BPatG München 3. Senat, Urteil vom 17.12.2024, AZ 3 Ni 6/23 (EP), ECLI:DE:BPatG:2024:171224U3Ni6.23EP.0
Tenor
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 1 696 016
(DE 60 2004 051 017)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2024 durch den Vorsitzenden Richter Schramm, den Richter Schwarz, die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg und die Richter Dipl.-Chem. Dr. Jäger und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beklagten waren gemeinsam eingetragene Inhaberinnen des aufgrund der internationalen Anmeldung vom 25. November 2004, die als WO 2005/052087 am 9. Juni 2005 veröffentlicht worden ist, unter Inanspruchnahme der Prioritäten aus den japanischen Anmeldungen JP 2003394855 vom 26. November 2003, JP 2004041503 vom 18. Februar 2004, JP 2004154548 vom 25. Mai 2004 und JP 2004159306 vom 28. Mai 2004 auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in englischer Verfahrenssprache erteilten und seit 25. November 2024 infolge der Patentdauer erloschenen europäischen Patents 1 696 016 (Streitpatent) mit der Bezeichnung „PHOSPHOR AND LIGHT EMISSION APPLIANCE USING PHOSPHOR“ (in Deutsch laut Streitpatentschrift: „LEUCHTSTOFF UND LICHTEMITTIERENDE VORRICHTUNG MIT DIESEM LEUCHTSTOFF“).
2
Das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Patentnummer DE 60 2004 051 017.3 geführte Streitpatent betrifft einen im Wesentlichen aus einer anorganischen Verbindung bestehenden Leuchtstoff, der mit einer Wellenlänge von ≥ 570 nm fluoresziert, sowie seine Anwendung in Beleuchtungseinrichtungen und Bildanzeigeeinheiten, als Pigment und UV-Absorber (GDM1, [0001]). Es umfasst 12 Patentansprüche, von denen die Patentansprüche 1, 11 und 12 nebengeordnet und die Patensprüche 2 bis 10 mittelbar oder unmittelbar auf den Patentanspruch 1 zurückbezogen sind. Die nebengeordneten Patentansprüche 1, 11 und 12 lauten in der Verfahrenssprache und in der deutschen Übersetzung laut Streitpatentschrift wie folgt:
3
- 1. A phosphor comprising an inorganic compound which is a composition containing at least M Element, A Element, D Element, E Element, and X Element, wherein M Element is Eu, A Element is one or two elements selected from the group consisting of Ca and Sr, D Element is Si, E Element is Al, and X Element is one or two or more elements selected from the group consisting of O, N, and F, wherein the inorganic compound has the same crystal structure as that of CaAISiN3, wherein the inorganic compound is represented by the composition formula M
aA
bD
cE
dX
e, wherein a + b = 1 and wherein the parameters a, c, d, and e satisfy all the requirements:
0.00001 ≤ a ≤ 0.1 (i)
0.5 ≤ c ≤ 4 (ii)
0.5 ≤ d ≤ 8 (iii)
0.8 × (2/3 + 4/3 × c + d) ≤ e (iv)
and
e ≤ 1.2 × (2/3 + 4/3 × c + d) (v) - 1. Leuchtstoff, der eine anorganische Verbindung aufweist, die eine Zusammensetzung ist, die mindestens ein Element M, ein Element A, ein Element D, ein Element E und ein Element X enthält, wobei das Element M Eu ist, das Element A aus einem oder zwei Elementen besteht, die aus der Gruppe ausgewählt sind, die aus Ca und Sr besteht, das Element D Si ist, das Element E Al ist und das Element X aus einem, zwei oder mehreren Elementen besteht, die aus der Gruppe ausgewählt sind, die aus O, N und F besteht, wobei die anorganische Verbindung dieselbe Kristallstruktur wie jene von CaAISiN3 aufweist, wobei die anorganische Verbindung durch die Zusammensetzungsformel M
aA
bD
cE
dX
e repräsentiert wird, wobei a + b = 1 und wobei die Parameter a, c, d, und e alle die Anforderungen erfüllen:
0,00001 ≤ a ≤ 0.1 (i)
0,5 ≤ c ≤ 4 (ii)
0,5 ≤ d ≤ 8 (iii)
0,8 × (2/3 + 4/3 × c + d) ≤ e (iv) und
e ≤ 1,2 × (2/3 + 4/3 × c + d) (v) - 11. A lighting equipment constituted by a light-emitting source and a phosphor, wherein at least the phosphor according to any one of the claims 1 to 10 is used.
- 11. Beleuchtungseinrichtung, die durch eine lichtemittierende Quelle und einen Leuchtstoff gebildet wird, wobei mindestens der Leuchtstoff nach einem der Ansprüche 1 bis 10 verwendet wird.
- 12. An image display unit constituted by an excitation source and a phosphor, wherein at least the phosphor according to any one of the claims 1 to 10 is used.
- 12. Bildanzeigeeinheit, die durch eine Anregungsquelle und einen Leuchtstoff gebildet wird, wobei mindestens der Leuchtstoff nach einem der Ansprüche 1 bis 10 verwendet wird.
4
Mit ihrer Nichtigkeitsklage begehrt die Klägerin, welche von der Beklagten wegen angeblicher Patentverletzung gerichtlich in Anspruch genommen wird, die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents wegen fehlender Ausführbarkeit und mangels Patentfähigkeit. Die Beklagten verteidigen ihr Patent in der erteilten Fassung sowie jeweils als geschlossener Anspruchssatz in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 3. Wegen des Wortlauts der Patentansprüche nach den Hilfsanträgen in der Verfahrenssprache und in deutscher Übersetzung wird auf die Anlagen zu den Schriftsätzen der Beklagten vom 2. April 2024 und vom 25. November 2024 verwiesen.
5
Aufgrund des Streitpatents war eine weitere Verletzungsklage beim Landgericht anhängig, die Grundlage des Nichtigkeitsverfahrens 3 Ni 16/23 (EP) zum selben Streitpatent ist. Nachdem die Beklagten diese Verletzungsklage zurückgenommen haben, haben die Parteien des vorgenannten Nichtigkeitsverfahrens den Rechtsstreit übereinstimmend mit gegensätzlichen Kostenanträgen, über die noch zu befinden sein wird, für erledigt erklärt.
6
Beide Parteien haben zur Stützung ihres jeweiligen Vortrags u.a. folgende Druckschriften eingereicht (Nummerierung und Kurzzeichen von den Parteien vergeben):
7
GDM1 EP 1 696 016 B1 (Streitpatentschrift) mit deutscher Übersetzung, nachgereicht mit Schriftsatz vom
8
27. November 2024
9
GDM4 DE 697 02 929 T2
10
GDM5 WATANABE, H. et al, Journal of the Electrochemical Society, 2008, 155 (3), S. F31-F36
11
GDM6 MIKAMI, M. et al., IOP Conference Series: Materials Science and Engineering, 2009, 1, 012002, S. 1-10
12
GDM7 KIM, H.S. et al., ECS Journal of Solid State Science and Technology, 2014, 3(12), S. R234-R237
13
GDM8 WANG, Q. et al., Optoelectronics and Advanced Materials – Rapid Communications, 2018, Vol. 12, No. 1-2, S. 95-99
14
GDM9 … , M., Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme, Gutachten vom 9. Dezember 2022, S. 1-11
15
GDM10 … , M., Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme, Versuchsbericht vom 17. Februar 2022, S. 1-9
16
GDM10a … , M., Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme, Gutachten vom 29. Januar 2024 zum Versuchsbericht GDM10 und zum Gutachten SB10 von Prof. X … . 1/11–3/11
17
GDM12 HÖPPE, H.A. et al, Journal of Physics and Chemistry of Solids, 2000, 61, S. 2001-2006
18
GDM13 SCHNICK, W. et al., Zeitschrift für Anorganische und Allgemeine Chemie, 2003, 629, S. 902-912
19
GDM14 CaAISiN3 JCPDS (Joint Committee on Powder Diffraction Standards) card 00-039-0747, 30. November 2022, eine Seite
20
GDM15 HUANG, Z.-K. et al., Journal of Materials Science Letters, 1985, 4, S. 255-259
21
GDM16 OTTINGER, F. und NESPER, R., Poster ausgestellt auf der 9th European Conference on Solid State Chemistry, Stuttgart, 2003, 3.-6. September
22
GDM17 OTTINGER, F., Dissertation, ETH Zürich 2004, 187 Seiten
23
GDM20 JP2003394855 (erste Priorität zu EP 1 696 016 B1)
24
GDM20a Englischsprachige Übersetzung der GDM20
25
GDM21 JP2004041503 (zweite Priorität zu EP 1 696 016 B1)
26
GDM21a Englischsprachige Übersetzung der GDM21
27
GDM22 JP2004154548 (dritte Priorität zu EP 1 696 016 B1)
28
GDM22a Englischsprachige Übersetzung der GDM22
29
GDM23 JP2004159306 (vierte Priorität zu EP 1 696 016 B1)
30
GDM23a Englischsprachige Übersetzung der GDM23
31
GDM24 WO 2005/078811 A1
32
GDM24a DE 11 2005 000 396 T5
33
GDM24b JP 2004041502 (Prioritätsdokument der GDM24)
34
GDM24c Englische Maschinenübersetzung von JP2005235934 A
35
GDM24d Englische Maschinenübersetzung von GDM24
36
GDM25 EP 1 568 753 A2
37
GDM25a JP 2004055536 (Prioritätsdokument der GDM25)
38
GDM26 WO 2005/103199 A1
39
GDM26a JP 2004131770 (Prioritätsdokument der GDM26)
40
GDM26b Beglaubigte Übersetzung der GDM26a
41
GDM27 JP 2004067837 A
42
GDM27a Englische Maschinenübersetzung von GDM27
43
SB1a US 2015/0214444 A1
44
SB1b ZOU, J. et al., Ceramics International, 2016, 42,
S. 14956-14962
45
SB1c US 2020/0251619 A1
46
SB2 YAMAMOTO S., Auszug aus Laborbuch nebst englischsprachiger Übersetzung (EN) vom 12. Januar 2004, 8 Seiten
47
SB6 UEDA, K., Versuchsbericht vom 12. Juni 2023 nebst englischsprachiger Übersetzung (EN) und Artikel von FIEDLER, T. et al., Chemistry A European Journal Communication, 2020, 26, S. 795-798
48
SB9 US 6 682 663 B2
49
SB10 … , C., Stellungnahme zu GDM1 vom 8. September 2023, 19 Seiten
50
SB11 WANG, P.L. et al., Journal of the European Ceramic Society, 1999, 19, S. 553-560
51
Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Streitpatent nicht ausführbar offenbart sei, weil es keine Lösung für die angesprochene Aufgabe gegenüber dem Stand der Technik biete. Denn bei dem beanspruchten Leuchtstoff handle es sich um einen funktionellen Stoff, der ausgebildet und geeignet sein müsse, diese Funktion über die gesamte beanspruchte Breite praktisch erheblich zu erfüllen. Dies sei aber ausweislich verschiedener Nacharbeitungen, die entgegen der Auffassung der Beklagten sach- und fachgerecht durchgeführt worden seien, nicht der Fall.
52
Des Weiteren sei der beanspruchte Leuchtstoff gegenüber den Druckschriften GDM24/GDM24a, GDM25 sowie GDM26 nach Maßgabe der von ihnen in Anspruch genommenen Prioritäten jeweils nicht neu. Diese Druckschriften bildeten einen berücksichtigungsfähigen Stand der Technik, weil das Streitpatent zu Recht lediglich die Priorität aus der Voranmeldung GDM23/GDM23a vom 28. Mai 2004 beanspruchen könne. Die anderen Prioritätsschriften sähen für die Parameter (i) bis (v) gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents andere Bereiche vor, lehrten nicht die beanspruchte Alternative des vollständigen Ersatzes von Calcium durch Strontium in dem Leuchtstoff und verlangten einen Gehalt von mindestens 50 Gew.-% dieser Verbindung, wonach es sich um andere Erfindungen als die streitpatentgemäßen Gegenstände handle.
53
Darüber hinaus fehle es der streitpatentgemäßen Lösung – auch vor dem Hintergrund der von den Beklagten vorgelegten wissenschaftlichen Arbeit SB11 – gegenüber den Druckschriften GDM4, GDM12 bis GDM17 und GDM27/GDM27a, letztere insbesondere in Kombination mit GDM15 oder GDM16, an einer erfinderischen Tätigkeit. Auch in der Fassung des Hilfsantrags 1 könne das Streitpatent keinen Bestand haben, da der damit beanspruchte Gegenstand gegenüber GDM26/GDM26a entweder nicht neu oder aber nicht ausführbar sei. Zu den Hilfsanträgen 2 und 3 ist von Seiten der Klägerin nicht vorgetragen worden.
54
Die Klägerin beantragt,
55
das europäische Patent 1 696 016 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
56
Die Beklagten beantragen,
57
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hilfsantrags 1 gemäß Schriftsatz vom 2. April 2024, weiter hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge 2 oder 3 gemäß Schriftsatz vom 25. November 2024 (jeweils in der Verfahrenssprache) erhält.
58
Die Beklagten halten den Gegenstand des Streitpatents in wenigstens in einer der verteidigten Fassungen für schutzfähig.
Entscheidungsgründe
I.
59
Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Streitpatent ist gemäß Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 und 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) und b) EPÜ i. V. m. Art. 52 und 56 EPÜ bereits in der erteilten Fassung patentfähig.
60
1. In der Beschreibung führt das Streitpatent (GDM1) aus, dass durch energiereiche Strahlung angeregte Leuchtstoffe das Problem einer abnehmenden Lumineszenz aufwiesen, dem durch den Einsatz von Sialon-Leuchtstoffen, Nitrid- und Oxynitrid-Leuchtstoffen begegnet werde (GDM1, [0002] und [0005]). Um weißes Licht zu erzeugen, würden konventionell blaues Licht emittierende Dioden mit gelbes Licht emittierenden Leuchtstoffen kombiniert, was wegen einer ungenügenden Rotkomponente zu einem bläulich-weißen Licht führe. Gleichermaßen kämen Kombinationen mit zwei unterschiedlichen rotes Licht emittierenden Leuchtstoffen zur Anwendung, die aber hinsichtlich der Farbwiedergabe, der Leuchtdichte oder auch der Umweltverträglichkeit verbesserungswürdig seien (GDM1, [0008-0010]).
61
2. Das Streitpatent geht vor diesem Hintergrund von einem Bedarf nach verbesserten orangefarbenes oder rotes Licht emittierenden Leuchtstoffen aus. Beabsichtigt sei die Bereitstellung eines Leuchtstoffs, der langwelliger als herkömmliche Seltenerd-aktivierte Sialon-Leuchtstoffe emittiere, eine hohe Leuchtdichte aufweise und chemisch stabil sei. Weiterer Gegenstand der Erfindung sei es, eine Beleuchtungseinrichtung mit hervorragenden Farbwiedergabeeigenschaften und eine Bildanzeigeeinheit mit hervorragender Haltbarkeit bereitzustellen (GDM1, [0011]).
62
Als
objektive Aufgabe erschließt sich für den Fachmann, anders als es die Klägerin sieht, die Bereitstellung eines Leuchtstoffs, der seine Funktion erfüllt, also entsprechend ausgebildet und geeignet sein muss, um in einer Beleuchtungseinrichtung oder Bildanzeigeeinheit gemäß den Patentansprüchen 11 und 12 verwendet werden zu können.
63
a) Der Klägerin zufolge komme es bei der Beurteilung der Ausführbarkeit einer Funktionserfindung auf die im Patent angegebene Aufgabe an, welche von den Beklagten als „subjektive Aufgabe“ bezeichnet, gerade nicht außer Acht zu lassen sei. Was die Erfindung laut Beschreibung erreichen wolle, sei bei der Auslegung eines Patentanspruchs und der Ermittlung des Anspruchsgegenstands ein wesentliches Element dieser Auslegung. Insoweit sehe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine „wertende Betrachtung“ der allgemeinsten Form der Lehre eines Streitpatents vor (u.a. BGH Urteil vom 12. März 2019 – X ZR 32/17, GRUR 2019, 713-718, Rn. 41 – Cer-Zirkonium-Mischoxid I; Urteil vom 12. März 2019 – X ZR 34/17, GRUR 2019, 718-725, Rn. 23 – Cer-Zirkonium-Mischoxid II; Urteil vom 25. Februar 2010 – Xa ZR 100/05, GRUR 2010, 414-416, Rn. 23 – Thermoplastische Zusammensetzung). Die Aufgabe bzw. das technische Problem sei das, was sich für den fachmännischen Leser aus der Patentschrift isoliert betrachtet ergebe, nicht jedoch das, was sich im Vergleich zum Stand der Technik ergebe, entsprechend einer objektiven Aufgabe im Sinne des „problem-solution-approach“ des Europäischen Patentamts (BGH Urteil vom 22. Mai 1990 – X ZR 124/88, GRUR 1991, 811-814, Ls. 2 – Falzmaschine; Urteil vom 15. Juli 2021 – X ZR 60/19, Ls. 1 und 2 – Stereolithographiemaschine). Das Streitpatent gehe von einem bekannten Stand der Technik aus (GDM1, [0004-0007]), der die als unzulänglich stabil beschriebene und bei der patentgemäßen Synthese in großen Mengen anfallende Verbindung Sr
2Si
5N
8:Eu gemäß SB9 umfasse. Es gehe also darum, Leuchtstoffe im Hinblick auf chemische Stabilität und Lumineszenz zu verbessern; folglich seien diese zwei Parameter in die Aufgabendefinition aufzunehmen. Dies wirke sich allerdings auch auf die Ausführbarkeit der erfindungsgemäßen Lehre aus, welche gerade bei einem hohen Strontiumanteil nicht gegeben sei, was auch die nachveröffentlichte GDM6 betone (GDM6, S. 3 Abs. 2 „practically difficult“).
64
b) Der Auffassung der Klägerin ist nicht zu folgen. Denn dem mit Patentanspruch 1 beanspruchten anorganischen Leuchtstoff, dessen Leuchtvermögen inhärent gegeben ist, liegt die Aufgabe seiner Bereitstellung zugrunde. Soweit das Streitpatent in Absatz [0007] darüber hinaus informiert, dass auch Leuchtstoffe bekannt seien, die rotes Licht emittierten, aber die Leuchtdichte der roten Farbe bei Anregung mit blauem sichtbarem Licht nicht ausreichend sei und sie außerdem in einigen Zusammensetzungen chemisch instabil seien, so dass ihre Haltbarkeit problematisch sei, fehlt zum einen jeder Bezug zu den in Absatz [0004] der GDM1 zitierten Verbindungen nach SB9, zum anderen werden die erfindungsgemäßen Verbindungen der SB9 als stabil bewertet (SB9, Sp. 2 Z. 13-23 i. V. m. Anspr. 1 und Sp. 4 Tab. 1 „high chemical and thermal stability“). GDM6 untersucht hingegen die Stabilität solcher Verbindungen unter nicht vergleichbaren Bedingungen. Vorrangig ist aber, dass das Streitpatent keinen reinen Leuchtstoff beansprucht (GDM1, [0039]), für den eine besondere chemische Beständigkeit der Mischung insgesamt nicht erforderlich ist. Dass sich Sr
2Si
5N
8:Eu in der Anwendung als chemisch unbeständig erweist, ergibt sich weder aus GDM6 noch aus SB9. Nicht zuletzt sind weder die Luminanz noch die chemische Stabilität des beanspruchten Leuchtstoffs Merkmale des Patentanspruchs 1. Folglich ist ihre Aufnahme in die objektive Aufgabe nicht angezeigt. Als Aufgabe ergibt sich ausschließlich dasjenige Problem, das durch die beanspruchte Erfindung tatsächlich, d.h. objektiv, bewältigt wird (u.a. BGH – Falzmaschine, a. a. O.).
65
3. Die Lösung der Aufgabe nach Streitpatent werde mit einem Leuchtstoff nach Patentanspruch 1 erreicht, der sich wie folgt gliedern lässt:
66
M1 Leuchtstoff Eu
a(Ca und/oder Sr)
1-aSi
cAl
d(O und/oder N und/oder F)
e
67
M1A mit derselben Kristallstruktur wie CaAlSiN
3
68
M1B wobei die Parameter der Verbindung
M1 folgende Anforderungen erfüllen:
69
0,00001 £ a £ 0,1 (i),
70
0,5 £ c £4 (ii),
71
0,5 £ d £8 (iii),
72
0,8 x (2/3 + 4/3 x c + d) £ e (iv)
73
e £ 1,2 x (2/3 + 4/3 x c + d) (v)
74
Die Patentansprüche 11 und 12 der GDM1 sind auf eine Beleuchtungseinrichtung bzw. eine Bildanzeigeeinheit gerichtet, die mindestens den Leuchtstoff nach einem der Patentansprüche 1 bis 10 aufweist, nebst einer lichtemittierenden Quelle bzw. einer Anregungsquelle.
75
4. Ein Teil der Begriffe bedarf der Auslegung. Der zuständige Fachmann, ein Chemiker bzw. Physikochemiker mit Diplom- oder Master-Abschluss und besonderen Fachkenntnissen und mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet anorganischer Leuchtstoffe und LED-Technik, der bei der Entwicklung von Beleuchtungseinrichtungen oder Bildanzeigeeinheiten mit einem Diplom-Ingenieur oder Master der Elektrotechnik im Team zusammenarbeitet, versteht die erörterungsbedürftigen Merkmale von Patentanspruch 1 wie folgt:
76
a) Gegenstand des Streitpatents ist eine Stoffzusammensetzung als „Leuchtstoff“. Damit wird, was zwischen den Parteien auch unstreitig ist, der beanspruchten Stoffzusammensetzung eine Funktion zugewiesen. Dies bedeutet allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, dass sie in der Beschreibung genannte Vorteile, insbesondere in Bezug auf ihre Stabilität, tatsächlich erfüllen muss. Vielmehr ist diese Funktionsangabe nach ständiger Rechtsprechung nur dahin zu verstehen, dass sie so ausgebildet und geeignet sein muss, den beanspruchten Zweck grundsätzlich zu erfüllen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2023 – X ZR 127/21, GRUR 2024, 674-680, Ls. und Rn. 27 – Trägerelement; Urteil vom 6. Dezember 2022 – X ZR 120/20, GRUR 2023, 246-250, Rn. 29 – Verbindungsleitung).
77
b) Nach Merkmal
M1A weist der beanspruchte Leuchtstoff dieselbe Kristallstruktur wie das bekannte Material CaAISiN
3 auf, das in der Raumgruppe Cmc2
1 kristallisiert. GDM1 beschränkt aber die beanspruchten Verbindungen nicht auf dieselbe, sondern erstreckt diese auch auf ähnliche Raumgruppen (Symmetriegruppen), solange die durchschnittlichen Bindungslängen nicht zu sehr von der der Grundverbindung abweichen (GDM1, [0031], ±15%). Dazu gibt GDM1 eine bei geringer Dotierung anwendbare Analysemethode an, die sich auf etwa zehn stärkere Peaks im Diffraktogramm stützt (GDM1, [0032]). Bei der Beurteilung der Verwirklichung dieses Merkmals kann also nicht allein auf die Bindungsabstände abgestellt werden.
78
c) Gemäß Merkmal
M1 i. V. m.
M1B definiert der Parameter „a“ den Bereich von 0,001 bis 10%, innerhalb dessen im Kristallgitter die Alkalimetalle Calcium (Ca) und Strontium (Sr) durch Europium (Eu) ersetzt werden können, entsprechend liegt der Anteil Ca/Sr zwischen 90% und 99.99%. Europium ist die Dotierung, die die Leuchteigenschaften (Fluoreszenz) des Leuchtstoffs bewirkt (GDM1, [0014]). Der Parameter „e“ gibt den die Elektroneutralität der Verbindung nach Patentanspruch 1 bedingenden Bereich an Anionen vor.
79
5. Das Streitpatent nimmt die Priorität der JP 2004041503 (GDM21/GDM21a) vom 18. Februar 2004 zulässig in Anspruch. Denn dieses Prioritätsdokument offenbart im Patentanspruch 2 die allgemeine Zusammensetzungsformel nach dem erteilten Patentanspruch 1 des Streitpatents (GDM1, S. 39 le. Z.;
M1), ebenso die Möglichkeit des vollständigen Austauschs von Calcium und Strontium (GDM21a, S. 3 [Claim. 2] Z. 4 ff. „A is one or two or more elements selected from Mg, Ca, Sr, and Ba“) und alle weiteren Metalle, die die Zusammensetzung charakterisieren. Auch wird in Patentanspruch 1 der GDM21 das Merkmal
M1A offenbart und nach Patentanspruch 4 auch der Zusammensetzungsformel nach Patentanspruch 2 zugewiesen. Der Klägerin ist zuzustimmen, dass sich der Patentanspruch 2 der GDM21 von Patentanspruch 1 der GDM1 durch engere Bereichsangaben für die Parameter c, d und e (GDM21a und GDM1 mit 0,5 £ c £1,8 statt 0,5 £ c £ 4, 0,5 £ d £1,8 statt 0,5 £ d £ 8 und 0,8 x (1 + c + d) £ e £ 1,2 x (1 + c + d) statt 0,8 x (2/3 + 4/3 x c + d) £ e £ 1,2 x (2/3 + 4/3 x c + d); Merkmal
M1B) unterscheidet. Allerdings ist es nach geltender Rechtsprechung dem Patentanmelder grundsätzlich unbenommen, den beanspruchten Schutz nicht auf Ausführungsformen zu beschränken, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen ausdrücklich beschrieben sind, sondern gewisse Verallgemeinerungen vorzunehmen, sofern dies dem berechtigten Anliegen Rechnung trägt, die Erfindung in vollem Umfang zu erfassen (BGH Urteil vom 11. September 2013 – X ZB 8/12, GRUR 2013, 1210-1212, Ls. 1 und Rn. 15 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Dem klägerseitigen Einwand, die Absätze [0025] bis [0027] der GDM21 gäben an, dass beim Verlassen der Parametergrenzen von c, d und e keine stabile CaAlSiN
3-Kristallform erhalten werde und die Emissionsintensität daher abnehme, steht der entsprechend weitere Parameterbereich in Patentanspruch 1 der GDM1 nicht entgegen. Denn weder beschränkt der Patentanspruch 1 der GDM21 diese Parameterbereiche, noch stehen deren Absätze [0025] bis [0027] der Lehre des Patentanspruchs 1 der GDM1 entgegen, da sich dieser Patentanspruch zur Stabilität der CaAlSiN
3-Kristallform oder zur Emissionsintensität des Leuchtstoffs nicht verhält. Gleiches gilt sinngemäß für den von der Klägerin herangezogenen Absatz [0019] der GDM21, nach dem ein Anteil des Leuchtstoffs im Gemisch von mindestens 50 Gew.-% als wünschenswert angegeben ist, während das Streitpatent nur 20 Gew.-% als wünschenswert vorsieht (GDM1 [0039] Z. 9-10). Da die Offenbarung des Gegenstands der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt ist, sondern vielmehr dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln ist und für die Beurteilung der identischen Offenbarung die Prinzipien der Neuheitsprüfung gelten, kann der Fachmann nach den obigen Ausführungen die im Patentanspruch 1 des Streitpatents bezeichnete technische Lehre der GDM21 unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen (BGH Urteil vom 15. September 2015 – X ZR 112/13, GRUR 2016, 50-54, Rn. 29 – Teilreflektierende Folie). Entsprechendes gilt für die Gegenstände der Patentansprüche 2 bis 12 der GDM1, die ihre Offenbarung in den Patentansprüchen 2, 3, 6 bis 10, 17, 20, 41 und 47 sowie Absatz [0031] der GDM21a finden.
80
Soweit zwischen den Parteien Einigkeit darüber herrscht, dass das Streitpatent die Priorität der GDM23/GDM23a zutreffend in Anspruch nimmt, kann eine diesbezügliche Bewertung ebenso wie die Bewertung der weiteren als prioritätsbegründend angegebenen Dokumente GDM20/GDM20a und GDM22/GDM22a dahinstehen. Denn für die Bewertung der Patentfähigkeit auf Basis der klägerseitig hierzu herangezogenen Dokumente kommt es lediglich auf die prioritätsbegründende Druckschrift GDM21/GDM21a an.
81
6. Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die streitpatentgemäßen Verbindungen ausführbar offenbart.
82
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine ausführbare Offenbarung vor, wenn das Streitpatent zumindest einen nacharbeitbaren Weg zur Ausführung der Erfindung aufzeigt, der Fachmann also mit Hilfe seines Fachwissens in der Lage ist, den in den Sachansprüchen beschriebenen Gegenstand herzustellen und diejenigen Verfahrensschritte auszuführen, die in den Verfahrensansprüchen bezeichnet sind (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 – X ZR 112/99, GRUR 2003, 223-226 – Kupplungsvorrichtung II; Urteil vom 11. Mai 2010 – X ZR 51/06, GRUR 2010, 901-904, Rn. 36 – Polymerisierbare Zementmischung; Urteil vom 3. Februar 2015 – X ZR 76/13, GRUR 2015, 472-476, Rn. 34 – Stabilisierung der Wasserqualität). Hierzu genügt es, wenn dem Fachmann die entscheidende Richtung angegeben wird, in der er vorzugehen hat (BGH, Urteil vom 24. März 1998 – X ZR 39/95, GRUR 1998, 1003-1006, 1005, Rn. 47 – Leuchtstoff), so dass er ohne erfinderisches Zutun und ohne zumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen zu verwirklichen (BGH, a. a. O., Rn. 31 – Polymerisierbare Zementmischung). Hierzu bedarf es nicht der Darlegung aller zur Ausführung der Erfindung erforderlicher Angaben, sofern fehlende Angaben zum Fachwissen gehören (BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 – Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916-918, Ls. und Rn. 17 – Klammernahtgerät). Falls die Auslegung des Patentanspruchs ergibt, dass eine bestimmte Wirkung nicht nur ein Vorteil ist, der der Befolgung der technischen Lehre der Erfindung zugeschrieben wird, sondern notwendiger Bestandteil dieser Lehre ist und deshalb erzielt werden muss, genügt es, wenn die Wirkung nur in geringem Maße oder nur unter bestimmten Bedingungen eintritt, sofern der erzielbare Erfolg noch praktisch erheblich ist (BGH, a. a. O., Rn. 36 – Stabilisierung der Wasserqualität). Anders als in der Rechtsprechung des EPA, welche eine Ausführbarkeit „im gesamten beanspruchten Bereich“ fordert (vgl. Schulte/Moufang, 12. Aufl. § 34 Rn. 348 m.w.N.), ist es nicht erforderlich, alle denkbaren unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallende Ausgestaltungen darzulegen (BGH, a. a. O. – Kupplungsvorrichtung II; a. a. O. – Polymerisierbare Zementmischung; a. a. O., Rn. 20 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren; a. a. O., Rn. 40 – Cer-Zirkonium-Mischoxid I; a. a. O., Rn. 21 – Cer-Zirkonium-Mischoxid II), es reicht, wenn wenigstens eine Ausgestaltung entsprechend der beanspruchten technischen Lehre nachgearbeitet werden kann.
83
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es nur einer grundsätzlich als Leuchtstoff geeigneten Stoffmischung bzw. Beleuchtungseinrichtung mit diesem Leuchtstoff. Soweit die Klägerin selbst bei hohem Strontiumgehalt nicht die Funktionsfähigkeit des beanspruchten Leuchtstoffs in Abrede stellt, sondern nur dessen Stabilität und Effizienz im Gemisch, sind diese Vorteile nicht beansprucht und daher nach ständiger Rechtsprechung bei der Beurteilung der Ausführbarkeit grundsätzlich unbeachtliche Sachverhaltselemente (BGH, a. a. O., Rn. 34 – Stabilisierung der Wasserqualität). Ob es sich um den Ausnahmefall handelt, dass die Eigenschaften der Stabilität und der Effizienz des beanspruchten Gemischs nicht nur ein angestrebter Vorteil, sondern notwendiger Bestandteil der technischen Lehre des Streitpatents ist und deshalb erzielt werden muss (BGH, a. a. O., Rn. 36 – Stabilisierung der Wasserqualität), kann dahinstehen. Denn selbst wenn dies bejaht würde, sind die für diesen Fall vom Bundesgerichtshof geforderten Voraussetzungen bereits erfüllt. Danach reicht es, wenn die Wirkung nur in geringem Maße oder nur unter bestimmten Bedingungen eintritt, sofern der erzielbare Erfolg noch praktisch erheblich ist (BGH, a. a. O., Rn. 36 – Stabilisierung der Wasserqualität). Dies ist entgegen der Auffassung der Klägerin, welche die Kriterien für die „praktische Erheblichkeit“ von Luminanz und Stabilität für den kommerziellen Einsatz sehr hoch ansetzt, aber der Fall, denn sie liegen vor, wenn der Leuchtstoff zumindest eine nicht näher festlegbare Zeit leuchtet, also „funktioniert“. Dass der Leuchtstoff nicht leuchtet, hat die Klägerin, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt (BGH, Urteil vom 28. November 2023 – X ZR 83/21, GRUR 2024, 374-381, Rn. 122 – Sorafenib-Tosylat), nicht zu belegen vermocht.
84
Denn ungeachtet der Frage, ob die klägerseits behauptete Instabilität und mangelhafte Luminanz bei dem streitpatentgemäßen Leuchtstoff außerhalb der „Erheblichkeit“ im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung liegt, unterscheiden sich die Versuche der Nacharbeitung von Beispiel 14 der GDM1 sowohl seitens der Klägerin als auch seitens der Beklagten (GDM9, GDM10, SB2, SB6) hinsichtlich mehrerer im Streitpatent vorgegebener und für Festkörperreaktionen maßgeblicher Parameter wie der Oberfläche des eingesetzten Aluminiumnitrids, der Korngröße von Siliciumnitrid, der fehlenden Siebung der Edukte, der Bestimmung des Sauerstoffgehalts der Edukte, der Volumenfüllrate, der Bestimmung der Schüttdichte oder auch einer zweistufigen Kalzinierung von dem patentgemäßen Vorgehen. Sich widersprechende Versuchsergebnisse unter nicht streitpatentgemäßen Bedingungen lassen den Nachweis fehlender Ausführbarkeit bei der streitpatentgemäßen Erfindung nicht zu, woran auch die eingereichten Gutachten SB10 und GDM10a nichts ändern können, nach welchen parteiseitig unbestrittene Unterschiede in der Versuchsdurchführung ohne einen experimentellen Nachweis im Hinblick auf die Bewertung der Ausführbarkeit als unbedeutend dargestellt werden.
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Dagegen lehrt das Streitpatent das Verfahren zur Herstellung des beanspruchten Leuchtstoffs unter Angabe von mehr als 100 Beispielen (GDM1, [0076] ff.) zur Art der Synthese, den Ausgangsstoffen, der Volumenfüllrate und Dichte der Ausgangsmischung, sowie den die Umsetzung steuernden Parametern Synthesetemperatur, Druck und Haltezeit. Eine unzureichende Offenbarung der technischen Lehre ist folglich nicht festzustellen, nicht einmal für die Varianten, bei denen Calcium zum (größeren) Teil durch Strontium ersetzt ist (GDM1, „Examples 8 to 15“), da diese nachvollziehbar in der gleichen Weise (GDM, [0087] Z. 24, [0089] Z. 36, [0091] Z. 50 etc., „in the same manner“) durchzuführen sind wie bei dem Ausführungsbeispiel ohne Strontium (GDM1, „Example 1“). Nicht zuletzt werden die Befunde aus dem Streitpatent auch durch die von beiden Parteien zur Niederdruck-Synthese erfindungsgemäßer Verbindungen vorgelegten nachveröffentlichten Dokumente GDM5 bis GDM8 und SB1a bis SB1c gestützt, die diese Art der Synthese gerade nicht als untauglich bewerten, wenngleich Abweichungen von der beispielhaften Vorgehensweise des Streitpatents zu verzeichnen sein mögen.
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7. Die streitpatentgemäßen Gegenstände sind auch patentfähig.
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a) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die beanspruchten Gegenstände des Streitpatents, das nach den vorangegangenen Ausführungen zulässig die Priorität der GDM21 vom 18. Februar 2004 in Anspruch nimmt, gegenüber den klägerseits hierzu geltend gemachten Druckschriften GDM24 bis GDM26 neu.
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Denn diese Druckschriften stellen keinen berücksichtigungsfähigen Stand der Technik dar, da sie sich auf gegenüber GDM21 nicht zeitrangältere Prioritätsdokumente stützen: So stützt sich Dokument GDM24 auf ein japanisches Prioritätsdokument GDM24b/c ebenfalls vom 18. Februar 2004, Dokument GDM25 auf ein japanisches Prioritätsdokument GDM25a vom 27. Februar 2004 und GDM26 auf ein japanisches Prioritätsdokument GDM26a/b vom 27. April 2004.
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Die weiteren von der Klägerin als Stand der Technik benannten Druckschriften offenbaren ebenfalls keine Zusammensetzung mit allen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1.
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b) Gleichermaßen beruhen die beanspruchten Gegenstände des Streitpatents gegenüber den klägerseits hierzu geltend gemachten Druckschriften GDM4 und GDM12 bis GDM17 sowie GDM27 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
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aa) GDM27 ist als zeitrangjüngere japanische Patentanmeldung mit dem Anmeldetag 6. August 2002 und dem Veröffentlichungstag 04. März 2004 für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit bei den Gegenständen nach Streitpatent nicht heranzuziehen. Die insoweit von der Klägerin angestrengte Diskussion fehlender erfinderischer Tätigkeit bei dem Leuchtstoff nach Streitpatent gegenüber der Kombination von GDM27 mit GDM15 oder SB11 kann insoweit keinen Beitrag zu einer patentrechtlichen Bewertung leisten.
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bb) Die Dokumente GDM14 bis GDM17 belegen CaAISiN
3 als eine dem Fachmann bekannte, stabile und inerte, durch Sintern der Ausgangsmaterialien zugängliche Kristallstruktur. Keine dieser Druckschriften offenbart, von der Klägerin unbestritten, eine Dotierung dieses Materials unter Erhalt der Kristallstruktur, der Stabilität oder zu dessen Verwendung als Leuchtstoff. Dazu kommt, dass die mit dem Si
3N
4-AlN-CaO-System befasste Druckschrift GDM15 entgegen der Darstellung der Klägerin keine Niederdrucksynthese von CaAlSiN
3 betrifft (GDM15, S. 255, li. Sp. vorle. Abs., S. 257, re. Sp. le. Abs. „hot-pressing“), so dass kein Vergleich der dort gewählten Versuchsbedingungen mit Lehren aus anderen Druckschriften ohne Anwendung von Druck möglich ist.
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GDM12 hat die Aktivierung von Ba
2Si
5N
8 mit Europium zum Thema, betrifft also eine Verbindung aus vier Elementen, die sich von den Eu-dotierten Verbindungen gemäß Merkmal
M1 mit zumindest fünf Elementen durch das Fehlen von Aluminium und Calcium und/oder Strontium unterscheiden. Wie GDM1 in Absatz [0004] zusammenfasst, informiert GDM12 zwar darüber, dass die Dotierung von Leuchtstoffen auf Siliciumnitridbasis eine Rolle spielen kann. GDM12 spricht dann aber die Merkmale
M1A und
M1B nicht an, mithin nicht ein einziges Merkmal des erteilten Patentanspruchs 1. Zudem ist GDM12 keine Anregung zu entnehmen, trivalente Metalle wie Aluminium in der Kristallphase in Betracht zu ziehen, was in GDM1 besonders betont wird (GDM1, [0012] insb. Z. 57). Somit ist nicht erkennbar, wie die Lehre der GDM12 den Fachmann auf den erfindungsgemäßen Lösungsweg führen könnte.
94
GDM13 befasst sich mit der Synthese u.a. von Nitridosilicaten, Oxonitridosilicaten und Oxonitridoaluminosilicaten (GDM13, Abstract), spricht aber den speziellen Zusammensetzungstyp des Streitpatents nicht an. Dokument GDM13 untersucht die Fluoreszenz dieser Verbindungen und findet damit das Interesse des Fachmanns, auch wenn andere Verwendungszwecke für diese genannt sind (GDM13, S. 902 li. Sp. unten). Die in GDM12 näher behandelte Zusammensetzung Ba
2-xEu
xSi
5N
8 sei GDM13 zufolge ein Material, das bei ca. 600 nm fluoresziere (GDM13, S. 904 re. Sp. Abs. 1). Entsprechend GDM12 handelt sich, anders als dies Merkmal
M1 fordert, um eine Bariumverbindung und um eine Verbindung, die weder Ca oder Sr noch Al enthält. Auch in GDM13 sind die Merkmale
M1A oder
M1B nicht angesprochen. Soweit GDM13 Sialone untersucht (GDM13, S. 904 li. Sp. vorle. Abs.), werden diese auch in GDM1 als möglicher Ausgangspunkt erwähnt (GDM1, [0002] und [0003]). Wie bei dem klägerseits benannten Ausgangspunkt GDM12 lassen sich auch von GDM13 ausgehend weder Motivation noch Weg herleiten, die Ergebnisse zu der konkret genannten Verbindung Ba
2-xEu
xSi
5N
8 ohne dreiwertiges Metall auf patentgemäße Sialone zu übertragen.
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GDM4 beschreibt einen Cer-dotierten Yttrium-Aluminium-Granat (YAG) (GDM4, S. 17 Abs. 1), an welchen auch das Streitpatent anknüpft (GDAM1, u.a. [0008]-[0010]). Der Klägerin ist zuzustimmen, dass GDM4 die Stabilität des dort eingesetzten Leuchtstoffs mit Granatstruktur betont (GDM4, Anspr. 1, S. 18 Z. 12-14, S. 41 Z. 11, S. 43 Z. 2-3). Auch ihrem Vortrag, der Fachmann suche einen Leuchtstoff, der bei längeren Wellenlängen emittiere als der nach GDM4, mag zu folgen sein. Jedoch sieht GDM4 nur vor, dies durch den Ersatz von Yttrium durch Gadolinium und/oder Lanthan im YAG-Fluoreszenzmaterial zu bewerkstelligen (GDM4, S. 18 Z. 17-21, S. 21 Z. 1-5, S. 34 Z. 13-24). Weitere Hinweise oder Anregungen, die einen Beitrag zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe leisten könnten, findet der Fachmann in GDM4 jedoch nicht.
96
In Summe mögen die Druckschriften GDM12 und GDM13 auch eine Eu-Dotierung ausgewählter (Oxo)nitridoaluminosilicate lehren. Sie veranlassen aber weder dazu, die CaAISiN
3-Struktur in den Blick zu nehmen und auf deren Strukturerhalt zu achten, noch sich mit dem in GDM1 beanspruchten System aus fünf Elementen, darunter dreiwertige Metalle, näher zu befassen. Danach kann die beliebig kombinierte Zusammenschau der aufgezeigten Druckschriften einzig in Kenntnis der Erfindung zum Leuchtstoff der GDM1 führen.
97
8. Die Gegenstände der Patentansprüche 2 bis 12 haben mit dem bestandsfähigen Leuchtstoff nach Patentanspruch 1 des Streitpatents (GDM1) Bestand.
98
Bei dieser Sach- und Rechtslage brauchte auf die Hilfsanträge nicht mehr eingegangen zu werden.
II.
99
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
100
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.