BVerwG 2. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 23.10.2024, AZ 2 WNB 3/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:231024B2WNB3.24.0
Leitsatz
Ein strafgerichtlicher Freispruch kann nur dann zur Aufhebung einer wehrdisziplinarrechtlichen Geldbuße führen, wenn der angeschuldigte Sachverhalt identisch ist.
Verfahrensgang
vorgehend Truppendienstgericht Nord, 24. Oktober 2023, Az: N 8 GL 7/23 und N 8 RL 2/23, Beschluss
Tenor
Die Beschwerde des früheren Soldaten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss der 8. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 24. Oktober 2023 wird zurückgewiesen.
Der frühere Soldat trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Tatbestand
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Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft Fragen der nachträglichen Aufhebung einer unanfechtbaren Disziplinarbuße.
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Der frühere Soldat erhielt im Februar 2022 eine mittlerweile bestandskräftige Geldbuße in Höhe von 3 000 €, weil er sich am 2. Februar 2022 entgegen einem telefonisch erteilten Befehl bei einem für ihn vereinbarten Impftermin nicht gegen COVID-19 habe impfen lassen. Er habe sich schon am 16. Dezember 2021 trotz des wiederholten Befehls seines Kompaniechefs nicht impfen lassen, obwohl keine dienstlichen oder gesundheitlichen Gründe für die Impfverweigerung vorgelegen hätten.
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In dem Strafverfahren wegen der Befehlsverweigerung vom 16. Dezember 2021 wurde der frühere Soldat vom Amtsgericht … am 13. April 2023 freigesprochen, weil er an diesem Termin nur die Einwilligung zur COVID-19-Impfung, nicht jedoch die befohlene Duldung verweigert habe. Die Ärztin habe die Impfung bereits mangels Einwilligung des Patienten nicht durchgeführt.
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Unter Berufung auf dieses Urteil beantragte der frühere Soldat, die gegen ihn gerichtete Disziplinarbuße aufzuheben. Diesen Antrag wies das Truppendienstgericht mit Beschluss vom 24. Oktober 2023 als unbegründet zurück. Die neuen tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts bezögen sich nur auf den Vorfall vom 16. Dezember 2021 und nicht auf die mit der Disziplinarbuße geahndete Befehlsverweigerung vom 2. Februar 2022. Der frühere Befehl sei lediglich maßnahmeverschärfend in den Tenor der Disziplinarbuße aufgenommen worden. Er sei nicht Teil des Sachverhalts des Dienstvergehens, sondern Teil der Begründung für die Höhe der Disziplinarbuße. Da ein Dienstvergehen des früheren Soldaten somit weiter feststehe, komme eine Aufhebung nach § 44 Abs. 3 WDO nicht in Betracht. Denkbar sei lediglich eine Herabsetzung der Höhe oder Abänderung der Geldbuße nach § 44 Abs. 1 und 2 WDO. Dies müsse jedoch vom Disziplinarvorgesetzten beantragt werden. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
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Die ordnungsgemäß eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) liegt nicht vor.
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a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 – 1 WNB 5.11 – Rn. 2 und vom 12. April 2018 – 2 WNB 1.18 – juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2014 – 1 WNB 1.14 – juris Rn. 4 m. w. N.).
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b) Die vom früheren Soldaten formulierte Frage,
„Ist § 44 Abs. 3 Satz 2 WDO im Falle einer Disziplinarmaßnahme aufgrund einer Befehlsverweigerung auch anwendbar, wenn im Strafverfahren nicht derselbe Befehl angeklagt war, sondern ein anderer, welcher aber die gleiche Handlung oder Unterlassung vom Soldaten verlangte, diese Handlung oder Unterlassung nur einmalig vorgenommen werden kann, wie die Grundimmunisierung gegen Covid-19 durch die Impfung, und ein Freispruch auch erfolgt wäre, wenn der verfahrensgegenständliche Befehl aus dem Disziplinarverfahren angeklagt worden wäre, den Befehlen mithin der gleiche ‚Fehler‘ anhaftet?“
rechtfertigt die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht.
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Wie sich aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut von § 44 Abs. 3 Satz 2 WDO ergibt, können tatsächliche Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafurteil nur dann als neue Tatsache bewertet werden, wenn sie denselben Sachverhalt betreffen. Es bedarf keiner Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens für die Klärung der Rechtsfrage, dass ein vermeintlich oder tatsächlich gleichartiger Sachverhalt nicht unter den Begriff „desselben Sachverhalts“ fällt. Denn schon im allgemeinen Sprachgebrauch ist das Gleiche nicht dasselbe. Derselbe Sachverhalt liegt nur vor, wenn es sich um den identischen historischen Geschehensablauf handelt. Der Begriff „Sachverhalt“ ist insoweit weder auf den Tatbestand einer Dienstpflichtverletzung noch auf einen strafrechtlichen Tatbestand beschränkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2006 – 2 WD 13.05 – NZWehrr 2007, 35 <37> zu § 16 Abs. 1 WDO). Eine Erstreckung auf möglicherweise gleiche, ähnliche oder vergleichbare Sachverhalte ist schon nach dem Wortlaut der Norm nicht vorgesehen.
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Dies entspricht auch der Rechtsprechung zu § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO, in dem die Bindung der Wehrdienstgerichte an die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils, „das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat“, verankert ist. Die Norm will wie § 44 Abs. 3 Satz 2 WDO im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sicherstellen, dass zu einem historischen Geschehensablauf nicht unterschiedliche tatsächliche Feststellungen in verschiedenen gerichtlichen Verfahren rechtskräftig getroffen werden (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2001 – 2 WD 51.00 – juris Rn. 46). Eine Erstreckung auf andere historische Ereignisse wird damit nicht angestrebt.
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Im Übrigen ist die aufgeworfene Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich, weil nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts in beiden Fällen kein gleichartiger Sachverhalt vorliegt. Das Truppendienstgericht hat eine teilweise Identität des Sachverhalts in Bezug auf die Ereignisse vom 16. Dezember 2021 festgestellt, eine Aufhebung der Disziplinarbuße aber mit der Begründung abgelehnt, dass die neue Tatsachenfeststellung des Strafgerichts zu diesem identischen Sachverhalt lediglich zu einer milderen Maßnahmebemessung, nicht aber – wie von § 44 Abs. 3 WDO gefordert – zu einer Aufhebung der Disziplinarbuße führen könne. Den nicht identischen Teil des Sachverhalts – die Impfverweigerung vom 2. Februar 2022 – hat es nicht als gleichartiges (erlaubtes) Geschehen der bloßen Einverständnisverweigerung bewertet, sondern als befehlswidrige Impfverweigerung und deswegen als Dienstvergehen eingestuft. Denn dazu sind vom früheren Soldaten gerade keine neuen Tatsachen und Beweismittel beigebracht worden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2022 – 2 WDB 7.22 – juris Rn. 17 zu § 129 Abs. 1 Nr. 2 WDO).
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2. Verfahrensmängel im Sinne von § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO liegen gleichfalls nicht vor oder sind nicht ausreichend dargelegt.
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a) Soweit die Beschwerde einen Verfahrensfehler in der zu engen Auslegung des § 44 Abs. 3 Satz 2 WDO sieht, kann sie schon deswegen keinen Erfolg haben, weil – wie ausgeführt – der Rechtsbegriff „desselben Sachverhalts“ in § 44 Abs. 3 Satz 2 WDO lediglich den identischen historischen Vorgang und nicht andere „gleiche“, gleichartige oder vergleichbare Geschehen umfasst. Darum liegt die behauptete fehlerhafte Auslegung des § 44 Abs. 3 Satz 2 WDO nicht vor.
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b) Im Übrigen sind die Darlegungsanforderungen nicht erfüllt. Bei der Geltendmachung einer Verfahrensrüge ist nach § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO die verletzte Verfahrensvorschrift zu bezeichnen. Ferner ist neben den Tatsachen, aus denen sich der Mangel ergeben soll, insbesondere darzulegen, inwiefern die Entscheidung auf der Verletzung beruhen kann (BVerwG, Beschlüsse vom 7. September 2020 – 2 WNB 6.20 – juris Rn. 3 und vom 12. Oktober 2022 – 2 WNB 3.22 – juris Rn. 11).
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Der pauschale Vorwurf des Verstoßes gegen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote wird nicht hinreichend substanziiert. Es werden schon die maßgeblichen Rechtsnormen, aus denen sich solche Verbote ergeben könnten, nicht bezeichnet. Zur möglichen Kausalität des behaupteten Verfahrensmangels wird nichts vorgetragen. Das gilt auch für die Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und des Akteneinsichtsrechts. Es wird nicht aufgezeigt, wodurch das Truppendienstgericht unfair gehandelt oder wann es eine beantragte Akteneinsicht prozessordnungswidrig verweigert hätte und aus welchen Gründen der Beschluss auf einem solchen Mangel beruhen könnte.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.