BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 16.01.2025, AZ IX ZR 236/23, ECLI:DE:BGH:2025:160125UIXZR236.23.0
§ 55 Abs 1 Nr 1 InsO, Art 7 Abs 3 EGV 261/2004, Art 8 Abs 1 Buchst a EGV 261/2004
Leitsatz
1. Schließt ein Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Luftfahrtunternehmens einen neuen Beförderungsvertrag ab, handelt es sich bei den Beförderungsansprüchen um Masseverbindlichkeiten, auch wenn der Flugpreis mittels eines Gutscheins bezahlt wird, den das Luftfahrtunternehmen anlässlich der Annullierung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen gebuchten und bezahlten Flugs dem Gläubiger ausgestellt hat.
2. Annulliert das Luftfahrtunternehmen einen Flug, kann der Gläubiger auch dann die Erstattung des Flugpreises in Geld verlangen, wenn er den Flugpreis mittels eines Gutscheins bezahlt hat, den das Luftfahrtunternehmen anlässlich der früheren Annullierung eines vom Gläubiger vollständig bezahlten Flugs ausgestellt hat.
Verfahrensgang
vorgehend LG Düsseldorf, 14. April 2023, Az: 22 S 126/22
vorgehend AG Düsseldorf, 14. Juni 2022, Az: 45 C 444/21
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 14. April 2023 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht der Zedenten R. , M. , F. und S. in Anspruch. Die Zedenten buchten vor dem 1. Dezember 2019 bei der Beklagten für Mai und Juni 2020 Flüge zu einem Gesamtpreis von 479,96 €. Sie bezahlten den Flugpreis. Über das Vermögen der Beklagten, ein Luftfahrtunternehmen, wurde am 1. Dezember 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort. Nach pandemiebedingter Absage des Flugs erteilte die Beklagte am 5. Mai 2020 den Zedenten einen Gutschein in Höhe des Flugpreises. Am 26. November 2020 buchten die Zedenten bei der Beklagten einen Flug von Düsseldorf nach Kavala (Griechenland) mit einer Flugentfernung von 1.789 km für den 3. Juni 2021. Den Gesamtflugpreis von 479,96 € bezahlten die Zedenten mit dem erteilten Gutschein. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war, durch Beschluss vom 26. November 2020 mit Wirkung zum 30. November 2020 aufgehoben.
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Die Beklagte annullierte den am 26. November 2020 gebuchten Flug weniger als zwei Wochen vor Abflug und bot keine Ersatzbeförderung an. Die Zedenten traten ihre Forderungen gegen die Beklagte an die Klägerin ab. Die Klägerin forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Flugpreises in Höhe von 479,96 € sowie zu einer Ausgleichszahlung von 400 € pro Person auf.
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Die Klägerin begehrt Erstattung des Flugpreises in Höhe von 479,96 € sowie eine Ausgleichszahlung in Höhe von 1.600 € nebst Zinsen und Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stehe aus abgetretenem Recht der Zedenten gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung von Flugscheinkosten gemäß § 398 Satz 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. EU L 46 S. 1; im Folgenden: Fluggastrechteverordnung oder Fluggastrechte-VO) in Höhe von 479,96 € zu. Die Forderung sei nicht als Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO anzusehen, da die Parteien nach der Ausstellung des Gutscheins einen neuen Beförderungsvertrag geschlossen hätten. Dem stehe nicht entgegen, dass die Zedenten den gebuchten Flug mittels eines Gutscheins bezahlt hätten, welcher ihnen von der Beklagten für einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gebuchten Flugs ausgestellt worden sei. Der Gutschein habe für sämtliche Flüge der Beklagten nach Wunsch des Fluggasts gegolten. Die Zedenten hätten ebenso gut mit Geldmitteln bezahlen können. Die Beklagte habe den Gutschein an Erfüllungs statt akzeptiert. Auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen der Fluggastrechteverordnung lägen vor. Die Zedenten hätten über eine bestätigte Buchung verfügt; sie seien auch nicht kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar gewesen sei, gereist (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fluggastrechte-VO), denn sämtliche Altkunden, welche ihren Flug vor der Insolvenzeröffnung gebucht hätten und deren Flug storniert worden sei, hätten das Recht erhalten, einen solchen Wertgutschein anzufordern. Die Erstattung in Form eines weiteren Gutscheins sei ausgeschlossen, weil die Zedenten dem nicht zugestimmt hätten. Der Klägerin stehe des Weiteren aus abgetretenem Recht der Zedenten gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen in Höhe von jeweils 400 €, insgesamt somit 1.600 €, gemäß § 398 Satz 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 Buchst. b Fluggastrechte-VO, Verzugszinsen und ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Fluggastrechte-VO in Verbindung mit § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB in Höhe von 308,60 € zu.
II.
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Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
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1. Grundlage des auf Erstattung der Flugscheinkosten in Höhe von 479,96 € gerichteten Begehrens der Klägerin ist Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Fluggastrechte-VO. Danach steht Fluggästen ein Anspruch auf vollständige Erstattung der Flugscheinkosten zu.
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a) Die Beklagte hat den Zedenten eine Buchungsbestätigung nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Fluggastrechte-VO erteilt. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fluggastrechte-VO steht der Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung nicht entgegen.
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aa) Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 Fluggastrechte-VO gilt diese nicht für Fluggäste, die kostenlos befördert werden. Kostenlos reisen Fluggäste, die kein Entgelt entrichtet haben. Dazu gehören Kleinkinder, die keinen Flugpreis entrichten und ohne Sitzplatzanspruch auf dem Schoß der Eltern reisen, ebenso wie Flugpersonal, das etwa einen Flug unentgeltlich als dienstlichen Zubringerflug nutzt (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2015 – X ZR 35/14, NJW-RR 2015, 823 Rn. 10). Die Ansprüche, welche die Fluggastrechteverordnung gewährt, sind davon abhängig, dass der Fluggast seine Beförderung mit einem Entgelt erkauft hat (BGH, Urteil vom 17. März 2015, aaO Rn. 13; vom 21. September 2021 – X ZR 79/20, BGHZ 231, 137 Rn. 18; vom 9. März 2023 – IX ZR 91/22, WM 2023, 820 Rn. 8).
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Die Beklagte bot den Flug zu einem Gesamtpreis von 479,96 € an. Die Zedenten haben diesen Preis bezahlt. Dass dies durch den erteilten Gutschein erfolgte, ändert daran nichts. Denn die Zedenten konnten den Gutschein in Höhe des Nominalbetrags für einen beliebigen Flug bei der Beklagten und ihren Partner-Airlines einsetzen; damit war der Gutschein das entsprechende Entgelt für einen solchen Flug wert. Es kann dahinstehen, ob dies anders zu sehen ist, wenn es sich um einen kostenlosen Gutschein handelt. Der den Zedenten erteilte Gutschein war nicht kostenlos. Die Beklagte erteilte den Gutschein im Hinblick auf den von den Zedenten für den vor dem 1. Dezember 2019 gebuchten Flug in Höhe von 479,96 € bezahlten Flugpreis. Die Zahlung dieses Flugpreises ist eine Tatsache, an der die spätere Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts geändert hat (BGH, Urteil vom 9. März 2023 – IX ZR 91/22, WM 2023, 820 Rn. 10). Der Gutschein bestätigte ausdrücklich, dass das Guthaben dem Gesamtbetrag der Originalbuchung einschließlich aller Steuern und Gebühren in Euro entspreche.
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Dass die Beklagte nicht verpflichtet war, einen Gutschein auszustellen, sondern die Zedenten darauf hätte verweisen können, ihren Anspruch zur Tabelle anzumelden, ändert nichts daran, dass die Zedenten ein Vermögensopfer erbracht haben. Die vorliegende Konstellation ist nicht vergleichbar mit Fällen, in welchen ein Fluggast von Anfang an kein Beförderungsentgelt schuldet.
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bb) Ebenso wenig handelt es sich vorliegend um einen reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Fluggastrechte-VO). Die streitgegenständliche Buchung erfolgte zum regulären Preis. Die Art der Bezahlung ist unerheblich.
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Der Tarif war für die Öffentlichkeit verfügbar. Ein der Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbarer Tarif liegt nur vor, wenn der begünstigte Personenkreis aufgrund besonderer Umstände so miteinander verbunden ist, dass er als geschlossener Kreis gegenüber der Öffentlichkeit abgrenzbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2021 – X ZR 79/20, BGHZ 231, 137 Rn. 25). Das trifft – wie der Senat bereits entschieden hat – auf Insolvenzgläubiger nicht zu (BGH, Urteil vom 9. März 2023 – IX ZR 91/22, WM 2023, 820 Rn. 12). Ebenso wenig trifft dies auf Inhaber eines Gutscheins zu, die den Gutschein zur Bezahlung jedes verfügbaren Flugs einsetzen können.
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cc) Eines Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV bedarf es nicht. Vernünftige Zweifel an der Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Kostenlosigkeit und des reduzierten Tarifs, der für die Öffentlichkeit unmittelbar oder mittelbar nicht verfügbar ist, bestehen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2015 – X ZR 35/14, NJW-RR 2015, 823 Rn. 16; vom 21. September 2021 – X ZR 79/20, BGHZ 231, 137 Rn. 48 f). Die Anwendung auf den konkreten Einzelfall anhand der dort getroffenen Abreden, etwa ob die Zedenten vorliegend einen Vermögenswert eingesetzt haben, ist Sache der nationalen Gerichte.
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b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Fluggastrechte-VO sind erfüllt.
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aa) Der von den Zedenten mittels des Gutscheins am 26. November 2020 gebuchte Flug ist annulliert worden.
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bb) Dem Anspruch auf Rückzahlung des entrichteten Flugpreises steht nicht entgegen, dass die Zedenten den streitgegenständlichen Flug unter Einsatz eines Gutscheins bezahlten und in den Bedingungen des Gutscheins vorgesehen war, dass im Falle eines mittels Gutscheins gebuchten Flugs wiederum ein Gutschein erteilt werde.
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(1) Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Fluggastrechte-VO hat der Fluggast im Falle der Annullierung eines Flugs Anspruch auf vollständige Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Art. 7 Abs. 3 Fluggastrechte-VO genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte erworben wurde. Gemäß Art. 7 Abs. 3 Fluggastrechte-VO hat die Zahlung durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung oder durch Scheck zu erfolgen. Eine Zahlung in Form von Reisegutscheinen oder anderen Dienstleistungen ist nur mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts möglich.
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(2) Die Flugscheinkosten betrugen im Streitfall 479,96 €. Dass die Zedenten den Flugpreis nicht in bar bezahlten, sondern – wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat – durch einen Gutschein als Leistung an Erfüllungs statt, ist für die Art des Erstattungsanspruchs unerheblich. Der Gutschein lautete auf einen bestimmten Geldbetrag; er konnte – bis zur Höhe des Geldbetrags – als Bezahlung für jeden von der Beklagten oder ihren Partner-Airlines angebotenen Flug eingesetzt werden. Der Erstattungsanspruch nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Fluggastrechte-VO richtet sich auf die Flugscheinkosten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde. Dies begründet auch dann einen Zahlungsanspruch, wenn die Flugscheinkosten durch einen Gutschein als Leistung an Erfüllungs statt erbracht wurden. Denn die Zedenten haben den Gutschein im Hinblick auf einen ursprünglich von ihnen vollständig bezahlten, jedoch nicht in Anspruch genommenen Flug erhalten. Der Streitfall ist somit nicht vergleichbar mit einer Buchung eines Flugs unter Einsatz von Bonusmeilen, bei dem eine Erstattung der Flugscheinkosten in Bonusmeilen diskutiert wird (vgl. OLG Köln, RRa 2017, 234 Rn. 18 ff; BeckOGK Fluggastrechte-VO/Steinrötter/Bohlsen, 2024, Art. 8 Rn. 13; Staudinger/Keiler/Keiler, Fluggastrechte-VO, Art. 8 Rn. 25).
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Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV bedarf es insoweit nicht. Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 und des Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Fluggastrechte-VO, ihrer Systematik und nach dem Zweck der Fluggastrechteverordnung, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen (Erwägungsgrund 1 Fluggastrechte-VO), unterliegt es keinen vernünftigen Zweifeln, dass ein Erstattungsanspruch in Geld besteht, wenn die Flugscheinkosten zwar mittels eines Gutscheins als Leistung an Erfüllungs statt erbracht wurden, das Luftfahrtunternehmen den Gutschein jedoch anlässlich der Annullierung eines vollständig bezahlten Flugs erteilt hatte.
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(3) Die Bedingung im erteilten Gutschein, im Falle einer Annullierung des mittels des Gutscheins gebuchten Flugs werde wiederum ein Gutschein erteilt, ändert hieran nichts. Die Klausel verstößt gegen zwingendes Recht der Fluggastrechteverordnung (Art. 15 Fluggastrechte-VO) und ist daher unwirksam. Die Erteilung eines Gutscheins ist nach Annullierung eines Flugs grundsätzlich nur mit schriftlicher Zustimmung des Fluggasts möglich. Dass die Zedenten der Erteilung eines Gutscheins nach Annullierung der zuletzt gebuchten Flüge wirksam zugestimmt hätten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Zustimmung kann auch nicht aus den Gutscheinbedingungen abgeleitet werden. Die Zustimmung des Fluggasts setzt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21. März 2024 – C-76/23, EuZW 2024, 574 Rn. 29) voraus, dass der Fluggast in der Lage ist, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit nach Aufklärung freiwillig der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags zuzustimmen. Außerdem muss der Fluggast die Annahme einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins ausdrücklich, endgültig und eindeutig erklären (vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 2024, aaO Rn. 34). Daran gemessen, steht eine formularmäßige Vorwegnahme der Annahme eines neuerlichen Gutscheins im Falle einer Annullierung des mit einem Gutschein gebuchten Flugs mit den Vorgaben des Unionsrechts nicht in Einklang (Führich/Achilles-Pujol in Führich/Staudinger, Reiserecht, 9. Aufl., § 42 Rn. 18; BeckOGK Fluggastrechte-VO/Steinrötter/Bohlsen, 2024, Art. 7 Rn. 26; Hausmann, Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen, S. 378). Es fehlt sowohl an einem ausdrücklich, endgültig und eindeutig erklärten Einverständnis mit einer erneuten Gutscheinerteilung als auch an der Freiwilligkeit einer solchen Erklärung.
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cc) Anders als die Beklagte meint, richtet sich die Höhe des Erstattungsanspruchs nach dem Flugpreis. Die Beklagte hat eine neue Buchung zum (regulären) Preis von 479,96 € entgegengenommen und hierfür die Bezahlung mittels des Gutscheins akzeptiert. Damit hat sie selbst dem Gutschein einen Wert von 479,96 € beigemessen und nicht etwa nur den sich aus einer Insolvenzquote von 0,1 % ergebenden Wert. Daran muss sich die Beklagte im Rahmen der Erstattung festhalten lassen. Dass die Beklagte dem Gutschein diesen Wert beimisst, ergibt sich im Übrigen daraus, dass sie ausweislich der Gutscheinbedingungen bereit ist, erneut einen Gutschein mit diesem Wert zu erteilen.
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c) Der Erstattungsanspruch der Klägerin kann nicht gemäß § 254 Abs. 1, § 254b InsO nur nach Maßgabe des Insolvenzplans geltend gemacht werden. Bei den am 26. November 2020 begründeten Beförderungsansprüchen handelt es sich um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Variante 1 InsO, welche der Insolvenzplan nicht erfasste und die, wie sich aus § 217 InsO ergibt, nicht plandispositiv sind (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2017 – IX ZB 103/15, BGHZ 214, 78 Rn. 21 f; Urteil vom 6. Mai 2021 – IX ZR 57/20, WM 2021, 1197 Rn. 18). Dasselbe gilt für Sekundäransprüche aus der Nichterfüllung solcher nach Beendigung des Insolvenzverfahrens fortbestehender Verbindlichkeiten.
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aa) Bei der Flugbuchung am 26. November 2020 handelt es sich um einen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen der eigenverwaltenden Schuldnerin und den Zedenten neu abgeschlossenen Vertrag. Die daraus folgenden Ansprüche stellen eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Variante 1 InsO dar. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass dieser Buchung die Buchung anderer Flüge vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorausgegangen ist, diese Ansprüche somit Insolvenzforderungen darstellten. Der Umstand, dass die Zedenten zur Bezahlung Guthaben aus einem Gutschein einsetzten, den die Beklagte den Zedenten anlässlich der Annullierung des zunächst gebuchten Flugs ausstellte, genügt nicht, auch die Buchung vom 26. November 2020 als bloße Insolvenzforderung zu qualifizieren.
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bb) In der Buchung vom 26. November 2020 liegt keine Änderung eines bestehenden Vertragsverhältnisses, sondern der Abschluss eines neuen Vertragsverhältnisses. Indem die Beklagte den Zedenten anstelle des ursprünglich gebuchten Flugs einen Gutschein anbot und die Zedenten diesen annahmen, wurde das ursprüngliche Vertragsverhältnis einvernehmlich beendet. Insoweit unterscheidet sich der Fall von einer Umbuchung, bei der im Rahmen desselben Vertragsverhältnisses die geschuldete durch eine andere Beförderungsleistung ersetzt wird (vgl. zur Umbuchung BGH, Urteil vom 26. September 2024 – IX ZR 146/22, WM 2024, 1917 Rn. 17 f). Den Zedenten wurde lediglich die Möglichkeit verschafft, zu einem späteren Zeitpunkt nach ihrer Wahl im Rahmen des vorhandenen Flugangebots bei der Beklagten oder bei Partner-Airlines einen oder mehrere Flüge zu buchen und für die Bezahlung das im Gutschein verkörperte Flugguthaben zu verwenden. Ob, wann, für welche Fluggäste, mit wem und mit welchem Inhalt ein neuer Beförderungsvertrag zustande kommen würde, hing damit von der freien Entscheidung sowohl der Zedenten als auch der Beklagten oder ihrer Partner-Airlines ab. In einer solchen späteren Buchung liegt der Abschluss eines neuen Vertrags.
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2. Grundlage des auf Zahlung von Ausgleichsleistungen in Höhe von insgesamt 1.600 € gerichteten Begehrens der Klägerin ist Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Fluggastrechte-VO. Da die Zedenten Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung geltend machen können, standen ihnen auch Ausgleichsleistungen zu. Die Revision stellt nicht in Frage, dass die besonderen Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Fluggastrechte-VO in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Fluggastrechte-VO nach Grund und Höhe erfüllt sind.
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