Verfahrensfehler bei Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (Beschluss des BFH 8. Senat)

BFH 8. Senat, Beschluss vom 18.03.2021, AZ VIII B 76/20, ECLI:DE:BFH:2021:B.180321.VIIIB76.20.0

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 96 Abs 1 S 1 Halbs 1 FGO, § 8 Abs 3 S 2 KStG 2002, KStG VZ 2013, § 20 Abs 1 Nr 1 S 2 EStG 2009

Leitsatz

NV: Das FG verstößt gegen seine Pflicht aus § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO zur Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens, wenn es einem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft eine vGA mit der Begründung zurechnet, dass der Zuwendungsempfänger eine dem Gesellschafter nahestehende Person ist, obwohl sich aus dem Akteninhalt ergibt, dass dieses Näheverhältnis in gleicher Weise zu einem Mitgesellschafter besteht.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 17. März 2020, Az: 3 K 1886/19, Urteil

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.03.2020 – 3 K 1886/19 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die Zurechnung einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA).

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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gründete im Streitjahr (2013) zusammen mit seinem Bruder (B) eine GmbH, deren Geschäftsgegenstand der An- und Verkauf von PKW ist. Der Kläger und B halten jeweils 50 % der Geschäftsanteile und sind beide als Geschäftsführer für die GmbH tätig.

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Im Rahmen einer im Jahr 2018 bei der GmbH durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, dass Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zum Teil bar bezahlt, die Zahlungseingänge jedoch nicht in den Kassenaufzeichnungen der GmbH erfasst worden waren. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) behandelte diese Beträge einschließlich eines Sicherheitszuschlags als vGA, die es auf Ebene der Gesellschafter in voller Höhe dem Kläger zurechnete. Dementsprechend erließ das FA am 14.02.2019 diesem gegenüber einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem es Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 38.300 € zugrunde legte.

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Einspruch und Klage des Klägers blieben erfolglos. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel des angefochtenen Urteils.

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Er trägt u.a. vor, das Finanzgericht (FG) habe zu Unrecht den aus der Veräußerung eines PKW erzielten Erlös in Höhe von 19.400 € allein ihm, dem Kläger, als vGA zugerechnet. Das FG habe keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass ihm der Kaufpreis zugeflossen sei. Soweit es das Vorliegen einer vGA damit begründet habe, dass der Kaufpreis an seine Stiefmutter (Z) als ihm nahestehende Person übergeben worden sei, habe es unberücksichtigt gelassen, dass zwischen Z und seinem Bruder und Mitgesellschafter B dasselbe verwandtschaftliche Näheverhältnis bestanden habe.

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Das FA hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

II.

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Die Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

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1. Es liegt ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, auf dem das Urteil beruhen kann.

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a) Einwendungen gegen die Beweiswürdigung des FG sind zwar revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb grundsätzlich einer Nachprüfung im Rahmen der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19.05.2000 – X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458, m.w.N.). Jedoch ist die Nichtberücksichtigung von Umständen, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, verfahrensfehlerhaft, wenn das FG seiner Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht nachkommt oder Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt lässt (vgl. BFH-Urteil vom 07.07.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548, BStBl II 2013, 218, m.w.N.), insbesondere wenn es bei seiner Überzeugungsbildung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unberücksichtigt lässt oder bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgeht. Denn nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, und zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten (BFH-Beschluss vom 27.06.2012 – X B 62/11, BFH/NV 2012, 1625).

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b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG, soweit es die vGA dem Kläger aufgrund des Näheverhältnisses zu seiner Stiefmutter zugerechnet hat, nicht berücksichtigt, dass die Stiefmutter in gleicher Weise dem Bruder des Klägers und Mitgesellschafter B nahesteht.

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aa) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Bezüge aus einer vGA. Eine vGA im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12.06.2018 – VIII R 38/14, BFH/NV 2018, 1141, und BFH-Urteil vom 24.06.2014 – VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501, m.w.N.). Im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist die vGA beim Gesellschafter zu erfassen, wenn ihm der Vermögensvorteil zufließt (vgl. BFH-Beschluss vom 14.07.1998 – VIII B 38/98, BFHE 186, 379; BFH-Urteil vom 19.03.1991 – VIII R 2/85, BFH/NV 1992, 19). Eine vGA kann aber auch ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter anzunehmen sein, wenn der Vorteil dem Gesellschafter mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19.06.2007 – VIII R 34/06, BFH/NV 2007, 2291, und vom 30.11.2010 – VIII R 19/07, BFH/NV 2011, 449). Das „Nahestehen“ in diesem Sinne kann familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein (BFH-Urteile vom 18.12.1996 – I R 139/94, BFHE 182, 184, BStBl II 1997, 301, und vom 25.05.2004 – VIII R 4/01, BFHE 207, 103).

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bb) Das FG hat ausgeführt, aufgrund der unvollständigen und unrichtigen Buchhaltung bei der GmbH sei von einer Vereinnahmung des Kaufpreises durch den Kläger –ggf. im Wege des abgekürzten Zahlungswegs durch die Übergabe durch die Käuferin an Z und die sich anschließende private Verwendung des Betrags– auszugehen. Zwar sei auch B Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH gewesen. Auch habe der Kläger von B für die GmbH unterzeichnete Belege vorgelegt. Diese stünden jedoch nicht in Zusammenhang mit dem geschlossenen Kaufvertrag. Es ergäben sich hieraus keine Hinweise darauf, dass B von dem entrichteten Kaufpreis ein Teilbetrag zugeflossen sei. Zudem habe der Kläger vorgetragen, dass es sich bei Z um seine Stiefmutter handele. Inwiefern vor diesem Hintergrund von einem Zufluss an B –und nicht an den in persönlicher Beziehung zu Z stehenden Kläger– auszugehen sein solle, bleibe unklar.

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cc) Danach hat das FG nicht ausdrücklich festgestellt, dass der Kaufpreis dem Kläger unmittelbar –durch Übergabe von der Käuferin oder von Z– zugeflossen ist. Vielmehr hat es unter Hinweis darauf, dass der Kaufpreis ggf. im Wege des abgekürzten Zahlungswegs von der Käuferin unmittelbar an Z gezahlt worden sei, eine mit dem Zufluss und der privaten Verwendung des Kaufpreises durch Z bewirkte mittelbare vGA gegenüber dem Kläger als möglich erachtet, weil Z als Stiefmutter des Klägers eine diesem nahestehende Person sei (vgl. zur vGA bei abgekürztem Zahlungsweg: BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 449, Rz 34). Hierbei hat es indes unberücksichtigt gelassen, dass Z zu dem Bruder und Mitgesellschafter B in demselben verwandtschaftlichen Näheverhältnis wie zu dem Kläger steht. Diesen Umstand, der sich unmittelbar aus dem Akteninhalt ergibt, hätte das FG in seine Beweiswürdigung einbeziehen müssen, weil der nach der Rechtsprechung gegebene Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer mittelbaren vGA bei einem Gesellschafter regelmäßig als erschüttert anzusehen ist, wenn der Zuwendungsempfänger auch einem anderen Gesellschafter nahesteht (BFH-Urteil vom 22.02.2005 – VIII R 24/03, BFH/NV 2005, 1266, unter II.1.c bb). Dies gilt im Streitfall umso mehr, als anderweitige Feststellungen für eine (nur) zwischen dem Kläger und seiner Stiefmutter bestehende persönliche Beziehung, die nicht allein in dem rein verwandtschaftlichen Verhältnis begründet ist oder über dieses hinausgeht, nicht vorliegen.

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dd) Das angefochtene Urteil kann auch auf dem Verfahrensfehler beruhen i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Es ist nicht auszuschließen, dass das FG zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn es das Näheverhältnis der Z zu B berücksichtigt hätte. Zwar hat das FG ausgeführt, es lägen keine Hinweise darauf vor, dass dem B von dem entrichteten Kaufpreis ein Teilbetrag zugeflossen sei. Es fehlen aber auch konkrete Feststellungen zu einem Zufluss des Kaufpreises beim Kläger (s. unter cc), der die Vereinnahmung des Kaufpreises für eigene Zwecke ausdrücklich bestritten hat. Gleichfalls fehlen Feststellungen dazu, dass eine etwaige Vereinnahmung und private Verwendung des Kaufpreises durch Z auf Veranlassung des Klägers –und nicht des B– erfolgt ist. Vielmehr hat das FG insofern ausschließlich an das zwischen dem Kläger und der Z bestehende Näheverhältnis angeknüpft. Ohne weitere Feststellungen dazu, welcher der beiden Gesellschafter die Zuwendung an Z veranlasst hat, könnte dies allenfalls den Schluss auf eine Zurechnung der vGA an die Gesellschafter im Verhältnis ihrer Beteiligungen an der GmbH rechtfertigen (vgl. hierzu: BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 1266).

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2. Der Senat hält es für zweckmäßig, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO), damit das FG die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.