BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 19.03.2025, AZ VII ZB 30/24, ECLI:DE:BGH:2025:190325BVIIZB30.24.0
§ 788 Abs 1 S 1 ZPO, § 845 ZPO
Leitsatz
Eine Vorpfändung nach § 845 ZPO ist notwendig im Sinne von § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte die Besorgnis besteht, dass dem Gläubiger ohne sie bei späterer Pfändung Rangnachteile entstehen oder bis dahin beeinträchtigende Verfügungen über das zu pfändende Recht erfolgen.
Es ist Sache des eine Festsetzung der Kosten einer Vorpfändung begehrenden Gläubigers, die tatsächlichen Anhaltspunkte darzulegen, welche zum Zeitpunkt der Vornahme der Vorpfändung eine solche Besorgnis begründeten.
Verfahrensgang
vorgehend LG Kassel, 11. Juni 2024, Az: 3 T 340/22
vorgehend AG Melsungen, 11. April 2022, Az: 21 M 848/21
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 11. Juni 2024 – 3 T 340/22 – wird zurückgewiesen.
Die Gläubigerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Gegenstandswert: 285,70 €
Gründe
I.
1
Die Gläubigerin begehrt die Festsetzung von Vollstreckungskosten für eine Vorpfändung nach § 845 ZPO.
2
Mit dem Schuldner am 7. Juni 2021 zugestellten, für vorläufig vollstreckbar erklärten Urkundenvorbehaltsurteil vom 2. Juni 2021 hat das Landgericht Kassel – 9 O 1989/20 – den Schuldner zur Zahlung von 21.676,27 € nebst Zinsen an die Gläubigerin verurteilt. Gemäß Auftrag der Gläubigerin mit Schreiben vom 28. Juni 2021 stellte der Gerichtsvollzieher der Drittschuldnerin am 5. Juli 2021 ein vorläufiges Zahlungsverbot nach § 845 ZPO zu; die Zustellung an den Schuldner erfolgte am 7. Juli 2021. Zwischenzeitlich hatte der Schuldner am 2. Juli 2021 eine Zahlung von 22.940,60 € an die Gläubigerin geleistet. Einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hat die Gläubigerin daraufhin nicht mehr beantragt.
3
Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht -mit Beschluss vom 11. April 2022 von dem Schuldner an die Gläubigerin zu erstattende Vollstreckungskosten von insgesamt 285,70 € festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei den Kosten für das vorläufige Zahlungsverbot gemäß § 845 ZPO um notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung im Sinne von § 788 ZPO handele.
4
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts abgeändert und den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung der Kosten der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Gläubigerin mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners begehrt.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO, aber unbegründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
7
Die geltend gemachten Kosten seien nicht festsetzungsfähig. Die Kosten der Vorpfändung nach § 845 ZPO, deren Voraussetzungen hier vorgelegen hätten, würden zwar grundsätzlich von § 788 ZPO erfasst. Sie fielen dem Schuldner aber nur zur Last, wenn sie sich als notwendig im Sinne von § 91 ZPO erwiesen. Danach seien alle Kosten zu erstatten, soweit sie zu der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig gewesen seien. Die Notwendigkeit der geltend gemachten Kosten bestimme sich nach Art und Umfang der jeweils getroffenen Vollstreckungsmaßnahme. Der Gläubiger habe die Kosten möglichst niedrig zu halten. Die Kosten einer Vorpfändung seien nach der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließe, nicht zu erstatten, wenn der Gläubiger keinen begründeten Anlass zu der Besorgnis gehabt habe, ohne eine Vorpfändung seine Forderung nicht realisieren zu können. Tatsachen, nach denen sie begründeten Anlass zu einer derartigen Besorgnis gehabt habe, habe die Gläubigerin aber nicht vorgetragen.
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2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Nach § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO fallen die Kosten der Zwangsvollstreckung, soweit sie notwendig waren (§ 91 ZPO), dem Schuldner zur Last. Notwendig sind diese Kosten, wenn sie für eine Maßnahme angefallen sind, die der Gläubiger zum Zeitpunkt ihrer Vornahme bei verständiger Würdigung der Sachlage zur Durchsetzung seines titulierten Anspruchs objektiv für erforderlich halten durfte (st. Rspr., siehe nur BGH, Beschluss vom 5. Juni 2014 – VII ZB 21/12 Rn. 8 m.w.N., NJW 2014, 2508; Beschluss vom 17. Oktober 2018 – I ZB 13/18 Rn. 6, NZM 2019, 336). Was der Gläubiger für objektiv erforderlich halten darf, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie der Wirkungen der in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme.
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Auch in der Zwangsvollstreckung hat der Gläubiger seine Maßnahmen zur Wahrung seiner Rechte so einzurichten, dass die Kosten möglichst niedrig gehalten werden (st. Rspr., siehe nur BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – VII ZB 88/08 Rn. 8, NJW 2010, 1007; Beschluss vom 17. Oktober 2018 – I ZB 13/18 Rn. 6, NZM 2019, 336). Allerdings darf dieser Grundsatz nicht dazu führen, dass er in seinen berechtigten Belangen, wozu das Interesse an einer schnellen Vollstreckung zählt, beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – VII ZB 88/08 Rn. 17 m.w.N., NJW 2010, 1007).
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b) Nach diesem Maßstab kann allein von der Zulässigkeit der Vollstreckungsmaßnahme nicht auf die von § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO verlangte Notwendigkeit der Kosten geschlossen werden (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29. Dezember 1993 – 3 WF 142/93, MDR 1994, 843, juris Rn. 2; LG München II, Beschluss vom 17. Dezember 2012 – 6 T 3151/12, AGS 2013, 539, juris Rn. 47; a.A. KG, Beschluss vom 9. Dezember 1986 – 1 W 2944/86, MDR 1987, 595; Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO, 5. Aufl., § 788 Rn. 82).
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Eine Vorpfändung gemäß § 845 ZPO erweist sich entgegen der Auffassung der Rechtbeschwerde auch nicht schon dann als notwendig im Sinne von § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 91 ZPO, wenn der Schuldner nach einer den Umständen des Einzelfalls angemessenen Zeit nicht freiwillig leistet (so aber Musielak/Voit/Flockenhaus, 21. Aufl., § 845 Rn. 10; siehe auch Kern/Diehm/Elden/Frauenknecht, ZPO, 2. Aufl., § 845 Rn. 8). Denn dies kann lediglich für die Erforderlichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung des Anspruchs, mithin einer Zwangsvollstreckung überhaupt sprechen. Indes folgt hieraus nicht, dass die – zusätzliche Kosten verursachende – Maßnahme der Vorpfändung objektiv für erforderlich gehalten werden darf, um die Wirksamkeit einer späteren Zwangsvollstreckung zu sichern. Soweit eine Vorpfändung demgegenüber unabhängig von einer weiteren Zwangsvollstreckung nur als eine möglicherweise besonders wirksame Art der Zahlungsaufforderung eingesetzt wird, entspricht dies nicht ihrem Sinn und Zweck, sodass eine Kostenerstattung unter diesem Aspekt nicht in Betracht kommt (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. Juli 1973 – 11 W 1248/73, NJW 1973, 2070, 2071; LAG Köln, Beschluss vom 12. Januar 1993 – 14 Ta 228/92, MDR 1993, 915).
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c) Ein Gläubiger darf eine Vorpfändung zur Durchsetzung seines titulierten Anspruchs vielmehr nur dann objektiv für erforderlich halten, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage Beeinträchtigungen einer späteren Zwangsvollstreckung zu befürchten sind, vor denen die Vorpfändung schützen kann. Mithin ist die Vorpfändung notwendig im Sinne von § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte die Besorgnis besteht, dass dem Gläubiger ohne sie bei späterer Pfändung Rangnachteile entstehen oder bis dahin beeinträchtigende Verfügungen über das zu pfändende Recht erfolgen. Denn zum einen wirkt die Vorpfändung rangwahrend, so dass sie geeignet ist, den Gläubiger vor dem Schaden zu bewahren, der ihm durch die Verzögerung einer gerichtlichen Pfändung entstehen könnte (vgl. LG München II, Beschluss vom 17. Dezember 2012 – 6 T 3151/12, AGS 2013, 539, juris Rn. 47; Anders/Gehle/Nober, ZPO, 83. Aufl., § 845 Rn. 4 m.w.N.), etwa durch einen Rangnachteil nach § 804 Abs. 3 ZPO (vgl. MünchKommZPO/Smid, 6. Aufl., § 845 Rn. 1). Zum anderen schützt die Vorpfändung den Gläubiger dank der relativen Unwirksamkeit gemäß §§ 136, 135 BGB bei Verstößen gegen das Verfügungsverbot (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 109/05 Rn. 6, NJW 2007, 81) vor beeinträchtigenden Verfügungen bis zur Pfändung, da bereits die Benachrichtigung des Drittschuldners durch den Gläubiger nach § 845 ZPO die hoheitliche Wirkung einer Verstrickung der betroffenen Forderung herbeiführt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2001 – IX ZR 9/99, NJW 2001, 2976, juris Rn. 16).
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d) Es ist Sache des eine Kostenfestsetzung begehrenden Gläubigers, die tatsächlichen Anhaltspunkte darzulegen, welche zum Zeitpunkt der Vornahme der Vorpfändung die Besorgnis begründeten, dass ohne sie bei späterer Pfändung Rangnachteile entstehen oder bis dahin beeinträchtigende Verfügungen über das zu pfändende Recht erfolgen und der Anspruch nicht oder nur teilweise oder nur zeitverzögert durchgesetzt werden kann. Einen entsprechenden Vortrag der Gläubigerin hat das Beschwerdegericht zu Recht vermisst. Solchen zeigt auch die Rechtsbeschwerde nicht auf.
III.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Pamp Halfmeier Jurgeleit
Sacher Hannamann