BGH 6. Zivilsenat, Beschluss vom 25.03.2025, AZ VIa ZB 28/23, ECLI:DE:BGH:2025:250325BVIAZB28.23.0
Verfahrensgang
vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Oktober 2023, Az: 5 U 60/23
vorgehend LG Cottbus, 21. Februar 2023, Az: 3 O 250/20
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2. Oktober 2023 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 4.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Beklagte wendet sich
gegen die Verwerfung ihrer Berufung.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem im Februar 2011 von einem Händler zu einem Kaufpreis von 22.620 € erworbenen VW Polo 1,6 TDI in Anspruch, der mit einem von der Beklagten konstruierten und hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgerüstet ist. Der Händler hatte das Fahrzeug zu einem Preis von 19.227 € von der Beklagten gekauft.
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Das Landgericht hat die Beklagte unter Anrechnung eines Nutzungsvorteils in Höhe von 13.506,25 € zur Zahlung von 9.113,75 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Ob der Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB verjährt sei, könne dahinstehen, da die Klägerin die Zahlung dann aus § 852 BGB verlangen könne. Insbesondere habe die Beklagte durch die unerlaubte Handlung auf Kosten der Klägerin eine Zahlung von 19.227 € erlangt.
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Mit ihrer Berufung hat die Beklagte beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage insoweit abzuweisen, als das Landgericht bei der Berechnung des Erlangten im Sinne von § 852 BGB hinter den Vorgaben des Bundesgerichtshofs zurückgeblieben sei, indem es bei der Berechnung des Schadensersatzes die den Anspruch in der Höhe reduzierenden Positionen in Form der Händlermarge und des Nutzungsersatzes nicht vollständig in Abzug gebracht habe.
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Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 24. Mai 2023 hat das Berufungsgericht die Beklagte darauf hingewiesen, es erachte die Berufung als unzulässig, da weder dem Berufungsantrag noch der Berufungsbegründung zu entnehmen sei, dass die Beklagte das landgerichtliche Urteil in einem größeren Umfang als 600 € angreifen wolle. Eine Stellungnahme der Beklagten hierzu ist nicht erfolgt. Mit Beschluss vom 2. Oktober 2023 hat das Berufungsgericht die Berufung aus den Gründen der Hinweisverfügung als unzulässig verworfen.
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Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Sie macht geltend, die angefochtene Entscheidung erschwere aufgrund einer Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz den Zugang zur Rechtsmittelinstanz in unzumutbarer, nicht mehr zu rechtfertigender Weise und sei deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Das Berufungsgericht überspanne die Anforderungen an den Berufungsantrag nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO, da aus dem Berufungsvorbringen eindeutig hervorgehe, dass die Beklagte das erstinstanzliche Urteil in Bezug auf die Anspruchshöhe in einem größeren Umfang als 600 €, nämlich in Höhe der Händlermarge von 3.393 €, angreife.
II.
7
Die
gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
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1. Es kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht in Bezug auf die Erwachsenheitssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Anforderungen an den Berufungsantrag nach
§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO derart überspannt hat, dass zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist.
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2. Der Geltendmachung der etwaigen Verletzung des Grundrechts der Beklagten auf Gewährung effektiven Rechtschutzes steht jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
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a) Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, NJW-RR 2016, 699 Rn. 4; Beschluss vom 12. Januar 2022 – VII ZB 37/21, ZfBR 2022, 356 Rn. 7; Beschluss vom 31. Juli 2023 – VIa ZB 25/22, juris Rn. 11). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren. Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten. Nichts anderes kann für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten (vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – VII ZB 37/21, aaO; Beschluss vom 31. Juli 2023 – VIa ZB 25/22, aaO).
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b) Gemessen daran hat es die Beklagte versäumt, auf den Hinweis des Vorsitzenden vom 24. Mai 2023 die jetzt geltend gemachte Grundrechtsverletzung zu rügen.
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aa) Die Möglichkeit zur Stellungnahme dient nach allgemeiner Auffassung dem Zweck, dem Berufungsführer das rechtliche Gehör zu gewähren. Diesem soll Gelegenheit gegeben werden, sich zu der vom Berufungsgericht beabsichtigten Verwerfung seines Rechtsmittels zu äußern. Dieser Zweck der Vorschrift würde verfehlt, wenn man dem Berufungskläger die Wahl ließe, ob er eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder auf effektiven Rechtsschutz innerhalb einer ihm eingeräumten Stellungnahmemöglichkeit oder erst in einem sich anschließenden Rechtsbeschwerdeverfahren rügt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – VII ZB 37/21,ZfBR 2022, 356Rn.10 mwN).
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bb) Der Beklagten war durch die ihr vom Berufungsgericht eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Hinweis die Möglichkeit eröffnet, dem Berufungsgericht vor Augen zu führen, weshalb die Berufungsbegründungsschrift nach ihrer Auffassung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO gerecht geworden, die Erwachsenheitssumme von 600 € gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts überschritten und die Berufung somit zulässig sei. Eine Stellungnahme der Beklagten auf den Hinweis erfolgte jedoch nicht.
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c) Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht der Beklagten keine Frist zur Stellungnahme zum Hinweis gesetzt hat.
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aa) Soll der Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz darin liegen, dass eine Partei auf einen Hinweis nicht rechtzeitig reagiert hat, kann diese einschneidende Folge allerdings nur dann gerechtfertigt werden, wenn der Partei vom Gericht eine Frist gesetzt worden ist oder so viel Zeit seit dem Hinweis verstrichen ist, dass – gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung außergewöhnlicher Umstände – mit einer Stellungnahme nicht mehr gerechnet werden kann (BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – VI ZB 79/19, NJW-RR 2020, 1519 Rn. 8).
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Ein Hinweis nach § 139 ZPO macht nur dann Sinn, wenn der Partei zugleich Gelegenheit gegeben wird, auf den Hinweis zu reagieren. Das Gericht ist jedoch weder in jedem Fall verpflichtet, der Partei dafür eine Frist zu setzen noch hat es bei einer Hinweisverfügung ohne Fristsetzung beliebig lange zuzuwarten, bis sich die betroffene Partei auf den ihr erteilten Hinweis äußert, noch muss es, solange es an einer Reaktion der Partei fehlt, eine beabsichtigte Entscheidung „vorankündigen“ (BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – VIII ZB 109/05, NJW 2007, 1887 Rn. 6). Erteilt das Gericht einen schriftlichen Hinweis, ohne dass der Partei eine Frist zur Stellungnahme gesetzt wird, ist diese entsprechend dem Rechtsgedanken des § 282 Abs. 1 ZPO gehalten, darauf so rechtzeitig zu reagieren, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf die Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Welcher Zeitraum der Partei danach zuzubilligen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – VIII ZB 109/05, aaO, Rn. 7).
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bb) Vorliegend hatte das Berufungsgericht die Beklagte mit Verfügung des Vorsitzenden vom 24. Mai 2023 ausführlich und eindeutig auf seine Bedenken hinsichtlich des Erreichens der Erwachsenheitssumme nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hingewiesen. Deren Prozessbevollmächtigter hätte daraufhin – ohne dass weitere Nachfragen bei der Partei oder weitere Erkundigen durch die Partei erforderlich waren – aufzeigen können, weshalb sich seiner Berufungsbegründung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts entnehmen lasse, dass die Beklagte das landgerichtliche Urteil in einem den Wert von 600 € übersteigenden Umfang angreift. Bei dieser Sachlage durfte die Beklagte sich mit einer Reaktion jedenfalls nicht mehr als vier Monate Zeit lassen. Das Berufungsgericht konnte deshalb bei dem Erlass des angefochtenen Beschlusses am 2. Oktober 2023 davon ausgehen, dass mit einer Stellungnahme nicht mehr zu rechnen sei (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – VIII ZB 109/05, NJW 2007, 1887 Rn. 8 f.).
18
d) Damit hat die Beklagte die ihr eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt. Dies in dritter Instanz nachzuholen, ist ihr verwehrt (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2023 – VIa ZB 25/22, juris Rn. 12).
C. Fischer Möhring Katzenstein
Ostwaldt Tausch