Beschluss des BVerwG 2. Senat vom 23.07.2025, AZ 2 B 1.25

BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 23.07.2025, AZ 2 B 1.25, ECLI:DE:BVerwG:2025:230725B2B1.25.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 15. August 2024, Az: 10 LB 520/22 OVG, Urteil
vorgehend VG Greifswald, 5. Mai 2022, Az: 11 A 1449/21 HGW, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. August 2024 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarklageverfahren.

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1. Der … geborene Beklagte war Polizeibeamter im Landesdienst, zuletzt als Kriminaloberkommissar (Besoldungsgruppe A 10). Im September 2020 wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen einen anderen Polizeibeamten bekannt geworden war, dass zwischen diesem und dem Beklagten in der Zeit von Dezember 2012 bis Januar 2017 antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Kommunikationsinhalte ausgetauscht worden seien. Im August 2021 hat der Kläger Disziplinarklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die Berufung des Beklagten beim Oberverwaltungsgericht ist erfolglos geblieben.

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Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass der Beklagte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Die Verwertung der in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren aufgedeckten Chatverläufe unterliege keinem Beweisverwertungsverbot im Disziplinarverfahren. Sie sei gemäß § 49 Abs. 4 BeamtStG zulässig, da die Daten nicht aus einer besonders oder gar vollständig grundrechtlich geschützten Situation, insbesondere nicht aus dem besonders geschützten Intim- oder Kernbereich der Persönlichkeit des Beamten stammten, sodass sie dem Zugriff des Dienstherrn nicht zwingend entzogen seien. Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Beklagten und den beiden anderen Kommunikationsteilnehmern ein besonderes Vertrauensverhältnis im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestanden habe, das einem besonderen, aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Schutz unterliege, seien weder vorgetragen noch nach den Verwaltungsvorgängen ersichtlich. Angesichts der Schwere des Dienstvergehens überwiege das Interesse des Dienstherrn an der Kenntnis dieser Daten. Der Beklagte habe ein schweres Dienstvergehen begangen, denn er habe die politische Treuepflicht dadurch verletzt, dass er mit der Versendung von – im Einzelnen bezeichneten – Bildern und Videos nach außen hin erkennen lasse, das NS-Regime und seine Weltanschauung als Vorbild zu betrachten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzulehnen.

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2. Die auf Divergenz (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und grundsätzliche Bedeutung (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

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a) Die Revision ist nicht wegen der von der Beschwerde geltend gemachten Divergenz (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

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Eine die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründende „Abweichung“ liegt nur vor, wenn zwischen den Gerichten ein grundsätzlicher Meinungsunterschied hinsichtlich der die Rechtsanwendung im Einzelfall bestimmenden Maßstäbe besteht. Die Divergenzrüge setzt deshalb die Darlegung eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds über den Bedeutungsgehalt eines im konkreten Rechtsstreit erheblichen Rechtssatzes voraus. Die bloße Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Das Revisionszulassungsrecht kennt – anders als die Vorschriften über die Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. April 2014 – 2 B 107.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3, vom 14. Dezember 2023 – 2 B 45.22 – NVwZ-RR 2024, 519 Rn. 16 und vom 18. Dezember 2024 – 2 B 21.24 – juris Rn. 7).

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Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie bezeichnet zwar mehrere Rechtssätze in dem – einen Soldaten betreffenden – Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Januar 2022 – 2 WD 4.21 – (NVwZ-RR 2022, 385 ff.). Die Beschwerde nennt aber keine hiervon abweichenden Rechtssätze des angegriffenen Berufungsurteils, sondern führt lediglich aus, das Berufungsgericht hätte bei Zugrundelegung dieser Rechtssätze anders entscheiden müssen. Damit macht sie nur eine fehlerhafte Einzelfallwürdigung, nicht aber einen für die Divergenzrüge erforderlichen prinzipiellen Auffassungsunterschied geltend (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. März 2016 – 3 B 16.15 – Buchholz 442.40 § 19c LuftVG Nr. 2 Rn. 36).

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b) Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 – 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 – 2 B 107.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom 24. April 2017 – 1 B 70.17 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 68 Rn. 3 und vom 24. April 2025 – 2 B 53.24 – juris Rn. 9).

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aa) Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,

„ob Vertrauen tatsächlich unwiederbringlich zerstört sein kann“ oder ob dem Beamten die Möglichkeit gegeben werden muss, sich zu bewähren,

rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision, weil die Frage im Hinblick auf die gesetzliche Maßnahmebemessungsregel des § 15 Abs. 2 LDG M-V und die Senatsrechtsprechung zu den gesetzlichen Maßnahmebemessungsregeln des Bundes und der Länder nicht klärungsbedürftig ist.

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Dass ein Beamter durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verlieren kann, ergibt sich bereits aus § 15 Abs. 2 LDG M-V, wonach ein hierdurch bewirkter endgültiger Vertrauensverlust Voraussetzung für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und die Aberkennung des Ruhegehalts ist. Ob im konkreten Fall der Vertrauensverlust endgültig ist und deshalb den Ausspruch der disziplinaren Höchstmaßnahme erfordert oder ob der Vertrauensverlust noch nicht endgültig ist, sodass eine pflichtenmahnende Maßnahme ausreicht, ist eine Frage der Maßnahmebemessung im Einzelfall und einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Im Übrigen gibt es in der Senatsrechtsprechung zahlreiche Fälle, in denen die vorinstanzliche tatsachengerichtliche Würdigung, dass ein schweres Dienstvergehen einen endgültigen Vertrauensverlust bewirkt hat, auch dann unbeanstandet geblieben ist, wenn es sich um eine einmalige schwere Pflichtverletzung oder eine dem Beamten disziplinarisch zur Last gelegte Mehrzahl von Pflichtverletzungen gehandelt hat. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass bei ersten Dienstpflichtverletzungen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit nicht endgültig zerstört ist und der Beamte deshalb stets die Möglichkeit haben muss, verlorenen gegangenes Vertrauen wiederaufzubauen, gibt es nicht. Die Beschwerde trägt hierfür auch nichts vor; sie erschöpft sich in Ausführungen zur vermeintlich unrichtigen Rechtsanwendung im Einzelfall.

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bb) Soweit die Beschwerde den Ausspruch unterschiedlich schwerer Disziplinarmaßnahmen bei vermeintlich vergleichbaren Sachverhalten thematisiert, formuliert sie bereits keine als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage. Eine solche kann auch ihrem Vortrag, der sich wiederum in Ausführungen zur vermeintlich unrichtigen Rechtsanwendung im Einzelfall erschöpft, nicht entnommen werden.

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cc) Schließlich rechtfertigt auch die Frage,

„wie das Versenden von Memes etc. einzuordnen ist“,

nicht die Zulassung der Revision. Sie ist in ihrer Allgemeinheit nicht grundsätzlich klärungsfähig, sondern einer Beantwortung nur unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles zugänglich.

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c) Soweit die Beschwerde im Rahmen ihrer Divergenzrüge ausführt, das Berufungsgericht habe eine Erstreckung des Schutzbereichs der vertraulichen Kommunikation auf freundschaftliche Verbindungen nicht in Betracht gezogen und widersprüchlich an einer Stelle ein besonderes Vertrauensverhältnis verneint, an anderer Stelle (auf S. 33 des Urteils, gemeint ist S. 32) hingegen bejaht, kann dies bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung als Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ausgelegt werden, rechtfertigt aber gleichwohl nicht die Zulassung der Revision.

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Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, d. h. etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht (BVerwG, Beschlüsse vom 13. Februar 2012 – 9 B 77.11 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7, vom 21. Mai 2013 – 2 B 67.12 – juris Rn. 18 und vom 23. Dezember 2015 – 2 B 40.14 – Buchholz 449 § 39 SG Nr. 82 Rn. 53 m. w. N.). Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist (BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1984 – 6 C 134.81 – BVerwGE 68, 338 <339> und vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <208 f.>; Beschlüsse vom 18. November 2008 – 2 B 63.08 – Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 27, vom 31. Oktober 2012 – 2 B 33.12 – NVwZ-RR 2013, 115 Rn. 12, vom 20. Dezember 2013 – 2 B 35.13 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn. 19 und vom 7. April 2022 – 2 B 48.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 90 Rn. 18).

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Einen solchen Mangel zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Berufungsurteil bejaht auf S. 24 und 25 die Verwertung der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren aufgedeckten Chatverläufe im Disziplinarverfahren unter Heranziehung der Rechtsgrundlage des § 49 Abs. 4 BeamtStG und unter Berücksichtigung des besonders geschützten Intim- oder Kernbereichs, wobei es ein besonderes Vertrauensverhältnis im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verneint. In dem insoweit in Bezug genommenen Kammerbeschluss vom 17. März 2021 – 2 BvR 194/20 – (NStZ 2021, 439), heißt es unter Bezugnahme u. a. auf BVerfGE 90, 255 <262>, dass der Kreis möglicher Vertrauenspersonen nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt ist, sondern sich auf ähnlich enge, auch rein freundschaftliche Vertrauensverhältnisse erstreckt; entscheidend für den grundrechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung sei, dass ein Verhältnis bestehe, welches dem Verhältnis vergleichbar sei, wie es in der Regel zu Ehegatten, Eltern oder auch anderen Familienangehörigen bestehe. Hierzu steht nicht in Widerspruch, dass das Berufungsurteil auf S. 32 ausführt, dass der Beklagte und eines der anderen Mitglieder der WhatsApp-Gruppe einer Gruppe eines Sondereinsatzkommandos angehörten, Mitglieder der Schießsportmannschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommern seien sowie dreimal zur Deutschen Polizeimeisterschaft entsandt worden seien und zweimal gemeinsam das Trainingslager Landesauswahl Schießen besucht hätten. Die Wertung des Berufungsgerichts, dass dieses kollegiale Verhältnis nicht vergleichbar mit dem Verhältnis zu Ehegatten, Eltern oder auch anderen Familienangehörigen ist, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Soweit die Beschwerde ebenfalls im Rahmen ihrer Divergenzrüge der Sache nach geltend macht, das Berufungsgericht habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 69 LDG M-V i. V. m. § 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, weil es nicht den freundschaftlichen Charakter der Mitglieder der WhatsApp-Gruppe weiter aufgeklärt hat, verkennt sie, dass sich dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung dieses in der persönlichen Sphäre liegenden Umstandes angesichts des Fehlens eines entsprechenden Vortrages mit Anhaltspunkten für ein besonders enges Freundschaftsverhältnis nicht aufdrängen musste.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (Anlage zu § 77 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V).

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