom 14. November 2018, aaO; entsprechend zum Verfall von Wertersatz nach altem Recht: BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005, aaO; vom 30. Mai 2008 – 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227 Rn. 114; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., Vor §§ 111b-111p Rn. 44; MünchKomm-StPO/Bittmann, Vor §§ 111b-111p Rn. 8).
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cc) Eine abweichende Würdigung ist schließlich nicht deshalb geboten, weil Voraussetzung einer Durchsetzung der Wertersatzeinziehung immer eine ausdrückliche, gemäß § 459g Abs. 2 StPO vollstreckbare und nicht nachholbare Anordnung im Strafurteil ist, die zudem dem Verschlechterungsverbot gemäß § 331 Abs. 1, § 358 Abs. 2 Satz 1 und § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO unterfällt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 5 StR 387/18, BGHSt 64, 48 Rn. 19 f). Denn diese Anordnung steht nicht im Ermessen des Strafgerichts. Sie ist vielmehr grundsätzlich zwingend, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 651/17, NStZ-RR 2018, 241 f; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 73c Rn. 5; Ordner, wistra 2017, 50, 53). Die Voraussetzungen der Wertersatzeinziehung gemäß §§ 73, 73c StGB ergeben sich wiederum aus der Begehung einer entsprechenden rechtswidrigen Tat und dem damit verbundenen Erlangen eines „etwas“ (§ 73 Abs. 1 StGB) durch den Täter.
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3. Im vorliegenden Fall erlangte der Schuldner durch den von ihm vor Insolvenzeröffnung begangenen Bankrott gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB einen Betrag von 46.016,26 €, indem er trotz Zahlungsunfähigkeit seines damaligen Unternehmens seine Bank anwies, den genannten Betrag zur Sondertilgung eines privaten Darlehens von dem Unternehmenskonto umzubuchen. Mit der Anordnung der Wertersatzeinziehung in dieser Höhe in dem Strafurteil, welches nach der Insolvenzeröffnung rechtskräftig wurde, wurde der insolvenzrechtlich bereits durch die Erlangung begründete Anspruch des Gläubigers lediglich tituliert. Damit steht der beabsichtigten Zwangsvollstreckung § 89 Abs. 1 InsO entgegen.
- Grupp
- Schoppmeyer
- Röhl
- Selbmann
- Harms