BFH 8. Senat, Beschluss vom 11.02.2021, AZ VIII B 30/20, ECLI:DE:BFH:2021:B.110221.VIIIB30.20.0
§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 155 FGO, § 295 ZPO, § 18 Abs 1 Nr 1 EStG 2009
Leitsatz
NV: Kann ein Beschwerdeführer vor der mündlichen Verhandlung erkennen, dass das FG zu der Frage, ob seine Tätigkeit eine künstlerische Gestaltungshöhe erreicht, nicht von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einholen wird, muss er in der mündlichen Verhandlung selbst einen entsprechenden Beweisantrag stellen oder das Vorgehen des FG als verfahrensfehlerhaft rügen. Unterlässt er dies, ist der Beschwerdeführer zur Rüge eines etwaigen Verstoßes des FG gegen die Sachaufklärungspflicht im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht berechtigt.
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 16. Januar 2020, Az: 2 K 859/16, Urteil
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.01.2020 – 2 K 859/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
1
Die Beschwerde ist unbegründet.
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Der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachte Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) im Beschwerdeverfahren nicht mehr gerügt werden. Das weitere Vorbringen erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO.
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1. Zwar kann ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO und damit ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen (s. unter 1.a), wenn das Finanzgericht (FG) bei der Prüfung einer künstlerischen Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet, sofern ihm die erforderliche eigene Sachkunde fehlt (Senatsbeschluss vom 18.07.2007 – VIII B 204/06, BFH/NV 2007, 2264, unter 2.a). Die anwaltlich vertretene Klägerin, welche weder in der mündlichen Verhandlung einen eigenen Antrag auf Begutachtung ihrer Tätigkeit durch einen Sachverständigen gestellt noch die Nichteinholung eines solchen Gutachtens durch das FG gerügt hat, kann einen hieraus resultierenden etwaigen Verfahrensmangel im Rahmen der Beschwerde jedoch nicht mehr rügen (s. unter 1.b).
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a) Eine künstlerische Tätigkeit übt ein Steuerpflichtiger nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) –neben weiteren Voraussetzungen– nur dann aus, wenn er eine schöpferische Leistung mit einer gewissen Gestaltungshöhe vollbringt, d.h. eine Leistung, in der seine individuelle Anschauungsweise und seine besondere Gestaltungskraft zum Ausdruck kommen (BFH-Urteile vom 23.09.1998 – XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460; vom 04.11.2004 – IV R 63/02, BFHE 209, 116, BStBl II 2005, 362; ebenso das vom FG zitierte BFH-Urteil vom 15.10.1998 – IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465, zum Einsatz von Schauspielern im Rahmen der Werbung; Senatsurteil vom 16.09.2014 – VIII R 5/12, BFHE 247, 214, BStBl II 2015, 217). Hiervon abzugrenzen ist eine Betätigung, deren Arbeitsergebnisse keinen Gebrauchszweck haben (zweckfreie Kunst). Bei dieser kann auf die Feststellung der ausreichenden künstlerischen Gestaltungshöhe verzichtet werden, wenn den Werken nach der allgemeinen Verkehrsauffassung das Prädikat des Künstlerischen nicht abgesprochen werden kann und die Arbeiten ausschließlich auf das Hervorbringen einer ästhetischen Wirkung gerichtet sind (BFH-Beschluss vom 14.08.1980 – IV R 9/77, BFHE 131, 365, BStBl II 1981, 21; Schmidt/Wacker, EStG, 39. Aufl., § 18 Rz 66). Die Entscheidung über das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfordert nach ständiger Rechtsprechung des BFH insbesondere im Bereich der Grenz- und Übergangsfälle besondere Sachkunde. Das Gericht muss sich diese verschaffen, sofern es sie nicht in dem konkret erforderlichen Maße selbst besitzt; dazu kann insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sein. Holt das Gericht in Grenz- und Übergangsfällen kein Sachverständigengutachten ein, muss dies für die Verfahrensbeteiligten erkennbar sein; die besondere Sachkunde des Gerichts muss dann in den Urteilsgründen nachprüfbar dargelegt werden (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 01.06.2006 – IV B 200/04, BFHE 214, 168, BStBl II 2006, 709, unter II.3.b; Senatsurteil vom 14.12.1976 – VIII R 76/75, BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474).
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b) Auf dieser Grundlage hat das FG die Einholung eines Sachverständigengutachtens geprüft und abgelehnt, weil die Klägerin den Umfang der künstlerischen Tätigkeit nicht anhand geeigneter Beweismittel dargelegt habe. Dem ist zwar darin zuzustimmen, dass sich die Frage, ob die eigene Sachkunde des FG ausreicht oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist, erst stellt, wenn begutachtungsfähige Arbeitsergebnisse vorgelegt werden (BFH-Beschluss vom 28.06.2006 – XI R 78/03, BFH/NV 2006, 2062 [Rz 2]), jedoch ist ein Gutachten anderseits schon dann einzuholen, wenn nur für einen Teilabschnitt des Klagezeitraums eine künstlerische Tätigkeit in einer Weise dargelegt wird, die die Begutachtung durch einen Sachverständigen ermöglicht (BFH-Beschluss vom 28.09.2006 – IV B 18/05, BFH/NV 2007, 89). Der Senat lässt danach offen, ob er sich der Würdigung des FG anzuschließen vermag, der klägerische Vortrag sei überhaupt nicht zur Darlegung eines begutachtungsfähigen Sachverhalts geeignet gewesen.
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Jedenfalls kann die rechtskundig vertretene Klägerin einen etwaigen Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO nicht mehr rügen (s. zur Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Kontext BFH-Beschluss in BFHE 214, 168, BStBl II 2006, 709, unter II.3.a). Weder hat sie selbst einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens schriftsätzlich vor oder während der mündlichen Verhandlung gestellt noch anderweitig zum Ausdruck gebracht, die Nichteinholung eines Gutachtens durch das FG sei verfahrensfehlerhaft.
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Das FG hatte bis zur mündlichen Verhandlung kein Sachverständigengutachten eingeholt, wie für die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ohne weiteres erkennbar war. In der mündlichen Verhandlung wurde –wie sich sowohl aus dem angefochtenen Urteil als auch aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ergibt– über die künstlerische Tätigkeit der Klägerin im Streitjahr gesprochen. Zudem war der Klägerin aufgrund des Erörterungstermins bekannt, dass das FG die künstlerische Gestaltungshöhe der Tätigkeit für aufklärungsbedürftig, aber –wie aus der Verfügung des FG vom 03.09.2019 ersichtlich war– aufgrund der genauen Eingrenzung der Tätigkeit im Streitjahr und anhand des vorgelegten Bildmaterials als nicht möglich erachtete. Daraus konnte die Klägerin schon vor der mündlichen Verhandlung erkennen, dass sich die Einholung eines Gutachtens auf der Grundlage des vorhandenen Prozessstoffs für das FG auch nicht aufdrängte. Anhaltspunkte dafür, dass das FG die Einholung eines Sachverständigengutachtens während der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellt hätte und die Klägerin hierauf vertrauen durfte, ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin und der Niederschrift ebenfalls nicht. Ein ausdrücklicher Hinweis während der mündlichen Verhandlung darauf, dass das FG kein Gutachten einholen werde, war nach den geschilderten Umständen des Streitfalls ebenfalls nicht erforderlich. Wenn die Klägerin gleichwohl der Auffassung war, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte, hätte sie die Unterlassung rügen müssen, denn die Sachaufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, welche die fachkundig vertretene Partei selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, aber zu stellen unterlassen hat. Das ist nicht geschehen.
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2. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe für die Einordnung der Tätigkeit der Klägerin die Arbeiten als Drehbuchautorin, Fotografin, Layouterin, Unterhalterin, Webdesignerin und Administratorin zu Unrecht als Nebentätigkeiten abgegrenzt und nicht als prägende Bestandteile einer insgesamt künstlerischen Tätigkeit der Klägerin behandelt, rügt die Klägerin keinen Verfahrensfehler. Sie greift insoweit die rechtliche Würdigung des FG an. Dabei handelt es sich nicht um einen Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.