Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 18.02.2025, AZ VIa ZR 1203/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 18.02.2025, AZ VIa ZR 1203/22, ECLI:DE:BGH:2025:180225UVIAZR1203.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Nürnberg, 15. Juli 2022, Az: 5 U 2955/21
vorgehend LG Amberg, 15. Juli 2021, Az: 21 O 143/21

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung – mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten – zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb
im September 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz Vito 116d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist.

3

Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) sowiedie Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantragzu II) begehrt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5

Die Berufung des Klägers war, was der Senat als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu überprüfen hat (vgl. BGH, Urteil vom 19.
November 2020 – I ZR 110/19, IHR 2023, 85 Rn. 12; Urteil vom 7. November 2022 – VIa ZR 737/21, juris Rn. 6; Beschluss vom 25. April 2023 – VIII ZR 184/21, juris Rn. 11), zulässig. Insbesondere genügte die Berufungsbegründung den Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Berufung des Klägers war, was der Senat als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu überprüfen hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2020 – I ZR 110/19, IHR 2023, 85 Rn. 12; Urteil vom 7. November 2022 – VIa ZR 737/21, juris Rn. 6; Beschluss vom 25. April 2023 – VIII ZR 184/21, juris Rn. 11), zulässig. Insbesondere genügte die Berufungsbegründung den Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 20. November 2023 – VIa ZR 319/22, juris Rn. 8; Urteil vom 4. Februar 2025 – VIa ZR 1201/22, juris Rn. 6).

II.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Dem Kläger stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch nicht zu. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG
FGV scheide aus, weil diese Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezweckten. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden, so dass ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bestehe.

III.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

9

1.
Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass dasBerufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

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2.
Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nichtdurch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245
Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

IV.

12

Der angefochtene Beschluss ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die
erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtungsowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einerHaftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                   
Brenneisen                   
Messing

               
Katzenstein                  
F. Schmidt

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