BVerwG 3. Senat, Beschluss vom 13.12.2024, AZ 3 C 10/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:131224B3C10.23.0
Leitsatz
Ein mittlerer Schulabschluss (Realschulabschluss) ist keine Vorbildung, die einer abgeschlossenen Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 FahrlG gleichwertig ist.
Verfahrensgang
vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 26. April 2023, Az: 2 A 310/22, Urteil
vorgehend VG Darmstadt, 28. Mai 2021, Az: 3 K 1871/18.DA, Gerichtsbescheid
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. April 2023 und der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 28. Mai 2021 sind wirkungslos.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Die Beteiligten haben vor den verfahrensbeendenden Erledigungserklärungen darüber gestritten, ob die Klägerin mit ihrem Realschulabschluss zur Fahrlehrerprüfung zuzulassen ist, weil dieser gegenüber einer Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Fahrlehrergesetzes eine gleichwertige Vorbildung ist.
2
Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2021 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Zulassung zur Fahrlehrerprüfung unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu bescheiden. Ihr Realschulabschluss sei eine gleichwertige Vorbildung. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 26. April 2023 den Gerichtsbescheid geändert und die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin die in dem Urteil zugelassene Revision eingelegt.
3
Mit Schriftsatz vom 2. November 2024 hat sie den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Sie habe zwischenzeitlich eine Berufsausbildung zur Automobilkauffrau abgeschlossen und wohne nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 6. November 2024 angeschlossen.
II
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Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 i. V. m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO einzustellen. Zugleich ist die Unwirksamkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen festzustellen (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO in entsprechender Anwendung) und gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden.
5
Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Ihre Revision wäre voraussichtlich erfolglos geblieben. Die für die Zulassung zur Fahrlehrerprüfung im Streit befindliche Frage, ob ein mittlerer Schulabschluss (Realschulabschluss) eine Vorbildung ist, die einer abgeschlossenen Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Fahrlehrergesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2162) gleichwertig ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht verneint.
6
Aus der Gesetzgebungsgeschichte des Fahrlehrergesetzes (FahrlG) ergibt sich, dass allein der mittlere Schulabschluss (Realschulabschluss) nach dem Willen des Gesetzgebers keine ausreichende Vorbildung für den Fahrlehrerberuf ist.
7
Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen vom 3. Februar 1976 (BGBl. I S. 257) regelte erstmalig Bildungsvoraussetzungen für den Zugang zu dem Beruf des Fahrlehrers. Ausgehend von dem Vorschlag des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, mindestens einen abgeschlossenen Hauptschulabschluss oder eine gleichwertige Schulausbildung vorauszusetzen (BT-Drs. 7/3913 S. 4 und 7), führten die parlamentarischen Beratungen zu dem Ergebnis, dass der Bewerber mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf nach abgeschlossener Hauptschulausbildung oder eine gleichwertige Vorbildung besitzen musste (§ 2 Nr. 2a FahrlG a. F.). Leitbild wurde damit ein auf dem Hauptschulabschluss aufbauender Abschluss einer Berufsausbildung. Zur Gleichwertigkeit einer rein schulischen Ausbildung traf der Verkehrsausschuss in seinem Bericht die Aussage, ohne zusätzliche Berufsausbildung seien die allgemeine oder die fachgebundene Hochschulreife anzuerkennen (BT-Drs. 7/4238 S. 2).
8
Zu § 2 Nr. 2a FahrlG a. F. hat das Oberverwaltungsgericht Münster im Anschluss an die Literatur entschieden, dass eine gleichwertige Vorbildung auch in einem höherwertigen Schulabschluss wie namentlich der Fachhochschulreife oder dem Abitur bestehen könne. Vorauszusetzen sei aber eine Abschlussprüfung nach dem 11. Schuljahr; ein Schulabschluss bereits nach zehn Schuljahren genüge nicht (OVG Münster, Urteil vom 3. Juni 1996 – 25 A 6898/95 – VkBl. 1997, S. 786, 787).
9
Der Gesetzgeber hat keinen Anlass für eine andere Bewertung der Gleichwertigkeit einer schulischen Ausbildung gesehen. Mit dem Entwurf eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 23. Januar 2017 schlug die Bundesregierung eine Reform des Fahrlehrerrechts unter anderem mit den Zielen vor, die Fahrlehrerausbildung im Interesse der Verkehrssicherheit zu verbessern und die Zugangsvoraussetzungen zu überarbeiten, um einem Nachwuchsmangel zu begegnen. Dazu solle die Voraussetzung eines Hauptschulabschlusses gestrichen und allein auf den Abschluss in einem anerkannten Lehrberuf abgestellt werden; als gleichwertige Vorbildung sei u. a. das Abitur anzusehen (BT-Drs. 18/10937 S. 14, 74, 120). Der Bundesrat ist dem mit der Forderung entgegengetreten, die Vorbildungsvoraussetzungen anzuheben. Erforderlich solle mindestens sein, dass der Bewerber über einen mittleren Schulabschluss mit abgeschlossener Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder über die Fachhochschulreife verfüge (BT-Drs. 18/11289 S. 1). Die Bundesregierung hat die Forderung abgelehnt. Der Verzicht auf einen Schulabschluss öffne den Erwerb der Fahrlehrerlaubnis bewusst für Bewerber, die möglicherweise über langjährige Berufserfahrung mit Ausbilderbefugnis verfügten. Die Zugangsvoraussetzungen dürften nicht zu hoch sein, um dem Nachwuchsmangel begegnen zu können. Zu der Frage, welcher Schulabschluss für sich gesehen als einer beruflichen Ausbildung gleichwertig zu betrachten ist, äußerte sich die Bundesregierung nicht (BT-Drs. 18/11289 S. 7). Der Verkehrsausschuss hat eine Sachverständigenanhörung durchgeführt, in der unterschiedliche Auffassungen zu der Forderung des Bundesrates nach einem mittleren Schulabschluss geäußert wurden (Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 8. März 2017, Protokoll-Nr. 18/99 S. 6 f., 14 f., Ausschussdrucksachen 18<15>477-D S. 5 und 18<15>477-E S. 1). Welcher Schulabschluss für sich gesehen als gleichwertig zu betrachten sei, war nicht Gegenstand der Anhörung. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses enthalten hierzu keine Aussage. Auch den Redebeiträgen im Plenum des Bundestages lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, dass der Gesetzgeber die Anforderungen an die Gleichwertigkeit einer reinen Schulbildung anders bewertet hätte. Das gilt sowohl für die in dem angefochtenen Urteil in Bezug genommene Rede und die Reden anlässlich der Einbringung des Gesetzes, als auch für die Reden der zweiten Lesung des Gesetzes (18. WP, 215. Sitzung vom 26. Januar 2017 StenBer Anlage 10 S. 21631 ff. und 228. Sitzung vom 30. März 2017 StenBer Anlage 10 S. 23050 ff.).
10
Die mit der Verabschiedung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2162) beabsichtigte Überarbeitung der Zugangsvoraussetzungen beschränkte sich mithin darauf, auf einen Hauptschulabschluss zusätzlich zu einer abgeschlossenen Ausbildung in einem anerkannten Lehrberuf zu verzichten und damit den Quereinstieg insbesondere für Umschüler nach längerer beruflicher Tätigkeit flexibler zu ermöglichen. Des Weiteren wurde für den Erwerb der Fahrlehrerlaubnis der Klasse BE (Kfz bis 3,5 t mit Anhänger) auf die Notwendigkeit des Besitzes der Fahrerlaubnisklassen CE (Lkw mit Anhänger) und A (Motorradklassen) verzichtet (vgl. BT-Drs. 18/10937 S. 120 <zu Nummer 6>). Weitere Erleichterungen, insbesondere eine Absenkung der Anforderungen an eine gleichwertige schulische Vorbildung, wurden nicht in Betracht gezogen.
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Die Annahme einer Gleichwertigkeit eines mittleren Schulabschlusses gegenüber dem Abschluss in einem anerkannten Lehrberuf ist in vorliegendem Zusammenhang auch sachlich nicht geboten. Der mittlere Schulabschluss (Realschulabschluss) ist ein allgemeinbildender Schulabschluss am Ende der Jahrgangsstufe zehn. Hingegen folgt der Abschluss einer Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf einer zwei- oder dreijährigen Ausbildung. Auf der Grundlage einer allgemeinen Schulpflicht von mindestens neun Jahren beruht die Berufsausbildung damit auf einer längeren Ausbildungszeit als der mittlere Schulabschluss. Bereits dies deutet darauf hin, dass der Realschulabschluss nicht als gleichwertig anzuerkennen ist.
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Zutreffend verweist der Verwaltungsgerichtshof zudem darauf, dass der Berufsausbildung ein eigenständiger Bildungswert zukommt, was so auch vom Gesetzgeber gesehen wurde (BT-Drs. 7/4238 S. 2). Die Berufsausbildung unterscheidet sich von einem mittleren Schulabschluss nicht nur hinsichtlich der dafür erforderlichen Zeit, sondern ist auch inhaltlich besonders ausgerichtet. Sie erfolgt im dualen System an zwei Lernorten, dem Betrieb und der Berufsschule. Während die Berufsschule die Allgemeinbildung vertieft und Fachkenntnisse vermittelt, liegt der Schwerpunkt der betrieblichen Ausbildung in der Vermittlung fachlicher Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten sowie praktischer Berufserfahrungen. Richtig ist, dass der Gesetzgeber (a. a. O.) auch die Feststellung getroffen hat, dass der Fahrlehrerberuf eine erhebliche sprachliche Gewandtheit erfordere. Das erlaubt jedoch keine Reduzierung auf einen Vergleich der Stundentafeln von Real- und Berufsschulen in den Unterrichtsfächern Deutsch und Fremdsprachen, wie ihn das Verwaltungsgericht vorgenommen hat. Der Gesetzgeber hat die Sprachkompetenz als eigenständige Voraussetzung für die Erteilung der Fahrlehrerlaubnis geregelt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 FahrlG) und erachtet das Sprachniveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens als erforderlich aber auch ausreichend (vgl. BT-Drs. 18/10937 S. 121). Vor allem aber darf der Eigenwert der Berufsausbildung nicht übergangen werden. Auszubildende in der beruflichen Ausbildung stehen in einem besonderen Vertragsverhältnis, in dem sie ihren Pflichten entsprechend Verantwortung übernehmen und sich bewähren müssen. Das gilt nicht nur im Umgang mit Mitschülern und Lehrern, sondern auch im Umgang mit Ausbildern, Kollegen, Vorgesetzten und außenstehenden Dritten, und betrifft die Vertiefung sozialer und kommunikativer Kompetenzen. Jenseits schulischer Wissensvermittlung sind diese Kompetenzen gleichermaßen wichtige Grundlagen einer erfolgreichen Fahrlehrerausbildung und -tätigkeit. Der Gesetzgeber hat zwar erkennen lassen, dass eine gleichwertige Vorbildung auch in einer rein schulischen Ausbildung liegen kann. Die Bezugnahme auf die Fachhochschulreife oder das Abitur verdeutlicht aber, dass nach seiner Konzeption der mittlere Schulabschluss keine einer abgeschlossenen Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 FahrlG gleichwertige Vorbildung ist.
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Eine andere Bewertung ist nicht deshalb geboten, weil der mittlere Schulabschluss den Zugang zu höherer Schulbildung und verschiedenen anderen Berufsausbildungen eröffnet, der durch eine Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf nicht, jedenfalls nicht ohne Weiteres eröffnet ist. Selbiges gilt für den Umstand, dass der mittlere Schulabschluss ebenso wie eine zweijährige Berufsausbildung im System des Deutschen Qualifikationsrahmens dem gleichen Bildungsniveau zugeordnet werden. Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof darauf verwiesen, dass die Fahrlehrerausbildung nicht als grundständige, duale Berufsausbildung ausgestaltet ist und der Zugang zu ihr daher mit anderen Berufsausbildungen – etwa im Bereich der Gesundheitsberufe und des öffentlichen Dienstes – nicht gleichgesetzt werden kann. Sie ist eine typische Umschulungsausbildung, die sich innerhalb von zwölf Monaten durchlaufen lässt (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FahrlG). Damit kommt der Vorbildung eine andere Bedeutung zu. Hinzu tritt, dass mit dem Fahrlehrerberuf insbesondere in der praktischen Ausbildung eine selbstständig wahrzunehmende Verantwortung für die Verkehrssicherheit verbunden ist. Sie findet in dem Mindestalter von 21 Jahren zusätzlich Ausdruck (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FahrlG) und wird durch die Einbindung in einen Fahrschulbetrieb nicht geschmälert (§ 1 Abs. 4 Satz 1, § 17 ff. FahrlG).
14
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.