Beschluss des BVerwG 2. Senat vom 18.12.2024, AZ 2 B 21/24

BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 18.12.2024, AZ 2 B 21/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:181224B2B21.24.0

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 18. März 2024, Az: 14 BV 22.2098, Urteil
vorgehend VG Augsburg, 14. Juli 2022, Az: Au 2 K 21.22

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. März 2024 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 84 861,52 € festgesetzt.

Gründe

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Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob bei Ruhensregelungen im Hinblick auf den Bezug von Witwengeld das wegen einer früheren Ehescheidung gekürzte Witwengeld oder das ungekürzte Witwengeld zugrunde zu legen ist.

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1. Die Klägerin, die zuletzt als Oberamtsrätin (Besoldungsgruppe A 13 BBesO) im Dienst der beklagten Bundesrepublik Deutschland stand, trat mit Ablauf des Monats September 2012 in den Ruhestand und erhält seitdem eigene Versorgungsbezüge. Der Ehemann der Klägerin, ein Ministerialrat (Besoldungsgruppe B 3 BBesO) ebenfalls im Bundesdienst, war bereits früher in den Ruhestand getreten und erhielt Versorgungsbezüge, die gemäß § 57 BeamtVG im Zuge der Ehescheidung von seiner früheren Ehefrau gekürzt waren. Der Ehemann der Klägerin verstarb im Februar 2018, wodurch die Klägerin ab März 2018 einen Anspruch auf Witwengeld erwarb.

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Mit Bescheiden vom März 2018 und September 2018 berechnete die Beklagte die eigenen Versorgungsbezüge der Klägerin auf dem Stand 1. März 2018 neu und brachte diese ab März 2018 wegen ihres Anspruchs auf Witwengeld nach § 54 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG zum Ruhen; dabei ging sie von einem ungekürzten Witwengeld (i. H. v. von ca. 3 500 € bzw. 3 600 €) als neuem Versorgungsbezug aus. Mit Bescheid vom Januar 2020 berechnete die Beklagte ab März 2020 wegen einer gesetzlichen Erhöhung der Versorgungsbezüge das eigene Ruhegehalt der Klägerin neu und brachte es ab März 2020 wiederum wegen ihres Anspruchs auf Witwengeld nach § 54 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG zum Ruhen; auch dabei ging sie von einem ungekürzten Witwengeld als neuem Versorgungsbezug (i. H. v. ca. 3 750 €) aus. Gegen alle drei Bescheide erhob die Klägerin Widerspruch. Im Widerspruchsbescheid wies die Beklagte die Widersprüche insoweit zurück. Die Klage der Klägerin war zweitinstanzlich erfolgreich.

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Der Verwaltungsgerichtshof hat die angefochtenen Bescheide und den Widerspruchsbescheid insoweit aufgehoben, als der jeweiligen Ruhensregelung das ungekürzte Witwengeld zugrunde liegt. Er hat zur Begründung insbesondere darauf abgestellt, dass maßgeblich für die Beurteilung der Rechtslage vorliegend § 54 Abs. 4 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung sei, der zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls der Klägerin in Kraft gewesen sei. Nichts Anderes ergäbe sich aus § 54 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung, die zum Zeitpunkt des Todes des Ehemanns der Klägerin in Kraft gewesen sei; der hier interessierende Regelungsinhalt beider genannter Vorschriften sei identisch. Jedenfalls nicht anwendbar auf den vorliegenden Fall sei der zum 1. August 2021 in Kraft getretene § 54 Abs. 4a BeamtVG, nach dessen Satz 1 die Kürzung bei der Anwendung der Absätze 1 bis 4 des § 54 BeamtVG unberücksichtigt bleibe, wenn ein an der Ruhensregelung beteiligter Versorgungsbezug auf Grund eines Versorgungsausgleichs zu kürzen sei, und nach dessen Satz 2 § 57 BeamtVG auf den nach Anwendung der Absätze 1 bis 4 verbleibenden Versorgungsbezug anzuwenden sei. Gegen die Anwendbarkeit des § 54 Abs. 4a BeamtVG auf den Fall der Klägerin spreche das Versorgungsfallprinzip, nach dem für die Beurteilung der versorgungsrechtlichen Ansprüche eines Beamten grundsätzlich die Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung maßgeblich sei; diese Bestimmung sei erst am 1. August 2021 und damit nach der Zurruhesetzung der Klägerin in Kraft getreten. Es habe auch keine Übergangsregelung gegeben, welche die Geltung der Neuregelung für bereits vor dessen Inkrafttreten eingetretene Versorgungsfälle angeordnet habe.

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Im Rahmen des vorliegend anzuwendenden § 54 Abs. 4 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung sei nicht – wie in den streitgegenständlichen Bescheiden geschehen – das ungekürzte, sondern das im Zuge der Ehescheidung des Ehemanns der Klägerin von seiner früheren Ehefrau nach § 57 BeamtVG „gekürzte“ Witwengeld zugrunde zu legen. Nach der zu § 54 Abs. 4 BeamtVG in der bis zum 31. August 2006 geltenden Fassung ergangenen Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 24. November 2011 – 2 C 39.10 – ZBR 2012, 257 Rn. 19 ff.), die wegen der inhaltlichen Identität beider Fassungen auch auf § 54 Abs. 4 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung übertragbar sei und der sich der Senat anschließe, sei in die Berechnung des Ruhens des eigenen Ruhegehalts nach der Höchstbetragsregelung des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG das Witwengeld nicht ungekürzt, sondern nach § 57 BeamtVG gekürzt einzustellen.

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2. Die Revision ist nicht wegen der von der Beschwerde geltend gemachten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

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Eine die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründende „Abweichung“ liegt nur vor, wenn zwischen den Gerichten ein grundsätzlicher Meinungsunterschied hinsichtlich der die Rechtsanwendung im Einzelfall bestimmenden Maßstäbe besteht. Die Divergenzrüge setzt deshalb die Darlegung eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds über den Bedeutungsgehalt eines im konkreten Rechtsstreit erheblichen Rechtssatzes voraus. Die bloße Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Das Revisionszulassungsrecht kennt – anders als die Vorschriften über die Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. April 2014 – 2 B 107.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3, vom 14. Dezember 2023 – 2 B 45.22 – NVwZ-RR 2024, 519 Rn. 16 und vom 29. Februar 2024 – 2 B 33.23 – juris Rn. 9). Die Zulassung der Revision wegen Divergenz erfordert außer dem Vorliegen einer Divergenz auch, dass das Berufungsurteil auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

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Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an dem gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erforderlichen Beruhen des Berufungsurteils auf der geltend gemachten Divergenz. Die Beschwerde sieht die Divergenz darin, dass das Berufungsgericht die Rechtslage zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls für maßgeblich gehalten hat, während das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 7. Oktober 2020 – 2 C 1.19 – (BVerwGE 169, 336 Rn. 16) ausgeführt habe, dass Ruhensbescheide feststellende Verwaltungsakte mit sich jeweils monatlich neu aktualisierender Wirkung seien, für die die im jeweiligen Monat geltende Sach- und Rechtslage maßgeblich sei. Selbst wenn hiermit eine Divergenz bezeichnet wäre, würde jedenfalls das Berufungsurteil hierauf nicht beruhen. Die Beschwerde stellt selbst nicht in Abrede, dass für die von den streitgegenständlichen Ruhensbescheiden erfassten Zeiträume irrelevant ist, welche Fassung des § 54 BeamtVG Anwendung findet, da für Zeiträume bis zum 31. Juli 2021 der hier interessierende Regelungsinhalt identisch ist. Die Beschwerde führt weiter aus, das Berufungsgericht gebe aber zu erkennen, dass es auch für spätere Zeiträume von der Nichtanwendbarkeit des am 1. August 2021 in Kraft getretenen § 54 Abs. 4a BeamtVG ausgehe; bei Rechtskraft des Urteils bestehe die Gefahr, dass die Klägerin sich auch für diese Zeiträume mit Erfolg auf das Berufungsurteil berufen könne. Damit rügt die Beschwerde jedoch lediglich eine aus ihrer Sicht fehlerhafte Begründung des Berufungsurteils, die für den vorliegenden Rechtsstreit keine Ergebnisrelevanz hat und sich nur – für spätere Zeiträume – in einem künftigen Verfahren auswirken könnte. Abgesehen davon entfaltet dieses Begründungselement nicht die von der Beschwerde befürchtete Rechtskraftwirkung für künftige Zeiträume; weder die Beklagte noch etwa im Nachgang befasste Gerichte sind durch die Begründung dieser – nach einer früheren Rechtslage ergangenen – Entscheidung gehindert, für spätere Zeiträume eine andere Rechtsauffassung zugrunde zu legen.

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3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 – 2 B 2.11 – juris Rn. 4, vom 9. April 2014 – 2 B 107.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom 24. April 2017 – 1 B 70.17 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 68 Rn. 3 und vom 20. Dezember 2023 – 2 B 19.23 – juris Rn. 16).

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Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob der zum 1. August 2021 neu eingeführte § 54 Abs. 4a BeamtVG auch auf bereits am 31. Juli 2021 eingetretene Versorgungsfälle Anwendung findet,

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. § 54 Abs. 4a BeamtVG kann mangels einer gesetzlich angeordneten Rückwirkung jedenfalls nicht für vor seinem Inkrafttreten liegende Zeiträume Rechtswirkungen entfalten. Die aufgeworfene Frage kann sich nur für nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung liegende Zeiträume stellen. Im vorliegenden Fall sind – wie bereits ausgeführt – lediglich vor dem Inkrafttreten des § 54 Abs. 4a BeamtVG liegende Zeiträume streitgegenständlich.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47, § 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GKG.

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