BPatG München 26. Senat, Beschluss vom 25.11.2024, AZ 26 W (pat) 18/22, ECLI:DE:BPatG:2024:251124B26Wpat18.22.0
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke30 2019 101 770
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 25. November 2024 unter Mitwirkung des Richters Kätker als Vorsitzenden, des Richters Staats, LL.M.Eur. und der Richterin Wagner beschlossen:
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Erklärung des Widerspruchs nach § 53 Abs. 5 S.1 MarkenG wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Markeninhaberin wendet sich gegen die Nichtigerklärung und Anordnung der Löschung der Eintragung ihrer Marke, wobei sie die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Erklärung eines Widerspruchs gegen den Nichtigkeitsantrag begehrt. Dem Ganzen liegt dabei folgender Sachverhalt zu Grunde:
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Zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt vor dem Februar 2019 beauftragte Frau B… die Kanzlei T… mit der Anmeldung des beschwerdegegenständlichen Zeichens
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zur Eintragung als Marke beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA). Zu diesem Zeitpunkt hatte Frau B… die Kanzlei T… schon mit mehreren Markenanmeldungen befasst. Mit E-Mail vom 8. Februar 2019 beauftragte die Kanzlei T… die Kanzlei L…, das beschwerdegegenständliche Zeichen zur Eintragung als Marke beim DPMA anzumelden. Die E-Mail hatte folgenden Wortlaut:
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„I kindly ask you to file a new Trademark Application „US GRAND POLO EQUIPMENT & APPAREL“ as per enclosed sheet, with speed examination“.
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Daraufhin meldete die Kanzlei L… das Zeichen am 12. Februar 2019 an, das am 25. April 2019 als Marke unter der Registernummer 30 2019 10 770 in das beim DPMA geführte Markenregister für Waren der Klassen 18 und 25 eingetragen wurde. Als Zustell-anschrift und als Vertreter wurde dabei im Register die jetzige Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin, die Kanzlei L… eingetragen.
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Mit Antrag vom 30. August 2021 hat die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin beantragt, die Marke 30 2019 10 770 vollständig für nichtig zu erklären und ihre Eintragung zu löschen.
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Dieser Antrag wurde vom DPMA entsprechend der Registerlage der Kanzlei L… zusammen mit der Mitteilung nach § 53 Abs. 4 MarkenG am 17. September 2021 elektronisch zugestellt. Das Empfangsbekenntnis wurde von Patentanwalt L… an diesem Tage fortgeschritten elektronisch signiert.
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Mit E-Mail vom gleichen Tage hat Patentanwalt L… von der Kanzlei L… den Antrag der Nichtigkeitsantragstellerin und die Mitteilung des DPMA an die Kanzlei T… zusammen mit dem Hinweis übersandt, dass ein Widerspruch bis zum 17. November 2021 beim DPMA eingehen müsse und um eine Weisung gebeten, wie in dieser Angelegenheit weiter vorgegangen werden solle. Am 19. September 2021 wurde der Eingang der E-Mail auf dem Computer der Kanzlei T… elektronisch bestätigt. Der Bestätigungsvermerk lautet:
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„Il messaggio (…) è stato visualizzato sul computer del destinatario. Questo non garantisce che il messaggio sia stato letto o compreso.“
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Mit weiteren E-Mails vom 18. Oktober 2021, 8. November 2021 und 12. November 2021 hat die Kanzlei L… an die E-Mail vom 19. September und die erbetene Weisung zum weiteren Vorgehen erinnert. Eine Reaktion der Kanzlei T… auf all diese E-Mails ist nicht erfolgt. Auf die weitere, als „Final reminder“ gekennzeichnete E-Mail der Kanzlei L… vom 16. November 2021, abgesandt um 15:18 Uhr, hat Rechtsanwältin C… von der Kanzlei T… am selben Tage um 16:21 schließlich wie folgt geantwortet:
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„(…) the client is no more mine. It`s a long time that I never been in Touch with the client“.
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Die Kanzlei T… hat die Markeninhaberin auch nicht über das anhängige Löschungsverfahren unterrichtet. Die Erklärung eines Widerspruches bis zum 19. November 2021 ist unterblieben.
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Mit Beschluss der Markenabteilung 3.4 von 20. Januar 2022, qualifiziert elektronisch signiert am folgenden Tage, wurde die Eintragung der Marke 30 2019 101 770 für nichtig erklärt und gelöscht, weil die Markeninhaberin nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Nichtigkeitsantrages widersprochen habe. Dieser Beschluss wurde wiederum der Kanzlei L… am 9. Februar 2022 elektronisch zugestellt und das Empfangsbekenntnis von Patentanwalt L… elektronisch fortgeschritten signiert. Die Kanzlei L… hat den Beschluss auf dem Postweg der Markeninhaberin übersandt, der sie am 10. Februar 2022 erreicht hat.
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Gegen den Beschluss der Markenabteilung 3.4 vom 20. Januar 2022 wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde vom 18. Februar 2022.
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Die Beschwerdeführerin trägt vor, die Kanzlei L… habe der Kanzlei T… mit E-Mail vom 2. Mai 2019 die erfolgte Eintragung berichtet und eine elektronische Kopie der Urkunde übersendet. Mit E-Mail vom 3. September 2019 habe die Kanzlei T… nachgefragt, ob die Marke nach Ablauf der Widerspruchsfrist nunmehr „definitiv eingetragen“ sei. Am 30. September 2019 sei eine weitere Nachfrage nach dem Status erfolgt, die seitens der Kanzlei L… mit E-Mail vom 9. Oktober 2019 durch Weiterleitung der Mitteilung des DPMA, wonach kein Widerspruch eingegangen sei, beantwortet worden sei. Der Beschluss der Markenabteilung 3.4 sei mit E-Mail vom 1. Februar 2022 an die Kanzlei T… weitergeleitet worden. Am 3. Februar 2022 habe die Kanzlei T… der Kanzlei L… mitgeteilt, dass bereits seit 2020 kein Mandatsverhältnis mehr bestehe. Zur Sicherheit sei daher seitens der Kanzlei L… entschieden worden, den Beschluss der Markenabteilung 3.4 der Beschwerdeführerin auf dem Postweg übersenden. Die Kanzlei T… habe wohl aufgrund vermeintlich ausstehender Zahlungsansprüche die Zusammenarbeit mit der Markeninhaberin beendet. Die Markeninhaberin habe zu einem anderweitigen Widerspruchsverfahren eine Rechnung in Höhe von EUR 1400,00 erhalten, wegen der fehlenden Qualität der geleisteten Arbeit jedoch nicht bezahlt. Eine –etwaige – Beendigung des Mandatsverhältnisses sei ihr jedoch nie mitgeteilt worden.
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Sie ist der Auffassung, die Frist zur Erklärung des Widerspruchs gegen den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung der Eintragung der beschwerdegegenständlichen Marke ohne Verschulden versäumt zu haben. Weder sie noch ihre Vertreter hätten die zumutbare Sorgfalt außer Betracht gelassen. Die Markeninhaberin treffe schon deswegen kein Verschulden, da sie über den Antrag auf Nichtigkeit zu keinem Zeitpunkt informiert gewesen sei. Als sie von der Entscheidung Kenntnis erlangt habe, habe sie unverzüglich reagiert. Auch die Inlandsvertreterin der Markeninhaberin treffe kein Verschulden. Die Kanzlei L… habe im Auftrag der Kanzlei T… gehandelt, und alle eingehenden Benachrichtigungen des DPMA teilweise noch am Tag des Eingangs an die Auftraggeberin und Vertragspartnerin weitergeleitet sowie deren Erhalt überwacht. Sie sei erst am letzten Tage der versäumten Frist über das nicht mehr bestehende Mandatsverhältnis zwischen ihrer Auftraggeberin und der Markeninhaberin informiert worden. Eine zeitliche Möglichkeit zu reagieren habe dann nicht mehr bestanden, da von der Markeninhaberin lediglich eine Postadresse bekannt gewesen sei. Zudem habe kein Grund zur Annahme bestanden, dass ihre Auftraggeberin den Nichtigkeitsantrag und die Mitteilung des DPMA nicht zumindest an die Markeninhaberin weitergeleitet habe. Das Fristversäumnis beruhe daher ausschließlich auf der pflichtwidrigen Nichtbehandlung des Vorgangs durch die Kanzlei T…. Dieses Verhalten sei der Markeninhaberin jedoch gerade nicht zuzurechnen. Zwar sei mangelnde Sorgfalt vertretungsberechtigter Personen wie eigenes Verschulden zu werten. Ein zwischen Inhaber und Verfahrensbevollmächtigter geschalteter Auftraggeber könne jedoch nicht mehr als Bevollmächtigter im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO angesehen werden. Selbst wenn man jedoch eine Zurechnung aus Rechtsgründen nicht ablehne, komme für das Fehlverhalten ausländischer Kanzleien allenfalls ein Auswahlverschulden des direkt Betroffenen in Betracht. Die Markeninhaberin habe jedoch nicht daran zweifeln müssen, dass die Kanzlei T… ihren Grundverpflichtungen nachkomme und Bescheide zumindest weiterleite. Mit ihrer stillschweigenden Weigerung, für die Markeninhaberin überhaupt noch tätig zu werden, habe die Kanzlei jedenfalls ein eventuell bestehendes Vertragsverhältnis beendet, so dass keine Zurechnung möglich sei.
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Die Beschwerdeführerin beantragt,
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1) ihr Wiedereinsetzung in die Frist zur Erklärung des Widerspruchs gegen den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung gemäß § 53 Abs. 5 S.1 MarkenG zu gewähren;
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2) den Nichtigkeitsbeschluss aufzuheben.
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Die Beschwerdegegnerin hat keinen Antrag gestellt und sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
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Das Gericht hat mit Hinweis vom 19. Juli 2024 auf weitere aufklärungsbedürftige Aspekte hingewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Erklärung des Widerspruchs gegen den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung gemäß § 53 Abs. 5 S.1 MarkenG ist unbegründet. Die Beschwerdeführerin hat die Frist zur Erklärung des Widerspruchs nach § 53 Abs. 5 S. 1 MarkenG nicht ohne Verschulden im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 MarkenG versäumt, so dass die beantragte Wiedereinsetzung zurückzuweisen ist. Damit erweist sich die zulässige Beschwerde ebenfalls als unbegründet.
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1. Die beantragte Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden.
24
a) Der Antrag der Widersprechenden auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Frist zur Erklärung des Widerspruchs ist gemäß § 91 Abs. 1 bis 3 MarkenG statthaft und zulässig. Die versäumte Handlung der Widerspruchserklärung wurde auch innerhalb der Antragsfrist nachgeholt, § 91 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 MarkenG. In der Sache selbst hat der Wiedereinsetzungsantrag der Widersprechenden jedoch keinen Erfolg, da die Frist nicht ohne Verschulden versäumt wurde.
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b) Die Frist zur Erklärung des Widerspruchs ist im vorliegenden Fall versäumt worden. Sie begann spätestens am 20. September 2021 zu laufen und endete spätestens am 19. November 2021. Die Mitteilung des DPMA vom 9. September 2021 über den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und die Aufforderung, sich hierüber innerhalb von zwei Monaten zu erklären, ist der Inhaberin der angegriffenen Marke spätestens am 19. September 2021 zusammen mit einer Abschrift des Antrages zugestellt worden. Die Mitteilung enthielt alle nach § 53 Abs. 4 MarkenG erforderlichen Angaben. Darüber hinaus enthielt sie eine Belehrung, dass bei Versäumnis der nach § 53 Abs. 4 gesetzte Frist die Marke aufgrund von § 53 Abs. 5 S. 1 für nichtig erklärt und gelöscht werde.
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Die Ingangsetzung der Frist zur Erklärung eines Widerspruchs setzt eine wirksame formgerechte Zustellung (BPatG 23.10.2012 – 24 W (pat) 36/11 – Dermatop) der Mitteilung voraus. Eine solche formgerechte Zustellung lag an sich nicht vor. Da kein Anwalt der Kanzlei L… zum Zeitpunkt des Zugangs der Mitteilung des DPMA über den Antrag auf Nichtigerklärung und Löschung der Eintragung der Marke sowie dieses Antrages bevollmächtigt (auch nicht zum Empfang von Schriftstücken) war, leitete Patentanwalt L… von der Kanzlei L… die Mitteilung des DPMA über den Antrag sowie diesen Antrag als angefügte PDF-Datei am 17. September 2021 dem Kanzleirechner der Kanzlei T… der Bevollmächtigten der Inhaberin der angegriffenen Marke, zu. Mit dieser Form der Zustellung wurden an sich zwingende Zustellvorschriften verletzt. Jedoch wurde der Zustellmangel nach § 94 Abs. 1 MarkenG in Verbindung mit § 8 VwZG (in der im Jahr 2021 gültigen Fassung, im Folgenden nicht mehr gesondert erwähnt) zu dem Zeitpunkt geheilt, zu dem das Dokument dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Demnach begann die Frist spätestens am 19. September 2021 zu laufen, weil die Mitteilung des DPMA sowie der Antrag der Nichtigkeitsantragstellerin jedenfalls ab diesem Zeitpunkt als PDF- Datei auf dem Server der Kanzlei T… tatsächlich zugegangen waren. Im Einzelnen:
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aa) Gemäß §§ 53 Abs. 4, 94 Abs. 1 MarkenG, 7 Abs. 1 S.1 VwZG war die Zustellung der Mitteilung des DPMA an die Inhaberin der angegriffenen Marke oder ihrem Bevollmächtigten formgerecht zu bewirken. Beides ist im vorliegenden Fall unterblieben.
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bb) Wie sich aus der eidestattlichen Versicherung vom 2. November 2023 ergibt, ist die Mitteilung des DPMA an die Inhaberin der angegriffenen Marke und Beschwerdeführerin Frau B… selbst zu keinem Zeitpunkt zugestellt worden.
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cc) Aber auch an den Bevollmächtigten der Inhaberin der angegriffenen Marke ist die Mitteilung des DPMA nicht formgerecht zugestellt worden. Bevollmächtigte waren zum Zeitpunkt des Zugangs der Mitteilung des DPMA und des Antrags auf Nichtigerklärung und Löschung der Eintragung der Marke die Anwälte der Kanzlei T…, nicht die Kanzlei L….
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aaa) Die Anwälte der Kanzlei L… waren zum Zeitpunkt des Zugangs der Mitteilung des DPMA nicht Bevollmächtigte (auch nicht Empfangsbevollmächtigte) der Inhaberin der angegriffenen Marke. Zwar war die Kanzlei L… ursprünglich von der Kanzlei T…beauftragt worden, das beschwerdegegenständliche Zeichen zur Eintragung als Marke beim DPMA anzumelden. Ob die Kanzlei T…, die ihrerseits von der Inhaberin der angegriffenen Marke zur Vornahme dieser Markenanmeldung beauftragt worden war, berechtigt war, diesen Auftrag zu erteilen und ob es sich hierbei um eine Untervollmacht handelte oder ob sie die Anmeldung und Eintragung des Zeichens persönlich ausführen sollte (vergleiche für das deutsche Recht § 613 BGB), ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos. Denn jedenfalls spätestens mit Abschluss des Eintragungsverfahrens und damit Beendigung des Auftrags ist diese Bevollmächtigung erloschen.
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In Übereinstimmung mit diesen Feststellungen hat auch die Kanzlei L… vorgetragen, dass sie zu keinem Zeitpunkt in einem Vertragsverhältnis zur Inhaberin der angegriffenen Marke gestanden habe.
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Die Kanzlei L… hat nicht vorgetragen, zur Vertretung oder zur Empfangnahme von Schriftstücken auch über den Abschluss des Eintragungsverfahrens hinaus bevollmächtigt worden zu sein. Im Gegenteil hat sie betont, nur im Auftrag der Kanzlei T… tätig gewesen zu sein. Von dieser war sie aber ausdrücklich ausschließlich zur Anmeldung des beschwerdegegenständlichen Zeichens beauftragt worden.
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bbb) Die Bevollmächtigung der Kanzlei L… bestand auch nicht aus rechtlichen Gründen fort. Zwar war für die Durchführung des Eintragungsverfahrens die Bestellung eines Inlandsvertreters gemäß § 96 Abs. 1 MarkenG erforderlich, da die Inhaberin der angegriffenen Marke ihren Wohnsitz in Italien hatte. Dieses Erfordernis ist indessen mit Abschluss des Eintragungsverfahrens entfallen. Ausserhalb eines Verfahrens, d. h. für das schlichte Innehaben eines Markenrechts ist die Bestellung eines Inlandsvertreters nicht erforderlich, wie der Wortlaut der Bestimmung klar aufzeigt (Ströbele / Hacker / Thiering, Markengesetz 14. Auflage, § 96 MarkenG, Rn 7). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 96 Abs. 3 MarkenG, denn diese Norm ist im Zusammenhang mit § 96 Abs.1 MarkenG zu lesen und setzt daher ebenfalls ein bestehendes „Verfahren vor dem DPMA“ voraus.
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ccc) Der der tatsächlichen Lage nicht entsprechende Registereintrag der Kanzlei L… als Zustelladresse und als Bevollmächtigte hat auch als solcher keine Legitimationswirkung, da es im MarkenG keine dem § 30 Abs.3 S.2 PatG vergleichbare Norm gibt.
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Ansonsten gilt insoweit, dass die Eintragung im Register keinen Einfluss auf die materielle Rechtslage hat und keine Gewähr für inhaltliche Richtigkeit bietet, da ihr weder eine negative noch wie für den vorliegenden Fall positive Publizitätswirkung zukommt (hM, vergleiche Ströbele / Hacker / Thiering, Markengesetz,14. Auflage § 27 Rn 19; § 28 MarkenG, Rn 3; für das Patentregister Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 11. Auflage, § 30 PatG, Rn 15). Das MarkenG billigt allein hinsichtlich der Inhaberschaft eines durch die Eintragung einer Marke begründeten Rechts dem Registereintrag eine Legitimationswirkung in Form einer Vermutungsregelung zu (§ 28 Abs.1 MarkenG).
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ddd) Nicht nachvollziehbar erscheint in diesem Zusammenhang daher das Vorgehen der Kanzlei L… nach der Registrierung der Marke. Denn sie hat nach Abschluss des Eintragungsverfahrens und damit dem Erlöschen des Auftrags der Kanzlei T… nicht veranlasst, den Registereintrag als Verfahrensvertreter und Zustelladresse löschen zu lassen, obwohl sie betont, zu keinem Zeitpunkt in einem Vertragsverhältnis mit der Inhaberin der angegriffenen Marke gestanden zu haben. Auf jeden Fall hätte sie kein Empfangsbekenntnis abgeben oder mit dem Hinweis auf die fehlende Bevollmächtigung nachträglich die fehlende Empfangsbereitschaft durch Rücksendung der Mitteilung des DPMA nebst Anlagen dokumentieren können.
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eee) Jedoch scheidet trotz des über den Abschluss des Eintragungsverfahrens hinaus fortbestehenden Registereintrages eine Bevollmächtigung der Kanzlei L… auch unter Rechtsscheingesichtspunkten aus. Zwar sind die zivilrechtlichen Regelungen über die Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins (§§ 170–173 BGB) auf die prozessuale Vertretungsmacht nicht entsprechend anwendbar, wohl aber die Grundsätze der Duldungs- und der Anscheinsvollmacht (BGHZ 40, 197 (203) NJW 1964, 203; NJW 1981, 1727 (1728); Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Auflage § 80 Rn. 14f.; BeckOK ZPO/Piepenbrock 54. Edition, § 80 Rn. 9). Die Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht gelten auch für die Vertretung in Verwaltungsverfahren (vergleiche Münchener Kommentar zum BGB 9. Auflage, § 164 Rn. 114). Auf die Entscheidung über die Frage, ob das Nichtigkeitsverfahren vor dem DPMA eher justizförmiges oder Verwaltungsverfahren ist, kommt es daher nicht an.
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Eine Zurechnung kraft Duldungsvollmacht scheidet aus. Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln des Dritten kennt und trotz Verhinderungsmöglichkeiten duldet. Bereits einmaliges Gewährenlassen kann eine Duldungsvollmacht begründen (Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage § 164 Rn 107). Demnach kann hier nicht von einer Duldungsvollmacht der Inhaberin der angegriffenen Marke ausgegangen werden. Wie sich aus der eidesstattlichen Versicherung ergibt, erlangte sie erst am 10. Februar 2022 davon Kenntnis, dass die Kanzlei L… für sie tätig geworden war.
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Aber auch eine Zurechnung kraft Anscheinsvollmacht scheidet aus. Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln des Dritten zwar nicht positiv kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können. Für die Annahme einer Anscheinsvollmacht ist regelmäßig zusätzlich eine gewisse Häufigkeit und Dauer des Verhaltens des angeblich Vertretenen erforderlich, aus dem auf die Bevollmächtigung des Dritten geschlossen werden könnte (Münchener Kommentar zum BGB 9. Auflage, § 164 Rn 112). Auch hierfür gibt es keine Anhaltspunkte. Nach eigener Aussage hat die Kanzlei L… der Kanzlei T… über die Eintragung lediglich berichtet und eine elektronische Kopie der Urkunde übersendet, sowie die Mitteilung des DPMA, wonach kein Widerspruch eingelegt worden sei, weitergeleitet. Es kann nicht festgestellt werden, dass neben der Kopie der Eintragungsurkunde auch ein Registerauszug mitübersandt worden ist. Es bestand auch keine Verpflichtung, sich zusätzlich zu der berichteten Eintragung und der vorgelegten Kopie der Eintragungsurkunde hinaus durch eine Markenrecherche Gewissheit zu verschafften, dass der richtige Vertreter eingetragen worden sei.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke konnte daher nicht die ihr persönlich völlig unbekannte Kanzlei auf dem Registerauszug bemerkt haben, ohne auf eine Klarstellung beim Vertretereintrag hinzuwirken.
41
Zu dem Gesagten tritt hinzu, dass die Kanzlei L… sich zu keinem Zeitpunkt (bis zur Bevollmächtigung im vorliegenden Beschwerdeverfahren) als gesetzliche Vertreter der Inhaberin der angegriffenen Marke betrachtet, sondern im Gegenteil betont hat, nur im Auftrag der Kanzlei T… tätig gewesen zu sein.
42
fff) Hingegen sind die Anwälte der Kanzlei T… jedenfalls am 19. September 2021 Verfahrensbevollmächtigte der Inhaberin der angegriffenen Marke gewesen. Unstreitig haben diese den Auftrag erhalten, das beschwerdegegenständliche Zeichen beim DPMA zur Eintragung als Marke anzumelden. Damit endete der Auftrag jedoch nicht. Die Markeninhaberin hat zwar trotz des ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises keinen Aufschluss darüber gegeben, welchen konkreten Auftrag sie der Kanzlei T… erteilt hat. Aus der eidesstattlichen Versicherung der Inhaberin der angegriffenen Marke ergibt sich jedoch, dass sie auch nach dem Abschluss des Eintragungsverfahrens davon ausging, über Mitteilungen oder Schreiben betreffs die beschwerdegegenständliche Marke (als „Communication“ in der eidesstattlichen Versicherung bezeichnet) von der Kanzlei T… informiert zu werden. Diese Vorstellung konnte sie jedoch nur gehabt haben, wenn mit der Kanzlei T… ein Fortbestehen einer Empfangs- oder Vertretervollmacht über den Abschluss des Eintragungsverfahrens hinaus vereinbart worden war.
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ggg) Dieses Mandatsverhältnis ist auch nicht gekündigt worden. Die gegenteiligen Einlassungen der Kanzlei T…, die über ein bloßes Behaupten, ein Mandatsverhältnis bestehe nicht mehr, nicht hinausgehen, sind nicht recht glaubhaft. Eine ausdrückliche Kündigung oder Erledigung des Mandatsverhältnisses ist nicht vorgetragen worden.
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Das schlichte Nicht-Tätig-Werden für die Markeninhaberin ist nicht als Kündigung des Mandatsverhältnisses zu werten. Die Kündigung ist ein Rechtsgeschäft, deren Erklärung hätte demzufolge der Inhaberin der angegriffenen Marke auch zugehen müssen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Inhaberin hat eidesstattlich versichert, erst durch das Schreiben der Kanzlei L… am 10. Februar 2022 von der Mitteilung des DPMA über den Nichtigkeitsantrag erfahren zu haben. Diese Aussage wäre mit einer zugegangenen Kündigungserklärung oder, wenn man von Formerfordernissen einer solchen Erklärung absieht, mit einem einer Kündigung gleichstehenden, der Inhaberin der angegriffenen Marke bekannt gewordenen konkludenten Verhalten seitens der Kanzlei T… nicht zu vereinbaren. Es ist daher zu folgern, dass im Hinblick auf die streitgegenständliche Marke ein laufendes Mandatsverhältnis bestand, das nicht ordentlich gekündigt wurde. Ansonsten hätte die Markeninhaberin die Sache selbst in die Hand nehmen und nur sich (ohne Vertreter oder einer abweichenden Zustelladresse) im Register eintragen lassen können.
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dd) Dieser tatsächliche Zugang der Mitteilung des DPMA nebst aller Anlagen verstieß gegen zwingende Formvorschriften. Wie §§ 94 Abs. 1 MarkenG, 9 Abs. 1 Nr.1 VwZG in Verbindung mit Art. 11 EuAuslVwZÜbk zeigt, sah die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke zum Zeitpunkt der Zustellung der Mitteilung des DPMA für Italien eine Zustellung durch Postdienste per Einschreiben mit Rückschein vor.
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ee) Jedoch ist die Mitteilung und der Antrag als PDF-Datei nachweislich am 19. September 2021 auf dem Kanzleirechner der Kanzlei T… eingegangen, und der Zustellungsmangel zu diesem Zeitpunkt gemäß § 8 VwZG geheilt worden. Dass und ob die Anwälte vom Inhalt dieser Mail Kenntnis genommen haben, spielt für die Frage des Zugangs keine Rolle. Die Anwälte hätten die in deutscher Sprache verfasste Mitteilung des DPMA und die Anlagen zurückweisen können, was aber nicht geschehen ist.
47
aaa) § 8 VwZG ist auch bei einer Zustellung im Ausland auf der Grundlage des § 9 VwZG anwendbar. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift; denn sie erfasst die Zustellung von Dokumenten, ohne bestimmte Arten oder Orte der Zustellung von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen. Vom Wortlaut der Norm wird die Zustellung im Ausland nach § 9 VwZG daher ohne weiteres erfasst. Dieses Verständnis wird durch § 2 Abs. 2 Satz 2 VwZG gestützt, nach dem es sich bei den Regelungen in den §§ 9 bis 11 VwZG um Sonderarten der Zustellung handelt (BeckOK – Bader/Ronellenfitsch VwZG, 64. Edition § 8 Rn 2-3a).
48
bbb) Es ist den Bevollmächtigten der Inhaberin der angegriffenen Marke auch die Mitteilung des DPMA und der Antrag zur Nichtigerklärung in Abschrift und nicht in Kopie zugegangen.
49
Unter Dokument im Sinne von § 8 VwZG ist dabei die Urschrift oder eine Ausfertigung zu verstehen, wie sich auch bereits aus § 2 VwZG ergibt. Die PDF-Dateien genügen diesen Anforderungen, da die als Fax und als Papierdokument eingereichten Schriftsätze gemäß §§ 2 EAPatV, 298a Abs. 2 S.1 ZPO ersetzend gescannt wurden. Die Mitteilung des DPMA genügt als elektronisches Dokument gleichfalls den Anforderungen, vergleiche Art. 6 EAPatV.
50
ff) Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat bis zum 19. November 2021 keinen Widerspruch erklärt und die Frist nach § 53 Abs. 4 MarkenG somit versäumt.
51
b) Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Frist zur Erklärung des Widerspruches jedoch nicht unverschuldet versäumt.
52
aa) Verschulden liegt im Grundsatz vor, wenn der Handlungspflichtige die gebotene und ihm nach den konkreten Umständen auch zumutbare Sorgfalt vermissen hat lassen (BGH NJW 1985, 1710, 1711; Ströbele/Hacker, MarkenG, 14. Auflage, § 91 Rn 10 m. w. N.). Beurteilungsmaßstab ist, welche Vorkehrungen ein gewissenhafter Handlungspflichtiger in gleicher Lage gegen die Fristversäumung objektiv getroffen hätte und ob diese im Einzelfall von ihm erwartet werden konnten. Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Rechtsprechung stellt dabei grundsätzlich hohe Sorgfaltsanforderungen an die Einhaltung von Fristen bei Patent- und Rechtsanwälten (Ströbele/Hacker, MarkenG, 14. Auflage, § 91 Rn 13 m. w. N.).).
53
bb) Von einem fehlenden Verschulden der Beschwerdeführerin kann danach nicht ausgegangen werden. Der Antrag auf Nichtigerklärung und Löschung der Eintragung der beschwerdegegenständlichen Marke sowie die Mitteilung des DPMA nach § 53 MarkenG hat, wie sich aus dem Bestätigungsvermerk vom gleichen Tage unzweifelhaft ergibt, die Kanzlei T… spätestens am 19. September 2021 erreicht. Der Vortrag der Beschwerdeführerin zum fehlenden zurechenbaren Verschulden ist insoweit widersprüchlich, als sie mit dem Stellen eines Antrags auf Wiedereinsetzung selbst davon ausgeht, dass eine Frist versäumt wurde. Damit erkennt sie aber zugleich an, dass eine Zustellung an einen Bevollmächtigten bewirkt worden sein muss, weil ansonsten eine Frist, deren Einhaltung hätte versäumt werden können, gar nicht zu laufen begonnen haben würde. Nach Lage der Dinge kann Bevollmächtigter -auch nach Auffassung der Beschwerdeführerin – aber nur die Kanzlei T… gewesen sein, nachdem vorgetragen wurde, dass die Kanzlei L… in keiner Beziehung zur Inhaberin der angegriffenen Marke gestanden habe. Wie die Beschwerdeführerin selbst ausgeführt hat, stellt es eine Grundverpflichtung des Verfahrensbevollmächtigten dar, Bescheide, Mitteilungen und ähnliches an die Inhaberin der angegriffenen Marke zumindest weiterzuleiten. Dies haben die Bevollmächtigten der Kanzlei T… schuldhaft unterlassen. Das Verschulden der Bevollmächtigten ist der Inhaberin der angegriffenen Marke zuzurechnen. Da deutsches Verfahrensrecht zur Anwendung kommt, gilt der § 85 (2) ZPO ohne Weiteres.
54
2. Da der Widerspruch gegen den Antrag auf Nichtigerklärung und Löschung der Eintragung der beschwerdegegenständlichen Marke nicht innerhalb der Zweimonatsfrist erklärt wurde, hat die Markenabteilung zu Recht die Nichtigerklärung und Löschung der Eintragung der Marke 30 2019 101 770 beschlossen, § 53 Abs. 5 S. 1 MarkenG. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist daher unbegründet.
III.
55
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.
IV.
56
Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, nachdem die Beteiligten keine Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt hatten und eine solche vom Senat auch nicht als sachdienlich erachtet worden war.
