BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 10.12.2024, AZ VIa ZR 188/22, ECLI:DE:BGH:2024:101224UVIAZR188.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 25. Januar 2022, Az: 16a U 158/19, Urteil
vorgehend LG Stuttgart, 6. September 2019, Az: 29 O 104/19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. Januar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht
– hinsichtlich eines zu zahlenden Betrags von 26.230,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. September 2018 und der Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe eines weitergehenden Betrags von 3.701,67 € (Klageanträge zu 1 und zu 4 / Anschlussberufungsantrag zu 1)
– hinsichtlich der Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten seit dem 29. September 2018 (Klageantrag zu 2)
– hinsichtlich zu erstattender vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.256,60 € und 102,26 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. März 2019 sowie der Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 513,49 € (Klageantrag zu 3 / Anschlussberufungsantrag zu 2)
zum Nachteil des Klägers erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger kaufte am 20. September 2013 von einem Dritten zum Preis von 37.200 € einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4-Matic BE, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ bei einer Temperatur jedenfalls unter 14 °C reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Mit Bescheid vom 21. Juni 2019 hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die KSR als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet.
3
Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt die Zahlung von 28.901,92 € nebst Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 1.030,15 € (Klageantrag zu 4), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 3) begehrt.
4
Das Landgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage dem Klageantrag zu 1 nur in Höhe eines Betrags von 27.051,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. März 2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, dem Klageantrag zu 3 hinsichtlich der zu erstattenden Rechtsanwaltskosten sowie den Klageanträgen zu 2 und zu 4 stattgegeben.
5
Die Beklagte hat mit ihrer Berufung die vollumfängliche Abweisung der Klage begehrt. Der Kläger hat mit seiner Anschlussberufung geltend gemacht, die im Rahmen des Antrags zu 1 anzurechnende Nutzungsentschädigung sei auf der Grundlage einer höheren Gesamtlaufleistung als vom Landgericht angenommen zu berechnen. Mit dieser Maßgabe hat er zuletzt die Zahlung von 26.230,40 € nebst Verzugszinsen seit dem 26. August 2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangt und den Antrag zu 1 in Höhe eines darüberhinausgehenden Betrags von 3.701,67 € für erledigt erklärt (Anschlussberufungsantrag zu 1). Ferner hat er den Klageantrag zu 3 hinsichtlich der Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt (Anschlussberufungsantrag zu 2). Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers hat es zurückgewiesen.
6
Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten sowie seine Anschlussberufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
7
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
8
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
9
Der Kläger habe einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht schlüssig dargetan. Er habe tatsächliche Anhaltspunkte weder für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise des Thermofensters oder der KSR noch für sonstige Umstände vorgebracht, aus denen sich eine wissentliche Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und eine damit einhergehende Täuschung des KBA über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ergäbe. Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass die Vorschriften der EG-FGV nicht dem Schutz der Vermögensinteressen einzelner Fahrzeugerwerber dienten.
II.
10
Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
11
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
13
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
14
Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
15
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen und einen entsprechenden Zahlungsantrag zu stellen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer
Möhring
Krüger
Wille
Liepin