Werbung für Biozidprodukte: Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne der Biozid-Verordnung; abstrakte Irreführungsgefahr; Bezeichnung eines Desinfektionsmittels als „Hautfreundlich“ – Hautfreundliches Desinfektionsmittel II (Urteil des BGH 1. Zivilsenat)

BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 10.10.2024, AZ I ZR 108/22, ECLI:DE:BGH:2022:101022UIZR108.22.0

Art 72 Abs 3 S 2 EUV 528/2012, § 3 Abs 1 UWG, § 3a UWG, § 8 Abs 1 S 1 UWG

Leitsatz

Hautfreundliches Desinfektionsmittel II

1. Der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung VO (EU) Nr. 528/2012 umfasst jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben (Anschluss an EuGH, Urteil vom 20. Juni 2024 – C-296/23, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 48] – dm-Drogerie Markt).

2. Den in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der „ähnlichen Hinweise“ liegt eine abstrakte Irreführungsgefahr zugrunde, die das Verbot entsprechender Werbeaussagen rechtfertigt. Auf eine konkrete Irreführung im Einzelfall kommt es nicht an.

3. Die Bezeichnung eines Biozidprodukts als „Hautfreundlich“ stellt eine Angabe dar, die als „ähnlicher Hinweis“ unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung VO (EU) Nr. 528/2012 fällt.

Verfahrensgang

vorgehend EuGH, 20. Juni 2024, Az: C-296/23, Urteil
vorgehend BGH, 20. April 2023, Az: I ZR 108/22, EuGH-Vorlage

vorgehend OLG Karlsruhe, 8. Juni 2022, Az: 6 U 95/21, Urteil

vorgehend LG Karlsruhe, 25. März 2021, Az: 14 O 61/20 KfH, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 6. Zivilsenat – vom 8. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe – Kammer für Handelssachen III – vom 25. März 2021 wird auch im Umfang der Aufhebung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittel mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin, die diese selbst trägt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V.. Die Beklagte ist eine bundesweit operierende Drogeriemarktkette.

2

Die Beklagte bot ein Desinfektionsmittel mit der Bezeichnung „BioLYTHE“ in der nachstehend abgebildeten Aufmachung in ihren Filialen und – unter Abbildung des Produkts samt Etikett sowie mit weiteren textlichen Angaben einschließlich einer „Produktbeschreibung“ – im Internet zum Verkauf an. Das Produkt enthält Natriumhypochlorit (NaCIO) in einer Konzentration von 0,049 Gewichtsprozent. Dabei handelt es sich um ein Oxidationsmittel, das Sauerstoff abspaltet beziehungsweise freisetzt, welcher die Zellmembranen von Bakterien, Viren und Pilzen dahin beeinträchtigt, dass sie dem osmotischen Druck nicht mehr standhalten können.

3

Das in den folgenden Abbildungen jeweils ausschnittsweise vergrößert gezeigte Etikett trägt unter der Produktbezeichnung die – auch in der Produktbeschreibung auf der Internetseite der Beklagten enthaltene – Angabe „Ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel“ sowie unter dem Text „Haut-, Hände- und Oberflächendesinfektion“ und „Wirksam gegen SARS-Corona“ die Angaben „Hautfreundlich
Bio • ohne Alkohol“.

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4

Die Klägerin meint, die Werbung sei unlauter, weil die Beklagte damit Marktverhaltensregelungen der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) zuwiderhandle. Nach erfolgloser Abmahnung hat sie beantragt,

die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Desinfektionsmittel, insbesondere „BioLYTHE“, als „ökologisches Universal-Breitband-Desinfektionsmittel“ und/oder „Hautfreundlich“ und/oder „Bio“, in der Werbung (auch im Internet) oder auf dem Produktetikett zu bezeichnen oder zu vertreiben (jeweils selbst oder durch Dritte).

5

Sie hat außerdem die Erstattung einer Abmahnkostenpauschale nebst Zinsen verlangt.

6

Die Herstellerin des streitgegenständlichen Produkts ist dem Rechtsstreit vor dem Landgericht auf Seiten der Beklagten als Streithelferin beigetreten. Im Revisionsverfahren hat sie die Rücknahme der Nebenintervention erklärt.

7

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (LG Karlsruhe, Urteil vom 25. März 2021 – 14 O 61/20 KfH, juris). Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil insoweit teilweise abgeändert, als es den Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage „Hautfreundlich“ abgewiesen hat (OLG Karlsruhe, GRUR 2022, 1620). Mit ihrer vom Berufungsgericht im Umfang der Teilklageabweisung zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage „Hautfreundlich“ weiter.

8

Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 20. April 2023 – I ZR 108/22, GRUR 2023, 831 = WRP 2023, 820 –; Hautfreundliches Desinfektionsmittel I):

Sind „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter „ähnliche Hinweise“ alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?

9

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage wie folgt beantwortet (EuGH, Urteil vom 20. Juni 2024 – C-296/23, GRUR 2024, 1226 = WRP 2024, 908 –; dm-Drogerie Markt):

Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten ist dahin auszulegen, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben.

Entscheidungsgründe

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I. Das Berufungsgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren relevant – den Unterlassungsantrag hinsichtlich der Bezeichnung des Desinfektionsmittels als „Hautfreundlich“ für unbegründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

11

Die Klägerin sei anspruchsberechtigt nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Die Beklagte habe mit der angegriffenen Verwendung der Bezeichnung „Hautfreundlich“ für ein Desinfektionsmittel nicht gegen Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO verstoßen. Die Angabe „Hautfreundlich“ sei kein „ähnlicher Hinweis“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO. Sie sei auch nicht irreführend im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO.

12

II. Der gegen diese Beurteilung gerichtete Angriff der Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Frage, ob in der Werbung für ein Desinfektionsmittel die Bezeichnung „Hautfreundlich“ unzulässig ist. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision im Entscheidungssatz und in den Entscheidungsgründen wirksam auf diese Frage beschränkt (zu den Voraussetzungen vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2021 – I ZR 248/19, NJW 2022, 52 [juris Rn. 14] mwN). Die Klägerin hat die Bewerbung als „Hautfreundlich“ neben den ebenfalls beanstandeten Angaben „ökologisches Universal-Breitband-Desinfektionsmittel“ und/oder „Bio“ im Wege der kumulativen Klagehäufung zu einem separaten Klageziel gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2012 – I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 [juris Rn. 25] – Biomineralwasser).

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2. Der Klägerin, die gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum 30. November 2021 geltenden Fassung (vgl. § 15a Abs. 1 UWG) klagebefugt ist, steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch hinsichtlich der Werbung mit der Angabe „Hautfreundlich“ zu. Diese Angabe verstößt gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO und stellt damit eine nach § 3a UWG unlautere und nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässige geschäftliche Handlung dar, die wegen der hier vorliegenden Wiederholungsgefahr einen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG begründet.

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a) Die beanstandete Bewerbung des Desinfektionsmittels stellt eine geschäftliche Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG dar.

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b) Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG.

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aa) Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

18

Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO darf die Werbung für ein Biozidprodukt auf keinen Fall die Angaben „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“, „unschädlich“, „natürlich“, „umweltfreundlich“, „tierfreundlich“ oder ähnliche Hinweise enthalten.

19

bb) Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist auch dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln. Das Ziel der Biozidverordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 ist es, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu verbessern. Die Bestimmungen der Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Biozid-VO). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO enthält Regelungen zur Werbung für Biozidprodukte, mit denen Verharmlosungen der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt oder seiner Wirksamkeit unterbunden werden sollen (vgl. BeckOK.UWG/Niebel/Kerl, 25. Edition [Stand 1. Juli 2024], § 3a Rn. 195 mwN). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO regelt mithin das Verhalten der Unternehmer betreffend die Werbung für Biozidprodukte zum Schutz der Gesundheit und damit im Interesse der Verbraucher.

20

cc) Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2016 – I ZR 243/14, GRUR 2016, 833 [juris Rn. 11] = WRP 2016, 858 –; Bio-Gewürze I, mwN). Bei Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO handelt es sich um eine solche, (auch) dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelung.

21

dd) Der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO als unlautere geschäftliche Handlung steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken die Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vollständig harmonisiert (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG). Die Richtlinie lässt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine solche Rechtsvorschrift.

22

c) Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit den Parteien mit Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den vom Antrag erfassten Desinfektionsmitteln um Biozidprodukte im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Biozid-VO handelt, also um einen Stoff oder ein Gemisch, das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu bekämpfen. Die beanstandeten Angaben sind auch Teil der von Art. 72 Biozid-VO geregelten Werbung (vgl. die Legaldefinition des Ausdrucks „Werbung“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. y Biozid-VO).

23

d) Die Bezeichnung des Desinfektionsmittels als „Hautfreundlich“ stellt eine Angabe dar, die als „ähnlicher Hinweis“ unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO fällt.

24

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, als „ähnlich“ vom Verbot erfasst seien Hinweise auf die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich seiner Risiken für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit, die in ihrer pauschalen Verharmlosung den in der Vorschrift beispielhaft genannten Angaben gleichstünden. Zur Feststellung des generalisierenden Gehalts des Hinweises, der den Verbotstatbestand kennzeichne, genüge es noch nicht, wenn der in Rede stehende Hinweis sich einer der beispielhaft genannten Angaben in der Weise zuordnen lasse, dass letztere den Oberbegriff bilde.

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Danach falle die Angabe „Hautfreundlich“ nicht als „ähnlicher Hinweis“ unter Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO und zwar unabhängig davon, ob der Verkehr eine (unmittelbare) positive Wirkung, eine bloße Unschädlichkeit oder lediglich eine Begrenzung des Risikopotenzials für die Haut erwarte. Die Angabe „Hautfreundlich“ relativiere das Risikopotenzial des Produkts oder seiner Wirkungen und deren Schädigungseignung weder allgemein (wie „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „unschädlich“, „ungiftig“) noch wenigstens speziell hinsichtlich eines der Schutzgüter umfassend (Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt) in pauschaler Weise. Sie beschreibe vielmehr – wenn auch insoweit sehr allgemein – die Produktwirkung auf ein spezifisches Organ, nämlich die Haut des Menschen.

26

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

27

bb) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO dahin auszulegen, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben (EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 48] – dm-Drogerie Markt).

28

Aus dem Wortlaut von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ergibt sich, dass die Gemeinsamkeit der in dieser Bestimmung aufgezählten Angaben darin besteht, dass sie die Risiken von Biozidprodukten für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlosen oder diese Risiken sogar negieren, ohne jedoch einen zwingenden allgemeinen Charakter zu haben (EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 33] – dm-Drogerie Markt).

29

Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO schafft unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs eine allgemeine Regelung für die Werbung für Biozidprodukte, die sich auf die Reaktion der Verbraucher auf die Wahrnehmung der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt stützt und unabhängig von den tatsächlichen Risiken und Eigenschaften dieser Produkte gilt. Die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der „ähnlichen Hinweise“ stellen Beispiele für Angaben dar, die hinsichtlich dieser Risiken offensichtlich irreführend sind und für die daher das in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte gilt (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 37 f.] – dm-Drogerie Markt). Den in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der „ähnlichen Hinweise“ liegt damit eine abstrakte Irreführungsgefahr zugrunde, die das Verbot entsprechender Werbeaussagen rechtfertigt. Auf eine konkrete Irreführung im Einzelfall kommt es nicht an.

30

Dabei kann sowohl ein allgemeiner als auch ein spezifischer Hinweis hinsichtlich der mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken offensichtlich irreführend sein, indem er die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlost oder diese Risiken sogar negiert, so dass ein allgemeiner Charakter für die Feststellung, ob ein Hinweis, der sich auf ein Biozidprodukt bezieht, unter den Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO fällt, nicht von Belang sein kann (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 39] – dm-Drogerie Markt).

31

Unter Berücksichtigung des Ziels der Biozidverordnung fallen Hinweise, die die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weder verharmlosen noch ausschließen, grundsätzlich nicht unter das in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte. Dagegen kann es nicht erlaubt sein, Werbeaussagen für Biozidprodukte zu verwenden, die sich auf das Fehlen von Risiken oder ein geringes Risiko oder auf bestimmte positive Wirkungen dieser Produkte beziehen, um diese Risiken zu verharmlosen oder sie sogar zu negieren. Solche Angaben können eine übermäßige, nachlässige oder fehlerhafte Verwendung dieser Produkte fördern, was dem Ziel zuwiderläuft, ihren Einsatz zu minimieren (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 44 f.] – dm-Drogerie Markt).

32

cc) Nach diesen Maßstäben unterliegt die von der Klägerin beanstandete Angabe „Hautfreundlich“ als „ähnlicher Hinweis“ dem Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO. Die Angabe hebt eine positive Eigenschaft des beworbenen Desinfektionsmittels hervor und ist dadurch geeignet, die Risiken des Biozidprodukts zu verharmlosen. Die Betonung der positiven Eigenschaft kann zudem in Widerspruch zu dem von der Biozidverordnung verfolgten Ziel, den Einsatz von Biozidprodukten zu minimieren, zu einer übermäßigen Verwendung des Desinfektionsmittels führen (vgl. auch EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 46] – dm-Drogerie Markt). Da die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der „ähnlichen Hinweise“ eine abstrakte Irreführungsgefahr begründen, bedarf es keiner tatgerichtlichen Feststellungen zu einer konkreten Irreführung durch die streitgegenständliche Angabe.

33

III. Danach ist auf die Revision der Klägerin das angefochtene Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufzuheben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil sie zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts ist auch im Umfang der Aufhebung zurückzuweisen.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.

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