BPatG München 26. Senat, Beschluss vom 17.12.2024, AZ 26 W (pat) 19/21
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2015 205 548
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 17. Dezember 2024 unter Mitwirkung des Richters Kätker als Vorsitzender, des Richters Staats, LL.M.Eur. und der Richterin Wagner
beschlossen:
1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 14 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 21. April 2021 wird aufgehoben.
2. Die Widersprüche aus den Marken EM 013 355 839 und EM 009 122 649 werden zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Wortmarke 30 2015 205 548
2
DIGOSI
3
ist am 20. April 2015 angemeldet und am 23. Dezember 2015 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Markenregister eingetragen worden für die Waren der
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Klasse 14: Edelmetalle; Edelmetalle [roh oder teilweise bearbeitet]; Edelmetalle und deren Legierungen; Edelsteine, Perlen und Edelmetalle sowie Imitationen hiervon; Verarbeitete oder teilweise bearbeitete Edelmetalle;
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Klasse 40: Rückgewinnung von Edelmetallen.
6
Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 22. Januar 2016 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdegegnerin am 30. März 2016 Widerspruch erhoben aus
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1. der Unionswort-/Bildmarke
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die am 13. Oktober 2014 angemeldet und am 06. März 2015 unter der Nummer 013 355 839 in das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) geführte Register eingetragen worden ist für Waren der
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Klasse 14: Edelmetalle und deren Legierungen; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine; Uhren und Zeitmessinstrumente; Edelsteine, Perlen und Edelmetalle sowie Imitationen hiervon; Zeitmessgeräte; Aus Edelmetallen oder Halbedelmetallen oder steinen oder Imitaten hiervon hergestellte oder damit beschichtete Statuen und Figuren; Aus Edelmetallen oder Halbedelmetallen oder -steinen oder Imitaten hiervon hergestellte oder damit beschichtete Verzierungen; Kunstwerke aus Edelmetallen; Kunstgegenstände aus Edelmetallen; Schmuckstücke; Schlüsselanhänger; Schmuck- und Uhrenbehältnisse; Gold [roh oder geschlagen]; Gold, rohes oder teilweise bearbeitet; Gold und Legierungen daraus; Goldbarren; Barren aus Goldlegierungen; Goldmünzen; Barrengold; Gold-Bullion-Coins; Silber, unbearbeitet oder getrieben; Silber und seine Legierungen; Silberbarren; Barren aus Silberlegierungen; Silbermünzen; Platin und seine Legierungen; Platinbarren; Barren aus Platinlegierungen; Platinmünzen; Palladium und seine Legierungen; Palladiumbarren; Barren aus Palladiumlegierungen; Palladiummünzen; Rhodium und seine Legierungen; Rhodiumbarren; Barren aus Rhodiumlegierungen; Rhodiummünzen; Münzen; Sammlermünzen; Gedenkmünzen; Münzen [nicht für Zahlungszwecke]; Erinnerungsembleme; Medaillen; Medaillen aus Edelmetall; Mit Edelmetall plattierte Medaillen; Medaillons aus unedlen Metallen; Mit Edelmetalllegierungen plattierte Trophäen; Trophäen aus Edelmetall; Trophäen aus Edel-metalllegierungen; Kupferjetons; Teile und Zubehör für alle vorgenannten Waren, soweit in dieser Klasse enthalten;
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Klasse 36: Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte; Immobilienwesen; Versicherungsdienstleistungen; Immobiliendienstleistungen; Ausgabe von Wert- und Gutscheinkarten; Depotverwahrungsdienste; Finanz-, Geld- und Bankgeschäfte; Fundraising und Sponsoring; Finanzielle Begutachtungsdienste;
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im Folgenden: Widerspruchsmarke 1,
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und
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2. der Unionswort-/Bildmarke
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die am 06. November 1996 angemeldet und am 19. März 1999 unter der Nummer 009 122 649 in das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) geführte Register eingetragen worden ist für Waren der
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Klasse 14: Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit plattierte Waren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine,
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im Folgenden: Widerspruchsmarke 2.
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Die Widersprüche richten sich gegen alle Waren der angegriffenen Marke.
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Mit Beschluss vom 21. April 2021 hat die Markenstelle für Klasse 14 des DPMA die Eintragung der angegriffenen Marke gelöscht.
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Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass zwischen den verfahrensgegenständlichen Marken jeweils gem. §§ 125b Nr. 1, 42 Abs. 1, 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG Verwechslungsgefahr bestehe.
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Hinsichtlich der Unionsmarke EM 013 355 839 seien die Waren der Klasse 14 der angegriffenen Marke identisch im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke vorhanden, die Dienstleistung der Klasse 40 der angegriffenen Marke sei hochgradig ähnlich zu der Ware der Klasse 14 „Edelmetalle und deren Legierungen“ der Widerspruchsmarke. Die Widerspruchsmarke sei für die Waren der Klasse 14 zudem überdurchschnittlich kennzeichnungsstark. Entgegen der Auffassung der Markeninhaberin sei sie schon nicht originär kennzeichnungsschwach, auch wenn der Wortbestandteil „Degussa“ der Widerspruchsmarke sich als Abkürzung für „Deutsche Gold- und Silber Scheideanstalt“ darstelle. Denn es handele sich weder um eine allgemein gebräuchliche Abkürzung, noch werde die beschreibende Abkürzung des Akronyms durch die Beifügung der vollständigen und damit erläuternden Sachbezeichnung deutlich, noch sei davon auszugehen, dass relevanten Teilen der Verkehrskreise die Bedeutung der Abkürzung bekannt sei. Aufgrund der eingereichten Unterlagen und eigener Kenntnis gehe die Markenstelle zudem von einer gesteigerten Verkehrsbekanntheit und damit einer erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für die Waren der Klasse 14 aus. Die angegriffene Wortmarke „DIGOSI“ sei zwar nur geringfügig ähnlich mit der Widerspruchsmarke EM 013 355 839, angesichts der Warenidentität bzw. der hohen Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen und der überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke reiche diese geringe Ähnlichkeit indes aus, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen. Die in goldener Farbe dargestellte Widerspruchsmarke setze sich aus dem in Druckbuchstaben gehaltenen Wort „Degussa“ und einem Bildelement zusammen, das eine Sonne und einen Mond innerhalb einer Raute zeige, insbesondere durch das Bildelement der Widerspruchsmarke unterschieden sich die beiden Marken voneinander. Allerdings sei bei der Widerspruchsmarke von einer Prägung des Wortbestandteils „Degussa“ auszugehen. Dies ergebe sich zum einen aus der im Verhältnis zum Wortbestandteil kleinen Größe des Bildelements, zum anderen aber auch aus der Tatsache, dass das Bildelement hinter dem Wortelement angesiedelt sei und somit schon optisch zurücktrete. Zudem messe der Verkehr in der Regel dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnung die prägende Bedeutung zu. Im Vergleich der angegriffenen Marke „DIGOSI“ und des Markenbestandteils „Degussa“ der Widerspruchsmarke sei zwar eine niedrige klangliche Ähnlichkeit festzustellen, diese reiche jedoch zur Bejahung einer Verwechslungsgefahr aus. Eine Ähnlichkeit der Marken begründe sich u.a. aus der identischen Folge der Konsonanten „D-G-S-“ und „D-G-SS-“ und dem daraus resultierenden gleichen Silbenbeginn der beiden Markenwörter sowie daraus, dass es sich bei den ersten beiden Vokalen der zu vergleichenden Marken um klangähnliche Vokale handele, nämlich einmal den hellen Vokalen „i“ und „e“ und zum anderen den dunklen Vokalen „o“ und „u“. Dadurch entstehe in Verbindung mit den identischen Konsonanten ein ähnlicher Gesamtklang der Marken, der insbesondere am besonders beachteten Wortanfang vorliege und durch die gleiche Betonung der beiden dreisilbigen Markenwörter auf der zweiten Silbe noch verstärkt werde.
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Hinsichtlich der Unionsmarke EM 009 122 649 seien die Waren der Klasse 14 der angegriffenen Marke identisch im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke vorhanden oder ließen sich unter den Oberbegriff „Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit plattierte Waren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind“ der Widerspruchsmarke subsumieren. Die Dienstleistung der Klasse 40 „Rückgewinnung von Edelmetallen“ der angegriffenen Marke sei hochgradig ähnlich zu der Ware der Klasse 14 „Edelmetalle und deren Legierungen“ der Widerspruchsmarke. Auch die Widerspruchsmarke EM 009 122 649 sei für die Waren der Klasse 14 überdurchschnittlich kennzeichnungsstark und die angegriffene Wortmarke „DIGOSI“ sei nur geringfügig ähnlich mit der Widerspruchsmarke EM 009 122 649. Angesichts der Warenidentität bzw. der hohen Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen und der überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke reiche auch insoweit die geringe Ähnlichkeit indes aus, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen.
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Gegen die Entscheidung des DPMA richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke vom 25. Mai 2021. Das DPMA gehe rechtsirrig und ohne einen Beleg von einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft und von einer gesteigerten Verkehrsbekanntheit der konkreten Widerspruchsmarken aus. Die Widersprechende habe aber gar nicht tatsächlich vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass den konkreten Widerspruchsmarken eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft und eine gesteigerte Verkehrsbekanntheit zukomme. Sie habe lediglich zu dem Unternehmen „Degussa“, nicht aber den konkreten Widerspruchsmarken vorgetragen. Das DPMA seinerseits habe diese Annahme nicht hinterfragt und habe bei der Begründung des angefochtenen Beschlusses sein Ermessen nicht oder falsch gebraucht.
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Das DPMA habe schon zu Unrecht auf eine rechtliche Einordnung des Bildelementes verzichtet, sondern sei davon ausgegangen, dass die Bildelemente zu vernachlässigen seien, was aber nicht richtig sei. Es habe auch bei der Prüfung der klanglichen Ähnlichkeit die gravierenden Unterschiede der Buchstabenfolgen der beiden Zeichen nicht rechts- und ermessensfehlerfrei beurteilt und habe es rechtsirrig versäumt, einen Vergleich auf der inhaltlichen Bedeutungsebene anzustellen. Bei dem Zeichenbestandteil „Degussa“ der beiden Widerspruchsmarken handele es sich um ein Akronym für „Deutsche Silber- und Gold-Scheideanstalt“, so dass diese Zeichen eine klare inhaltliche Bedeutungsebene hätten, die in einem unmittelbaren und beschreibenden Zusammenhang mit den für die beiden Widerspruchsmarken geschützten Waren und Dienstleistungen stünden.
24
Auf der Waren- und Dienstleistungsebene bestehe zwar Ähnlichkeit, dies begründe aber noch keine Verwechslungsgefahr mit den Widerspruchsmarken. Vielmehr sei die Frage der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken entscheidend, allerdings komme den Widerspruchsmarken eine solche nicht zu. Dem Akronym „Degussa“ komme angesichts dessen rein beschreibenden Inhalts vielmehr eine verringerte Kennzeichnungskraft zu, die Widersprechende selbst habe sogar Unterlagen vorgelegt, bei denen unmittelbar unter der abgedruckten Widerspruchsmarke die das Zentrum des Akronyms unmittelbar ausbuchstabierende und zentral die Kennzeichnungskraft schwächenden Worte „Gold und Silber“ hinzugefügt worden seien. Das DPMA sei zusätzlich zu Unrecht von einer gesteigerten Verkehrsbekanntheit der Widerspruchsmarken ausgegangen. Aus dem angegriffenen Beschluss ergebe sich hierzu jedoch schon keine belegbare Sachverhaltsbasis hierfür, insbesondere ergebe sich das auch nicht aus den von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen wie Jahresberichten, da in diesen nicht die konkreten Widerspruchsmarken verwendet worden seien. Der Unterschied zwischen den beiden konkreten Widerspruchs-Wort-/Bildmarken, der Firmierung der D… GmbH sowie den immer weiter vereinfachenden behaupteten Teilfirmierungen dieser GmbH sei verwischt worden. Die Nutzung der Firmierung der nicht mit der Widersprechenden rechtsidentischen D… GmbH sei nicht gleichbedeutend mit der Nutzung des Zeichens „Degussa“ an sich. In der Nutzung der GmbH-Firmierung durch Dritte bereits eine Nutzung des isolierten Zeichens „Degussa“ an sich durch die Widersprechende zu sehen, sei weder marken- noch firmenrechtlich haltbar, denn die markenmäßige Nutzung der konkreten Widerspruchsmarken dürfe nicht mit einer etwaigen firmenmäßigen Nutzung ähnlicher Zeichenbestandteile vermischt werden. Auch lasse sich aus den von der Widersprechenden vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der C… AG – der Widersprechendenden zum Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs – keine Zuordnung von Umsatzzahlen zu konkreten markenmäßigen Nutzungen der konkreten Widerspruchsmarken vornehmen.
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Das DPMA habe die Subsumtion unter von ihm selbst aufgestellten Erfordernisse wie „die Intensität […] der Markenverwendung“ unterlassen, habe widersprüchlich argumentiert, indem es einerseits davon ausgegangen sei, dass die Bezeichnung „DEGUSSA“ weit überdurchschnittlich bekannt sei und zugleich kein Mensch wisse, was die Bezeichnung eigentlich bedeute, und habe die Annahme der erhöhten Kennzeichnungskraft auch auf „[…] eigene Kenntnis […]“ gestützt, ohne zu erläutern, was konkret diese „eigene Kenntnis“ überhaupt umfasse und worauf beruhe.
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Die Beschwerdeführerin und Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 14 des DPMA vom 21. April 2021 aufzuheben und die Widersprüche zurückzuweisen.
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Die Beschwerdegegnerin und Widersprechende beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie hat ausgeführt, dass das DPMA in seinem Beschluss vom 21. April 2021 zu Recht von einer erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken und ausgehend von einer Prägung der Widerspruchsmarken durch den Wortbestandteil „Degussa“ von einer Zeichenähnlichkeit ausgegangen sei, die angesichts der auf Waren- und Dienstleistungsebene bestehenden Identität bzw. hochgradigen Ähnlichkeit die Annahme einer Verwechslungsgefahr begründe.
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Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken sei schon deshalb nicht verringert, weil es sich bei dem Begriff „DEGUSSA“ nicht um eine allgemein gebräuchliche Abkürzung handele. Vielmehr sei die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken gesteigert, wozu die Widersprechende im Rahmen der Widerspruchsverfahren umfangreich vorgetragen habe, insbesondere habe sie Nachweise für die Benutzung gerade der beiden streitgegenständlichen Widerspruchsmarken vorgelegt. Eine Wiedergabe in grafisch minimal veränderter Form ändere im Hinblick auf § 26 Abs. 3 MarkenG nichts daran, dass auch diese Benutzungsformen zur gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken beitrügen. Auch könnten im Einzelfall firmen- und markenmäßiger Gebrauch ineinander übergehen, so dass die Verwendung einer Unternehmenskennzeichnung auch als markenmäßige Benutzung verstanden werden könne und die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken auch von der Benutzung des Zeichens als Unternehmenskennzeichen profitieren könne.
32
Es bestehe auch zwischen den Widerspruchsmarken einerseits und der Anmeldemarke andererseits eine hinreichende Zeichenähnlichkeit. Das DPMA sei zutreffend und ohne Ermessensfehler davon ausgegangen, dass die beiden Widerspruchsmarken durch den Wortbestandteil „Degussa“ geprägt würden. Im Übrigen seien für die Prüfung der Zeichenähnlichkeit ausschließlich die Abbildungen im Register des EUIPO maßgeblich, was das DPMA auch beachtet habe. Zwischen den sich gegenüberstehenden Zeichen bestehe auch eine klangliche Ähnlichkeit, zumal diese aus der identischen Folge der Konsonante bestünden und zumal bei der Bewertung der klanglichen Ähnlichkeit alle dem Sprachgefühl entsprechenden und im Bereich der Wahrscheinlichkeit liegenden Möglichkeiten der Aussprache zu berücksichtigen seien. Angesichts der vom DPMA angenommenen Verwechslungsgefahr aufgrund hinreichender klanglicher Ähnlichkeit habe es auch keiner Ausführungen zu weiteren Kategorien der Zeichenähnlichkeit bedurft. Im Übrigen habe das DPMA rechtsfehlerfrei die Frage verneint, ob das vorliegende Akronym beschreibend und damit schutzunfähig sei.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 2. April 2024 sind die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen worden, dass der Beschluss der Markenstelle für Klasse 14 des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) vom 21. April 2021 nach vorläufiger Rechtsauffassung des Senats keinen Bestand und die Beschwerde daher Aussicht auf Erfolg haben dürften. Die Beschwerdegegnerin hat daraufhin zur Frage des Aufmerksamkeitsgrades der angesprochenen Verkehrskreise geltend gemacht, das Warenangebot der D…GmbH beinhalte früher wie heute zahlreiche Produkte, die zwar aus Edelmetall bestünden, gleichwohl aber nicht als hochpreisig einzuordnen seien. Gerade über das Internet könne man mittlerweile schnell und einfach Edelmetalle bestellen, daher begegneten die angesprochenen Verkehrskreise den vorliegend in Rede stehenden Waren mit einem durchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad. Angesichts der Möglichkeit geringer Einstiegspreise und der vielfältigen Möglichkeit einer einfachen und schnellen Bestellung stelle der Handel mit Edelmetallen ein einmaliges Austauschgeschäft dar, dessen finanzielles Risiko überschaubar sein könne und bei dem der Anbieter für die angesprochenen Verkehrskreise von untergeordneter Bedeutung sei.
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Mit Schriftsatz vom 16. August 2024 hat die Beschwerdegegnerin mitgeteilt, dass die Widerspruchsmarke 1 auf die D… Holding AG, B…, Schweiz, umgeschrieben worden ist und diese als neue Inhaberin der Widerspruchsmarke 1 in das Widerspruchsverfahren eintritt. Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2024 hat sie mitgeteilt, dass die Widerspruchsmarke 2 ebenfalls auf die D… Holding AG, B…, Schweiz, umgeschrieben worden ist und diese als neue Inhaberin der Widerspruchsmarke 2 in das Widerspruchsverfahren eintritt.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
36
Die gemäß § 66 Abs. 1 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
37
Zwischen der angegriffenen Wortmarke „
DIGOSI“ (30 2015 205 548) und den beiden älteren Unionsmarken
(013 355 839 – Widerspruchsmarke zu 1.) und
(009 122 649 – Widerspruchsmarke zu 2.) besteht keine Verwechslungsgefahr gemäß §§ 119 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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Da die Anmeldung der angegriffenen Marke nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 eingereicht worden ist, ist für die gegen die Eintragung erhobenen Widersprüche die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG).
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Die Widersprüche wurden jeweils von der eingetragenen und damit materiell berechtigten Inhaberin der Unionsmarken selbst eingelegt, die dazu jedenfalls aktivlegitimiert war und nach der Registerlage weiterhin ist.
40
Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: vgl. EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 24 – RETROLYMPICS; GRUR 2021, 724 Rdnr. 31 – PEARL/PURE PEARL m. w. N.).
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1. Ausgehend von der hier maßgeblichen Registerlage besteht zwischen den Vergleichswaren und -dienstleistungen teilweise Identität, teilweise weit überdurchschnittliche Ähnlichkeit.
42
a) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblichen Faktoren wie insbesondere ihrer Art und Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2021, 724 Rdnr. 36 – PEARL/PURE PEARL; GRUR 2015, 176 Rdnr. 16 – ZOOM/ZOOM).
43
b) Die angegriffenen Waren der Klasse 14
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„Edelmetalle; Edelmetalle [roh oder teilweise bearbeitet]; Edelmetalle und deren Legierungen; Edelsteine, Perlen und Edelmetalle sowie Imitationen hiervon; Verarbeitete oder teilweise bearbeitete Edelmetalle“
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sind entweder im Verzeichnis der beiden älteren Marken enthalten und/oder werden von den für die Widerspruchsmarke zu 2.) geschützten Warenoberbegriffen „Juwelierwaren, Schmuckwaren“ umfasst, so dass Identität vorliegt.
46
c) Die für die jüngere Marke eingetragene Dienstleistung der Klasse 40
47
„Rückgewinnung von Edelmetallen“
48
ist weit überdurchschnittlich ähnlich zu den Widerspruchsprodukten „Edelmetalle und deren Legierungen“ der Klasse 14 der beiden älteren Marken.
49
aa) Angesichts der fehlenden Körperlichkeit von Dienstleistungen sind für die Beurteilung ihrer Ähnlichkeit in erster Linie Art und Zweck, also der Nutzen für den Empfänger der Dienstleistungen sowie die Vorstellung des Verkehrs maßgeblich, dass die Dienstleistungen unter der gleichen Verantwortlichkeit erbracht werden (BGH GRUR 2018, 79 Rdnr. 11 – OXFORD/Oxford Club; GRUR 2002, 544, 546 – BANK 24). Im Vergleich zwischen Waren und Dienstleistungen ist zu berücksichtigen, dass Dienstleistungen generell weder mit den zu ihrer Erbringung verwendeten Waren und Hilfsmitteln noch mit den durch sie erzielten Ergebnissen, soweit sie Waren hervorbringen, ohne weiteres als ähnlich anzusehen sind. Besondere Umstände können jedoch die Feststellung der Ähnlichkeit nahelegen, wenn beim angesprochenen Verkehr der Eindruck entsteht, Ware und Dienstleistung unterlägen der Kontrolle desselben Unternehmens (vgl. BGH GRUR 1999, 586 Rdnr. 22 – White Lion). Dies kann der Fall sein, wenn sich das Dienstleistungsunternehmen selbständig auch mit der Herstellung bzw. dem Vertrieb der Ware befasst oder der Warenhersteller oder -vertreiber sich auf dem entsprechenden Dienstleistungsbereich selbständig gewerblich betätigt (vgl. BGH GRUR 2012, 1145 Rdnr. 35 – PELIKAN; BPatG 27 W (pat) 506/17 – kodi professional/KODi).
50
bb) Wie das DPMA in seiner Entscheidung vom 21. April 2021 zutreffend festgestellt hat, werden in der Edelmetallbranche üblicherweise nicht nur Edelmetalle verkauft, sondern haben die meisten Edelmetallrecycler einen integrierten Edelmetallhandel und wird daher von demselben Unternehmen sowohl Alt-Edelmetall angekauft und zur Rückgewinnung recycelt als auch Edelmetall verkauft (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Edelmetallscheidung/ Stichwort: Marktteilnehmer).
51
Insbesondere bieten vorliegend die Beschwerdeführerin und Inhaberin der angegriffenen Marke und die Lizenznehmerin der Widerspruchsmarken sowohl Edelmetalle als auch Dienste einer Scheideanstalt zur Rückgewinnung von Edelmetallen an …. Die Annahme, dass Ware und Dienstleistung der Kontrolle desselben Unternehmens unterliegen, ist daher vorliegend tatsächlich auch gerechtfertigt und führt zur Annahme sehr hoher Ähnlichkeit.
52
2. Die vorliegend maßgeblichen Vergleichswaren und -dienstleistungen richten sich an breite Verkehrskreise, nämlich sowohl an den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; EuGH GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]), aber auch an den Fachhandel für Edelmetalle, Perlen und Edelsteine sowie an Juweliere und Schmuckhändler.
53
Die Aufmerksamkeit dieses Publikums bei Auswahl und Erwerb von Waren der vorliegenden Art und bei Inanspruchnahme der in Rede stehenden Dienstleistung ist sehr groß.
54
Dies gilt zum einen für das spezialisierte Fachpublikum, bei dem von erhöhter Aufmerksamkeit auszugehen ist (vgl. z.B. BPatG 29 W (pat) 560/19 – Alex von Berlin/ Marcell von Berlin; 30 W (pat) 26/20 – Advomed/ADVIMED). Dies gilt vorliegend auch für den Durchschnittsverbraucher, für den der An- und Verkauf von Edelmetallen, Edelsteinen und Perlen nicht zu den Geschäften des täglichen Lebens gehören. Der Kauf derart hochwertiger Gegenstände sowie die Inanspruchnahme der angegriffenen Dienstleistung erfolgen erfahrungsgemäß nur nach reiflicher Überlegung und Prüfung von Vergleichsangeboten (vgl. BGH GRUR 2015, 1121 Rdnr 37 – Tuning; Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 14. Aufl., § 9 Rdnr. 264 u. 275). Bei derart überlegten bzw. lange geplanten Erwerbsvorgängen ist die Aufmerksamkeit gesteigert (vgl. BPatG 27 W (pat) 137/10 – DUX/DOC’S; BPatG 26 W (pat) 515/17 – BOSSIMA/BOSS; 26 W (pat) 43/20 – The Sound Of Big Bang). Neben der Werthaltigkeit der Produkte, die vorliegend schon für sich für eine stark erhöhte Aufmerksamkeit bei deren Auswahl spricht, sind steuerrechtliche und finanzmarktspezifische Fragen zu klären und zu beachten. Die Gefahr von Übervorteilung und folgenreicher Fehlberatung macht die Auswahl des richtigen Geschäftspartners zu einem wichtigen Faktor, so dass auf dessen Auswahl nicht nur vom Fachverkehr, sondern auch vom Durchschnittsverbraucher besonderer Wert gelegt wird. Vor einem Kauf von Edelmetallen oder deren Zuführung zur Rückgewinnung werden nicht selten umfangreiche Informationen zu verschiedenen Händlern und Vertriebswegen – wie etwa die Möglichkeiten des Internets – ausgelotet und gesammelt und werden Vergleichsangebote oder gar Wertgutachten eingeholt. Dies galt bereits zum Anmeldezeitpunkt und gilt weiterhin sowohl für den Ankauf entsprechender Waren (Anlagenkonvolut 1 zum Senatshinweis vom 2. April 2024), als auch für den Verkauf von Edelmetallen zu deren Rückgewinnung (Anlagenkonvolut 2 zum Senatshinweis vom 2. April 2024).
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Dem steht nicht entgegen – wie die Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 5. Juni 2024 geltend gemacht hat –, wenn es eine Vielzahl von Händlern gibt, welche die verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen über das Internet anbieten. Denn alleine ein Angebot für eine Ware oder Dienstleistung über das Internet bedeutet nicht, dass der angesprochene Durchschnittsverbraucher bei dessen Prüfung weniger Aufmerksamkeit aufwendet. Durch die Möglichkeit, sofort auch online Vergleiche anzustellen und Beurteilungen anderer Nutzer anzusehen, kann er sich im Gegenteil sogar noch intensiver damit auseinandersetzen, welchen Händler er auswählt. Die Anschaffung von Schmuck und Edelmetallen ist regelmäßig kostspielig und erfolgt für einen längeren Zeitraum. Der Verbraucher entscheidet sich in der Regel erst nach genauester Prüfung für einen Anbieter und achtet dabei darauf, werthaltige und unverfälschte Produkte zu erwerben, wobei auch die intensive Beratung durch einen Anbieter des Vertrauens eine Rolle spielt. Bei Schmuckstücken sind daneben auch Optik und Ästhetik wichtig, was die Entscheidung für den einen oder anderen Anbieter beeinflusst und was zu einer intensiven vorherigen Beschäftigung mit der Frage führt, für welchen Anbieter man sich entscheidet.
56
3. Beide Widerspruchsmarken verfügen über eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft im Bereich der Edelmetalle.
57
a) Schon von Haus aus kommt ihnen ein normaler Schutzumfang zu.
58
aa) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH GRUR 2020, 870 Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).
59
bb) „Degussa“ ist kein deutsches, lexikalisch verzeichnetes Wort. Deshalb stellt es für den Durchschnittsverbraucher einen Fantasiebegriff dar. Der Fachverkehr kennt demgegenüber das gleichnamige, seit über hundert Jahren bestehende Traditionsunternehmen, eine im Inland bekannte Scheideanstalt für Edelmetalle, an welche die Lizenznehmerin der Widersprechenden bewusst anknüpft (vgl. … Stichwort: Geschichte und Anlagenkonvolut 3 zum Senatshinweis vom 2. April 2024), und weiß daher auch, dass es sich um das Kurzwort für „Deutsche Gold- und Silber-Scheide-Anstalt“ handelt. Zwar beschreibt die ausgeschriebene Bezeichnung die Tätigkeit des Unternehmens, sie ist aber sowohl zum maßgeblichen Kollisionszeitpunkt als auch gegenwärtig von den Fachkreisen nur als Hinweis auf ein ganz bestimmtes Unternehmen aufgefasst worden. Dabei ist es nicht entscheidungserheblich, wann welcher konkrete Betrieb in welcher Rechtsform und mit welchen Inhabern hinter diesem Namen gestanden hat. Das Markenwort „Degussa“ verfügt daher auch aus Sicht des Fachverkehrs über durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Dies gilt erst recht unter Berücksichtigung der jeweiligen, fast identischen Bildelemente in Form einer Raute, in der eine halbe Sonne vor hellem Hintergrund einem Halbmond vor dunklem Hintergrund gegenübergestellt wird, da es zu weit gehen und zu viele Gedankenschritt voraussetzen würde, die halbe Sonne mit Gold und den Halbmond mit Silber in Verbindung zu bringen.
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b) Diese Kennzeichnungskraft wird auch nicht durch Drittmarken geschwächt.
61
aa) Eine solche Schwächung, die einen Ausnahmetatbestand darstellt, setzt voraus, dass die Drittkennzeichen auf gleichen oder eng benachbarten Waren oder Dienstleistungen und in einem Umfang in Erscheinung treten, der geeignet erscheint, die erforderliche Gewöhnung des Verkehrs an die Existenz weiterer Kennzeichnungen im Ähnlichkeitsbereich zu bewirken. Entscheidungserheblich kann dabei auch nur eine beträchtliche Anzahl ähnlicher Drittmarken sein (so sind z. B. drei Drittmarken nicht als ausreichend angesehen worden: BGH GRUR 1967, 246, 248 – Vitapur; BPatG 29 W (pat) 553/12 – eos/EOS 22). Die Benutzung der Drittkennzeichen – vor dem Anmeldetag der angegriffenen Marke – muss liquide, also unstreitig oder amtsbekannt, oder vom Inhaber der angegriffenen Marke glaubhaft gemacht sein, weil nur insoweit der Verkehr genötigt und daran gewöhnt sein kann, wegen des Nebeneinanderbestehens mehrerer ähnlicher Marken sorgfältiger auf etwaige Unterschiede zu achten, weshalb er weniger Verwechslungen unterliegt (BGH GRUR GRUR 2012, 930 Rdnr. 40 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2009, 766 Rdnr. 32 – Stofffähnchen; GRUR 2001, 1161, 1162 – CompuNet/ComNet; BPatG GRUR 2004, 433, 434 – OMEGA/OMEGA LIFE).
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bb) Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke auf die Firmennamen „Ögussa“ und „AGOSI“ hinweist, fehlen sowohl Vortrag als auch Belege zur Benutzung entsprechender Marken. Hinzu kommt, dass die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken nur durch Drittmarken geschwächt werden kann, die den älteren Marken näher kommen als die vorliegend angegriffene Marke (vgl. BGH GRUR 2012, 930 Rdnr. 40 – Bogner B/Barbie B). Dafür reicht der Hinweis auf die Firma „AGOSI“ nicht aus, zumal die entsprechende Marke IR 1195748 bzw. DE 3020130314387 mit dem Wortbestandteil der Widerspruchsmarken schon im Anfangsbuchstaben nicht übereinstimmt und mit dem dunklen Vokal „A“ beginnt. Es fehlt demnach an einer ausreichenden Anzahl von Drittmarken, für die die Benutzung liquide oder gerichtsbekannt ist, um eine Kennzeichnungsschwäche annehmen zu können.
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cc) Als Indiz für einen von Haus aus bestehenden Originalitätsmangel und damit geringeren Schutzumfang der älteren Marken können zwar auch Drittmarken gewertet werden, deren Benutzung nicht liquide bzw. glaubhaft gemacht ist (BGH GRUR 2018, 79 Rdnr. 30 – OXFORD/Oxford Club; GRUR 2012, 930 Rdnr. 34 – Bogner B/Barbie B). Allerdings erfordert eine solche Annahme über die für benutzte Drittmarken notwendigen Voraussetzungen hinaus zusätzlich eine wesentlich größere Anzahl im engsten Ähnlichkeitsbereich der Widerspruchsmarke liegender Drittmarken (BGH GRUR 2012, 930 Rdnr. 31 – Bogner B/Barbie). An einer solchen größeren Anzahl von Drittmarken im engsten Ähnlichkeitsbereich fehlt es hier aber.
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c) Der Senat geht zugunsten der Widersprechenden davon aus, dass die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken als bekannte Traditionsmarken im Bereich der Edelmetalle durch langjährige und intensive Benutzung gesteigert ist, so dass ihnen eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft zukommt.
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4. Trotz Warenidentität und hoher Ähnlichkeit der Vergleichswaren und -dienstleistung sowie überdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der beiden älteren Marken hält die angegriffene Marke den erforderlichen Abstand aufgrund sehr großer Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise und geringer Markenähnlichkeit noch ein.
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a) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 48 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 28 – RETROLYMPICS), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH a. a. O. Rdnr. 28 – RETROLYMPICS). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH a. a. O. – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH a. a. O. – RETROLYM-PICS).
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b) Die Vergleichsmarken sind schriftbildlich nur unterdurchschnittlich ähnlich. Dies gilt selbst dann, wenn man bei den Widerspruchsmarken deren Bildelemente sowie deren Farbgebung vernachlässigt und nur auf deren Wortbestandteil abstellt.
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aa) Für den Zeichenvergleich in schriftbildlicher Hinsicht kommt es bei Registermarken auf deren eingetragene Form an (BGH GRUR 2002, 1067 Rdnr. 28 – DKV/OKV; GRUR 2005, 326 Rdnr. 19 – il Padrone/Il Portone; GRUR 2008, 903 Rdnr. 18 – SIERRA ANTIGUO; GRUR 2012, 64 Rdnr. 15 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2015, 1114 Rdnr. 20 – Springender Pudel; BPatG 30 W (pat) 502/20 – OSIRIS/OSATIS; 30 W (pat) 512/19 – LUVO-WAX/LICOWAX; 26 W (pat) 9/18 – BEROLINA/BERONIA; BPatG 30 W (pat) 8/17 – Couvert/COVERTY; 26 W (pat) 507/12 – Vita Cavallo/cavallo; vgl. auch Ingerl/Rhonke/Nordemann/Boddien, MarkenG, 4. Aufl., § 14 Rdnr. 816; Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 14. Aufl., § 9 Rdnr. 311 u. Rdnr. 244). Zudem ist bei Wortelementen zu berücksichtigen, dass der Wortanfang in der Regel stärker beachtet wird und dass Übereinstimmungen grundsätzlich stärker ins Gewicht fallen als Abweichungen (Hacker, a. a. O., § 9 Rdnr. 273, 292, 294).
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bb) Optisch stehen sich die Markenwörter „DIGOSI“ und „Degussa“ mit derselben Anfangsmajuskel „D“ am stärker beachteten Wortbeginn gegenüber. Beide Wörter enthalten zudem die Konsonantenfolge D-G-S.
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Während jedoch die jüngere Marke insgesamt in Versalien gehalten ist und damit keine Ober- oder Unterlängen aufweist, fällt beim Wortbestandteil der Widerspruchsmarken die Unterlänge der Minuskel „g“ auf Anhieb ins Auge, wodurch sich die Schreibweise des zweiten Konsonanten der Wörter deutlich unterscheidet. Der dritte gemeinsame Konsonant, der Buchstabe „s“, wird zwar als Minuskel und Majuskel fast gleich geschrieben. Die Verdoppelung dieses Buchstabens bewirkt jedoch eine erhebliche Abweichung im Schriftbild, wodurch das nur um einen Buchstaben längere Wort „Degussa“ im Vergleich zu „DIGOSI“ visuell länger wirkt. Auffällig in der angegriffenen Marke ist zudem der Großbuchstabe „O“, der eine gewisse Breite einnimmt und daher gut in Erinnerung bleibt, insbesondere deshalb, weil die beiden anderen Vokale „I“ drucktechnisch fast keinen Raum einnehmen. Keiner dieser Selbstlaute findet sich im Wortbestandteil der Widerspruchsmarken. Die dort verwendeten Vokale „e-u-a“ haben alle in etwa dieselbe räumliche Gestaltung. Insgesamt vermittelt die Schreibweise des Markenwortes „Degussa“ den Eindruck, als sei es ein im Deutschen existentes Substantiv nach den Regeln der deutschen Groß- und Kleinschreibung, während das Schriftbild von „DIGOSI“ dem Betrachter nicht den Eindruck eines existierenden deutschen oder fremdsprachigen Wortes, sondern denjenigen eines Eigennamens oder Fantasiebegriffs vermittelt. Schließlich unterscheiden sich die beiden Markenwörter optisch auch an ihrem jeweiligen Ende durch die unterschiedlichen Schriftzeichen „I“ und „a“.
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c) In klanglicher Hinsicht besteht ebenfalls nur geringe Ähnlichkeit.
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aa) Beide Widerspruchsmarken werden klanglich durch das Wortelement „Degussa“ geprägt. Denn bei der Feststellung des klanglichen Gesamteindrucks einer Wort-/Bildmarke ist von dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass sich der Verkehr in klanglicher Hinsicht in der Regel an dem Wortbestandteil orientiert, sofern er kennzeichnungskräftig ist, weil er die einfachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen (vgl. BGH GRUR 2009, 1055 Rdnr. 28 – airdsl; GRUR 2010, 828 Rdnr. 46 – DISC; GRUR 2014, 378 Rdnr. 39 – OTTO CAP; BPatG 27 W (pat) 115/16 – RETROLYMPICS/OLYMPIC; Hacker, a. a. O., § 9 Rdnr. 470). Vorliegend beherrscht die grafische Ausgestaltung durch ihren Umfang und ihre kennzeichnende Wirkung die Widerspruchsmarken nicht derart, dass das Wort kaum mehr beachtet wird; sondern im Gegenteil ist dem Wortelement bei der mündlichen Benennung der Marke der Vorrang einzuräumen und treten das Bildelement und die Farbgebung demgegenüber zurück.
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bb) Die Vergleichsmarken stimmen im Anfangslaut „D/d“ überein. Auch handelt es sich bei den jeweils ersten Vokalen – „i“ einerseits, „e“ andererseits – jeweils um helle Selbstlaute, so dass die Aussprache der ersten beiden Buchstaben am grundsätzlich stärker beachteten Wortanfang durchaus ähnlich klingt. Hinzu kommt eine identische Silbenanzahl.
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Allerdings unterscheiden sich die gegenüberstehenden Vokalfolgen – „i-o-i“ einerseits, „e-u-a“ andererseits – deutlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Vokalfolge für die Frage der Übereinstimmung des klanglichen Gesamteindrucks von Kollisionszeichen regelmäßig besondere Bedeutung zukommt (BGH GRUR 2015, 1004 Rdnr. 43 – IPS/ISP; GRUR 1962, 522, 523 – Ribana; GRUR 2001, 1161, 1163 – ComNet/CompuNet). Die zweite betonte Silbe von „Degussa“ wird zudem nur kurz ausgesprochen und geht durch die Gemination des Konsonanten „s“ unmittelbar in die dritte Silbe über, während die betonte zweite Silbe der jüngeren Marke gedehnt ausgesprochen wird und sich von der dritten Silbe absetzt. Sprech- und Betonungsrhythmus sowie das jeweilige Wortende mit dem hellen Vokal „i“ einerseits und dem dunklen Vokal „a“ andererseits weichen stark voneinander ab, so dass die Unterschiede im Gesamtklangbild überwiegen.
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cc) Eine begriffliche Ähnlichkeit scheidet vollständig aus. Das angesprochene Publikum nimmt „DIGOSI“ als Fantasiebegriff wahr. Auch der Teil des angesprochenen Verkehrs, der die Bedeutung des Akronyms „Degussa“ kennt, wird keine Übereinstimmung im Sinngehalt feststellen.
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d) Aufgrund der sehr großen Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise können die geringfügigen Übereinstimmungen der Vergleichsmarken nicht zu einer unmittelbaren Verwechslungsgefahr führen.
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5. Eine Verwechslungsgefahr der sich gegenüberstehenden Marken durch gedankliches In-Verbindung-Bringen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 MarkenG liegt ebenfalls nicht vor.
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a) Die Gefahr, dass Marken miteinander gedanklich in Verbindung gebracht werden, obwohl die beteiligten Verkehrskreise die Unterschiede zwischen den Vergleichsmarken erkennen, liegt insbesondere dann vor, wenn ein mit der älteren Marke übereinstimmender Bestandteil identisch oder ähnlich in eine komplexe Marke aufgenommen wird, in der er neben einem Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, und wenn wegen der Übereinstimmung dieses Bestandteils mit der älteren Marke bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen wird, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (EuGH GRUR 2005, 1042 Rn. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2010, 646 Rn. 15 – OFFROAD).
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b) Vorliegend fehlt es jedoch bereits an einer selbstständig kennzeichnenden Stellung eines Bestandteils der Widerspruchsmarken in der jüngeren Marke. Auch ein sonstiger Fall der Verwechslung durch gedankliche Verbindung wegen vom Verkehr angenommener geschäftlicher, wirtschaftlicher oder organisatorischer Beziehungen ist angesichts der geringen Ähnlichkeit im Markenaufbau nicht anzunehmen.
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6. Es besteht auch nicht der von der Widersprechenden weiter geltend gemachte Löschungsgrund nach §§ 119 Nr. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG (Sonderschutz einer bekannten Marke).
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Auch wenn es sich bei den beiden Widerspruchsmarken im Bereich von Edelmetallen um in der Union bekannte Marken handelt, fehlt es an der erfordererforderlichen gedanklichen Verknüpfung.
82
a) Die Frage, ob eine gedankliche Verknüpfung zwischen zwei Marken stattfindet, ist unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des konkreten Falles zu beurteilen, zu denen der Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken, die Art der fraglichen Waren und Dienstleistungen einschließlich des Grades ihrer Nähe, das Ausmaß der Bekanntheit der älteren Marke, ihre originäre oder durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft und – ohne dass dies erforderlich wäre – das Bestehen von Verwechslungsgefahr zählen (EuGH GRUR Int. 2011, 500 Rdnr. 56 – TiMi KINDERJOGHURT/KINDER; GRUR 2009, 56 Rdnr. 41 f. – In-tel/CPM).
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b) Zwar sind die beiden älteren Marken bekannt, damit überdurchschnittlich kennzeichnungskräftig, und die Kollisionswaren identisch, aber die angesprochenen Verkehrskreise begegnen diesen mit sehr großer Aufmerksamkeit, so dass es aufgrund der geringen Ähnlichkeit der Vergleichsmarken (vgl. Abschnitt 4. Ziffern b) und c)) ausgeschlossen ist, dass sie die jüngere Marke mit den beiden Widerspruchsmarken gedanklich in Verbindung bringen.
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7. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.