BGH entscheidet über Rechtsbeschwerden im Kapitalanleger-Musterverfahren Hypo Real Estate
Ausgabejahr2021
Erscheinungsdatum05.02.2021
Nr. 029/2021
Beschluss vom 17. Dezember 2020 – II ZB 31/14
Der u.a. für das Kapitalmarktrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Kapitalanleger-Musterverfahren zur Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten durch die ehemalige Hypo Real Estate Holding AG zwischen Juli 2007 und Januar 2008 den Musterentscheid des Oberlandesgerichts München vom 15. Dezember 2014 teilweise bestätigt.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:
Die Hypo Real Estate Holding AG (HRE) war Konzernspitze der Hypo Real Estate-Gruppe (HRE-Gruppe), die Mitte 2007 strukturierte Wertpapiere, sog. „Collateralized Debt Obligations“, mit überwiegendem Bezug zu US-amerikanischen Immobilienkrediten (US-CDO) mit einem kumulierten Nominalwert von umgerechnet rund 1,5 Mrd. € im Bestand hatte.
Nach Ankündigungen der Ratingagenturen Standard & Poor´s und Moody´s vom 10. Juli 2007, bestimmte CDO einer näheren Prüfung zu unterziehen, teilte die HRE mit Ad-Hoc-Meldung vom 11. Juli 2007 ein vorläufiges Konzernergebnis vor Steuern im zweiten Quartal 2007 von ca. 183 Mio. € und die Erhöhung der Prognose des Vorstands für ein Konzernergebnis im Gesamtjahr 2007 von 680 Mio. € auf 710 Mio. € mit. Nachdem am 30. Juli 2007 bekannt geworden war, dass die IKB Deutsche Industriebank AG durch eine Stützungsmaßnahme im Umfang von 8,1 Mrd. € gerettet werden musste, bestätigte die HRE am 3. August 2007 in einer Pressemeldung vor dem Hintergrund aktueller Marktentwicklungen ihre Prognose für das laufende Jahr. Zudem legte sie den Umfang ihres US-CDO-Portfolios offen und erklärte, dass die HRE-Gruppe aufgrund der aktuellen Marktentwicklungen nicht mit Belastungen rechne.
In einer weiteren Pressemitteilung vom 7. November 2007 gab die HRE anlässlich der Veröffentlichung des Quartalsabschlusses die Einschätzung ihres Vorstandsvorsitzenden bekannt, dass die HRE-Gruppe aus der Marktkrise der vergangenen Monate gestärkt hervorgegangen sei. Eine Herabstufung von CDO durch die Ratingagentur Fitch Ratings Inc. am 12. November 2007, die auch von der HRE-Gruppe gehaltene Wertpapiere betraf, nahm sie zum Anlass, ihr Modell zur Bewertung ihrer CDO zu überarbeiten. Sie machte mit Ad-Hoc-Meldung vom 15. Januar 2008 bekannt, dass eine Neubewertung des US-CDO-Portfolios zu Aufwendungen in Höhe vom 390 Mio. € geführt habe, davon 290 Mio. € ergebniswirksam. Der Kurs der bei Börseneröffnung am 15. Januar 2008 mit 33,10 € notierenden Aktien der HRE sank bis Börsenschluss auf 21,64 €.
Vor dem Landgericht München I wurden u.a. gegen die HRE und ihren früheren Vorstandsvorsitzenden eine Vielzahl von Schadensersatzklagen erhoben, die sich darauf stützen, es seien Pflichten zur Information des Kapitalmarkts im Zeitraum vom 11. Juli 2007 bis 15. Januar 2008 verletzt worden. Das Oberlandesgericht München hat auf einen Vorlagebeschluss des Landgerichts einen Musterentscheid erlassen, mit dem es u.a. Informationspflichtverletzungen im Zusammenhang mit den Pressemitteilungen vom 3. August 2007 und 7. November 2007, den Auswirkungen der US-Immobilienkrise ab dem 15. November 2007 sowie der Ad-Hoc-Meldung vom 15. Januar 2008 festgestellt hat. Informationspflichtverletzungen vor dem 3. August 2007 hat es nicht festgestellt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat den Musterentscheid des Oberlandesgerichts teilweise aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, soweit er nicht selbst in der Sache entscheiden konnte.
Das Oberlandesgericht hat eine Informationspflichtverletzung vor dem 3. August 2007 zu Recht verneint. Seine Feststellung, die auf die bisherigen Quartalsergebnisse gestützte Ergebnisprognose für das Geschäftsjahr 2007 sei weder wegen einer fehlerhaften Bilanzierung der US-CDO noch aufgrund einer fehlerhaften Einschätzung der für das zweite Halbjahr zu erwartenden Geschäftsrisiken zu beanstanden, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Weitgehend unbeanstandet geblieben ist auch die Feststellung des Oberlandesgerichts, dass die Pressemitteilung vom 3. August 2007 unwahre und unvollständige Angaben enthielt. Beanstandet wurde jedoch die daran anknüpfende Feststellung, die HRE sei deshalb verpflichtet gewesen, die in der Pressemitteilung enthaltenen Aussagen durch eine Ad-Hoc-Meldung zu korrigieren. Eine unwahre öffentliche Verlautbarung in einer Pressemitteilung begründet eine Ad-Hoc-Mitteilungspflicht hinsichtlich der Unrichtigkeit der Angaben erst, wenn sie zu einer mitteilungspflichtigen Insiderinformation führt, nicht schon, weil sie unzutreffend ist.
Der Musterentscheid musste aufgehoben werden, soweit das Oberlandesgericht die Pressemitteilung vom 7. November 2007 für unvollständig und unwahr sowie die HRE spätestens am 15. November 2007 als verpflichtet angesehen hat, die Auswirkungen der US-Immobilienkrise auf das von ihr gehaltene US-CDO-Portfolio durch eine Ad-Hoc-Meldung zu publizieren.
Die Feststellung, dass die Ad-Hoc-Meldung vom 15. Januar 2008 nicht unverzüglich i.S.v. § 15 Abs. 1 WpHG aF veröffentlicht wurde, weil eine Mitteilungspflicht bereits am 8. Januar 2008 bestand und die HRE von der Pflicht zur Veröffentlichung nicht befreit war, hat das Oberlandesgericht dagegen ohne Rechtsfehler getroffen.
Vorinstanz:
OLG München – Beschluss vom 15. Dezember 2014 – KAP 3/10
Die maßgeblichen Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes in der Fassung vom 5. Januar 2007 (WpHG aF) lauten:
§ 15 WpHG aF:
(1) Ein Inlandsemittent von Finanzinstrumenten muss Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen; (…)
(2) (…)
(3) Der Emittent ist von der Pflicht zur Veröffentlichung nach Absatz 1 Satz 1 solange befreit, wie es der Schutz seiner berechtigten Interessen erfordert, keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist und der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten kann. (…)
§ 37b Abs. 1 WpHG aF:
Unterlässt es der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, unverzüglich eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die ihn unmittelbar betrifft, ist er einem Dritten zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn der Dritte
1. die Finanzinstrumente nach der Unterlassung erwirbt und er bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder
2. die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung veräußert.
§ 37c Abs. 1 WpHG aF:
Veröffentlicht der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, in einer Mitteilung nach § 15 eine unwahre Insiderinformation, die ihn unmittelbar betrifft, ist er einem Dritten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dadurch entsteht, dass der Dritte auf die Richtigkeit der Insiderinformation vertraut, wenn der Dritte
1. die Finanzinstrumente nach der Veröffentlichung erwirbt und er bei dem Bekanntwerden der Unrichtigkeit der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder
2. die Finanzinstrumente vor der Veröffentlichung erwirbt und vor dem Bekanntwerden der Unrichtigkeit der Insiderinformation veräußert.
Karlsruhe, den 5. Februar 2021
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Ergänzende Dokumente
Beschluss des II. Zivilsenats vom 17.12.2020 – II ZB 31/14 –