Beschluss des BGH 7. Zivilsenat vom 06.03.2025, AZ VII ZR 224/23

BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 06.03.2025, AZ VII ZR 224/23, ECLI:DE:BGH:2025:060325BVIIZR224.23.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Dresden, 3. November 2023, Az: 22 U 1984/22
vorgehend LG Chemnitz, 30. August 2022, Az: 2 O 900/17 (2)

Tenor

Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. November 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 11. Januar 2024 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht den Beklagten auf die Berufung der Klägerin unter Abänderung des Urteils der 2. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 30. August 2022 zur Zahlung von 21.552,95 € zuzüglich Zinsen verurteilt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 21.552,95 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin fordert – soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch von Interesse – die Zahlung restlichen Werklohns nach Beendigung eines Bauvertrags.

2

Der Beklagte beauftragte die Klägerin auf der Grundlage eines Angebots vom 18. September 2015 mit der Erbringung von Rohbauarbeiten für ein Umbauvorhaben in A.    zu einem Vertragspreis in Höhe von 106.668,73 € brutto. Die Parteien vereinbarten im Januar und Februar 2016 insgesamt drei Nachträge über „Schornstein“, „Dacheindeckung“ und „Dachfenster“ mit einem Gesamtvolumen von 80.495,56 € brutto. Der Beklagte leistete an die Klägerin insgesamt Abschlagszahlungen in Höhe von 136.741,21 €. Der Beklagte zeigte im Juni 2016 Mängel an, unter anderem eine abweichende Dachkonstruktion, und forderte die Klägerin unter Fristsetzung erfolglos zur Beseitigung der Mängel auf. Die Klägerin forderte ihrerseits den Beklagten zwischen Juli 2016 und Februar 2017 mehrfach erfolglos zur Leistung einer Bauhandwerkersicherung auf. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Klägerin habe ihren Anspruch auf Sicherheitsleistung verwirkt, weil sie hierauf verzichtet habe. Die Klägerin hat die Sicherheitsleistung in einem gesonderten Rechtsstreit gegen den Beklagten geltend gemacht, der mit einem Vergleich endete. Die Sicherheit wurde anschließend vom Beklagten geleistet.

3

Mit Schreiben vom 28. Februar 2017 kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis unter Hinweis darauf, dass ihm jegliches Vertrauen fehle. Der Beklagte untersagte der Klägerin zudem eine alleinige Baustellenbegehung aus jeglichem Grund. Eine Abnahme erfolgte nicht.

4

Mit Schlussrechnung vom 17. Februar 2017 stellte die Klägerin dem Beklagten einen Betrag in Höhe von 60.308,34 € in Rechnung und setzte eine Frist zur Begleichung der Rechnung bis zum 20. März 2017. Der Beklagte verweigerte jegliche Zahlung unter Hinweis auf bestehende Mängel.

5

Die Klägerin hat mit der Klage unter Abzug eines Betrags von 5.000 € pauschal für Mängel die Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 55.308,34 € verlangt. Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten eingeholt, wonach sich die Schlussrechnungssumme ohne Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen auf einen Betrag in Höhe von 186.435,50 € reduziere. Die Bruttosanierungskosten für die Beseitigung der beanstandeten Mängel wurden mit 37.500 € ermittelt. Innerhalb der vom Landgericht gesetzten Frist zur Stellungnahme auf das Sachverständigengutachten hat der Beklagte keine weiteren Einwendungen zur Höhe der Schlussrechnung erhoben.

6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin den Beklagten zur Zahlung in Höhe von 21.552,95 € zuzüglich Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Eine vom Beklagten in der Berufungsinstanz erhobene Widerklage, die mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht weiterverfolgt wird, hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde möchte der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erreichen.

II.

7

D
ie Beschwerde
des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

1. Das Berufungsgericht führt, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

9

Die Klägerin könne vom Beklagten für das Bauvorhaben einen Restwerklohn in Höhe von 21.552,95 € verlangen. Schlussrechnung sei – im Abrechnungsverhältnis – gelegt worden; auf eine Abnahme komme es angesichts der Kündigung mit Betretungsverbot nicht an. Die Erklärung vom 28. Februar 2017 stelle sich als freie Kündigung des Beklagten dar. Die Klägerin habe sich auf ihr Recht, eine Bauhandwerkersicherung vom Beklagten zu fordern, berufen, dies sei nicht treuwidrig gewesen. Der Anspruch auf Stellung der Sicherheit sei nach § 648a Abs. 7 BGB in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung, Art. 229 § 39 EGBGB, (im Folgenden: § 648a BGB a.F.) nicht abdingbar. Solange der Beklagte dieser Forderung nicht nachgekommen sei, habe die Klägerin nicht in Verzug geraten können.

10

Die Parteien befänden sich im Abrechnungsverhältnis. Der Beklagte sei nicht mehr gewillt gewesen, dass die Klägerin weiterhin als Werkunternehmerin auf der Baustelle agierte.

11

Der Restvergütungsanspruch der Klägerin sei um den infolge von Mängeln entstandenen Minderwert zu kürzen. Soweit die Mängelbeseitigung möglich sei, sei die Vergütung um die Kosten zu kürzen, die notwendig seien, um die Mängel beseitigen zu lassen.

12

Auszugehen sei von einer Schlussrechnungssumme in Höhe von 169.833,70 € netto. Anders als der Gerichtssachverständige meine, sei die Summe der Schlussrechnung nicht um einen Betrag in Höhe von 8.345,64 € (Dachfenster) zu kürzen. Denn die Klägerin habe die Velux-Fenster eingebaut, ohne dass vorgeschrieben gewesen sei, in welcher Kombination dies habe erfolgen müssen. Weitere Einwendungen zur Schlussrechnungssumme habe der Beklagte – im Anschluss an das Gerichtsgutachten und den Beschluss des Landgerichts vom 8. Mai 2019, welcher eine Belehrung gemäß § 411 Abs. 4 Satz 2, § 296 Abs. 1 ZPO enthalten habe – nicht erhoben. Unter Berücksichtigung der zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten in Höhe von 37.220,91 € und den vom Beklagten geleisteten Abschlagszahlungen ergebe sich noch ein restlicher Werklohnanspruch zugunsten der Klägerin in Höhe von 21.552,95 €.

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2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht, wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht rügt, auf einer Verletzung des Rechts des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), soweit das Berufungsgericht den Beklagten in Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung zur Zahlung von restlichem Werklohn in Höhe von 21.552,95 € zuzüglich Zinsen verurteilt hat.

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a) Bleibt ein Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig
fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie derjenigen des § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (BGH, Beschluss vom 27. September 2023 – VII ZR 113/22 Rn. 14, juris; Beschluss vom 20. März 2019 – VII ZR 182/18 Rn. 15 m.w.N., BauR 2019, 1207 = NZBau 2019, 365).

15

b)
Ein solcher Fall liegt vor.

16

Das Berufungsgericht hat das qualifizierte Bestreiten der Schlussrechnungssumme durch den Beklagten in erster Instanz (vgl. Schriftsatz vom 30. Januar 2018, GA I 82 ff., und vom 25. Januar 2022, GA III 589 ff., Anlage B 19), das dieser in zweiter Instanz aufrechterhalten und wiederholt hat (vgl. Berufungsbegründung vom 6. Dezember 2022, GA OLG 63 ff., Schriftsatz vom 14. Februar 2023, GA OLG 129 ff., vom 17. Mai 2023, GA OLG 193 f., vom 15. Juni 2023, GA OLG 218 f., und vom 14. September 2023, GA OLG 266 f.), nicht berücksichtigt. Es hat vielmehr ausgeführt, der Beklagte habe weitere Einwendungen gegen die Schlussrechnungspositionen – im Anschluss an das Gutachten des Sachverständigen Lebe und den Beschluss des Landgerichts vom 8. Mai 2019, welcher mit einer Belehrung gemäß § 411 Abs. 4 Satz 2, § 296 Abs. 1 ZPO versehen gewesen sei, – nicht vorgebracht. Hiermit hat es zum Ausdruck gebracht, weiteren Vortrag außerhalb der gesetzten Frist inhaltlich nicht beachten zu können. Das ist eine offenkundig fehlerhafte Anwendung der Präklusionsvorschriften.

17

aa) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben nach § 531 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen. Zu den Angriffs- und Verteidigungsmitteln zählen insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden (vgl. § 282 Abs. 1 ZPO). § 531 Abs. 1 ZPO ist nur anwendbar auf Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in erster Instanz nach § 296 Abs. 1 oder 2 ZPO oder nach § 340 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen oder nicht zugelassen worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2019 – VII ZR 182/18 Rn. 17, BauR 2019, 1207 = NZBau 2019, 365; Beschluss vom 21. März 2013 – VII ZR 58/12 Rn. 10, BauR 2013, 1146 = NZBau 2013, 433). Macht das Landgericht von der Möglichkeit keinen Gebrauch, Vorbringen einer Partei gemäß § 411 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückzuweisen, ist § 531 Abs. 1 ZPO in der Berufungsinstanz nicht anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2019 – VII ZR 182/18 Rn. 17, BauR 2019, 1207 = NZBau 2019, 365; Beschluss vom 21. März 2013 – VII ZR 58/12 Rn. 10, BauR 2013, 1146 = NZBau 2013, 433 m.w.N.).

18

bb) Dies hat das Berufungsgericht in offensichtlich verfahrensfehlerhafter Weise verkannt.

19

Das Landgericht hat von der Möglichkeit einer Präklusion gemäß § 411 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO keinen Gebrauch gemacht. Es hat nicht festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Präklusion gemäß § 411 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO vorlagen. Der bloße Fristablauf genügt allein nicht, um späteres Vorbringen als präkludiert anzusehen. Hinzukommen muss die Feststellung, dass hierdurch der Rechtsstreit verzögert würde und die Partei die Verspätung nicht ausreichend entschuldigt hat. Solche Feststellungen enthält das landgerichtliche Urteil, für dessen Entscheidung es hierauf nicht ankam, nicht.

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c) Das Berufungsurteil beruht, soweit es den Beklagten zur Zahlung von 21.552,95
€ zuzüglich Zinsen verurteilt hat, auf der Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Bestreitens des Beklagten
die Klage in weiterem Umfang oder insgesamt abgewiesen
hätte.

21

Entgegen der Auffassung der Klägerin fehlt es nicht an der Entscheidungserheblichkeit des mit der Beschwerde beanstandeten Gehörsverstoßes, weil der Beklagte es unterlassen hat, sein Vorbringen weiter zu substantiieren, nachdem die Klägerin zu seinen Einwendungen gegen die Schlussrechnungssumme in erster Instanz im Einzelnen Stellung genommen hatte. Ein Gehörsverstoß scheidet zwar aus, wenn das vom Gericht nicht berücksichtigte Vorbringen von seinem Rechtsstandpunkt aus unerheblich oder unsubstantiiert gewesen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2020 – 2 BvR 854/20 Rn. 26, NVwZ-RR 2021, 131; BGH, Beschluss vom 28. März 2023 – VI ZR 29/21 Rn. 7, MDR 2023, 794; Beschluss vom 3. April 2019 – VII ZR 121/18 Rn. 9, IHR 2019, 201 jeweils m.w.N.). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen des Beklagten nicht etwa im Hinblick auf den in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin für nicht hinreichend substantiiert gehalten, sondern dieses insgesamt für nicht berücksichtigungsfähig gehalten.

Halfmeier                       Jurgeleit                       Graßnack

               Sacher                            Hannamann

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