BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 01.09.2021, AZ 1 WB 24/20, ECLI:DE:BVerwG:2021:010921B1WB24.20.0
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Tatbestand
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2).
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Der 1985 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit; seine auf … Jahre festgesetzte Dienstzeit endet mit Ablauf des 30. Juni 2022. Zuletzt wurde er am 1. August 2019 zum Hauptmann befördert. Er gehört der … an und wird bei der … in … verwendet. Aufgrund der hier strittigen Feststellung eines Sicherheitsrisikos wurde er dort von sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten entbunden.
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Für den Antragsteller war zuletzt am 29. Januar 2016 eine Wiederholung seiner erweiterten Sicherheitsprüfung ohne Einschränkungen abgeschlossen worden. Nach Bekanntwerden sicherheitserheblicher Erkenntnisse leitete das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst eine Prüfung nach § 16 Abs. 2 SÜG ein, nach der es dem Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vorschlug, ein Sicherheitsrisiko in der Person des Antragstellers festzustellen.
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Mit Schreiben vom 14. Mai 2019 hörte der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt den Antragsteller zu den sicherheitserheblichen Erkenntnissen an. Er hielt dem Antragsteller vor, dass dieser am 29. März 2018 um 02:36 Uhr mit seinem privaten Pkw gefahren sei, obwohl er aufgrund vorangegangenen Alkoholkonsums absolut fahruntüchtig gewesen sei. Eine um 03:39 Uhr entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration in Höhe von 2,06 ‰ ergeben. Der Antragsteller habe einen Unfall verursacht, bei dem er eine Verkehrsinsel sowie mehrere Verkehrszeichen überfahren und der PKW sich überschlagen habe, bevor er auf dem Dach liegend zum Stehen gekommen sei. Wegen dieses Vorfalls sei der Antragsteller mit Urteil des Amtsgerichts … vom 11. Juli 2018 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60 € verurteilt worden; die Fahrerlaubnis sei ihm mit der Maßgabe entzogen worden, dass eine neue erst nach Ablauf von 10 Monaten erteilt werden könne. Im sachgleichen Disziplinarverfahren habe der Kommandeur der … mit Verfügung vom 15. Januar 2019 unter Feststellung eines Dienstvergehens von der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens abgesehen.
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Der Antragsteller äußerte sich hierzu in einer persönlichen Anhörung am 9. August 2019. Er erklärte, dass er damals viel getrunken habe und ihm durch den Unfall schlagartig bewusst geworden sei, wie gefährlich sein Handeln sei. Er habe die Wirkung des Alkohols unterschätzt und sich fahrtüchtig gefühlt. Er sei bereits zuvor alkoholisiert gefahren, seit Sommer 2016 bis zu dem Unfall ca. einmal im Monat. Er konsumiere Alkohol seit seinem 16. Lebensjahr und seit Sommer 2016 intensiver. Zuletzt habe er zu viel getrunken. Seit dem Unfall bis Januar 2019 habe er gar keinen Alkohol und ab dann nur zu besonderen Ereignissen getrunken. Getrunken habe er, weil ihm dies beim Stressabbau geholfen habe. Die für die Wiedererlangung des privaten und militärischen Führerscheins erforderliche medizinisch-psychologische Untersuchung habe er noch nicht absolviert, auch wegen seiner Abwesenheit durch einen Auslandseinsatz im Irak. Er stelle aber das Ergebnis einer privaten Blutuntersuchung vom 29. Juli 2019 zur Verfügung. Mit freiwilligen unangekündigten ärztlichen Begutachtungen/Untersuchungen und mit einer Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht sei er einverstanden. In Verkehrssachen sei er wiederholt wegen Ordnungswidrigkeiten belangt worden, darunter zweimal mit einem jeweils einmonatigen Fahrverbot in den Jahren 2016 und 2017. Drogen habe er noch nie konsumiert.
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Mit formularmäßigem Bescheid vom 26. August 2019 stellte der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt fest, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2/W 2) Umstände ergeben habe, die im Hinblick auf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach Ü 2-Verschlusssachenschutz ein Sicherheitsrisiko darstellten. Nach Ablauf von zwei Jahren könne bei Bedarf eine Wiederholungsüberprüfung beauftragt werden, in der für den Antragsteller gegebenenfalls eine günstigere Entscheidung in Frage komme. Zur Begründung der Entscheidung erklärt der Geheimschutzbeauftragte, dass wegen des strafrechtlich relevanten Verhaltens des Antragstellers erhebliche Zweifel an seiner Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG bestünden. Im Einzelnen führt er aus:
„Die negative Prognose stützt sich darauf, dass im vorliegenden Fall nicht von einem sogenannten Augenblicksversagen ausgegangen werden kann, sondern – wie sich in der persönlichen Anhörung herausstellte – der Betroffene seit dem Sommer 2016, also knapp 2 Jahre vor dem Unfallereignis, regelmäßig unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilnahm. Er behauptete zwar, seine Alkoholisierung sei dabei nicht stets so erheblich wie am Unfalltag gewesen – noch nie sei er unter so erheblichem Alkoholeinfluss Auto gefahren -, nichtsdestoweniger war er auch nach eigenen Angaben bei den vorangegangenen Fahrten mitunter wahrscheinlich fahruntüchtig, wobei betreffend die Blutalkoholkonzentration und zur Frage nach der absoluten/relativen Fahruntüchtigkeit nur gemutmaßt werden könnte. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos stützt sich schließlich auf die wiederholte Begehung über Jahre hinweg, welche in der Tat auch charakterliche Defizite im Sinne einer zu geringen Hemmschwelle, Straftaten zu begehen und Verkehrsteilnehmer zu gefährden, hindeutet. Der Betroffene sagte selbst in der persönlichen Anhörung, es brauchte das Unfallereignis, um ihm vor Augen zu führen, wie gefährlich sein Handeln war.
Von einem anhaltenden Alkoholmissbrauch des Betroffenen wird nicht ausgegangen. Vielmehr scheint er ‚auf einem guten Weg‘ zu sein und vermittelte in der persönlichen Anhörung den Eindruck, sein Handeln zu bereuen und wirkte auch glaubwürdig in seiner Schilderung seines jetzigen Umgangs mit Alkohol. Es ist jedoch seit dieser Einsicht, die mit dem Unfall einherging, kein ausreichend langer Zeitraum (weniger als 1,5 Jahre) vergangen – auch im Hinblick auf den langen Zeitraum, über den sich die regelmäßigen Trunkenheitsfahrten erstreckten -, um von einer nachhaltigen Besserung und endgültigen Abkehr von Alkoholmissbrauch und der Begehung damit in Zusammenhang stehender Straftaten ausgehen zu können. Eine MPU hat (wohl einsatzbedingt) noch nicht stattgefunden, welche bei einem positiven Ausgang auch zu einer positiven Prognose hätte beitragen können.“
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Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 16. September 2019 Beschwerde. Ihm erschließe sich nicht der Zusammenhang seines strafrechtlichen Fehlverhaltens mit der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten. Er wisse nicht, was sich im Prognosezeitraum von zwei Jahren ändern könne, um die festgestellten Zweifel an der Zuverlässigkeit auszuräumen. Seine Vorgesetzten hätten stets seine Dienstauffassung und Zuverlässigkeit bestätigt. Auch habe er sich nach der Tat reumütig gezeigt und seine Zuverlässigkeit in vielerlei Situationen, insbesondere im Rahmen von internationalen Übungen und bei einem Auslandseinsatz, positiv unter Beweis gestellt.
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Mit Schreiben vom 13. Oktober 2019 äußerte sich der Kommandeur des … zugunsten des Antragstellers.
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Mit Bescheid vom 29. April 2020 wies das Bundesministerium der Verteidigung die Beschwerde zurück. Zur Begründung verwies es auf die Bewertung des Geheimschutzbeauftragten. Die im Jahr 2018 begangene Straftat wiege schwer. Die erhebliche Alkoholisierung (BAK von 2,06 ‰) in Verbindung mit der Einlassung des Antragstellers, er habe in den vergangenen Jahren wiederholt unter Alkoholeinfluss ein Fahrzeug geführt, verstärkten die Zweifel an der Zuverlässigkeit. Zugunsten des Antragstellers sei dessen bisheriges tadelloses dienstliches Verhalten, seine verschiedenen Auszeichnungen und Anerkennungen sowie die sehr positiven Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten zu berücksichtigen. Gleichwohl stelle sich das Verhalten des Antragstellers noch nicht als ausreichend kalkulierbar dar, weshalb eine verlässliche positive Prognose noch nicht gestellt werden könne. Maßgeblich dafür sei vor allem die wiederholte vorsätzliche Begehung von Trunkenheitsfahrten über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die Äußerung des Antragstellers, er habe den Unfall „gebraucht“, um Einsicht zu erlangen, lasse auf eine gewisse kriminelle Risikobereitschaft schließen. Es liege daher auch kein Augenblicksversagen vor. Mit der Verkürzung der Wirkungsdauer der Feststellung des Sicherheitsrisikos von fünf auf zwei Jahre seien die für den Antragsteller sprechenden Gesichtspunkte angemessen berücksichtigt. Der Bluttest vom 29. Juli 2019 stelle lediglich eine Momentaufnahme dar und erbringe keinen langzeitigen Nachweis der Abstinenz, zumal der Antragsteller selbst vorgetragen habe, wieder, wenn auch in geringen Mengen, Alkohol zu konsumieren. Auch habe er bisher weder seine zivile noch seine militärische Fahrerlaubnis zurückerhalten oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung absolviert.
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Hiergegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 21. Mai 2020 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom 24. September 2020 dem Senat vorgelegt.
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Zur Begründung führt der Antragsteller insbesondere aus:
Die Feststellung des Sicherheitsrisikos habe einen ausschließlich repressiven Charakter, weil abgesehen von der lange zurückliegenden strafrechtlichen Verurteilung keine Anhaltspunkte für eine negative Prognose vorlägen. Die Annahme, er habe eine geringe Hemmschwelle für die Begehung von Straftaten, treffe nicht zu. Die Aussagen über frühere Trunkenheitsfahrten stellten bloße Mutmaßungen dar. Auch die Einstufung der begangenen Straftat als „schwerwiegend“ sei nicht nachvollziehbar. Das Strafmaß von 50 Tagessätzen liege weit unter der Grenze für die Eintragung in das Führungszeugnis. Unbeachtlich seien auch die fahrerlaubnisrechtlichen Konsequenzen, weil diese keinen strafenden Charakter hätten. Zwischen der Trunkenheitsfahrt und der Feststellung des Sicherheitsrisikos bestehe kein innerer oder äußerer Zusammenhang. Für die Annahme einer pathologischen Trunksucht gebe es keine konkreten Feststellungen, insbesondere keine ärztlichen Befunde. Auch eine messbare Trinkfestigkeit lasse nicht auf ein Sicherheitsrisiko schließen, weil die alkoholbedingten und die Fahreignung ausschließenden Wirkungen nur physiologischer Natur seien. Ob er überhaupt eine erhöhte Trinkfestigkeit aufweise, sei unklar und allein aus dem erreichten Wert der Blutalkoholkonzentration nicht abzuleiten.
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Der Antragsteller beantragt,
die Entscheidungen des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom 26. August 2019 und des Bundesministeriums der Verteidigung vom 29. April 2020 aufzuheben.
13
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
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Es verweist auf die Gründe der angefochtenen Entscheidungen. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos stelle eine vorbeugende Maßnahme im Hinblick auf die zu schützenden Rechtsgüter der Bundeswehr dar. Die strafrechtlich sanktionierte Trunkenheitsfahrt vom 29. März 2018 sowie die zahlreichen vom Antragsteller in der persönlichen Anhörung selbst eingeräumten Fahrten unter Alkoholeinfluss begründeten im Kern seine Unzuverlässigkeit und stünden bei prognostischer Würdigung des Sachverhalts einem Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit für einen vorübergehenden Zeitraum entgegen. Ein übermäßiger Alkoholkonsum sei sicherheitsrechtlich relevant, weil nach dem Genuss von Alkohol die Fähigkeit, sachgerechte Entscheidungen zu treffen und Risiken abzuschätzen, eingeschränkt sei. Das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr mit einer derartig hohen Blutalkoholkonzentration, lasse auf ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein schließen. Auch eine außerdienstliche Trunkenheitsfahrt mit erheblicher Alkoholisierung stelle ein nicht leicht zu nehmendes Fehlverhalten dar. Bereits eine einmalige Alkoholkonzentration von über 1,6 ‰ rechtfertige regelmäßig den Schluss, dass die betreffende Person nicht nur ausnahmsweise, sondern häufiger übermäßig dem Alkohol zuspreche und über eine außergewöhnliche Alkoholverträglichkeit verfüge. Nach den Einlassungen des Antragstellers könne auch nicht von einem persönlichkeitsfremden Augenblicksversagen gesprochen werden. Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren BVerwG 1 WB 3.19 sei dem Antragsteller vorliegend keine neue Fahrerlaubnis erteilt worden; auch habe er bisher noch keine medizinisch-psychologische Untersuchung absolviert. Bei der Prognose seien einerseits der übermäßige regelmäßige Alkoholgenuss, andererseits die positiven Stellungnahmen der Vorgesetzten berücksichtigt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg, weil er jedenfalls unbegründet ist.
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Die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom 26. August 2019 in Gestalt des Beschwerdebescheids des Bundesministeriums der Verteidigung vom 29. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
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1. Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der – hier mit Schreiben vom 24. September 2020 erfolgten – Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung durch das Bundesministerium der Verteidigung beim Senat (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 – 1 WB 37.07 – BVerwGE 130, 291 Rn. 35). Bis zu diesem Zeitpunkt können in Ergänzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten und mit dessen Zustimmung tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos, einschließlich der dabei zu treffenden Prognose, in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. September 2007 – 1 WDS-VR 7.07 – Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 Rn. 23 und vom 30. Januar 2014 – 1 WB 47.13 – juris Rn. 29).
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Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 – 1 WB 37.07 – BVerwGE 130, 291 Rn. 23 m.w.N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle, aufgrund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).
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Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2011 – 1 WB 12.11 – BVerwGE 140, 384 Rn. 24 ff. m.w.N.).
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Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SÜG bestehen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine „Beweislast“, weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2012 – 1 WB 58.11 – juris Rn. 30; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 <353>).
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2. Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den hierfür zuständigen Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SÜG, Nr. 2418 ZDv A-1130/3) hier rechtmäßig erfolgt.
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a) Bei der Sicherheitsüberprüfung wurde nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen. Insbesondere hatte der Antragsteller Gelegenheit, sich in einer persönlichen Anhörung zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 14 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 SÜG; vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 – 1 WB 57.12 – BVerwGE 148, 267 Rn. 54 ff.). Davon hat er auch Gebrauch gemacht.
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b) Der Geheimschutzbeauftragte ist in dem seine Entscheidung tragenden Kern nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
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aa) Die Trunkenheitsfahrt des Antragstellers am Morgen des 29. März 2018, die dabei festgestellte Blutalkoholkonzentration in Höhe von 2,06 ‰ und die Verurteilung durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts … vom 11. Juli 2018 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60 € sind zwischen den Beteiligten nicht strittig. Gleiches gilt für die Verfügung des Kommandeurs der … vom 15. Januar 2019, mit der dieser im sachgleichen Disziplinarverfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens von der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens abgesehen hat.
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Für den Senat besteht auch kein Anlass, an der Richtigkeit der – für ihn zum Teil nachteiligen – oben referierten Angaben zu zweifeln, die der Antragsteller in der persönlichen Anhörung am 9. August 2019 gemacht hat. Der Antragsteller hat die Niederschrift der Anhörung gelesen und genehmigt.
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Der vom Antragsteller vorgelegte Bluttest vom 29. Juli 2019 befindet sich bei den Akten. Die Angaben des Antragstellers zu Verkehrsdelikten im Ordnungswidrigkeitenbereich (da sei „einiges vorgefallen“) decken sich mit den Gründen des Urteils des Amtsgerichts … vom 11. Juli 2018 („zahlreiche Einträge“ im Verkehrszentralregister).
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bb) Soweit sich der Antragsteller dagegen verwahrt, er habe bereits vor der Trunkenheitsfahrt am 29. März 2018 ein Fahrzeug in fahruntüchtigem Zustand geführt, verweist er zu Recht auf eine unzutreffende Überspitzung in dem Beschwerdebescheid. Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt hatte zu den vorangegangenen alkoholisierten Fahrten des Antragstellers noch erklärt, dass dieser dabei „mitunter wahrscheinlich fahruntüchtig“ gewesen sei, „wobei betreffend die Blutalkoholkonzentration und zur Frage nach der absoluten/relativen Fahruntüchtigkeit nur gemutmaßt werden könnte“. Der Beschwerdebescheid spricht hingegen weitergehend – im Sinne einer gesicherten Tatsache – von einer „wiederholte(n) vorsätzliche(n) Begehung von Trunkenheitsfahrten über einen Zeitraum von mehreren Jahren“. Da zur Höhe der Blutalkoholkonzentration und zur möglichen Überschreitung strafrechtlich relevanter Schwellenwerte bei früheren Fahrten keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen und auch nachträglich nicht mehr erlangt werden können, dürfen prognostische Einschätzungen – wie im Ausgangsbescheid geschehen – nur von dem vom Antragsteller selbst eingeräumten Sachverhalt ausgehen, dass er seit Sommer 2016 bis zu der Trunkenheitsfahrt am 29. März 2018 ca. einmal im Monat alkoholisiert Auto gefahren sei.
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c) Dem Geheimschutzbeauftragten ist auch darin zu folgen, dass sich aus dem vorstehenden Sachverhalt sicherheitserhebliche Erkenntnisse ergeben, die die Feststellung eines Sicherheitsrisikos rechtfertigen können.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können sich tatsächliche Anhaltspunkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG begründen, unter anderem daraus ergeben, dass der Betroffene eine Straftat oder ein Dienstvergehen begangen hat, die – ggf. auch ohne speziellen Bezug zu Geheimhaltungsvorschriften oder zur dienstlichen Tätigkeit – ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. März 2008 – 1 WB 37.07 – BVerwGE 130, 291 Rn. 26, vom 30. Mai 2012 – 1 WB 58.11 – juris Rn. 35 und vom 21. Juli 2016 – 1 WB 35.15 – Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 30 Rn. 42). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte das durch das Urteil des Amtsgerichts … vom 11. Juli 2018 sanktionierte Verkehrsdelikt aufgegriffen und seine Ermittlungen auf das einschlägige Vorverhalten des Antragstellers erstreckt hat.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers fehlt es auch nicht an einem Zusammenhang zwischen dem ihm vorgeworfenen Fehlverhalten und der Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Hinblick auf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit. Der Begriff der Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG umfasst auch die Fähigkeit und Bereitschaft, sich strikt an bestehende Regeln zu halten, insbesondere dort, wo diese Regeln dem Schutz einer unbestimmten Vielzahl anderer Personen dienen, wie das im Straßenverkehr ebenso der Fall ist wie in sicherheitsempfindlichen Tätigkeitsbereichen. Hiergegen verstößt, wer sich selbst nach eigener Einschätzung von der Befolgung von Regeln dispensiert, wenn er dies für opportun hält. Dies gilt nicht nur dann, wenn – wie hier bei der Trunkenheitsfahrt am 29. März 2018 – infolge des Regelverstoßes tatsächlich ein Schaden eintritt. Die Funktionsfähigkeit und Sicherheit entsprechend gefährdeter Tätigkeitsbereiche beruht vielmehr generell darauf, dass alle Beteiligten sich darauf verlassen können, dass sich jeder an die geltenden Regeln hält und dies nicht durch die jeweils persönliche Einschätzung von Risiken und der Fähigkeit, mit diesen Risiken umzugehen, ersetzt.
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Es ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte dem Antragsteller Defizite in der Rechtstreue, mangelndes Verantwortungsbewusstsein und eine unangemessene Risikobereitschaft vorgehalten und darin tatsächliche Anhaltspunkte gesehen hat, die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG).
33
d) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos genügt schließlich auch den Anforderungen an die prognostische Einschätzung, die auf der Grundlage der sicherheitserheblichen Erkenntnisse zu treffen ist.
34
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Feststellung eines Sicherheitsrisikos keine zusätzliche Ebene der repressiven Reaktion auf ein Fehlverhalten des Betroffenen – gegebenenfalls, wie hier, nach dessen strafrechtlicher und/oder disziplinarrechtlicher Ahndung – dar, sondern eine Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Dezember 2009 – 1 WB 58.09 – Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 29, vom 24. April 2012 – 1 WB 62.11 – juris Rn. 31 und vom 21. Mai 2015 – 1 WB 54.14 – BVerwGE 152, 152 Rn. 40). Der Geheimschutzbeauftragte hat sich deshalb bei der Beurteilung, ob ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, prognostisch zur künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Betroffenen und seiner Verhältnisse zu äußern und dabei im Falle des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG darzulegen, warum die vorliegenden sicherheitserheblichen Erkenntnisse für die Zukunft Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung seiner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen.
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Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass – namentlich in dem Beschwerdebescheid – vereinzelt auch repressive Gesichtspunkte anklingen („Ihre im Jahre 2018 begangene Straftat wiegt schwer“), die die Feststellung eines Sicherheitsrisikos nicht begründen könnten. Die angefochtenen Entscheidungen stützen die Prognose jedoch tragend darauf, dass der Antragsteller sich nicht bloß bei der Fahrt am 29. März 2018, sondern bereits seit Sommer 2016 regelmäßig unter erheblichem Alkoholeinfluss im Straßenverkehr bewegt hat und sich von der Fortsetzung dieses riskanten und verantwortungslosen – zumindest im Falle der Trunkenheitsfahrt am 29. März 2018 auch strafbaren – Verhaltens nicht aus eigener Einsicht, sondern erst durch die äußere Motivation des eingetretenen Unfalls hat abhalten lassen. Von diesem langdauernden und erst durch äußere Umstände beendeten Verhalten ausgehend ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Geheimschutzbeauftragte einen gewissen Zeitraum der Bewährung verlangt hat, in dem der Antragsteller die nachhaltige Änderung seiner Einstellung und seines Verhaltens unter Beweis stellt. Der punktuelle Bluttest vom 29. Juli 2019 kann dies nicht ersetzen.
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Ebenfalls zutreffend haben der Geheimschutzbeauftragte und das Bundesministerium der Verteidigung darauf hingewiesen, dass der Antragsteller bis zur Vorlage an den Senat weder seine zivile noch seine militärische Fahrerlaubnis zurückerhalten oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung absolviert hat. Die Einschätzung der Fahrerlaubnisbehörde wäre zwar für den Geheimschutzbeauftragten schon wegen des anderen Schutzzwecks des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes nicht bindend; sie kann aber indizielle Bedeutung haben und besonders, wenn sie auf einer positiv verlaufenen medizinisch-psychologischen Untersuchung beruht, auch für die sicherheitsrechtliche Prognose von Bedeutung sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. April 2019 – 1 WB 3.19 – juris Rn. 36). Dass der Antragsteller wegen eines längeren Auslandseinsatzes zeitweise gehindert war, sich um eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu bemühen, fällt ihm zwar nicht zur Last. Allerdings kann er – anders als der betroffene Soldat in dem Verfahren BVerwG 1 WB 3.19 – auch nicht eine positive Prognose der Fahrerlaubnisbehörde zu seinen Gunsten in das Sicherheitsüberprüfungsverfahren einführen.
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Nicht zu beanstanden ist schließlich – auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit -, dass die Wirkungsdauer der Feststellung des Sicherheitsrisikos mit zwei Jahren bemessen wurde. Darin liegt im Verhältnis zu der regelmäßigen Wirkungsdauer von fünf Jahren eine deutliche Verkürzung, die dem glaubwürdigen und redlichen Auftreten des Antragstellers im Sicherheitsüberprüfungsverfahren und den positiven Stellungnahmen seiner Vorgesetzten Rechnung trägt.