Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 29.01.2025, AZ VIa ZR 1137/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 29.01.2025, AZ VIa ZR 1137/22, ECLI:DE:BGH:2025:290125UVIAZR1137.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 19. April 2022, Az: 16a U 219/19
vorgehend LG Stuttgart, 12. September 2019, Az: 9 O 106/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. April 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2 in Höhe eines Betrags von36.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einervon der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung undhinsichtlich des Berufungsantrags zu 4 betreffend eine deliktischeSchädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des im Berufungsantrag zu 2 bezeichneten Fahrzeugs zum Nachteil des Klägers erkannt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlungund Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb
im Oktober 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 220 T CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3

Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung undHerausgabe des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu 2) sowiedie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantragzu 4) begehrt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 2 und 4 in dem aus demTenor ersichtlichen Umfang weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigungdurch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat imUmfang des beschränkten Rechtsmittelangriffs Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Dem Kläger stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch nicht zu. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden, so dass ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bestehe.
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass das Interesse vonFahrzeugerwerbern, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liege.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

8

1.
Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass dasBerufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

9

2.
Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nichtdurch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245
Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Der angefochtene Beschluss ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die
erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtungsowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einerHaftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                        
Brenneisen                        
Messing

                     
Katzenstein                       
F. Schmidt

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