Beschluss des BGH 6a. Zivilsenat vom 10.12.2024, AZ VIa ZR 388/24

BGH 6a. Zivilsenat, Beschluss vom 10.12.2024, AZ VIa ZR 388/24, ECLI:DE:BGH:2024:101224BVIAZR388.24.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 11. Juni 2024, Az: 8 U 3892/22
vorgehend LG Passau, 31. Mai 2022, Az: 4 O 1068/21

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 11. Juni 2024 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 4. Juli 2024 wird zurückgewiesen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen den vorgenannten Beschluss wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 65.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem von ihm erworbenen Wohnmobil Knauss K250/3 R22 in Anspruch. Das Basisfahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten 2,3-Liter-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet. Der Kläger hat zuletzt in erster Linie den Ersatz des Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie den Ersatz der Kosten für Ausbauten und zur Finanzierung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen, die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Hilfsweise hat er den Ersatz von 15 % des Kaufpreises verlangt.

2

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Gegen den ihm am 12. Juni 2024 zugestellten Zurückweisungsbeschluss hat der Kläger am 8. Juli 2024 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Auf seinen Antrag ist die Frist zur Begründung des Rechtsmittels bis zum 14. Oktober 2024 verlängert worden. Mit am 15. Oktober 2024 signiertem und beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz vom 14. Oktober 2024 hat der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde begründet. Er hat mit am selben Tag eingegangenem Schriftsatz vom 16. Oktober 2024 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragt.

II.

3

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Seine Nichtzulassungsbeschwerde ist daher entsprechend § 552 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO
als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der verlängerten Frist begründet worden ist (§ 544 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO).

4

1. Hat eine Partei die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – XII ZB 31/23, NJW-RR 2024, 197 Rn. 9; Beschluss vom 29. Mai 2024 – I ZB 84/23, NJW 2024, 2460 Rn. 14).

5

2. Nach dem Vorbringen des Klägers kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde auf einem ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines drittinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beruht.

6

a) Der Kläger hat zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs vorgebracht, sein Prozessbevollmächtigter habe den Schriftsatz zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtzeitig fertiggestellt und sei zur Einreichung des Schriftsatzes per beA am Tag des Fristablaufs imstande gewesen. Auch sei der Ablauf der Rechtsmittelfrist in dessen elektronischem Fristenkalender ordnungsgemäß notiert und noch nicht als erledigt gekennzeichnet gewesen. Die seit drei Jahren mit der elektronischen Fristenkontrolle betraute und diese seither zuverlässig erledigende Kanzleimitarbeiterin sei angewiesen, zu Beginn und am Ende eines jeden Arbeitstags zu ermitteln, ob an diesem Tag eine Frist ablaufe, und in diesem Fall bei dem Prozessbevollmächtigten nachzufragen, was mit der Fristsache geschehen solle. Sie habe die offene Frist und den Fristablauf am 14. Oktober 2024 bei ihren jeweiligen Blicken in den Fristenkalender jedoch nicht bemerkt. Der Fehler sei erst am Folgetag aufgefallen.

7

b) Mit diesem Vortrag kann der Kläger ein Verschulden seines drittinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nicht ausräumen. Danach ist nicht ausgeschlossen, dass die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde auf einer unzureichenden anwaltlichen Weisung zur Durchführung einer wirksamen Ausgangskontrolle beruht.

8

aa) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Zu diesem Zweck hat er seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8 f.; Beschluss vom 5. Juni 2024 – IV ZB 30/23, MDR 2024, 1198 Rn. 11).

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Zum einen dürfen die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post mithin organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Zum anderen hat der Rechtsanwalt anzuordnen, dass die Erledigung der Sachen, bei denen eine Frist zu wahren ist, am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders durch eine beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbstständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob insoweit eine Übereinstimmung mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen besteht. Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze durch einen Abgleich mit dem Fristenkalender dient unter anderem der Überprüfung, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigte Fristsachen ergeben. Eine solche zusätzliche Kontrolle ist schon deshalb notwendig, weil selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8 bis 10; Beschluss vom 26. März 2024 – XI ZR 95/23, juris Rn. 8; Beschluss vom 18. April 2024 – I ZB 67/23, juris Rn. 15; Beschluss vom 5. Juni 2024 – IV ZB 30/23, MDR 2024, 1198 Rn. 12).

10

bb) Der Kläger hat weder vorgebracht noch glaubhaft gemacht, dass sein drittinstanzlicher Prozessbevollmächtigter die organisatorischen Abläufe in seiner Kanzlei so organisiert hat, dass eine den vorgenannten Anforderungen genügende Ausgangskontrolle auf der zweiten Stufe stattfindet. Weder seinem Vortrag noch der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der zuständigen Kanzleimitarbeiterin lässt sich entnehmen, dass nach anwaltlicher Weisung abends eine Ausgangskontrolle in der Form stattzufinden hat, dass – über die Überprüfung des Fristenkalenders hinaus – eigenständig und abschließend zu kontrollieren ist, ob ein fristgebundener Schriftsatz tatsächlich gefertigt sowie abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden ist. Bei einer solchen selbstständigen und abschließenden Ausgangskontrolle wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten weisungsgemäßem Verhalten der Kanzleimitarbeiterin (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – I ZB 67/23, juris Rn. 19; Beschluss vom 5. Juni 2024 – IV ZB 30/23, MDR 2024, 1198 Rn. 15) die offene Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde sowie die fehlende Unterzeichnung und Absendung der gefertigten Beschwerdebegründung aufgefallen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2024 – XI ZR 95/23, juris Rn. 8 f.; Beschluss vom 5. Juni 2024, aaO, Rn. 13 und 15).

11

cc) Eines Hinweises gegenüber dem Kläger auf seinen fehlenden Vortrag zur anwaltlichen Anordnung eines allabendlichen Abgleichs des Postausgangs mit dem Fristenkalender bedarf es nicht. Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, einem Rechtsanwalt auch ohne richterlichen Hinweis bekannt sein müssen, erlaubt der Umstand, dass sich der Kläger zu einem solchen Abgleich nicht geäußert hat, ohne weiteres den Schluss darauf, dass eine einsprechende organisatorische Maßnahme gefehlt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – IV ZB 30/23, MDR 2024, 1198 Rn. 14; Beschluss vom 26. September 2024 – III ZB 55/23, juris Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – VIa ZB 16/23, juris Rn. 18).

C. Fischer                         
Möhring                         
Krüger

                      
Wille                             
Liepin

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