BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 10.12.2024, AZ VIa ZR 350/22, ECLI:DE:BGH:2024:101224UVIAZR350.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Zweibrücken, 15. Februar 2022, Az: 8 U 13/20
vorgehend LG Frankenthal, 6. Februar 2020, Az: 7 O 99/19
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 15. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 38.495,63 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs, der Berufungsantrag zu 2 sowie der Berufungsantrag zu 3 in Höhe eines für erledigt erklärten Betrags von 706,78 € zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Die Klägerin kaufte am 2. Januar 2014 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 250 Blue TEC 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ bei kühleren Außentemperaturen reduziert.
3
Die Klägerin hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) sowie die Feststellung der Erledigung des ursprünglich weitergehenden Antrags zu 1 begehrt (Berufungsantrag zu 3). Ferner hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten verlangt (Berufungsantrag zu 2).
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
5
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB scheide aus. Es möge davon auszugehen sein, dass es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Von einem diesbezüglichen Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte tätigen Personen könne jedoch nicht ausgegangen. Weder arbeite das Thermofenster prüfstandsbezogen noch sei dargetan, dass die Beklagte die Typgenehmigung erschlichen habe. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil es sich bei den Bestimmungen der EG-FGV nicht um Schutzgesetze handele.
II.
8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
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1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12
Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer
Möhring
Krüger
Wille
Liepin