Buchpräsentation „Justiz im Umbruch – Die Geschichte des Bundesgerichtshofes 1950 bis 1965“ (Pressemeldung des BGH)

Buchpräsentation „Justiz im Umbruch – Die Geschichte des Bundesgerichtshofes 1950 bis 1965“

Ausgabejahr2024
Erscheinungsdatum09.12.2024

Nr. 233/2024

Im Bundesgerichtshof ist heute das von dem Zeithistoriker Prof. Dr. Michael Kißener und dem Rechtshistoriker Professor Dr. Andreas Roth (beide Johannes Gutenberg – Universität Mainz) verfasste Werk „Justiz im Umbruch – Die Geschichte des Bundesgerichtshofes 1950 bis 1965“ vorgestellt worden. Die im Verlag de Gruyter Oldenbourg, Berlin, erschienene zweibändige Publikation gibt als Ergebnis mehrjähriger interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Zeit- und Rechtsgeschichte einen quellenfundierten Einblick in Aufbau, Funktionsweise und Personal des obersten deutschen Gerichts in Zivil- und Strafsachen seit dessen Gründung im Jahre 1950 bis in die erste Hälfte der 1960er Jahre und beleuchtet zugleich die frühe Rechtsprechung des Gerichts bis 1968.

In Ihrer Begrüßung gab die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, ihrer Freude Ausdruck, dass die bislang in wesentlichen Bereichen noch unbekannte Nachkriegsgeschichte des Bundesgerichtshofs nun im thematischen Zusammenhang eingehend erforscht worden ist:
„Am Vorabend des 75. Geburtstages des Bundesgerichtshofs im Oktober 2025 ist es gut, dass seine Anfänge nunmehr in zeit- und rechtshistorischer Hinsicht aufgearbeitet und eingeordnet werden konnten. Zu einem vollständigen Bild fehlten noch etliche Puzzlesteine, die die Wissenschaftler nun vorgelegt haben.“ Nach Grußworten des Vizepräsidenten der Johannes Gutenberg – Universität Mainz, Professor Dr. Stephan Jolie, sowie von Frau Dr. Sophie Wagenhofer als Vertreterin des Verlags gaben die beiden Verfasser jeweils einen kurzen Überblick über die wesentlichen Erkenntnisse ihrer Forschungsarbeit.

Professor Dr. Michael Kißener betonte aus zeithistorischer Sicht: “
Dass es auch im BGH in den 1950er und 1960er Jahren vergangenheitspolitisch problematische Berufungen gegeben hat, kann nach allem, was die einschlägige Forschung bislang schon herausgearbeitet hat, und nach den Studien zum Bundesjustizministerium und zur Bundesanwaltschaft eigentlich kaum mehr verwundern. Erstaunlich ist aber, dass sich auch Widerstands- und Opferbiographien in der Richterschaft finden, so dass von einer politisch viel heterogeneren Richterschaft als bislang angenommen ausgegangen werden muss. Wichtig war daher zu klären, wie es trotz eines eigenen Richterwahlausschusses für den BGH, in den auch die politischen Parteien des Bundestages Vertreterinnen und Vertreter entsandt haben, überhaupt zu den politisch problematischen Berufungen hat kommen können. Vor allem aber war zu analysieren, ob und wie diese heterogene Richterschaft sich in die neuen Rahmenbedingungen des demokratischen Rechtsstaates des Grundgesetzes in den ersten rund 15 Jahren des Bestehens des BGH eingefunden hat, bevor nach 1968 ein generationeller und politisch-gesellschaftlicher Umbruch stattfand. Es war in der Tat spannend herauszufinden, welche Faktoren auf das sich allmählich wandelnde Selbstverständnis der BGH-Richterinnen und -Richter eingewirkt und ihnen geholfen haben, sich von der politisch belasteten Tradition des Leipziger Reichsgerichts zu distanzieren, das dem BGH bei Gründung 1950 als Vorbild vor Augen gestellt worden war.“

Professor Dr. Andreas Roth hob aus rechtshistorischer Warte hervor:
„Wir gehen von der These aus, dass die Interpretation der jeweiligen Senatsrechtsprechung vollständig nur vor dem Hintergrund der handelnden Richterpersönlichkeiten zu verstehen ist. Daher erfolgt an vielen Stellen eine Verknüpfung unserer beiden Teile, um die Erkenntnisse zur Biographie der Richter auch in der Analyse der Rechtsprechung fruchtbar zu machen. Das ist auch in einer Reihe von Fällen gelungen, zum Beispiel bei den Entscheidungen des Familiensenates, die deutlich von der religiösen Einstellung der langjährigen Senatsmitglieder geprägt worden sind. Eine weitere Innovation besteht darin, dass wir eine Vielzahl von Verfahrensakten zu den einzelnen Entscheidungen heranziehen konnten, die neue Erkenntnisse, mitunter auch zu bereits sehr bekannten Urteilen geliefert haben, indem sie Gründe, die im Urteil nicht genannt sind, genauso offenlegen wie Motive einzelner Richter.“

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine von Ursula Nusser moderierte Podiumsdiskussion, an der neben den Herren Professoren Kißener und Roth auch Frau Professorin Dr. Nathalie Le Bouëdec, Universität Dijon, sowie Herr Professor Dr. Hans-Peter Haferkamp (Universität zu Köln) teilnahmen und bei der zahlreiche den Bundesgerichtshof im Besonderen sowie die bundesdeutsche Justiz im Allgemeinen betreffende Fragen zur Aufarbeitung der NS-Zeit erörtert wurden.

Karlsruhe, den 9. Dezember 2024

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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