BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 16.07.2020, AZ IX ZR 298/19, ECLI:DE:BGH:2020:160720UIXZR298.19.0
§ 626 Abs 1 S 2 BGB, § 628 Abs 1 BGB, § 628 Abs 2 BGB
Leitsatz
Dem Mandanten steht nach einer durch ein vertragswidriges Verhalten des Rechtsanwalts veranlassten Kündigung ein Schadensersatzanspruch nur zu, wenn das vertragswidrige Verhalten des Rechtsanwalts einen wichtigen Kündigungsgrund bildet und die insoweit zu beachtende Kündigungsfrist von zwei Wochen gewahrt ist.
Verfahrensgang
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 14. November 2019, Az: 11 U 127/18
vorgehend LG Kiel, 2. November 2018, Az: 5 O 253/17
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 14. November 2019 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin beauftragte den beklagten Rechtsanwalt, Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung gegen die P. AG (nachfolgend: P. ) gerichtlich durchzusetzen. Während des laufenden Rechtsstreits unterbreitete der Beklagte am 18. November 2016 der Klägerin den Vorschlag, eine Auftrags- und Vergütungsvereinbarung mit der H. GmbH zu schließen, deren Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin – was die Klägerin nicht wusste – die Ehefrau des Beklagten war. Die H. GmbH sollte den Beklagten durch „Recherchehilfe und banktechnische Kompetenz“ unterstützen. Als Vergütung war eine Beteiligung von 16 vom Hundert an der für die Klägerin erstrittenen Schadensersatzleistung vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die P. bereits angeboten, den Rechtsstreit durch eine Zahlung von 68.000 € und damit etwa 60 vom Hundert der Klageforderung vergleichsweise beizulegen.
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Die Klägerin lehnte den Abschluss der ihr angesonnenen Vereinbarung anlässlich einer mit der sachbearbeitenden Rechtsanwältin am 20. Januar 2017 geführten fernmündlichen Unterredung ab. Durch eine Nachricht vom 22. Januar 2017 erneuerte der Beklagte gegenüber der Klägerin die Bitte um Abschluss der Vereinbarung, wobei er die erfolgsabhängige Vergütung auf 12,5 vom Hundert ermäßigte. Nachdem die sachbearbeitende Rechtsanwältin das von ihr als „akzeptabel“ bezeichnete Vergleichsangebot der P. der Klägerin am 23. Januar 2017 mitgeteilt hatte, forderte der Beklagte am 25. Januar 2017 die Klägerin abermals auf, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Dies lehnte die Klägerin ab.
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Mit Schreiben vom 10. Februar 2017, das dem Beklagten am 13. Februar 2017 zuging, kündigte die Klägerin das Mandat. Nach Beauftragung neuer Prozessbevollmächtigter wurde der von der Klägerin gegen die P. geführte Rechtsstreit durch einen zugunsten der Klägerin auf 63 vom Hundert der Klageforderung leicht verbesserten Vergleich beendet.
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Vorliegend nimmt die Klägerin – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – den Beklagten auf Ersatz der ihr durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten in Anspruch. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 5.098 € verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und auf dessen Widerklage festgestellt, dass die Klägerin gemäß § 717 Abs. 2 ZPO dem Beklagten zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der ihm durch eine zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erbrachte Leistung entstanden ist. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des Ersturteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB nicht zu. Es brauche nicht entschieden zu werden, ob die Kündigung der Klägerin durch ein vertragswidriges Verhalten des Beklagten veranlasst worden sei, weil die Kündigung nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden sei. Diese Frist sei nach einhelliger Auffassung für einen Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB nach Kündigung gemäß § 627 BGB entsprechend anwendbar. Verstreiche ein Zeitraum von mehr als zwei Wochen nach dem vertragswidrigen Verhalten eines Teils, ohne dass der andere Teil darauf mit einer Kündigung reagiere, gelte die unwiderlegbare Vermutung, dass die Fortsetzung des Vertrages dem anderen Teil nicht unzumutbar sei.
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Die Klägerin habe die Kündigung nicht fristgemäß erklärt. Die Frist habe mit dem nach Auffassung der Klägerin ungebührlichen und vertragswidrigen Drängen des Beklagten vom 25. Januar 2017 zu laufen begonnen und am 8. Februar 2017 geendet. Die Kündigungserklärung der Klägerin sei bei dem Beklagten erst am 13. Februar 2017 eingegangen.
II.
8
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 628 Abs. 2 BGB ist gegen den Beklagten nicht begründet, weil die Klägerin die Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB versäumt hat.
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1. Gemäß § 627 Abs. 1 BGB ist bei einem Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 622 BGB ist, die Kündigung auch ohne die in § 626 BGB bezeichnete Voraussetzung eines wichtigen Grundes zulässig, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete, ohne in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen zu stehen, Dienste höherer Art zu leisten hat, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Diese Voraussetzungen sind bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters gegeben (BGH, Urteil vom 2. Mai 2019 – IX ZR 11/18, WM 2019, 2178 Rn. 12). Zur fristlosen Kündigung sind sowohl der Berater als auch der Auftraggeber berechtigt (BGH, aaO Rn. 13 a.E.). Mithin hat die Klägerin das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis durch ihr Schreiben vom 10. Februar 2017 wirksam gekündigt. Die Klägerin konnte den Auftrag jederzeit und ohne Angabe von Gründen mit sofortiger Wirkung beenden (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2019 – IX ZR 221/18, WM 2019, 740 Rn. 8).
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2. Die vergütungsrechtlichen Folgen der Kündigung eines Dienstvertrages sind in § 628 Abs. 1 BGB geregelt.
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Wird nach dem Beginn der Dienstleistung das Dienstverhältnis aufgrund des § 626 BGB oder des § 627 BGB gekündigt, so kann der Verpflichtete gemäß § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teils, so steht ihm nach § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben. Diese Regelungen betreffen den Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.
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3. Weitergehend kann ein Vertragsteil gemäß § 628 Abs. 2 BGB Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verlangen, wenn die Kündigung durch ein vertragswidriges Verhalten des anderen Teils veranlasst wurde. Diese Regelung ist hier schon deshalb unanwendbar, weil die Klägerin die zweiwöchige Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hat.
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a) Die Schadensersatzpflicht aus § 628 Abs. 2 BGB kann bei einer Vertragsbeendigung, für die der andere Vertragsteil durch ein vertragswidriges schuldhaftes Verhalten den Anlass gegeben hat, entstehen. Dabei muss das für den Schadensersatz erforderliche Auflösungsverschulden des Vertragspartners – anders als das in § 628 Nr. 1 Satz 2 BGB vorausgesetzte vertragswidrige Verhalten (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 2011 – VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 Rn. 14; vom 7. März 2019 – IX ZR 221/18, WM 2019, 740 Rn. 22) – das Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB haben. Nur derjenige kann Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB fordern, der auch wirksam aus wichtigem Grund hätte fristlos kündigen können, denn aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung, die Anlass für eine Beendigung des Vertragsverhältnisses gewesen ist, die schwerwiegenden Folgen des § 628 Abs. 2 BGB nach sich zieht (BAG, Urteil vom 26. Juli 2001 – 8 AZR 739/00, BAGE 98, 275, 280 f; vom 20. November 2003 – 8 AZR 608/02, EzA BGB 2002 § 628 Nr. 3 unter II 2 a; vom 14. Dezember 2011 – 5 AZR 439/10, BAGE 140, 159 Rn. 31; KG Berlin, Urteil vom 18. August 2005 – 8 U 251/04, juris Rn. 133; MünchKomm-BGB/Henssler, 8. Aufl., § 628 Rn. 74; Staudinger/Preis, BGB, 2019, § 628 Rn. 38; Soergel/Kraft, BGB, 12. Aufl., § 628 Rn. 11; Erman/Belling/Riesenhuber, BGB, 15. Aufl., § 628 Rn. 31; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 628 Rn. 12; Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl., § 628 Rn. 6; Lingemann in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 14. Aufl., § 628 Rn. 6; Dauner-Lieb/Langen/Klappstein, BGB, 3. Aufl., § 628 Rn. 18; RGRK-BGB/Corts, 12. Aufl., § 628 Rn. 31). Diese einhelligen Erwägungen gelten auch im Rahmen der anwaltlichen Berufshaftung. Ein Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB setzt mithin ein anwaltliches Fehlverhalten von der Schwere eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB voraus (KG, NJW-RR 2002, 708, 710; Mennemeyer in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 1 Rn. 233; Jungk in Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 6. Aufl., Kap. III. Rn. 106).
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b) Ob der Schweregrad eines wichtigen Grundes erreicht ist, kann im Streitfall dahinstehen. Erfordert der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB einen wichtigen Beendigungsgrund, muss für die Kündigung auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt werden. Daran fehlt es.
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aa) Der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass eine wirksame außerordentliche Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens der anderen Vertragspartei ausgesprochen wurde oder hätte ausgesprochen werden können. Wird die gesetzliche Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB versäumt, endet damit auch das Recht zur außerordentlichen Kündigung. Ein erheblicher wichtiger Grund ist – sollte er vorgelegen haben – nicht mehr geeignet, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unzumutbar zu machen. Wenn ein pflichtwidriges Verhalten einer Vertragspartei nicht mehr zum Anlass einer vorzeitigen Beendigung des Rechtsverhältnisses genommen werden kann, entfällt damit auch der Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB wegen dieses Verhaltens. Andernfalls bestünde ein nicht auflösbarer Widerspruch zwischen der Bestimmung über die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB und der Vorschrift über den Schadensersatz nach § 628 BGB. Die Vorschrift des § 628 Abs. 2 BGB ist kein Auffangtatbestand für wegen Versäumung der Ausschlussfrist misslungene außerordentliche Kündigungen. Mit der Einführung der Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB sind die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung verschärft worden. Das hat auch zu einer Einschränkung des auf § 626 BGB aufbauenden Schadensersatzanspruches nach § 628 Abs. 2 BGB geführt. Wahrt der Anspruchsberechtigte die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht, so verliert er seinen Anspruch auf Schadensersatz (BAG, Urteil vom 22. Juni 1989 – 8 AZR 164/88, DB 1990, 433; Urteil vom 26. Juli 2001 – 8 AZR 739/00, BAGE 98, 275, 285; MünchKomm-BGB/Henssler, 8. Aufl., § 628 Rn. 78; Staudinger/Preis, BGB, 2019, § 628 Rn. 37; Soergel/Kraft, BGB, 12. Aufl., § 628 Rn. 13; Erman/Belling/Riesenhuber, BGB, 15. Aufl., § 628 Rn. 31; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 628 Rn. 11; Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl., § 628 Rn. 6; Dauner-Lieb/Langen/Klappstein, BGB, 3. Aufl., § 628 Rn. 18; Lingemann in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 14. Aufl., § 628 Rn. 6). Entsprechend dieser allgemeinen Auffassung muss auch die Beendigung des Anwaltsdienstvertrages innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen (KG Berlin, Urteil vom 18. August 2005 – 8 U 251/04, juris Rn. 133; OLG Frankfurt, NJW 2016, 1599 Rn. 16; Mennemeyer in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 1 Rn. 233).
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bb) Im Streitfall wurde die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Maßgeblich für die Einhaltung der sich nach §§ 187, 188 BGB berechnenden Frist von zwei Wochen ist der Zugang der Kündigungserklärung bei dem Empfänger (BAG, Urteil vom 9. März 1978 – 2 AZR 529/76, NJW 1978, 2168; MünchKomm-BGB/Henssler, aaO § 626 Rn. 321; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, aaO, § 626 Rn. 60). Die Kündigung der Klägerin beruhte auf dem Vorfall vom 25. Januar 2017, so dass die Kündigungsfrist am 8. Februar 2017 endete. Das Kündigungsschreiben der Klägerin vom 10. Februar 2017, das den Beklagten zudem erst am 13. Februar 2017 erreichte, war mithin verspätet.
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4. Da sich die Klage sonach als unbegründet erweist, war dem auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützten, im Wege der Widerklage verfolgten Feststellungsantrag, stattzugeben. Der Beklagte hat im Streitfall zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eine Sicherheitsleistung hinterlegt. Angesichts des gegenwärtig nicht abschließend beurteilbaren Schadensverlaufs ist ein Feststellungsantrag eröffnet (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 717 Rn. 44).
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