Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Zum Anspruch afghanischer Staatsangehöriger aus dem Programm „Überbrückungsliste“ des Innenministeriums auf Bescheidung ihrer Visaanträge – Versagung fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes (§ 123 VwGO) verletzt insoweit die Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 S 1 GG) – allerdings Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, soweit die Verneinung eines Anordnungsanspruchs bzgl der Erteilung der beantragten Visa angegriffen wird (Stattgebender Kammerbeschluss des BVerfG 2. Senat)

BVerfG 2. Senat, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.12.2025, AZ 2 BvR 1511/25, ECLI:DE:BVerfG:2025:rs20251204.2bvr151125

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 23. September 2025, Az: 6 RS 5/25, Beschluss
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 28. August 2025, Az: 6 S 47/25, Beschluss

vorgehend VG Berlin, 21. Juli 2025, Az: 30 L 208/25 V, Beschluss

Tenor

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. August 2025 – OVG 6 S 47/25 – verletzt die Beschwerdeführenden in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, soweit das Oberverwaltungsgericht nicht über die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Bescheidung der Visaanträge der Beschwerdeführenden vom 2. Februar 2023 entschieden hat. Die Sache wird insoweit aufgehoben.

Die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, die Visaanträge der Beschwerdeführenden vom 2. Februar 2023 umgehend zu bescheiden.

Zur Entscheidung über die Kosten in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird die Sache an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

2. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. September 2025 – OVG 6 RS 5/25 / OVG 6 S 47/25 – wird damit gegenstandslos.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Das Land Berlin hat den Beschwerdeführenden die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren sowie die notwendigen Auslagen für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe

A.

I.

1

1. Die Beschwerdeführenden sind afghanische Staatsangehörige. Gegenwärtig halten sie sich in (…) in Pakistan auf und werden dort von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt. Der Beschwerdeführer zu 2. war in Afghanistan vor der Machtübernahme durch die Taliban als Richter am Supreme Court tätig. Die Beschwerdeführerin zu 1. ist seine Ehefrau, die Beschwerdeführenden zu 3. bis 6. sind gemeinsame Kinder.

2

2. Im Dezember 2022 nahm das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) die Beschwerdeführenden in das Programm „Überbrückungsliste“ auf. Das Programm umfasste die Erklärung von Aufnahmen nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aus politischen Gründen und setzte die humanitäre „Menschenrechtsliste“ fort, die im August 2021 geschlossen worden war. Die „Überbrückungsliste“ diente dabei der Überbrückung des Zeitraums bis zum Beginn des Bundesaufnahmeprogramms, das die damals neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag im Dezember 2021 beschlossen hatte. Auf der „Überbrückungsliste“ standen unter anderem Personen aus dem Justizsektor, deren besondere Gefährdung auf ihre Tätigkeit vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 zurückzuführen ist. Der Personenkreis unterscheidet sich von dem Programm „Ortskräfteverfahren“, welches Personen betrifft, die für die Bundesrepublik Deutschland gearbeitet haben.

3

Die GIZ informierte die Beschwerdeführenden per E-Mail vom 14. Dezember 2022, dass das BMI ihre Aufnahme erklärt habe. Die Aufnahmeerklärungen seien die Basis für nachfolgende Anträge auf Erteilung deutscher Visa. Die Visa müssten bei einer deutschen Botschaft in einem dritten Staat (z.B. Pakistan oder Iran) beantragt werden. Die GIZ habe keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland und könne keine Ratschläge für das Aufnahmeverfahren erteilen.

4

Die Beschwerdeführenden beantragten am 2. Februar 2023 bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Islamabad (Pakistan) die Erteilung von Visa. Über diese Visaanträge ist bislang nicht entschieden worden.

5

Am 24. Januar 2025 wurde eine Sicherheitsbefragung der zum damaligen Zeitpunkt volljährigen Beschwerdeführenden zu 1. bis 3. durchgeführt, die Sicherheitsbedenken nach sich zogen.

6

Im Mai 2025 setzte die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahmeprogramme betreffend Afghanistan bis zu einer politischen Entscheidung der Bundesregierung über deren weitere Umsetzung aus.

7

3. Am 19. Juni 2025 erhoben die Beschwerdeführenden Klagen beim Verwaltungsgericht Berlin auf Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, ihnen Visa zu erteilen. Zugleich suchten sie um einstweiligen Rechtsschutz nach.

8

4. Das Auswärtige Amt teilte dem Verwaltungsgericht am 17. Juli 2025 fernmündlich mit, dass die Sicherheitsüberprüfung nunmehr abgeschlossen sei, keine Sicherheitsbedenken gegenüber den Beschwerdeführenden (mehr) bestünden und eine Aufhebung der Aufnahmeerklärung nicht beabsichtigt sei.

9

5. Mit Beschluss vom 21. Juli 2025 – VG 30 L 208/25 V – verpflichtete das Verwaltungsgericht Berlin die Bundesrepublik Deutschland im Wege einstweiliger Anordnung, den Beschwerdeführenden Visa gemäß § 22 Satz 2 AufenthG zu erteilen. Die Beschwerdeführenden hätten einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser folge aus § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2, § 22 Satz 2 AufenthG. Die Beschwerdeführenden hätten aufgrund der Aufnahmeerklärung des BMI einen Anspruch auf Erteilung der Visa. Die weiteren Erteilungsvoraussetzungen lägen vor. Sicherheitsbedenken bestünden ausdrücklich nicht mehr. Die Beschwerdeführenden hätten auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ihnen drohten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ohne Gewährung des begehrten Eilrechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache sehr wahrscheinlich nicht mehr in der Lage wäre. Sie könnten den Ausgang des Hauptsacheverfahrens in Afghanistan nicht ohne Gefährdung von Leib und Leben abwarten.

10

6. Mit angefochtenem Beschluss vom 28. August 2025 – OVG 6 S 47/25 – gab das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Beschwerde der Bundesrepublik Deutschland statt und lehnte den Antrag auf Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Erteilung der Visa ab. Aus der nach § 22 Satz 2 AufenthG erklärten Aufnahmebereitschaft folge kein Visumanspruch. Anders als bei einer nach § 23 Abs. 2 AufenthG erteilten Aufnahmezusage sei die Erklärung der Aufnahmebereitschaft kein Verwaltungsakt, sondern eine Maßnahme mit bloß innerbehördlichem Charakter, die Einzelnen keine subjektiven Rechte vermittle. § 22 Satz 2 AufenthG diene nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten einzelner Ausländer, sondern ziele auf eine politische Entscheidung ab, die Ausdruck autonomer Ausübung des außenpolitischen Spielraums des Bundes sei. Die Mitteilung der Aufnahme durch E-Mail der GIZ vom 14. Dezember 2022 habe am innerbehördlichen Charakter der Erklärung nichts geändert. Selbst wenn man der Aufnahmeerklärung rechtliche Wirkung beimäße, führe das nicht zum Erfolg der Anträge. Es sei noch nicht absehbar, ob die Aufnahmeerklärung aufrecht erhalten bleibe. Ohne Auswirkung auf das Ergebnis bliebe es zudem, wenn man der Aufnahmeerklärung einen subjektiv-rechtlichen Gehalt beimesse. Die Aussetzung des Programms „Überbrückungsliste“ sei ermessensfehlerfrei. Da schon ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei, könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht zu Recht einen Anordnungsgrund bejaht habe.

11

7. Die am 10. September 2025 erhobene Anhörungsrüge wies das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. September 2025 – OVG 6 RS 5/25 / 6 S 47/25 – zurück.

II.

12

Die Beschwerdeführenden haben am 29. September 2025 Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. August 2025 und vom 23. September 2025 erhoben sowie den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie machen eine Verletzung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, jeweils in Verbindung mit einem Anspruch auf Vertrauensschutz nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geltend.

13

Das Oberverwaltungsgericht sei den aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden gesteigerten Anforderungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gerecht geworden, weil es grundrechtliche Belange nicht geprüft habe. Die Aufnahmeerklärung der Bundesregierung sei ein Verwaltungsakt und bindend. Ihr Vertrauen in den Bestand der Aufnahmeerklärung sei geschützt. Die unbefristete Aussetzung der Aufnahme komme deren Aufhebung gleich. Indem die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt, die Beschwerdeführenden zur Ausreise nach Pakistan sowie zum Betreiben des Visumverfahrens angeleitet und diese seit zweieinhalb Jahren in einer Unterkunft der GIZ untergebracht habe, habe sie für den Schutz und das Wohlergehen der Beschwerdeführenden in einem solchen Maße Verantwortung übernommen, dass daraus eine grundrechtliche Schutzpflicht erwachse. Ihnen drohten bei einer Auslieferung von Pakistan nach Afghanistan und an die Taliban Misshandlungen, Folter und Tod. Im Vertrauen auf die Zusage hätten sie ihr Hab und Gut verkauft, um die Ausreise und die Visaverfahren zu finanzieren.

III.

14

Das Auswärtige Amt und die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

15

Das Auswärtige Amt hat vorgetragen, dass die Aufnahmen im Rahmen des sogenannten Überbrückungsprogramms im Jahr 2022 ihm gegenüber behördenintern vom BMI erklärt worden seien. Von Mai 2021 bis zum Amtsantritt der aktuellen Bundesregierung am 7. Mai 2025 seien 7.561 Afghaninnen und Afghanen im Überbrückungsprogramm nach Deutschland aufgenommen worden, 590 befänden sich in der Unterstützung in Pakistan (Stand: 24. November 2025).

16

Für die Visavorgänge im Rahmen aller Aufnahmeverfahren aus Afghanistan sei seit Sommer 2023 ausschließlich die Botschaft in Islamabad (Pakistan) zuständig. Für die Dauer des Ausreiseverfahrens habe die Bundesregierung für alle Aufnahmeverfahren einen Dienstleister mit der Unterbringung und Unterstützung der aufzunehmenden Personen in Islamabad beauftragt. Für die Personen des Überbrückungsprogramms liege hierzu ein Auftrag des Auswärtigen Amts vor. Es handele sich um ein freiwilliges Angebot der Bundesregierung. Die durchschnittliche Dauer im Ausreiseverfahren betrage aktuell 14,6 Monate. Personen der sogenannten Menschenrechtsliste hielten sich durchschnittlich 14 Monate in Pakistan auf, Personen des sogenannten Überbrückungsprogramms durchschnittlich 15,1 Monate. In jedem Stadium des Verfahrens könnten Erkenntnisse auftreten, die dazu führen könnten, dass das politische Interesse der Bundesrepublik an einer Aufnahme der jeweiligen Person erlösche.

17

Die die derzeitige Bundesregierung tragenden Parteien hätten im Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode vereinbart, freiwillige Bundesaufnahmeprogramme soweit wie möglich zu beenden. Hinsichtlich der Aufnahmeverfahren aus Afghanistan werde dies derzeit umgesetzt. Die Verfahren befänden sich in der Abwicklung. Die aktuelle Lage in Pakistan setze diesem Prozess eine zeitliche Grenze. In einer „Gemeinsamen Absichtserklärung“ von September 2025 hätten die pakistanische und die deutsche Seite festgehalten, dass alle Vorgänge der im Ausreiseverfahren befindlichen Personen bis 31. Dezember 2025 abgeschlossen sein müssten. Dabei habe die Bundesregierung entschieden, den Schwerpunkt zunächst auf das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan und das Ortskräfteverfahren zu legen.

18

Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

B.

19

Soweit die Beschwerdeführenden eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 28. August 2025 dergestalt rügen, dass die gerichtliche Entscheidung über die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Bescheidung der Visaanträge der Beschwerdeführenden vom 2. Februar 2023 unterblieben ist, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt (I.). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (II.).

I.

20

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde im tenorierten Umfang zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführenden aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach im tenorierten Umfang zulässig und offensichtlich begründet.

21

1. Die Verfassungsbeschwerden sind im tenorierten Umfang zulässig. Insbesondere droht den Beschwerdeführenden im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan ein möglicherweise endgültiger Rechtsverlust, der durch eine spätere Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, weshalb ihnen das Abwarten einer – alsbald nicht zu erwartenden – verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheentscheidung nicht zuzumuten ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <340>; 77, 381 <401 f.>).

22

2. Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit sie zulässig sind, offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführenden in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, soweit das Oberverwaltungsgericht nicht über die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Bescheidung der Visaanträge entschieden hat.

23

a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert einen umfassenden gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 25, 352 <365>; 51, 176 <185>; 54, 39 <40 f.>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Diese Garantie effektiven Rechtsschutzes gewährleistet nicht nur formal die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gebietet auch die Effektivität des damit verbundenen Rechtsschutzes, das heißt einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zu den Gerichten darf daher nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 10, 264 <268>; 40, 272 <274 f.>; 77, 275 <284>). Vor diesem Hintergrund haben die Gerichte etwa das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>). Sie dürfen nicht durch die Art und Weise der Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen (vgl. BVerfGE 84, 366 <369 f.>). Legt ein Gericht den Verfahrensgegenstand in einer Weise aus, die das vom Beschwerdeführer erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel ganz oder in wesentlichen Teilen außer Betracht lässt, so liegt darin eine Rechtswegverkürzung, die den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Februar 1997 – 2 BvR 2989/95 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Februar 2002 – 2 BvR 553/01 -, Rn. 13; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2005 – 2 BvR 497/03 -, Rn. 55; BVerfGK 10, 509 <513>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Januar 2017 – 2 BvR 476/16 -, Rn. 12; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2021 – 2 BvR 2181/20 -, Rn. 21).

24

b) Nach diesen Maßstäben hat das Oberverwaltungsgericht das Grundrecht der Beschwerdeführenden aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt, indem es nicht über die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Bescheidung der Visaanträge der Beschwerdeführenden vom 2. Februar 2023 entschieden hat.

25

Das Oberverwaltungsgericht hat den stattgebenden Beschluss des Verwaltungsgerichts geändert und die Anträge der Beschwerdeführenden, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Visa gemäß § 22 Satz 2 AufenthG zu erteilen und auszuhändigen, abgelehnt. Da das BMI im Jahr 2022 nach § 22 Satz 2 AufenthG die Aufnahme – wenn auch nunmehr ausgesetzt – erklärt hatte und das Auswärtige Amt im Juli 2025 dem Verwaltungsgericht mitgeteilt hat, dass keine Sicherheitsbedenken (mehr) bestehen und eine Aufhebung der Aufnahmeerklärung nicht beabsichtigt sei (S. 4 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 21. Juli 2025; vgl. auch S. 4 f. des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 28. August 2025), hätte das Oberverwaltungsgericht hier nicht stehenbleiben dürfen. Es hätte in einem nächsten Schritt prüfen müssen, ob die Beschwerdeführenden einen Anordnungsanspruch auf Bescheidung (d.h. „Beantwortung“) ihrer Visaanträge vom 2. Februar 2023 glaubhaft gemacht haben.

26

aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist in einem Vornahmeantrag, mit dem eine bestimmte Entscheidung begehrt wird, für die ein behördlicher Entscheidungsspielraum besteht, in aller Regel ein Bescheidungsbegehren als „Minus“ enthalten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 6 B 47.06 -, juris, Rn. 13; für Visumanträge: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. August 2025 – 3 S 47/25 -, juris, Rn. 9). Die hier in Rede stehende Visumentscheidung ergeht unter Ausübung eines solchen exekutiven Spielraums.

27

Nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts räumt § 22 Satz 2 AufenthG der Antragsgegnerin ein weites politisches Ermessen ein (S. 5 f. des Beschlusses vom 28. August 2025; vgl. auch zu § 23 Abs. 2 AufenthG: BVerwGE 141, 151 <151 f. Rn. 10, 12> sowie Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz vom 7. Februar 2003, BTDrucks 15/420, S. 77 <zu § 22 AufenthG&gt;; Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 27. Januar 1990, BTDrucks 11/6321, S. 66 <zu § 30 Abs. 1 AuslG>). An dem Charakter der Visumentscheidung als Entscheidung mit exekutivem Spielraum ändert die Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb der Exekutive nichts, nach der die Aufnahmeerklärung und damit die Ausübung des Spielraums durch das BMI erfolgt und das Visumverfahren im Übrigen durch das Auswärtige Amt (hier: Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Islamabad) geführt wird, welches die materiellen Voraussetzungen der Visumerteilung prüft. Aus der maßgeblichen Perspektive des gerichtlichen Verfahrens ist die zur Ausübung des exekutiven Spielraums berufene Bundesrepublik Deutschland Trägerin beider Behörden (vgl. Kluckert/Vogt, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 6. Aufl. 2025, § 65 Rn. 156; Kolber/Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 15. Aufl. 2025, AufenthG § 6 Rn. 98; Stahmann/Schild, in: Hofmann, NK-AuslR, 3. Aufl. 2023, AufenthG § 6 Rn. 66).

28

Ein Bescheidungsanspruch kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO gesichert werden (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 2. Oktober 2025 – 6 S 81/25 -, juris, Rn. 7 und vom 18. August 2025 – 3 S 47/25 -, juris, Rn. 8; Sächsisches OVG, Beschluss vom 25. Juli 2022 – 6 B 16/22 -, juris, Rn. 28). Das gilt auch, wenn – mangels behördlicher Entscheidung – in der Hauptsache eine Bescheidungsklage (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) in Gestalt einer Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) verfolgt wird (vgl. zu dieser Konstellation BVerwGE 162, 331). Auch in dieser Situation kann ein Rechtsschutzbedürfnis für die in der Verpflichtung zur Bescheidung liegende Vorwegnahme der Hauptsache bestehen, wenn dem Rechtsschutzsuchenden – wie hier – irreversible schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohen und hieraus eine besondere Dringlichkeit erwächst, hinter die etwaige Gründe für die Verzögerung der behördlichen Entscheidung zurücktreten müssen (vgl. § 75 Satz 2 und 3 VwGO; BVerfGE 35, 382 <402>; 46, 166 <179>; 65, 1 <70>; 67, 43 <58>; 69, 315 <363>; 79, 69 <74>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2406/16 u.a. -, Rn. 9 ff.).

29

bb) Die Beschwerdeführenden haben durch eine einstweilige Anordnung zu sichernde materiell-rechtliche Bescheidungsansprüche.

30

Die Beschwerdeführenden haben Visaanträge gestellt (vgl. § 81 Abs. 1 AufenthG), über die durch die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens nach Maßgabe von § 5 und § 6 Abs. 3 in Verbindung mit § 22 Satz 2 AufenthG zu entscheiden ist. Gemäß § 6 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird (Satz 1); die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis, die Blaue Karte EU, die ICT-Karte, die Niederlassungserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU geltenden Vorschriften (Satz 2). Ein Visum, das vor der Einreise bei der Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland für einen längerfristigen Aufenthalt beantragt wird, benötigt – neben der Erfüllung der allgemeinen (vgl. § 5 AufenthG) und speziellen, sich aus dem jeweiligen Aufenthaltszweck ergebenden Erteilungsvoraussetzungen – grundsätzlich nach Maßgabe von § 31 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) eine Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde. An die Stelle dieser Zustimmung tritt bei Visa nach § 22 Satz 2 AufenthG funktional die Aufnahmeerklärung des BMI: Gemäß § 22 Satz 2 AufenthG ist eine Aufenthaltserlaubnis beziehungsweise das Visum zu erteilen, wenn das BMI oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat.

31

Die im vorliegenden Fall „ausgesetzte“ und damit offene Entscheidung über den Fortbestand des politischen Interesses gemäß § 22 Satz 2 AufenthG hat zwar für sich genommen nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts keinen subjektiv-rechtlichen Gehalt (vgl. so auch schon OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Juni 2025 – 6 B 4/24 -, juris, Rn. 27, 32 ff.). Die Aufnahmeerklärung ist aber vom Visumverfahren zu unterscheiden. Hinsichtlich des Visumverfahrens haben die Beschwerdeführenden schon einfachrechtlich einen Anspruch auf Bescheidung ihrer förmlich gestellten, vom Aufenthaltsgesetz als solche vorgesehenen Visaanträge nach § 5, § 6 Abs. 3, § 81 Abs. 1 AufenthG. Denn das Aufenthaltsgesetz geht von der Eröffnung eines Rechtsmittels gegen die ablehnende Entscheidung der zuständigen Auslandsvertretung aus (vgl. § 77 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a und Abs. 2, § 83 Abs. 1 AufenthG). Der Zugang zu diesem Rechtsmittel würde unterlaufen, wenn die dafür notwendige, vorherige Bescheidung von den Beschwerdeführenden nicht verlangt werden könnte und in das Belieben der Behörde gestellt wäre (vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. März 2025 – 2 BvR 442/23 -, Rn. 16).

32

cc) Einem Bescheidungsanspruch der Beschwerdeführenden stehen keine zureichenden Gründe für die Verzögerung des Visumverfahrens (vgl. § 75 Satz 3 VwGO) entgegen.

33

Mit Blick auf den zeitlichen Ablauf der Visaverfahren ist zu gewärtigen, dass die Sicherheitsüberprüfung der Beschwerdeführenden abgeschlossen ist. Offen ist nur, ob das politische Interesse an der Aufnahme der Beschwerdeführenden weiterhin bejaht oder verneint wird. Die Ausübung der exekutiven Entscheidungsbefugnis gemäß § 22 Satz 2 AufenthG mag nach einem Regierungswechsel eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Eine allgemeine „Aussetzung“ eines Aufnahmeprogramms (siehe hier: Befragung der Bundesregierung vom 21. Mai 2025, Deutscher Bundestag, 21. Wahlperiode, 6. Sitzung, Plenarprotokoll S. 413 f.) verliert als hinreichender Grund für die Verzögerung individueller Verfahren aber mit zunehmender Dringlichkeit der Bescheidung für die betroffenen Rechtsschutzsuchenden an Gewicht.

34

Hinsichtlich der individuellen Dringlichkeit einer Bescheidung für die Beschwerdeführenden sind neben den psychischen und physischen Belastungen ihrer Situation in Pakistan insbesondere die zunehmende Gefahr der Abschiebung mit der etwaigen Folge erhöhter Zugriffsmöglichkeiten der Taliban zu berücksichtigen. Inzwischen ist es afghanischen Staatsangehörigen nahezu unmöglich, pakistanische Visa zu erhalten und sich damit legal und frei im Land zu bewegen. Nach der „Gemeinsamen Absichtserklärung“ vom September 2025 haben die pakistanische und die deutsche Seite festgehalten, dass alle Vorgänge der im Ausreiseverfahren befindlichen Personen bis 31. Dezember 2025 abgeschlossen sein müssen. Es bestehen daher Anhaltspunkte für eine ab dem Ablauf dieser Frist gesteigerte Gefahr der Abschiebung der Beschwerdeführenden von Pakistan nach Afghanistan. Die Beschwerdeführenden haben vor diesem Hintergrund ein dringendes Interesse, Gewissheit über den Ausgang ihrer Visaverfahren zu erlangen.

35

3. Angesichts der festgestellten Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bedarf es in Bezug auf das Bescheidungsbegehren keiner Entscheidung über die weiteren geltend gemachten Grundrechtsverletzungen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Bundesrepublik Deutschland das gegenwärtige Niveau des Schutzes der Beschwerdeführenden bis zum rechtskräftigen Abschluss der Visaverfahren aufrechterhält.

36

4. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. August 2025 ist gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG im tenorierten Umfang aufzuheben; der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wird damit gegenstandslos. Angesichts der besonderen Dringlichkeit für die Beschwerdeführenden würde es der Besonderheit des Falles nicht entsprechen, das einstweilige Rechtsschutzverfahren zu erneuter Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Denn bei Anwendung der verfassungsrechtlichen Kriterien besteht kein Spielraum mehr für die richterliche Entscheidung; vielmehr muss der einstweilige Rechtsschutzantrag, soweit er sich auf die Bescheidung der Visaanträge als solche bezieht, in vollem Umfang Erfolg haben. Das Oberverwaltungsgericht könnte daher insoweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen (vgl. zu dieser Konstellation bereits BVerfGE 35, 202 <244>; 79, 69 <79>; zur abschließenden Entscheidung in der Sache durch das Bundesverfassungsgericht siehe auch BVerfGE 6, 386 <389>; 13, 331 <355>; 19, 101 <103 f.>; 21, 160 <163>). Für das weitere Verfahren einschließlich der Vollstreckung steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einer einstweiligen Anordnung des Oberverwaltungsgerichts gleich. Die Sache wird daher lediglich zur Entscheidung über die Kosten des Ausgangsverfahrens an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

II.

37

Im Übrigen – das heißt soweit das Oberverwaltungsgericht einen Anordnungsanspruch auf Erteilung der Visa verneint hat – wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit ist sie unzulässig.

38

1. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) durch Verletzung einer (extraterritorialen) Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland ist die Verfassungsbeschwerde schon deshalb unzulässig, weil die Wahrung des aus § 90 Abs. 2 BVerfGG folgenden Grundsatzes materieller Subsidiarität nicht dargetan ist.

39

a) Als Ausprägung des ungeschriebenen, aus § 90 Abs. 2 BVerfGG abgeleiteten Grundsatzes materieller Subsidiarität sind schon im fachgerichtlichen Verfahren ausnahmsweise verfassungsrechtliche Darlegungen erforderlich, wenn ein Begehren nur unter diesem Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg haben kann (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>; 129, 78 <93>). Dieser Grundsatz schlägt sich in den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG nieder. Demnach muss die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch insoweit substantiierte Darlegungen enthalten (vgl. BVerfGE 112, 50 <62 f.>; 129, 78 <93>). Grundsätzlich muss ein Beschwerdeführer bei Erhebung einer Verfassungsbeschwerde allerdings nicht darlegen, dass er von Beginn des fachgerichtlichen Verfahrens an verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vorgetragen und geltend gemacht hat (BVerfGE 112, 50 <61>). Etwas anderes kann aber in den Fällen gelten, in denen bei verständiger Einschätzung der Rechtslage und der jeweiligen verfahrensrechtlichen Situation ein Begehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden (vgl. BVerfGE 71, 305 <336>; 74, 69 <74 f.>; 74, 102 <114>; 112, 50 <62>).

40

b) Die Beschwerdeführenden haben erstmals im verfassungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht, die Bundesrepublik Deutschland habe zu ihren Gunsten bestehende, unmittelbar verfassungsrechtliche, extraterritorial wirkende Schutzpflichten verletzt, woraus für sie Ansprüche auf Erteilung von Visa folgten. Hierzu berufen sie sich insbesondere auf die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (BVerfGE 157, 30 – Klimaschutz) und auf das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 2025 (- 2 BvR 508/21 – Drohneneinsatz Ramstein). Die Beschwerdeführenden zeigen jedoch weder auf, dass sie die Fachgerichte mit diesen Überlegungen zu etwaigen verfassungsunmittelbaren Visaansprüchen aufgrund extraterritorialer Schutzpflichten befasst haben, noch ist dies aus den Akten ersichtlich. Das wäre geboten gewesen, weil die Beschwerdeführenden – insbesondere mit Blick auf die behauptete „Garantenstellung“ – einen Anspruch auf ein konkretes Verwaltungshandeln (hier: Visumerteilung) unmittelbar aus der Verfassung ableiten, für den bislang keine verfassungsrechtlichen Maßstäbe bestehen.

41

2. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt ferner nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Anforderungen an die materielle Substantiierung.

42

a) Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG hat ein Beschwerdeführer den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 113, 29 <44>; 130, 1 <21>). Ferner muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert aufzeigen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 <19>; 89, 155 <171>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 149, 346 <359 Rn. 23>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, erfordert die substantiierte Darlegung einer Grundrechtsverletzung auch die argumentative Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidungen (vgl. BVerfGE 105, 252 <264>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 149, 346 <359 Rn. 24>). Dabei muss ein Beschwerdeführer detailliert darlegen, dass die Entscheidung auf dem gerügten Grundrechtsverstoß beruht (vgl. BVerfGE 89, 48 <60>) und insofern alle die Entscheidung tragenden Gründe substantiiert in Zweifel ziehen (vgl. BVerfGE 105, 252 <264>). Die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen, sofern nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 134, 242 <353 Rn. 323>; stRspr).

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b) Eine Verletzung grundrechtlich geschützten Vertrauens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) ist danach nicht dargelegt, soweit die Beschwerdeführenden der vom Oberverwaltungsgericht vertretenen Auslegung des § 22 Satz 2 AufenthG und seiner Würdigung der E-Mail der GIZ vom 14. Dezember 2022 entgegentreten und dabei lediglich einfachrechtliche Kritik ohne hinreichenden Verfassungsbezug äußern.

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Das Oberverwaltungsgericht hat die Aufnahmeerklärung nicht als Verwaltungsakt qualifiziert und damit der Sache nach eine förmliche Vertrauensgrundlage verneint, weil die Erklärung nach § 22 Satz 2 AufenthG keine Außenwirkung habe, woran auch die Mitteilung der GIZ in der E-Mail vom 14. Dezember 2022, das BMI habe die Bereitschaft zur Aufnahme erklärt, nichts geändert habe. Die Beschwerdeführenden tragen vor, die (derzeit suspendierten) Aufnahmeerklärungen müssten entsprechend den allgemeinen Auslegungsregeln (vgl. § 133, § 157 BGB) als Verwaltungsakte im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) angesehen werden, die nur unter den Voraussetzungen der § 48, § 49 VwVfG aufgehoben werden dürften. Damit halten sie der angefochtenen Entscheidung lediglich ihr von der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts abweichendes Verständnis von § 22 Satz 2 AufenthG sowie der konkreten Aufnahmeerklärung entgegen.

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Die Beschwerdeführenden legen nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht bei seiner Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die Bedeutung und Reichweite grundrechtlichen Vertrauensschutzes verkannt hat. Sie machen geltend, ihr Vertrauen in die Aufnahmeerklärung sei – unabhängig von deren einfachrechtlichem Rechtscharakter – verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG geschützt. Dieser Argumentation liegt die Annahme zugrunde, ein Vertrauen der Beschwerdeführenden sei enttäuscht, mithin: es sei ihnen etwas Versprochenes, auf das sie hätten vertrauen dürfen und auf das sie vertraut hätten, genommen worden. Die Beschwerdeführenden setzen dabei die erfolgte „Aussetzung“ der Aufnahmeerklärung mit deren „Aufhebung“ gleich und setzen sich schon nicht damit auseinander, dass ihre lediglich suspendierten Aufnahmeerklärungen bislang keineswegs zurückgenommen wurden. Anders als Personen, deren Aufnahme endgültig abgelehnt wurde, erhalten die Beschwerdeführenden gegenwärtig weiterhin Schutz und Obhut durch die GIZ. Bei ihrem weiteren Einwand, die unbefristete Aussetzung „wirke“ wegen ihrer erheblichen Dauer wie eine Aufhebung, lassen die Beschwerdeführenden außer Acht, dass sie in Gestalt der Untätigkeitsklage selbst ein prozessuales Instrument haben, um das Visumverfahren zu beschleunigen.

46

Von einer weiteren Begründung der Nichtannahme wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

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1. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

48

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Den Beschwerdeführenden sind die durch das Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten (§ 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG), weil ihr Rechtsschutzbegehren nur zum Teil erfolgreich war.