BGH 6. Strafsenat, Beschluss vom 20.03.2024, AZ 6 StR 47/24, ECLI:DE:BGH:2024:200324B6STR47.24.0
Verfahrensgang
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 9. Oktober 2023, Az: 1 KLs 358 Js 29149/22
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 9. Oktober 2023 im Maßregelausspruch und im Ausspruch über den Vorwegvollzug mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie einen Vorwegvollzug von drei Jahren angeordnet. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Das Landgericht hat festgestellt: Der einschlägig vorbestrafte Angeklagte betrieb nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug nach § 64 StGB von Januar 2021 bis Januar 2023 einen Handel mit Marihuana „im mindestens zweistelligen Kilogrammbereich“ sowie Kokain „im mindestens dreistelligen Grammbereich“, um seinen eigenen Kokainkonsum zu finanzieren. Er trat dabei in zwei Fällen als Vermittler auf, im Übrigen handelte er bei dem An- und Verkauf der Betäubungsmittel im eigenen Namen. Dabei nutzte er ein Kryptohandy und die Plattform „Anom“.
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2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Grundlage für die Entscheidung war – wie vom Landgericht zu Recht angenommen – die seit dem 1. Oktober 2023 geltende Fassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203). Nach § 64 Satz 1 StGB ist für einen Hang eine Substanzkonsumstörung erforderlich, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 44 f.; BGH, Beschluss vom 15. November 2023 – 6 StR 327/23, NStZ-RR 2024, 50). Beide Merkmale – dauernd und schwerwiegend – müssen im betroffenen Lebensbereich kumulativ erfüllt sein (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 45; BGH, Beschluss vom 15. November 2023 – 6 StR 327/23, aaO). Durch die engere Koppelung der Therapieanordnung an den Therapiebedarf soll nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere die Einweisung von Drogendealern vermieden werden, bei denen der Betäubungsmittelkonsum zwar Teil des Lebensstils ist, aber nicht den Schweregrad erreicht, der tatsächlich eine Behandlung und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfordert (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 45).
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b) Die Urteilsgründe belegen eine solche Substanzkonsumstörung nicht. Soweit das Landgericht darauf hinweist, dass der Angeklagte eine im September 2021 begonnene Ausbildung „wegen seiner Drogensucht“ verloren habe, fehlt eine nähere Darlegung. Hinzu kommt, dass es dem Angeklagten gelungen ist, im Jahr 2022 einen neuen Ausbildungsplatz zu finden. In diesem Betrieb war der Angeklagte bis zu seiner am 1. März 2023 erfolgten Festnahme tätig. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang anführt, es habe auch bei dieser Ausbildungsstelle „drogenbedingt Probleme mit seiner Zuverlässigkeit“ gegeben, fehlt es an einem entsprechenden Nachweis in der Beweiswürdigung. Hinzu kommt, dass mit einer solch vagen Beschreibung weder eine dauernde noch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit dargetan ist.
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Gleiches gilt für die nicht näher ausgeführte Annahme des Landgerichts, die Störung habe auch die Lebensgestaltung des Angeklagten beeinträchtigt, weil „alltägliche Aktivitäten und familiäre Verpflichtungen gelitten (…) und andere Interessen und Vergnügungen sich zu Gunsten des Drogenkonsums erkennbar in die Peripherie verschoben haben“. Ohne eine weitere und konkrete Darlegung dieser Umstände ist es dem Senat nicht möglich zu prüfen, ob das Tatgericht von einem zutreffenden Entscheidungsmaßstab ausgegangen ist.
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3. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Dies zieht den Wegfall der Anordnung eines Vorwegvollzugs nach sich. Der Senat hebt die jeweils zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
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