Beschlussverfahren – Revisionsbeschwerde (Beschluss des BAG 1. Senat)

BAG 1. Senat, Beschluss vom 17.12.2024, AZ 1 ABN 53/24, ECLI:DE:BAG:2024:171224.B.1ABN53.24.0

Leitsatz

Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist eine auf die Zulassung der Revisionsbeschwerde iSv. § 77 ArbGG gerichtete Beschwerde unstatthaft.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Braunschweig, 5. März 2024, Az: 6 BV 16/23, Beschluss
vorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 16. Juli 2024, Az: 5 TaBV 25/24, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen die Nichtzulassung der Revisionsbeschwerde in dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. Juli 2024 – 5 TaBV 25/24 – wird als unzulässig verworfen.

Gründe

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A. Die Beschwerde ist unstatthaft. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revisionsbeschwerde ist im Beschlussverfahren nicht gegeben.

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I. Nach § 89 Abs. 3 ArbGG ist im Beschlussverfahren eine Beschwerde, die nicht in der gesetzlichen Form oder Frist eingelegt oder begründet wurde, als unzulässig zu verwerfen. Der Beschluss, der ohne vorherige mündliche Anhörung durch den Vorsitzenden ergehen kann, ist unanfechtbar. Damit ist – selbst bei Zulassung durch das Landesarbeitsgericht – gegen eine solche Entscheidung weder die Rechtsbeschwerde iSv. § 92 ArbGG
(vgl. BAG 25. Juli 1989 – 1 ABR 48/88 – zu B 2 der Gründe; vgl. zu § 89 Abs. 3 ArbGG 1953: BAG 28. August 1969 – 1 ABR 12/69 -) noch eine Revisionsbeschwerde iSv. § 77 ArbGG statthaft. Folglich ist auch eine Beschwerde unstatthaft, die auf die Zulassung eines dieser Rechtsmittel gerichtet ist.

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II. Aus dem Umstand, dass nach § 77 Satz 1 ArbGG im Urteilsverfahren gegen einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts, der die Berufung als unzulässig verwirft, Revisionsbeschwerde eingelegt werden kann, wenn sie vom Landesarbeitsgericht in dem Beschluss oder vom Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde, folgt nichts anderes. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechtsmittel im Urteilsverfahren auf der einen und im Beschlussverfahren auf der anderen Seite beruht nicht auf einem Redaktionsversehen
(vgl. auch BeckOKArbR/Roloff Stand 1. September 2024 ArbGG § 89 Rn. 12).

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1. Die Möglichkeiten der Anfechtung eines Beschlusses, durch den eine Beschwerde bzw. Berufung als unzulässig verworfen wird, waren im Beschlussverfahren und im Urteilsverfahren seit jeher unterschiedlich ausgestaltet. Im Beschlussverfahren war eine solche Entscheidung schon nach § 89 Abs. 3 ArbGG in seiner Fassung vom 3. September 1953
(BGBl. I S. 1267) unanfechtbar. Diese Regelung wurde in § 89 Abs. 3 ArbGG in der Fassung vom 2. Juli 1979
(BGBl. I S. 853, ber. S. 1036) übernommen. Demgegenüber sah bereits § 77 ArbGG 1953 in einem solchen Fall die Möglichkeit einer Berufung vor, wenn das Landesarbeitsgericht sie „wegen der Bedeutung der Rechtssache“ zugelassen hatte. Auf dieser rechtlichen Grundlage hat der Senat wiederholt angenommen, dass eine Rechtsbeschwerde selbst dann nach § 89 Abs. 3 ArbGG unstatthaft ist, wenn das Landesarbeitsgericht sie ausdrücklich zugelassen hat. Aus der Norm ergibt sich, dass die Rechtsbeschwerdeinstanz mit Verfahren, in denen das Beschwerdegericht die Beschwerde aus formellen Gründen als unzulässig angesehen und deshalb verworfen hat, in keinem Fall befasst werden soll
(vgl. BAG 25. Juli 1989 – 1 ABR 48/88 – zu B 2 c der Gründe; vgl. zu § 89 Abs. 3 ArbGG 1953: BAG 28. August 1969 – 1 ABR 12/69 -).

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2. Daran hat sich durch die nachfolgenden Änderungen von § 77 ArbGG nichts geändert.

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a) Im Rahmen der Neufassung des Arbeitsgerichtsgesetzes durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001
(BGBl. I S. 1887) wurde lediglich die bis dahin als sofortige Beschwerde bezeichnete Revisionsbeschwerde in „Rechtsbeschwerde“ umbenannt und hinsichtlich der Gründe für deren Zulassung auf § 72 Abs. 2 ArbGG verwiesen. Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe dieses Rechtsmittel künftig auch gegen Verwerfungsbeschlüsse im Beschlussverfahren zulassen wollen, lassen sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen
(vgl. BT-Drs. 14/4722 S. 139). Vielmehr spricht der Umstand, dass er § 89 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG trotz der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht geändert hat, für seinen Willen, es insoweit bei der bisherigen Rechtslage zu belassen.

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b) Auch aus dem Gesetz vom 11. November 2016
(BGBl. I S. 2500) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die dadurch erfolgte Änderung des § 77 ArbGG beschränkte sich auf die Änderung des Begriffs „Rechtsbeschwerde“ in „Revisionsbeschwerde“ sowie die Einführung einer Beschwerde gegen deren Nichtzulassung durch das Landesarbeitsgericht. Damit soll die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur dann statthaft sein, wenn das Landesarbeitsgericht die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen hat, sondern auch dann, wenn die Entscheidung durch Beschluss ergangen ist
(vgl. BT-Drs. 18/8487 S. 61). In diesem Zusammenhang deutet ebenfalls nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber mit den beschlossenen Modifikationen hinter seinem Regelungsplan zurückgeblieben wäre. Die Änderungen zielten ersichtlich nicht darauf ab, die Revisionsbeschwerde – sowie eine auf deren Zulassung gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde – auch im Beschlussverfahren einzuführen.

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III. Gegen ein solches Normverständnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet ein Recht auf einen Instanzenzug
(BVerfG 8. Februar 1994 – 1 BvR 765/89 ua. – zu B I der Gründe mwN, BVerfGE 89, 381). Die Entscheidung über den Umfang des Rechtsmittelzugs ist vielmehr dem Gesetzgeber vorbehalten
(BVerfG 13. April 2023 – 1 BvR 667/22 – Rn. 15 mwN). Ebenso wenig gebietet Art. 103 Abs. 1 GG, ein Rechtsmittel zu einem Gericht höherer Instanz vorzusehen, damit eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden kann. Insoweit besteht für die Rechtsuchenden die Möglichkeit der Erhebung einer Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG sowie einer Verfassungsbeschwerde
(vgl. BVerfG 8. Februar 1994 – 1 BvR 765/89 ua. – aaO).

9

B. Es bestand keine Veranlassung, über eine Besorgnis der Befangenheit der Richterin am Bundesarbeitsgericht R zu befinden. Die Arbeitgeberin hat ausdrücklich kein Ablehnungsgesuch angebracht. Eine Selbstanzeige der Richterin ist weder erfolgt noch wäre eine solche geboten gewesen.

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