Beschluss des BSG vom 21.01.2025, AZ B 1 KR 30/24 BH

BSG, Beschluss vom 21.01.2025, AZ B 1 KR 30/24 BH, ECLI:DE:BSG:2025:210125BB1KR3024BH0

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 2024 unter Beiordnung eines Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 2024 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger beantragte bei dieser die Bewilligung einer stationären medizinischen Rehabilitation zur Behandlung eines Impingement-Syndroms der linken Schulter. Mit diesem Begehren hatte der Kläger bei der Krankenkasse und den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das SG hat die Klage als unzulässig verworfen
(Gerichtsbescheid vom 21.6.2023). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Sache an das SG zurückverwiesen
(Urteil vom 22.7.2024).

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Der Kläger hat mit einem von ihm unterzeichneten Schreiben am 11.10.2023 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde unter Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt.

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II. 1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
(vgl § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO), weil die einzulegende Beschwerde verfristet wäre und Wiedereinsetzungsgründe nicht vorliegen.

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Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts
(vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).

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Dem Kläger kann hinsichtlich der versäumten Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.

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a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist wie hier die Rechtsmittelfrist nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG einzuhalten
(§ 67 Abs 1 SGG).

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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dann in Betracht kommen, wenn ein Beteiligter infolge seiner Mittellosigkeit gehindert war, eine Beschwerde fristgerecht durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten einzulegen, und die Beschwerde dann von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten nachgeholt wird. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann PKH nur einem Beteiligten gewährt werden, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Die Mittellosigkeit ist im PKH-Verfahren zu prüfen. Ein sich aus der Mittellosigkeit und der Dauer ihrer Prüfung ergebender Wiedereinsetzungsgrund kommt aber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn innerhalb der Beschwerdefrist sowohl ein PKH-Antrag als auch eine Erklärung iS des § 117 Abs 2 ZPO über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (im Folgenden: Erklärung) eingereicht werden; für die Erklärung muss sich der Beteiligte der hierfür eingeführten Formulare bedienen und entsprechende Belege beifügen
(§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 117 Abs 2, 4 ZPO). Der Antrag und die Erklärung auf dem vorgeschriebenen Formular müssen innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem angerufenen Gericht eingehen
(vgl zB BSG vom 15.11.2017 – B 1 KR 4/17 BH – juris RdNr 5; BSG vom 25.7.2007 – B 1 KR 80/07 B – mwN; BSG vom 13.4.1981 – 11 BA 46/81 – SozR 1750 § 117 Nr 1; BSG vom 30.4.1982 – 7 BH 10/82 – SozR 1750 § 117 Nr 3; BVerfG vom 20.10.1981 – 2 BvR 1058/81 – SozR 1750 § 117 Nr 2; zur Verfassungsmäßigkeit des Erfordernisses der fristgerechten Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vgl BVerfG <Kammer> vom 13.4.1988 – 1 BvR 392/88 – SozR 1750 § 117 Nr 6).

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Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Beteiligte auch hieran ohne Verschulden gehindert war
(stRspr; vgl BSG vom 13.4.1981 – 11 BA 46/81 – SozR 1750 § 117 Nr 1 S 2; BSG vom 30.4.1982 – 7 BH 10/82 – SozR 1750 § 117 Nr 3 S 4; BSG vom 3.4.2001 – B 7 AL 14/01 B – juris RdNr 2; BSG vom 12.1.2017 – B 8 SO 68/16 B – juris RdNr 2; BSG vom 12.4.2018 – B 12 KR 10/17 R – juris RdNr 7). Der Hinderungsgrund ist vom Beteiligten darzulegen und soll von ihm ggf glaubhaft gemacht werden
(§ 67 Abs 2 Satz 2 SGG).

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b) Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Frist gemäß § 67 SGG sind nicht ersichtlich. Ob der Kläger aufgrund einer etwaigen Mittellosigkeit daran gehindert war, binnen der Monatsfrist nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, vermag der Senat schon aufgrund der nicht vollständigen Erklärung nicht zu beurteilen
(dazu aa). Aber auch wenn dem Kläger die Möglichkeit eines vereinfachten Nachweises seiner Mittellosigkeit versperrt gewesen sein sollte, ist nichts dafür ersichtlich, dass er iS des § 67 Abs 1 SGG „ohne Verschulden“ gehindert gewesen wäre, innerhalb der Monatsfrist einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden PKH-Antrag zu stellen
(dazu bb). Der Kläger hat auch nicht auf sonstige Weise eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Erklärung abgegeben
(dazu cc).

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aa) Der Kläger ist auf das Erfordernis der fristgerechten Einreichung der PKH-Erklärung in der dem Urteil des LSG beigefügten Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden. Aus Seite 2 des Vordrucks für die Erklärung selbst ergibt sich unmissverständlich, dass auf die Angaben und Belege zu den Abschnitten E bis J der Erklärung nur verzichtet werden kann, wenn laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bezogen werden und der aktuelle Bescheid einschließlich Berechnungsbogen vorgelegt wird.

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Der Kläger hat innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist, die mit der Zustellung des LSG-Urteils am 12.9.2024 begann und mit Ablauf des 14.10.2024 endete
(§ 160a Abs 1 Satz 2, § 64 Abs 2 und 3, § 63 Abs 2 SGG, § 180 ZPO), zwar PKH beantragt und eine Erklärung vorgelegt. Die Erklärung war jedoch nicht vollständig ausgefüllt. Zu den Abschnitten E bis J fehlten jegliche Angaben, obwohl die Voraussetzungen für einen Verzicht auf diese Angaben nach dem eindeutigen Hinweis auf Seite 2 der Erklärung nicht vorlagen. Der Kläger hat seinem Antrag lediglich die Seite 1 des Bescheides des Landratsamtes Nürnberger Land aus dem Jahr 2023 über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 1.10.2023 bis 31.12.2024 beigefügt, jedoch nicht den Berechnungsbogen. Die beigefügten Belege über Dauermietrechnungen der Zetzl Immobilienverwaltung betreffend „Parzelle 14-4“ und „Parzelle 14-5“ und die ebenfalls beigefügten Kontoauszüge Nr 12 und Nr 13, jeweils Blatt 01, mit Buchungen vom 6.5.2024 und 3.6.2024 geben keinen Aufschluss über die finanziellen Verhältnisse des Klägers, wie sie in den Abschnitten E bis J der Erklärung darzustellen gewesen wären.

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bb) Sofern dem Kläger der vollständige Bescheid über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen bei der Stellung des Antrages auf PKH am 11.10.2024 nicht vorgelegen haben sollte – wie von ihm mit Schreiben vom 13.11.2024 vorgetragen – hätte er auf die Angaben und Belege nach den Abschnitten E bis J der Erklärung nicht verzichten dürfen. Damit begründet allein der Umstand, dass dem Kläger nach seinen Angaben der Berechnungsbogen im maßgeblichen Antragszeitraum nicht vorgelegen habe und er diesen erst beim Landratsamt Nürnberger Land hätte anfordern müssen, keinen Wiedereinsetzungsgrund iS des § 67 Abs 1 SGG.

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cc) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 13.11.2024 in allgemeiner Form auf PKH-Erklärungen verweist, die er in anderen beim BSG anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahren abgegeben habe.

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Aus dem Erfordernis, dass sich der Inhalt der Erklärung auf den Zeitpunkt der Antragstellung beziehen soll, ist abzuleiten, dass grundsätzlich für jede Instanz die Erklärung auf einem gesonderten aktuellen Formular abgegeben werden muss. Eine Bezugnahme auf ein in der Vorinstanz oder in einem parallel anhängigen Verfahren abgegebene Erklärung kann jedoch ausreichen, wenn der Antragsteller geltend macht, dass gegenüber der früher abgegebenen Erklärung keine Veränderungen eingetreten sind. Dies erfordert, dass die in Bezug genommene Erklärung eine Beurteilung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse ermöglicht. Sie muss grundsätzlich die durch das Formular geforderten Angaben enthalten. Der Erklärung müssen gegebenenfalls Belege zum Nachweis der gemachten Angaben beigefügt sein
(vgl BSG vom 15.11.2017 – B 1 KR 4/17 BH – juris RdNr 5). Das Gericht ist auch nicht von Amts wegen gehalten, seinen Verfahrensbestand daraufhin zu überprüfen, ob und in welchen Verfahren geeignete PKH-Anträge aufzufinden sind.

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Gleichwohl hat der Senat in seinem Zuständigkeitsbereich zeitnah abgeschlossene Verfahren des Klägers in den Blick genommen. Dies sind die Verfahren B 1 KR 55/23 BH und B 1 KR 56/23 BH. Der Kläger hätte aber in dem hier zu entscheidenden PKH-Antrag auf die dortigen Angaben unter Benennung der Verfahren innerhalb der Monatsfrist für die Einlegung der Beschwerde verweisen müssen. Schon hieran fehlt es.

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c) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht durch das Gericht in Betracht. Allerdings darf ein Gericht unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten und ist zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet. Dementsprechend ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Fristversäumnis auch auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen. Welche Prüfungs- und Fürsorgepflichten das angegangene Gericht hat, hängt weitgehend von den Verhältnissen des Einzelfalls ab. Einerseits ist der Richter zur Rücksichtnahme auf die Beteiligten verpflichtet. Andererseits muss auch die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden. Die Gerichte sind daher nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang eines fristwahrenden Schriftsatzes bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eingereichter Schriftstücke sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken. Dies nähme den Verfahrensbeteiligten ihre eigene Verantwortung dafür, die Formalien einzuhalten und überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens. Ein Prozessbeteiligter kann aber erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt werden und dass die notwendigen Maßnahmen innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden
(vgl BSG vom 12.10.2022 – B 1 KR 46/22 BH – juris RdNr 5 ff mwN).

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Danach ist ein Verschulden des BSG dafür, dass der Kläger keine Erklärung vorgelegt hat, nicht gegeben. Der Antrag des Klägers ist am Freitag, dem 11.10.2023 beim BSG eingegangen, innerhalb des üblichen Geschäftslaufs am 14.10.2024 in der Geschäftsstelle bearbeitet und danach der Berichterstatterin vorgelegt worden. Die Frist zur formgerechten Beantragung von Prozesskostenhilfe endete am 14.10.2024. Ein rechtzeitiger Hinweis des Gerichts an den Kläger, dessen Telefon- oder Faxnummer nicht bekannt sind, am Tag des Fristablaufs war damit nicht möglich.

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2. Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht von einem gemäß § 73 Abs 4 SGG vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet worden ist. Auf das Erfordernis, sich vor dem BSG durch einen der in § 73 Abs 4 SGG aufgeführten Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen
(zur Verfassungsmäßigkeit vgl BVerfG <Kammer> vom 18.12.1991 – 1 BvR 1411/91 – SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 13 mwN), ist der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des LSG-Urteils ausdrücklich hingewiesen worden. Die Beschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen
(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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