Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 10.12.2024, AZ VIa ZR 518/23

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 10.12.2024, AZ VIa ZR 518/23, ECLI:DE:BGH:2024:101224UVIAZR518.23.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Hamm, 6. März 2023, Az: 2 U 119/20
vorgehend LG Arnsberg, 11. März 2020, Az: I-4 O 216/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. März 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als betreffend die deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 35.287,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juli 2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Berufungsanträge zu 2 und zu 3 sowie der Berufungsantrag zu 4 in Höhe von zu erstattenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten über 1.440,91 € und über 150 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juli 2019 sowie wegen Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten über 602,74 € zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 13. Dezember 2013 von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ bei Unter- oder Überschreitung bestimmter Schwellentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die die Erwärmung des Motoröls und die damit einhergehende Erhöhung der Abgasrückführungsrate verzögert.

3

Der Kläger hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) sowie die Feststellung der Erledigung des Antrags zu 1 begehrt, soweit dieser ursprünglich auf die Zahlung eines um 1.200,32 € höheren Betrags gerichtet war (Berufungsantrag zu 2). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) verlangt.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter,
soweit er diese auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB scheide aus. Das Vorbringen des Klägers erlaube auch bei Unterstellung der Unzulässigkeit der streitbefangenen Einrichtungen nicht den Rückschluss auf ein sittenwidriges Handeln eines Funktionsträgers der Beklagten. Sein Sachvortrag lasse nicht den Schluss zu, im Fahrzeug komme eine Prüfstandserkennungssoftware zur Anwendung. Der Kläger habe auch keine sonstigen Umstände dargelegt, die das Verhalten der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen ließen. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch lasse sich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Das Interesse des Fahrzeugerwerbers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der EG-FGV.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12

Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                    
Möhring                    
Krüger

                      
Wille                         
Liepin

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