Der Eröffnungsantrag eines an einem nicht wertausschöpfend belasteten Grundstück dinglich gesicherten Gläubigers… (Beschluss des BGH 9. Zivilsenat)

BGH 9. Zivilsenat, Beschluss vom 10.12.2020, AZ IX ZB 24/20, ECLI:DE:BGH:2020:101220BIXZB24.20.0

§ 14 InsO, § 765a ZPO

Leitsatz

Der Eröffnungsantrag eines an einem nicht wertausschöpfend belasteten Grundstück dinglich gesicherten Gläubigers darf nicht wegen Fehlens eines rechtlich geschützten Interesses abgewiesen werden, wenn eine Befriedigung im Wege der Zwangsversteigerung wegen der Suizidalität des Schuldners unsicher ist (Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 29. November 2007 – IX ZB 12/07, WM 2008, 227).

Verfahrensgang

vorgehend LG Köln, 21. April 2020, Az: 13 T 129/19
vorgehend AG Köln, 28. Juni 2019, Az: 74 IN 165/18

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 21. April 2020 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 336.704 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Schuldnerin schuldet dem Gläubiger insgesamt 31.521,84 €. Der Gläubiger versucht seit Jahren vergeblich, seine Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben. Die Schuldnerin ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. Sie wohnt in einer der Wohnungen. Das Grundstück ist mit Grundpfandrechten in Höhe von insgesamt 426.149,38 € belastet. Auch der Gläubiger ließ mehrfach Zwangssicherungshypotheken zur Sicherung seiner Forderungen eintragen. Die Belastungen schöpfen den Wert des Grundstücks nicht aus. Im Zwangsversteigerungsverfahren wurde der Verkehrswert des Grundstücks auf 810.000 € festgesetzt.

2

Am 2. Februar 2010 wurde (auch) auf Antrag des Gläubigers die Zwangsversteigerung des Grundstücks angeordnet. Das Zwangsversteigerungsverfahren wurde im Jahre 2015 wegen fachärztlich bestätigter Suizidalität der Schuldnerin eingestellt. Nach Angaben ihrer Verfahrensbevollmächtigten ist die Schuldnerin seither zudem auch an Krebs erkrankt. Im Jahre 2019 wurde auf Antrag einer anderen Gläubigerin die Zwangsverwaltung des Grundstücks der Schuldnerin angeordnet. Der Zwangsverwalter vermietete zwei der bis dahin leerstehenden anderen Wohnungen.

3

Der Gläubiger hat am 19. Juli 2018 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Die anwaltlich vertretene Schuldnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat darauf verwiesen, dass die Forderungen des Gläubigers vollständig dinglich gesichert seien. Gleiches gelte für die anderen gegen sie gerichteten Forderungen. Sie beabsichtige, ihre Verbindlichkeiten durch die Aufteilung des Grundstücks in Wohnungseigentum und die anschließende Veräußerung einzelner Wohnungen zu begleichen. Nach dem im Eröffnungsverfahren eingeholten Gutachten des Beteiligten zu 2 betragen die fälligen Verbindlichkeiten der Schuldnerin jedenfalls 336.704,86 €.

4

Mit Beschluss vom 28. Juni 2019 hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den weiteren Beteiligten zu 2 zum Insolvenzverwalter bestellt. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin weiterhin die Abweisung des Eröffnungsantrags erreichen.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

6

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Gläubiger habe seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht. Er habe ein rechtlich geschütztes Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ein solches werde vermutet, wenn die Eröffnungsvoraussetzungen vorlägen. Die zur Sicherung der Forderungen des Gläubigers eingetragenen Zwangssicherungshypotheken und das zwischenzeitlich von einem anderen Gläubiger wieder aufgenommene Zwangsversteigerungsverfahren ließen das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers nicht entfallen. Der Einzelzwangsvollstreckung komme kein genereller Vorrang vor der Gesamtvollstreckung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu. Eine Befriedigung der Forderungen des Gläubigers durch eine Zwangsversteigerung des Grundstücks der Schuldnerin sei nicht hinreichend sicher zu erwarten. Wegen der Erkrankung der Schuldnerin könne eine erneute Aussetzung des Verfahrens gemäß § 765a ZPO nicht ausgeschlossen werden. Im Insolvenzverfahren könne eine Immobilie freihändig verwertet werden. Der Grundbesitz könne zudem vom Insolvenzverwalter in Wohnungseigentum umgewandelt werden. Die Gläubiger könnten mit dem Erlös aus der Veräußerung einzelner Wohnungen befriedigt werden, während die Schuldnerin ihre Wohnung behalten könne.

7

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

8

a) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt voraus, dass ein Eröffnungsgrund vorliegt (§ 16 InsO). Das ist hier der Fall. Die Schuldnerin ist zahlungsunfähig (vgl. § 17 Abs. 1 InsO). Zahlungsunfähig ist ein Schuldner, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die Schuldnerin kann den dem Gläubiger geschuldeten Betrag von gut 30.000 € nicht innerhalb von drei Wochen aufbringen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 139). Sie hat überdies weitere Verbindlichkeiten in sechsstelliger Höhe, unter anderem gegenüber derjenigen Gläubigerin, auf deren Antrag hin die Zwangsverwaltung des Grundstücks angeordnet worden ist und welche die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens beantragt hat. Diese Verbindlichkeiten kann sie ebenfalls nicht innerhalb von drei Wochen begleichen. Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit keine Einwände.

9

b) Das Insolvenzverfahren wird nur auf Antrag eröffnet (§ 13 InsO). Der Antrag eines Gläubigers ist zulässig, wenn der Gläubiger seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht und zudem ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat (§ 14 Abs. 1 InsO). Ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist in der Regel zu bejahen, wenn dem antragstellenden Gläubiger eine Forderung gegen den Schuldner zusteht und ein Eröffnungsgrund glaubhaft ist (BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 – IX ZB 250/10, NZI 2011, 632 Rn. 6). Es fehlt, wenn dem antragstellenden Gläubiger ein einfacherer, schnellerer und günstigerer Weg zur vollständigen Befriedigung seiner Forderung zur Verfügung steht (MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 14 Rn. 27; HK-InsO/Sternal, 10. Aufl., § 14 Rn. 32). Das ist hier nicht der Fall. Insbesondere führt die Zwangsversteigerung des Grundstücks der Schuldnerin nicht einfacher, schneller und günstiger zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers.

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aa) Der Gläubiger hat seine Forderungen gegen die Schuldnerin allerdings durch Zwangssicherungshypotheken am Grundstück der Schuldnerin absichern lassen. Die Zwangssicherungshypotheken sind werthaltig. Im Beschluss vom 29. November 2007 (IX ZB 12/07, WM 2008, 227; ebenso zuletzt BGH, Beschluss vom 23. Juni 2016 – IX ZB 18/15, WM 2016, 1461 Rn. 17 mwN) hat der Senat einen Insolvenzantrag in einem Fall für unzulässig gehalten, in welchem die Forderung des antragstellenden Gläubigers durch ein Grundpfandrecht vollständig abgesichert war.

11

Die dingliche Sicherung des Gläubigers allein lässt den Eröffnungsantrag aber noch nicht unzulässig werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob eine Befriedigung der Forderung des antragstellenden Gläubigers mit Sicherheit zu erwarten ist. Das ergibt sich – trotz des weitergehenden Leitsatzes – bereits aus der Begründung des genannten Beschlusses vom 29. November 2007. Dort heißt es, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verbessere die Rechtsstellung nicht, weil er gemäß § 49 InsO auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sei. Das Insolvenzverfahren bringe ihm deshalb keine Vorteile mehr. Nur wegen einer Forderung, die auch ohne die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Sicherheit vollständig befriedigt werden könne, dürfe das Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden (BGH, Beschluss vom 29. November 2007, aaO Rn. 11 f).

12

In der Regel ermöglicht eine werthaltige Sicherheit die Befriedigung des gesicherten Gläubigers in angemessener Frist. Im damaligen Fall gab es nach dem festgestellten Sachverhalt keinen Grund für die Annahme, dass eine Verwertung des belasteten Grundstücks nicht möglich war oder nicht zu einer alsbaldigen Befriedigung des Gläubigers führen würde. Auf diese kommt es an. In einem späteren Beschluss (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2016 – IX ZB 18/15, WM 2016, 1461 Rn. 20) hat der Senat ein rechtliches Interesse eines dinglich gesicherten Gläubigers an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch deshalb bejaht, weil die Befriedigung des dinglich gesicherten Gläubigers durch eine Veräußerung des belasteten Grundstücks an eine Gesellschaft, deren Gesellschafter im außereuropäischen Ausland wohnten und an die keine wirksamen Zustellungen erfolgen konnten, erschwert worden sei.

13

bb) Hier betreibt der Gläubiger seit vielen Jahren vergeblich die Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Schuldnerin. Die Zwangsvollstreckung in deren einzigen bekannten Vermögensgegenstand, das Grundstück, hat bisher wegen der psychischen Erkrankung der Schuldnerin nicht zum Erfolg geführt. Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht beanstandeten Feststellungen des Beschwerdegerichts hat sich der gesundheitliche Zustand der Schuldnerin wegen einer Krebserkrankung noch verschlechtert. Die Schuldnerin hat sich den Angaben ihrer Anwälte zufolge nur wegen ihrer Krebserkrankung behandeln lassen. Im Insolvenzverfahren ist sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Dem Beteiligten zu 2 ist es nicht gelungen, persönlich oder telefonisch Kontakt mit ihr aufzunehmen. Zusagen ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat die Schuldnerin nicht eingehalten. Dass es im Zwangsversteigerungsverfahren zu erneuten auf die Erkrankungen der Schuldnerin gestützten Schutzanträgen nach § 765a ZPO kommen könnte, nimmt die Rechtsbeschwerde nicht in Abrede. Der Zeitablauf stünde dem Erfolg eines solchen Schutzantrags ebenso wenig entgegen wie die seit der Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens gezeigte Verweigerungshaltung der Schuldnerin (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 25. Juni 2020 – V ZB 90/17, NJW-RR 2020, 1141 Rn. 13).

14

cc) Im Insolvenzverfahren kann dem Schuldner bei Vollstreckungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters nach § 148 Abs. 2 InsO auf Antrag ebenfalls Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden, soweit dies zur Erhaltung von Leben und Gesundheit des Schuldners erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – IX ZB 77/08, WM 2009, 124 Rn. 17 ff, 21; vom 12. März 2009 – V ZB 155/08, ZInsO 2009, 1029 Rn. 6). Aber auch dieser Umstand lässt das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers nicht entfallen. Kraft seiner aus § 80 InsO folgenden umfassenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kann der weitere Beteiligte zu 2 die Aufteilung des Mehrfamilienhauses der Schuldnerin in Eigentumswohnungen betreiben und einzelne Wohnungen veräußern, ohne die Schuldnerin aus ihrer Wohnung zu verdrängen und sie so an Leib oder Leben zu gefährden.

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