BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 26.11.2024, AZ VIa ZR 467/22, ECLI:DE:BGH:2024:261124UVIAZR467.22.0
Verfahrensgang
vorgehend BGH, 9. Juli 2024, Az: VIa ZR 467/22, Beschluss
vorgehend OLG Stuttgart, 1. März 2022, Az: 16a U 146/19, Urteil
vorgehend LG Rottweil, 18. September 2019, Az: 3 O 42/19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. März 2022 im Kostenpunkt und – mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Feststellung der Erledigung, soweit diese einen Betrag von 2.726,03 € übersteigt (Differenz zwischen 31.501,91 € und 28.775,88 €) – insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Er kaufte im Januar 2016 von der Beklagten einen gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters temperaturabhängig gesteuert. Außerdem ist eine sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) implementiert. Der Kläger hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und die Feststellung der Erledigung bezogen auf weitere berücksichtigte Vorteile und Deliktszinsen (Berufungsantrag zu 1) sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) begehrt.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht, insbesondere sei ein sittenwidrig vorsätzliches Handeln nicht hinreichend dargetan. Für die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe mit Wissen ihrer Repräsentanten unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet, fehlten tatsächliche Anhaltspunkte. Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil es sich bei den Bestimmungen der EG-FGV nicht um Schutzgesetze handele.
II.
7
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
8
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
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Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer
Möhring
Götz
Rensen
Vogt-Beheim