BVerfG 2. Senat 2. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 13.08.2025, AZ 2 BvR 957/25, ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250813.2bvr095725
Art 41 Abs 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 48 BVerfGG, § 90 BVerfGG, § 92 BVerfGG
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erstattung seiner notwendigen Auslagen wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Der 21. Deutsche Bundestag wurde am 23. Februar 2025 gewählt. Er konstituierte sich am 25. März 2025. Der Beschwerdeführer legte am 23. April 2025 Einspruch gegen die Wahl ein. Der Deutsche Bundestag hat über den Einspruch bisher nicht entschieden.
2
Am 22. Juni 2025 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Deutsche Bundestag sei zu verpflichten, den Wahlprüfungsausschuss unverzüglich zu bilden. Der Wahlprüfungsausschuss sei zu verpflichten, die eingelegten Wahleinsprüche, hilfsweise den Einspruch des Beschwerdeführers, unverzüglich zu behandeln.
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Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2025, eingegangen am 26. Juli 2025, hat der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass der Deutsche Bundestag den Wahlprüfungsausschuss zwischenzeitlich „errichtet“ habe. Der erste Teil seines Antrages sei daher erledigt. Er beantrage insoweit, den Deutschen Bundestag zu verpflichten, ihm die notwendigen Auslagen zu erstatten. Sein weiterer Antrag bleibe davon unberührt. Nach den Verlautbarungen des Wahlprüfungsausschusses habe dieser bislang noch nicht einmal begonnen, die Einsprüche gegen die Bundestagswahl zu prüfen. Dies widerspreche dem deutschen Verfassungsrecht und den europäischen Menschenrechten.
II.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie nicht statthaft ist.
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a) Zwar hat der 21. Deutsche Bundestag die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses nach § 3 Abs. 2 Wahlprüfungsgesetz erst am 26. Juni 2025 gewählt (vgl. BTPlenProt 21/14, S. 1178<D> i.V.m. BTDrucks 21/597).Die Gründe dafür, dass der Bundestag die für die Wahlprüfung erforderlichen Schritte nicht unverzüglich nach seiner Konstituierung eingeleitet hat, erschließen sich nicht ohne Weiteres. Schließlich kann die Prüfung der Legitimation des Parlaments durch den Wählerwillen nicht von den Mehrheitsverhältnissen und Koalitionsverhandlungen abhängig gemacht werden oder davon abhängen, ob überhaupt eine Regierung gebildet werden kann (vgl. VerfGH Saarland, Urteil vom 31. Januar 2011 – Lv 13/10 -, juris, Rn. 93).
6
Es besteht ein öffentliches Interesse an der raschen und verbindlichen Klärung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments (vgl. BVerfGE 85, 148 <158 f.>; 169, 114 <121 Rn. 23> – Europawahl 2019 <Mindestwahlalter>). Der Deutsche Bundestag hat über Wahleinsprüche binnen angemessener Frist zu entscheiden (vgl. BVerfGE 149, 374 <376 f. Rn. 7>; 149, 378 <380 f. Rn. 8>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 2018 – 2 BvQ 53/18 u.a. -, Rn. 8; Beschluss des Zweiten Senats vom 12. Mai 2025 – 2 BvE 6/25 -, Rn. 32 – BSW – Neuauszählung).
7
Effektiver Rechtsschutz im Rahmen der Wahlprüfung ist auch infolge völkerrechtlicher Normen (vgl. Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – i.V.m. Art. 13 EMRK, Art. 2 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte – IPBPR) geboten (vgl. EGMR (GK), Mugemangango v. Belgium, 10.07.2020, 310/15, §§ 69, 130 f. m.w.N.;IPBPR-Menschenrechtsausschuss,General Comment No. 25, 27. August 1996, UN-Doc CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 7, Rn. 20). Das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa empfiehlt der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Grund die Einführung konkreter gesetzlicher Entscheidungsfristen (vgl. Office for Democratic Institutions and Human Rights, Bundesrepublik Deutschland, Vorgezogene Bundestagswahlen 23. Februar 2025,BDIMR Wahlbewertungsmission Abschlussbericht, 23. Juni 2025, S. 36 f.).
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b) Dies führt jedoch nicht zur Statthaftigkeit der Verfassungsbeschwerde.
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Die Wahlprüfung nach Art. 41 Abs. 2 GG geht als speziellerer Rechtsbehelf vor (vgl. BVerfGE 149, 378 <381 f. Rn. 9>;BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 2018 – 2 BvQ 53/18 u.a. -, Rn. 9). Soweit die Prüfungskompetenz im Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 Abs. 2 GG reicht, ist der Rückgriff auf den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 151, 152 <163 Rn. 30>; 159, 40 <66 Rn. 76>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2024 – 2 BvQ 73/24 -, Rn. 8, 10 – Bundestagswahl 2025 – Vorgelagerter Rechtsschutz).
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Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass der Deutsche Bundestag über seinen Wahleinspruch nicht in angemessener Frist entscheidet. Auch eine auf die Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes durch den Deutschen Bundestag gestützte Verfassungsbeschwerde ist unzulässig (vgl. BVerfGE 149, 378 <381 f. Rn. 9>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 2018 – 2 BvQ 53/18 u.a. -, Rn. 9).Zwar wird im Schrifttum die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer ausbleibenden Entscheidung im Wege der Verfassungsbeschwerde für zulässig gehalten (vgl. Brocker, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 41 Rn. 11.2 <Juni 2025>; Bechler, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 48 Rn. 37a; Glauben, NVwZ 2017, S. 1419 <1423 f.>; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 6. Aufl. 2025, § 10 Rn. 982). Dem Rechtsschutzziel der Wahlprüfung trägt eine solche Verfassungsbeschwerde jedoch allenfalls mittelbar Rechnung. Daher schließt das Bundesverfassungsgericht ausnahmsweise eine Wahlprüfungsbeschwerde auch ohne vorangehende Entscheidung des Deutschen Bundestages nicht aus, wenn dieser über den Wahleinspruch nicht in angemessener Frist entscheidet und dadurch die Gefahr besteht, dass das Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren nicht mehr zeit- oder sachgerecht durchgeführt werden kann (vgl. BVerfGE 149, 374 <377 Rn. 7>; 149, 378 <380 f. Rn. 8>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 2018 – 2 BvQ 53/18 u.a. -, Rn. 8; Beschluss des Zweiten Senats vom 12. Mai 2025 – 2 BvE 6/25 -, Rn. 32).
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2. Der Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen nach § 34a Abs. 3 BVerfGG nicht vorliegen. Eine Erstattung entspricht hier nicht der Billigkeit, weil die Verfassungsbeschwerde bis zum 26. Juli 2025 aus den vorgenannten Gründen auch nicht statthaft war, soweit der Beschwerdeführer die aus seiner Sicht verspätete Errichtung des Wahlprüfungsausschusses gerügt hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. Oktober 2024 – 1 BvR 770/24 -, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Dezember 2024 – 1 BvR 2183/24 -, Rn. 13).
12
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.