BAG 5. Senat, Urteil vom 23.10.2024, AZ 5 AZR 82/24, ECLI:DE:BAG:2024:231024.U.5AZR82.24.0
Leitsatz
Nehmen die Tarifvertragsparteien vom persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags Beschäftigte aus, deren geldwerte materielle Arbeitsbedingungen die höchste tarifliche Vergütung regelmäßig überschreiten, genügt dafür jedes – und damit auch ein geringfügiges – Überschreiten.
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Mönchengladbach, 13. April 2023, Az: 3 Ca 2218/22, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12. Dezember 2023, Az: 3 Sa 360/23, Urteil
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Dezember 2023 – 3 Sa 360/23 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über weitere Vergütung unter dem Gesichtspunkt eines nach Auffassung des Klägers zu geringen Abstands seines Entgelts zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe.
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Der Kläger ist Mitglied der IG Metall und seit 2013 bei der Beklagten beschäftigt, seit Juni 2022 als Entwicklungsingenieur auf der Grundlage eines als „außertariflich“ bezeichneten Arbeitsvertrags. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erhielt er im Streitzeitraum monatlich 8.212,00 Euro brutto, während das Entgelt in der höchsten tariflichen Entgeltgruppe – hochgerechnet auf 40 Wochenstunden – 8.210,64 Euro brutto betrug.
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Die Beklagte ist tarifgebunden und wendet in ihrem Betrieb die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens an, darunter den Manteltarifvertrag vom 8. November 2018 (MTV) und das Entgeltrahmenabkommen vom 18. Dezember 2003 (ERA NRW). Von deren persönlichen Geltungsbereichen sind ua. Beschäftigte ausgenommen, deren Arbeitsaufgaben – wie beim Kläger – eine tariflich näher bestimmte Einstufung übersteigen und bei denen „die geldwerten materiellen Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden in einer Gesamtschau diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten“, § 1 Nr. 3 MTV, § 1 Nr. 3 ERA NRW.
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Mit seiner Klage hat der Kläger für den Zeitraum Juni 2022 bis Februar 2023 eine höhere Vergütung beansprucht und gemeint, die ihm gezahlte Vergütung wahre nicht den tariflich verlangten Abstand zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe. Dieser müsse angelehnt an die sukzessiv ansteigende tarifliche Spreizung der Entgeltgruppen 1 bis 14 23,45 % betragen. Somit stünden ihm monatlich weitere 1.924,03 Euro brutto zu.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.316,27 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter betragsmäßiger und zeitlicher Staffelung zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
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I. Die Revision des Klägers ist zulässig.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten setzt sich die Revisionsbegründung ausreichend mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander und ist damit ordnungsgemäß iSv. § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO
(zu den Anforderungen im Einzelnen vgl. zB BAG 4. Juli 2024 – 6 AZR 200/23 – Rn. 11, st. Rspr.).
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II. Die Revision ist jedoch unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen.
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1. Der Kläger hat mit Abschluss des als außertariflich bezeichneten Arbeitsvertrags im Mai 2022 den Status eines außertariflichen Angestellten erhalten und damit einen vertraglichen Anspruch auf eine Vergütung, die ihn – ohne dass es auf eine beiderseitige Tarifgebundenheit ankäme
(BAG 25. April 2018 – 5 AZR 84/17 – Rn. 23) – nicht in den persönlichen Geltungsbereich eines das Arbeitsverhältnis an sich erfassenden Tarifvertrags zurückfallen lässt und gegebenenfalls einen tarifvertraglich vorgesehenen Mindestabstand zur höchsten tariflichen Vergütung wahrt
(vgl. BAG 18. November 2020 – 5 AZR 21/20 – Rn. 21 ff.; 25. April 2018 – 5 AZR 84/17 – Rn. 22 ff., jeweils mwN). Dagegen lässt sich – anders als die Revision meint – ein Vergütungsanspruch nicht unmittelbar aus § 1 Nr. 3 ERA NRW herleiten. Diese Tarifnorm regelt lediglich den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags mit der Folge, dass es bei dessen Geltung bleibt, wenn bei dem betreffenden Arbeitnehmer die Voraussetzungen für ein Herausfallen aus dem persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags nicht erfüllt sind.
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2. Den danach bestehenden Vergütungsanspruch des Klägers hat die Beklagte – wovon die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind – mit den geleisteten Zahlungen vollständig erfüllt. Der Anspruch ist daher erloschen, § 362 Abs. 1 BGB.
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a) Der Kläger hat für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ein Monatsgehalt von 8.212,00 Euro brutto und damit – wenn auch nur geringfügig – mehr erhalten, als das höchste Tarifentgelt vorsah. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Das Erfordernis eines bestimmten prozentualen Abstands zwischen diesen Größen sehen die tariflichen Bestimmungen nicht vor.
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aa) Nach § 1 Nr. 3 MTV iVm. § 1 Nr. 3 ERA NRW müssen die geldwerten materiellen Arbeitsbedingungen des außertariflichen Angestellten in einer Gesamtschau diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten, also – entsprechend dem allgemeinen Sprachverständnis – ein „Mehr“ sein. Anders als zB im Tarifbezirk Bayern
(vgl. zum dortigen tariflichen Abstandsgebot BAG 25. April 2018 – 5 AZR 84/17 -; 3. September 2014 – 5 AZR 240/13 -) oder im Tarifbezirk Osnabrück-Emsland
(vgl. BAG 18. November 2020 – 5 AZR 21/20 -) sehen im Tarifbezirk Nordrhein-Westfalen der Metall- und Elektroindustrie weder § 1 Nr. 3 MTV noch § 1 Nr. 3 ERA NRW einen bestimmten prozentualen Mindestabstand der Vergütung bzw. der geldwerten materiellen Arbeitsbedingungen des außertariflichen Angestellten zum höchsten Tarifentgelt vor. Damit genügt nach diesen Tarifnormen jedes – und damit auch ein geringfügiges – Überschreiten des höchsten Tarifentgelts
(ebenso Weiss/Armborst/Breick/Wiersberg Kommentar zum MTV Metall NRW 6. Aufl. § 1 Anm. 12 Ziff. 3; generell auch Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 4 Rn. 288).
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bb) Angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts und des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke verbietet sich eine ergänzende Tarifauslegung
(zu deren Voraussetzungen im Einzelnen sh. zB BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 33 ff. mwN), wie sie dem Kläger offenbar vorschwebt. Wollen die Tarifvertragsparteien für das Herausfallen aus dem Tarifvertrag einen bestimmten prozentualen Mindestabstand zwischen dem höchsten Tarifentgelt und dem Entgelt außertariflich Beschäftigter, müssen sie eine entsprechende tarifliche Abstandsklausel hinreichend klar und deutlich in den Tarifvertrag aufnehmen. Die von Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Tarifautonomie und der dadurch den Tarifvertragsparteien eingeräumte weite Gestaltungsspielraum
(vgl. BAG 15. November 2023 – 10 AZR 163/23 – Rn. 19 mwN) verbietet ein „Nachbessern“ – vermeintlich „ungerechter“ – tariflicher Bestimmungen durch die Gerichte zugunsten der einen oder anderen Seite
(ähnlich BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 38).
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b) Soweit der Kläger in der Revision versucht, das Erfordernis eines prozentualen Mindestabstands zum höchsten Tarifentgelt in das Verb „überschreiten“ hineinzuinterpretieren, indem er meint, dabei handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung die Tarifvertragsparteien den Arbeitgebern nach billigem Ermessen überlassen hätten, ist das schlechterdings nicht vertretbar. Unabhängig davon, ob eine solche „Regelungstechnik“ der Tarifvertragsparteien, die darauf hinausliefe, die Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrags partiell jedem einzelnen Arbeitgeber zu überlassen, überhaupt tarifrechtlich zulässig wäre, ist es – wie bereits ausgeführt – allein Sache der Tarifvertragsparteien, den persönlichen Geltungsbereich ihrer Tarifverträge zu regeln und dabei die Voraussetzungen zu definieren, bei deren Vorliegen Beschäftigte nicht mehr unter den Tarifvertrag fallen sollen. Dem haben die Tarifvertragsparteien durch die vereinbarten Regelungen entsprochen.
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III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
- Linck
- Neumann
- Biebl
- Rosenberg
- Raabe