Beschluss des BVerwG 6. Senat vom 15.07.2025, AZ 6 B 1.25

BVerwG 6. Senat, Beschluss vom 15.07.2025, AZ 6 B 1.25, ECLI:DE:BVerwG:2025:150725B6B1.25.0

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 12. November 2024, Az: 10 B 23.374, Urteil
vorgehend VG München, 17. Juli 2020, Az: M 30 K 19.5902, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. November 2024 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

I

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Der Kläger, ein eingetragener Verein, wendet sich gegen seine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Beklagten wegen der Verfolgung rechtsextremistischer Bestrebungen.

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Seine Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen (NVwZ-RR 2025, 331). Soweit vorbeugender Rechtsschutz begehrt werde, sei das Begehren unzulässig. Da der Beklagte den Kläger aufgrund einstweiliger Anordnungen des Verwaltungsgerichts in den Verfassungsschutzberichten ab 2020 nicht mehr erwähnt und dessen Beobachtung eingestellt habe, lasse sich derzeit nicht absehen, ob und ggf. in welcher Weise der Kläger in künftigen Verfassungsschutzberichten genannt werden könne. Zulässig sei die Klage lediglich, soweit sie sich auf den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 beziehe. Insoweit sei sie aber unbegründet, da hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass der Kläger verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen das Berufungsurteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, der der Beklagte entgegentritt.

II

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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, ergibt sich weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch das Vorliegen einer Abweichung von Entscheidungen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte (2.) noch ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

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1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Die Beschwerde muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erläutern, dass und inwiefern die erstrebte Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann. (BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 – 6 B 35.00 – WissR 2001, 377 Rn. 3, vom 9. Juli 2019 – 6 B 2.18 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 31 Rn. 7 und vom 27. März 2024 – 6 B 71.23 – N&R 2024, 168 Rn. 7).

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Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Sache darin, dass vom Berufungsgericht ein Nexus zwischen Geschichtsrevisionismus und Verfassungsfeindlichkeit behauptet werde, der als hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen ausreichen solle. Eine derartige Vermutung sei weder gesetzlich festgelegt noch mit den Denkgesetzen vereinbar.

6

Dieses Vorbringen verfehlt die Darlegungsanforderungen der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache. Denn es zielt schon nicht unmittelbar auf die Klärung einer allgemeinen Rechtsfrage des revisiblen Rechts. Zum einen betrifft die im Stile einer Berufungsbegründung formulierte Rüge die Ebene der tatrichterlichen Würdigung und nicht die Anwendbarkeit, Auslegung oder Maßstabsfragen zum Inhalt eines Rechtssatzes. Zum anderen fällt sie nicht unter den für das erstrebte Revisionsverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Denn das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung darauf, dass die Voraussetzungen der Art. 26 Abs. 1 und 2 BayVSG i. V. m. Art. 3 BayVSG und §§ 3 und 4 BVerfSchG für die Nennung des Klägers im Verfassungsschutzbericht des Beklagten erfüllt gewesen seien. Dadurch, dass Art. 3 Satz 1 BayVSG auf § 3 BVerfSchG verweist, wird die Vorschrift nicht revisibel. Durch Rezeption in Sachbereichen, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen, erlangt Bundesrecht grundsätzlich nur durch den Anwendungsbefehl des Landesgesetzgebers Geltung (BVerwG, Urteile vom 4. November 1976 – 5 C 73.74 – BVerwGE 51, 268 <271 ff.> und vom 24. September 1992 – 3 C 64.89 – BVerwGE 91, 77 <80>; Beschlüsse vom 24. März 1986 – 7 B 35.86 – NVwZ 1986, 739 und vom 2. Juli 2009 – 7 B 9.09 – NVwZ 2009, 1037 Rn. 6). Unmittelbar anwendbar auf den zu entscheidenden Fall sind die bundesrechtlichen Regelungen in diesen Fällen nicht eo ipso, sondern werden es erst durch die insoweit konstitutive Verweisung des Landesgesetzgebers.

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2. Eine Abweichung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen. Für die Darlegung einer Abweichung ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Herausarbeitung und Gegenüberstellung sich widersprechender Rechtssätze unverzichtbar (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712 <713>). Die bloße Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genanntes Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328 sowie vom 22. Juli 2020 – 6 B 9.20 – Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 118 Rn. 12, jeweils m. w. N.).

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Daran gemessen verfehlt die Beschwerde die Darlegungsanforderungen. Sie behauptet eine Abweichung des Berufungsgerichts von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42 und 43.00 – (BVerwGE 114, 258) sowie des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 – (BVerfGE 113, 63) und vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 98/21 – (NJW 2022, 3627). Bei dieser Behauptung bleibt sie jedoch ohne weitere Ausführungen stehen und versäumt es, Rechtssätze aus diesen Entscheidungen herauszuarbeiten und korrespondierenden Rechtssätzen im Berufungsurteil gegenüberzustellen. Der Sache nach macht die Klägerseite lediglich im Gewande der Divergenzrüge eine von ihr als fehlerhaft erachtete Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichtshofs geltend. Damit vermag sie die Zulassung der Revision nicht zu erreichen.

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3. Die Beschwerde rügt mehrfach einen Verstoß gegen Denkgesetze, ohne eine als verletzt betrachtete Verfahrensnorm zu benennen. Wenn man dem zu ihren Gunsten eine Verfahrensrüge der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) entnehmen wollte, würde ihr auch das nicht zum Erfolg verhelfen.

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Nach der prozessrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Tatsachengericht und Revisionsinstanz ist es Sache des Tatrichters, sich im Wege der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO niedergelegte Grundsatz der freien Beweiswürdigung (bzw. Überzeugungsgrundsatz) eröffnet dem Tatrichter dafür einen Wertungsrahmen (stRspr, zuletzt BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2025 – 6 B 20.24 – NVwZ 2025, 863 Rn. 14 m. w. N.). Deshalb ist die Beweiswürdigung des Tatrichters vom Bundesverwaltungsgericht nicht daraufhin nachzuprüfen, ob die Gewichtung einzelner Umstände und deren Gesamtwürdigung überzeugend erscheint. Sie wird dementsprechend nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht.

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Ein nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtlicher Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn der gerügte Fehler sich hinreichend deutlich von der materiell-rechtlichen Subsumtion, das heißt der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Das ist u. a. der Fall, wenn die Vorinstanz die Denkgesetze (Logik), gesetzliche Beweisregeln oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 – BVerwGE 171, 59 Rn. 40 und vom 2. März 2022 – 6 C 7.20 – BVerwGE 175, 76 Rn. 40, Beschluss vom 20. Januar 2025 – 6 B 20.24 – NVwZ 2025, 863 Rn. 15, jeweils m. w. N.). Derartige Mängel des Berufungsurteils zeigt das Beschwerdevorbringen, das sich in der bloßen Behauptung einer Verletzung der Denkgesetze erschöpft, nicht auf.

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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

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