BSG, Beschluss vom 04.02.2025, AZ B 5 R 103/24 B, ECLI:DE:BSG:2025:040225BB5R10324B0
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Juni 2024 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
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Er bezieht seit dem 17.7.1986 eine große Witwerrente, auf die die Beklagte anfangs Erwerbseinkommen des Klägers aus einer selbständigen Tätigkeit als Musiker anrechnete. Nachdem der Kläger angab, aus der selbständigen Tätigkeit nur Verluste zu erzielen, gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 24.6.1998 ab Juli 1997 fortlaufend eine ungekürzte große Witwerrente. Die Rentenhöhe wurde in der Folgezeit durch Anpassungsbescheide geändert.
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Nachdem die Beklagte nach Vorlage der Steuerbescheide durch das zuständige Finanzamt Kenntnis von dem Erwerbseinkommen des Klägers erlangte, nahm sie nach Anhörung die Rentenbewilligung für Juli 2001 bis Dezember 2009 teilweise zurück und forderte vom Kläger Erstattung iHv 5116,19 Euro
(Bescheid vom 7.1.2022; Widerspruchsbescheid vom 16.3.2022). Das SG hat der Klage stattgegeben, weil die Beklagte es versäumt habe, neben dem Ausgangsbescheid vom 24.6.1998 auch die Rentenanpassungsbescheide aufzuheben
(Urteil vom 26.7.2023). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die im Verlauf der streitigen Zeit ergangenen Rentenanpassungsmitteilungen hätten keine eigenständigen Regelungen über das Unterbleiben einer Einkommensanrechnung enthalten. Sie seien in Bezug auf eine Anrechnung von Einkommen auf die Witwerrente keine Verwaltungsakte gewesen und hätten daher entgegen der Auffassung des SG keiner gesonderten Aufhebung bedurft
(Urteil vom 12.6.2024).
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Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz geltend.
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II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen.
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a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. In der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten revisiblen Norm iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt
(stRspr; zB BSG Beschluss vom 15.11.2024 – B 5 R 1/24 B – juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
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- Der Kläger bezeichnet folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:
- „Ist eine Korrektur- und Erstattungsentscheidung auch dann noch hinreichend bestimmt gemäß § 33 Abs. 1 SGB X, wenn bei einer teilweisen Aufhebung einer Witwenrente eine undefinierte `Rentenhöhe` für einen bestimmten Zeitraum wegen des Bezugs eines höheren Arbeitseinkommens (Einkünfte aus Gewerbebetrieb und selbständiger Tätigkeit) zugrunde gelegt und lediglich eine Erstattungsgesamtsumme durch die Beklagte gefordert wird?“
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Der Senat lässt offen, ob der Kläger damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet hat
(vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen zB BSG Beschluss vom 28.11.2023 – B 5 R 118/23 B – juris RdNr 8). Jedenfalls hat er die Klärungsbedürftigkeit der benannten Frage nicht in der gebotenen Weise dargelegt.
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Wie der Kläger selbst vorträgt, hat das BSG sich bereits in diversen Entscheidungen mit der Auslegung und Bestimmtheit von Verwaltungsakten iS von § 33 Abs 1 SGB X auseinandergesetzt
(Nachweise in BSG Urteil vom 5.4.2023 – B 5 R 4/22 R – juris RdNr 25 f mwN). Deshalb hätte der Kläger im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit näher aufzeigen müssen, dass sich aus den von ihm zitierten Urteilen oder aus anderen Entscheidungen des BSG zur Bestimmtheit und Auslegung von Verwaltungsakten die von ihm aufgeworfene Frage nicht schon beantworten lässt. Dies gilt insbesondere für die von dem Kläger erwähnte Entscheidung des 5. Senats vom 20.3.2013
(B 5 R 16/12 R), die ebenfalls einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wegen der Anrechnung von Einkommen auf eine Hinterbliebenenrente zum Gegenstand hatte.
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Soweit der Kläger darauf hinweist, das LSG Schleswig-Holstein habe mit Urteil vom 22.6.2022
(L 1 R 145/19) die Revision im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage der Bestimmtheit einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung zugelassen, und diese Revision sei vor dem BSG
(B 5 R 17/22 R) durch Vergleich beendet worden, begründet allein der Umstand, dass das LSG Schleswig-Holstein die Rechtsauffassung des BSG in der Entscheidung vom 20.3.2013 möglicherweise nicht für durchgehend überzeugend hält, keinen weiteren Klärungsbedarf
(vgl BSG Beschluss vom 28.11.2023 – B 5 R 118/23 B – juris RdNr 10). Auch der Vortrag, dass der hier angefochtene Bescheid bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg in seinen Urteilen vom 17.6.2020
(L 16 R 55/19) und vom 9.1.2023
(L 16 R 144/22) nicht dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entspreche, vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen
(vgl BSG Beschluss vom 28.11.2023 aaO).
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Inwiefern aus der Rechtsprechung des Senats
(Urteil vom 6.7.2022 – B 5 R 21/21 R – BSGE 134, 237 = SozR 4-1300 § 63 Nr 32) zu den Anforderungen an die Begründung
(vgl § 35 SGB X) eines Rentenbescheids eine erneute Klärungsbedürftigkeit der Anforderungen in Bezug auf die Auslegung und Bestimmtheit von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden folgen könnte, legt die Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar dar
(vgl BSG Beschluss vom 28.11.2023 – B 5 R 118/23 B – juris RdNr 11).
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Soweit der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf den Rechtscharakter und den (beschränkten) Regelungsgehalt von Rentenanpassungsmitteilungen sehen sollte, hat er weder eine hinreichend konkrete Rechtsfrage formuliert noch eine Klärungsbedürftigkeit in der gebotenen Weise dargelegt. Vielmehr verweist er insoweit selbst auf die hierzu ergangene einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG
(BSG Urteil vom 23.3.1999 – B 4 RA 41/98 R – SozR 3-1300 § 31 Nr 13; vgl auch BSG Beschluss vom 3.7.2019 – B 5 R 122/19 B – juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 17.10.2017 – B 13 R 11/15 BH – juris RdNr 6). Schließlich vermag auch die von dem Kläger geltend gemachte – vermeintlich – fehlerhafte Beurteilung der angefochtenen Bescheide durch das LSG in seinem Einzelfall die Beschwerde nicht zu stützen
(vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2023 – B 5 R 69/23 B – juris RdNr 10 mwN).
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b) Der Kläger hat auch nicht den Zulassungsgrund einer Divergenz hinreichend bezeichnet.
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Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Deshalb besteht eine Abweichung nicht schon dann, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Beschwerdebegründung muss daher erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht
(vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 12.5.2022 – B 5 R 3/22 B – juris RdNr 6 mwN).
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Soweit der Kläger den Urteilen des BSG vom 8.12.2020
(B 4 AS 46/20 R – BSGE 131, 128 = SozR 4-1300 § 45 Nr 24) und vom 20.3.2013
(B 5 R 16/12 R) als Rechtssätze entnehmen wollte, dass die Teilaufhebung früherer Bewilligungen nur dann hinreichend bestimmt sei, wenn diese für genau bezeichnete Leistungen und Zeitabschnitte erklärt werde, was voraussetze, dass für den Bescheidempfänger die Höhe des verbleibenden monatlichen Zahlungsanspruchs ebenso wie dessen (neuer) Beginn erkennbar sei, stellt er diesen keinen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG gegenüber. Aus den von ihm zitierten Textpassagen aus dem angefochtenen Berufungsurteil ergibt sich ein solcher nicht. Vielmehr handelt es sich dort um auf seinen Einzelfall bezogene Ausführungen des LSG im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung. Zwar kann das LSG einen abweichenden entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz auch nur implizit zugrunde legen, indem es einen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden abstrakten Rechtssatz nur sinngemäß und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet entwickelt hat. In einem solchen Fall muss der Beschwerdeführer jedoch darlegen, dass sich aus den Ausführungen des Berufungsurteils unzweifelhaft der sinngemäß zugrunde gelegte abstrakte Rechtssatz schlüssig ableiten lässt, den das LSG als solchen auch tatsächlich vertreten wollte
(vgl BSG Beschluss vom 15.11.2023 – B 5 R 91/23 B – juris RdNr 6 mwN). Indem der Kläger das Fehlen weiterer Ausführungen des LSG zur Bestimmtheit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 7.1.2022 rügt, zeigt er nicht auf, dass das LSG eine von der Rechtsprechung des BSG abweichende allgemeine Regel zur Bestimmtheit von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden aufgestellt habe, die über den konkreten Einzelfall hinaus auch für weitere Sachverhalte gelten solle
(vgl zu diesem Erfordernis zB BSG Beschluss vom 9.8.2018 – B 5 RE 3/18 B – juris RdNr 16 mwN). Auch eine abweichende allgemeine Regel, die das LSG in Bezug auf die Rechtsprechung des BSG zum Regelungsgehalt von Rentenanpassungsmitteilungen aufgestellt hat, legt der Kläger nicht dar.
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Selbst wenn ein Berufungsgericht die Rechtsprechung des BSG missversteht oder übersieht und deshalb fehlerhaft anwendet, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG aufgestellt. Denn dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn das Berufungsgericht eine höchstrichterliche Entscheidung in seiner Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte
(vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 3.4.2020 – B 9 SB 71/19 B – juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 24.7.2019 – B 5 R 31/19 B – juris RdNr 51). Insgesamt geht der Vortrag des Klägers zur behaupteten Divergenz nicht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab
(vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 SGG und einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.