BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 20.11.2024, AZ VIa ZR 436/21, ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR436.21.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Hamm, 20. September 2021, Az: I-8 U 176/20, Urteil
vorgehend LG Arnsberg, 9. September 2020, Az: 2 O 72/20, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. September 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers – mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 3 begehrten Feststellung des Annahmeverzugs – zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 40.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Jahr 2017 von einem Dritten kreditfinanziert einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 3.0 Avant TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 897 Gen2 Evo (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Senkung der Stickstoffemissionen des Fahrzeugs erfolgt über die sogenannte Abgasrückführung und mittels eines SCR-Katalysators.
2
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe der vom Kläger an den Kreditgeber gezahlten Darlehensraten nebst Zinsen abzüglich einer – nach einer vom Kläger vorgegebenen Formel zu errechnenden – Nutzungsentschädigung, auf Freistellung von den noch offenen Verbindlichkeiten gegenüber dem Kreditgeber aus dem Kreditvertrag, jeweils Zug um Zug gegen Abtretung des Herausgabe- und Übereignungsanspruchs gegen den Kreditgeber und auf Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat mit Ausnahme des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrags zu 3) zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge im Umfang der Zulassung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
3
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:
5
Die Beklagte schulde dem Kläger keinen Schadensersatz aufgrund des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Der geltend gemachte Anspruch folge nicht aus §§ 826, 31 BGB, denn eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers durch die Beklagte, die kausal für den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug geworden sei, liege nicht vor. Es könne offenbleiben, ob es sich bei der vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandeten Restreichweitenregelung, der vom Kläger behaupteten Aufheizstrategie/Motoraufwärmfunktion und dem vom Kläger behaupteten sogenannten Thermofenster um unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele. Denn zur Begründung einer deliktischen Haftung aus § 826 BGB genüge es nicht, dass das Fahrzeug einen Sachmangel aufweise, der darin bestehe, dass es den gesetzlichen Bestimmungen nicht in allen Punkten entspreche, weil es eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. Es müsse vielmehr eine besondere Verwerflichkeit hinzutreten, was in der Regel das Bewusstsein der handelnden Personen voraussetze, gegen gesetzliche Bestimmungen zu verstoßen. Ein solches Vorstellungsbild habe der Kläger nicht prozessual erheblich dargelegt. Der Kläger habe keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt getäuscht worden sei oder die Funktionen prüfstandsbezogen arbeiteten. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV lasse sich der Anspruch nicht herleiten. Die genannten Vorschriften stellten keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar.
II.
6
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
7
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die von der Revision dazu erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln erachtet der Senat für nicht durchgreifend; von einer Begründung wird insoweit gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10
Die Berufungsentscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Möhring Wille
Liepin Katzenstein