BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 25.03.2025, AZ VIa ZR 1522/22, ECLI:DE:BGH:2025:250325UVIAZR1522.22.0
Verfahrensgang
vorgehend KG Berlin, 6. Oktober 2022, Az: 27 U 1014/20
vorgehend LG Berlin, 19. März 2020, Az: 58 O 69/19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 6. Oktober 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 27.231,08 € Zug um Zug gegen Übergabe des erworbenen Fahrzeugs, die Berufungsanträge zu 2 und zu 3 sowie der Berufungsantrag zu 4 in Höhe eines für erledigt erklärten Betrags von 2.266,34 € betreffend die deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb im April 2011 von der Beklagten einen von ihr hergestellten neuen Mercedes-Benz GLK 250 CDI 4MATIC BlueEfficiency, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte er teilweise über ein Darlehen.
3
Der Kläger hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten der kaufrechtlichen Gewährleistung und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt den Ersatz der geleisteten Kaufpreisanzahlung und Darlehensraten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) sowie die Feststellung der Erledigung des ursprünglich weitergehenden Antrags zu 1 (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) verlangt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter, soweit er die Anträge auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
7
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 826 BGB nicht zu. Er habe weder greifbare Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise einer Abschalteinrichtung aufgezeigt noch weitere Umstände dargelegt, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Auch ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sei nicht gegeben. Die Vorschriften der EG-FGV bezweckten nicht den Schutz des Interesses eines individuellen Käufers, kein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben, und dienten insbesondere nicht seinem Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit.
II.
8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
9
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12
Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der – bislang lediglich unterstellten – Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer
Möhring
Katzenstein
Ostwaldt Tausch