Beschluss des BGH 6a. Zivilsenat vom 03.12.2024, AZ VIa ZR 1170/23

BGH 6a. Zivilsenat, Beschluss vom 03.12.2024, AZ VIa ZR 1170/23, ECLI:DE:BGH:2024:031224BVIAZR1170.23.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 6. November 2023, Az: 16a U 994/21
vorgehend LG Stuttgart, 25. Mai 2021, Az: 20 O 621/20

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. November 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 65.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 56.017,36 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

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Das Berufungsurteil beschränkt sich über Rubrum und Entscheidungsformel hinaus auf folgende „Gründe“: „Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen. Auf die Entscheidungsgründe haben beide Parteien in der mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 2 ZPO).“

II.

4

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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1. Die Beschwerde ist offensichtlich zulässig. Insbesondere ist der Beschwerdewert nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO mit 56.017,36 € erreicht. Denn mangels tatbestandlicher Feststellungen im Berufungsurteil ist der Vortrag des Klägers in der Beschwerde, soweit er anhand des Urteils nicht überprüft werden kann, als richtig zu unterstellen. Dies gilt auch, soweit die dem Revisionsgericht von Amts wegen obliegende Prüfung betroffen ist, welche Beschwer der Kläger geltend macht (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. Februar 2021 – VIII ZR 213/20, MDR 2021, 702 Rn. 6 mwN). Dieser strebt mit der Beschwerde letztlich die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung an.

6

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Wie sie zu Recht rügt, verletzt die angefochtene Entscheidung in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat in offenkundiger Verkennung der Voraussetzungen der §§ 313a, 540 ZPO ein Urteil erlassen, das weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts enthält noch ergänzende oder abweichende Feststellungen zum Streitstoff in zweiter Instanz trifft (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch die gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 ZPO erforderliche rechtliche Begründung enthält. Damit ist im Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision zu unterstellen, dass das Berufungsgericht das in den Tatsacheninstanzen gehaltene und im Beschwerdeverfahren angeführte Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hinreichend im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG zur Kenntnis genommen hat und die Entscheidung des Berufungsgerichts hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – XII ZR 87/05, juris Rn. 24, 26; Beschluss vom 23. Februar 2021 – VIII ZR 213/20, MDR 2021, 702 Rn. 7, 14, 16).

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Die Beschwerde führt im Einzelnen aus, nach dem Vorbringen des Klägers habe die Beklagte das Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet und ihm dadurch in einer vorsätzlich gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einen Schaden zugefügt, der im (täuschungsbedingten) Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug bestehe. Diesen Schaden habe die Beklagte sowohl nach §§ 826, 31 BGB als auch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1 EG-FGV, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu ersetzen.

8

3. Auch § 295 Abs. 1 ZPO steht der Rüge des Klägers nicht entgegen, weil die Begründung des Berufungsurteils im Hinblick auf die fehlenden Voraussetzungen nach § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO hier unverzichtbar im Sinne des § 295 Abs. 2 ZPO war (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – XII ZR 87/05, juris Rn. 22).

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Nach alldem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

C. Fischer                Krüger                Götz

                Rensen                Katzenstein

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