BFH 10. Senat, Beschluss vom 21.09.2021, AZ X S 22/21, ECLI:DE:BFH:2021:B.210921.XS22.21.0
§ 108 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 314 ZPO, § 10 Abs 3 FGO
Leitsatz
1. NV: Über einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestands eines BFH-Urteils entscheidet der Senat unter Mitwirkung aller Richter, die bei dem Urteil mitgewirkt haben, d.h. grundsätzlich in der Besetzung von fünf Richtern. Dies gilt auch dann, wenn der Antrag unzulässig ist.
2. NV: Ein Antrag auf Berichtigung des Tatbestands eines Revisionsurteils ist grundsätzlich wegen Fehlens des erforderlichen Rechtsschutzinteresses unzulässig. Eine Ausnahme gilt, wenn der Antrag eigene tatsächliche Feststellungen des Revisionsgerichts (etwa zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen) oder die Wiedergabe der Revisionsanträge oder sonstiger Prozesserklärungen der Beteiligten in der Revisionsinstanz betrifft.
3. NV: Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Tatbestandsberichtigungsantrag ergibt sich auch nicht daraus, dass gegen ein Revisionsurteil eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden soll.
Verfahrensgang
vorgehend BFH, 19. Mai 2021, Az: X R 33/19, Urteil
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Berichtigung des Tatbestands des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 19.05.2021 – X R 33/19 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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1. Der Senat entscheidet über den Antrag in der Besetzung von fünf Richtern.
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Zwar entscheidet der Bundesfinanzhof (BFH) bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung grundsätzlich in der Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 Halbsatz 2 der Finanzgerichtsordnung –;FGO–). Gemäß § 108 Abs. 2 Satz 3 FGO wirken bei der Entscheidung über einen Tatbestandsberichtigungsantrag aber (nur) die Richter mit, die beim Urteil mitgewirkt haben. Da das Urteil, dessen Tatbestand berichtigt werden soll, in der Besetzung von fünf Richtern ergangen ist, gilt dasselbe auch für die hier zu treffende Entscheidung. Dies entspricht der Rechtsprechung sowohl des BFH (Beschlüsse vom 20.12.1983 – VII R 33, 34/82, und vom 08.05.2003 – IV R 63/99, BFHE 202, 216, BStBl II 2003, 809, insbesondere Leitsatz 2) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) im Beschluss vom 12.03.2014 – 8 C 16/12 (Rz 2), wobei alle vorstehend zitierten Entscheidungen zu unzulässigen Tatbestandsberichtigungsanträgen ergangen sind.
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2. Der Antrag auf Berichtigung des Tatbestands ist unzulässig, weil es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlt.
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a) Das Verfahren der Tatbestandsberichtigung dient dazu, nachteilige Rechtsfolgen aus einer Anwendung des § 118 Abs. 2 FGO (Bindungswirkung tatsächlicher Feststellungen im Urteil eines Finanzgerichts) bzw. des § 314 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 Satz 1 FGO (Beweiskraft des Tatbestands für das mündliche Vorbringen der Beteiligten) zu verhindern (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 202, 216, BStBl II 2003, 809, unter 1.a, b; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27.06.1956 – IV ZR 317/55, Neue Juristische Wochenschrift 1956, 1480).
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In Revisionsurteilen trifft der BFH aber grundsätzlich keine eigenen tatsächlichen Feststellungen, sondern ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO selbst an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden.
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Daher ist ein Tatbestandsberichtigungsantrag gegen Urteile von Revisionsgerichten grundsätzlich nur dann zulässig, wenn er eigene Feststellungen des Revisionsgerichts betrifft. Dies kann etwa bei Feststellungen zu den für die Beurteilung von Sachentscheidungsvoraussetzungen erheblichen Tatsachen (z.B. im Rahmen der Prüfung der fristgemäßen Einreichung von Rechtsmittel- oder Begründungsschriften) sowie bei der Wiedergabe der Revisionsanträge oder sonstigen Prozesserklärungen der Beteiligten in der Revisionsinstanz der Fall sein (vgl. BFH-Beschluss vom 15.05.2007 – II R 2/05, BFH/NV 2007, 1530, unter 1.; BVerwG-Beschluss vom 12.03.2014 – 8 C 16/12, Rz 7 ff.).
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b) Vorliegend liegt keiner der Ausnahmefälle vor, in denen ein Tatbestandsberichtigungsantrag gegen ein Revisionsurteil ausnahmsweise zulässig sein kann.
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Das Vorbringen der Kläger ist darauf gerichtet, die Wiedergabe ihrer schriftsätzlichen materiell-rechtlichen Ausführungen in einem Punkt zu korrigieren und in einem anderen Punkt zu erweitern. Damit geht es weder um eigene tatsächliche Feststellungen des BFH zu Sachentscheidungsvoraussetzungen noch um Prozesserklärungen in der Revisionsinstanz noch um das mündliche Vorbringen der Beteiligten.
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Auch für ein anschließendes Verfahren der Verfassungsbeschwerde entfaltet der Tatbestand eines Revisionsurteils keine Beweiskraft, weil das Prozessrecht der Verfassungsbeschwerde keine Anordnung einer solchen Bindungswirkung enthält (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20.12.1983 – VII R 33, 34/82; vom 01.10.2002 – VII B 43/02; vom 14.02.2005 – VII S 11/04 (PKH), und vom 09.10.2008 – V R 45/06, BFH/NV 2009, 39, m.w.N.).
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3. Das Tatbestandsberichtigungsverfahren ist in Ermangelung eines ausdrücklichen Kostentatbestands gerichtsgebührenfrei (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1530, unter 4.).