BGH 13. Zivilsenat, Beschluss vom 10.09.2024, AZ XIII ZB 52/21, ECLI:DE:BGH:2024:100924BXIIIZB52.21.0
Leitsatz
Wünscht ein Betroffener, dass von der Haftanordnung eine bestimmte Person seines Vertrauens oder ein bestimmter Angehöriger (hier: seine Ehefrau) benachrichtigt werden soll, erfüllt das Haftgericht seine Pflicht nach Art. 104 Abs. 4 GG nicht, wenn es stattdessen einen Rechtsanwalt benachrichtigt, der sich im Haftanordnungsverfahren nicht als Bevollmächtigter bestellt hat.
Verfahrensgang
vorgehend LG Darmstadt, 25. August 2021, Az: 5 T 319/21
vorgehend AG Darmstadt, 17. Februar 2021, Az: 274 XIV 60/21
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 25. August 2021 zum Aktenzeichen 5 T 319/21 – auch im Kostenpunkt – aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 17. Februar 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Es wird festgestellt, dass das Amtsgericht Darmstadt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 104 Abs. 4 des Grundgesetzes verletzt hat, indem es die vom Betroffenen benannte Angehörige von der mit Beschluss vom 17. Februar 2021 angeordneten Haft nicht benachrichtigt hat.
Gerichtskosten werden betreffend das Verfahren des Landgerichts Darmstadt zum Aktenzeichen 5 T 319/21 in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden insoweit dem Land Hessen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
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I. Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste 2010 in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Januar 2012 ab. Im Juli 2019 schloss er in Mexiko die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen. Eine im September 2019 geplante Abschiebung scheiterte, weil der Betroffene untergetaucht war. Am 11. Februar 2021 ordnete das Amtsgericht Ausreisegewahrsam bis zum 17. Februar 2021 an. Auch die für den 16. Februar 2021 geplante Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, weil die pakistanischen Behörden eine erforderliche Bestätigung nicht erteilten.
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Am 17. Februar 2021 bat der Betroffene bei der Anhörung zum Haftantrag der beteiligten Behörde darum, Rechtsanwalt K beizuziehen, der von seiner Ehefrau zuvor beauftragt worden sei. Wegen eines Übersetzungsfehlers versuchte das Amtsgericht Rechtsanwalt H zu erreichen, was nicht gelang. Gleichwohl hat es gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 17. Februar 2021 Abschiebungshaft bis zum 17. März 2021 angeordnet. Seine Ehefrau, um deren Benachrichtigung der Betroffene gebeten hatte, ist von dem Beschluss nicht in Kenntnis gesetzt worden. Nachdem der Betroffene eine mit einem Antrag auf Feststellung der Verletzung von Art. 104 Abs. 4 GG verbundene Beschwerde eingelegt hatte und am 20. April 2021 abgeschoben worden war, hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 20. Mai 2021 festgestellt, dass sich die Entscheidung in der Hauptsache erledigt habe und der Betroffene durch den Beschluss vom 17. Februar 2021 nicht in seinen Rechten verletzt worden sei. Auch dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt.
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Das Landgericht hat die noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde gegen die Haftanordnung und die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2021 mit Beschluss vom 25. August 2021 ebenso zurückgewiesen wie den Antrag auf Feststellung, dass das Amtsgericht das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt hat. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und beantragt, den Beschluss des Landgerichts (5 T 319/21, 223/21 und 324/21) insoweit aufzuheben, als die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 17. Februar 2021 in Verbindung mit dem Beschluss vom 20. Mai 2021 zurückgewiesen worden ist, die beiden letztgenannten Beschlüsse aufzuheben und festzustellen, dass sie und der Vollzug der Abschiebungshaft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
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II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das Amtsgericht habe durch seine Verfahrensweise das Recht auf ein faires Verfahren nicht verletzt. Es sei nicht verpflichtet gewesen, den im Verlauf der Anhörung vom Betroffenen benannten Rechtsanwalt K für die Zwecke der Anhörung zu beteiligen oder mit einer Entscheidung abzuwarten. Es habe sich bei dem Hinweis auf die Beauftragung des Rechtsanwalts um eine Schutzbehauptung gehandelt. Weder aus der Ausländerakte noch aus der Gerichtsakte hätten sich Anhaltspunkte für eine solche Mandatierung ergeben. Auch fehlten Hinweise darauf, dass der genannte Rechtsanwalt, wie vom Betroffenen behauptet, einen erneuten Asylantrag gestellt habe. Danach bestünden keine Zweifel, dass Rechtsanwalt K nicht mandatiert gewesen sei. Das Amtsgericht habe die Ehefrau des Betroffenen von der Haftanordnung nicht benachrichtigen müssen, da der Beschluss dem vom Betroffenen benannten Rechtsanwalt bekanntgegeben worden sei. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2021 im Nichtabhilfeverfahren sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
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a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.
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aa) Dieser Grundsatz garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 – V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 – XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 15. Dezember 2020 – XIII ZB 123/19, InfAuslR 2021, 242 Rn. 8). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 – V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 – XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom 15. Dezember 2020 – XIII ZB 28/20, juris Rn. 16; vom 5. Dezember 2023 – XIII ZB 91/22, juris Rn. 5). Erklärt der Betroffene im Verlauf der persönlichen Anhörung, einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen zu wollen, so muss das Gericht – falls er keinen Bevollmächtigten benennt – ihm für die Suche eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts Gelegenheit geben und darf die Haft auch nur vorläufig anordnen, wobei die Abschiebung aus der nur vorläufig angeordneten Haft heraus gleichwohl erfolgen darf (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2022 – XIII ZB 34/21, juris Rn. 7 f.; vom 25. Oktober 2022 – XIII ZB 18/20, juris Rn. 6; vom 5. Dezember 2023 – XIII ZB 91/22, juris Rn. 5, jeweils mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung die Teilnahme eines Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 – XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 5. Dezember 2023 – XIII ZB 15/23, juris Rn. 7).
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bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe hätte das Amtsgericht dem Betroffenen Gelegenheit geben müssen, einen Rechtsanwalt zum Verfahren hinzuziehen, und Haft zunächst nur im Wege der einstweiligen Anordnung verhängen dürfen. Der Betroffene hat im Verlauf seiner persönlichen Anhörung deutlich gemacht, dass er die Vertretung durch einen Rechtsanwalt wünschte und zu diesem Zweck auf Rechtsanwalt K verwiesen. Mit diesem Rechtsanwalt wolle er sprechen. Nachdem der Rechtsanwalt nicht erreicht werden konnte, hat der Betroffene daran festgehalten, dass er mit ihm sprechen wolle und ausdrücklich um einen neuen Termin gebeten. Ohne den Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem vom Betroffenen benannten Rechtsanwalt K vor Verkündung der Haftentscheidung hätte das Amtsgericht daher Haft nur vorläufig anordnen dürfen. Eine solche Kontaktaufnahme war indes schon deshalb nicht erfolgt, weil das Amtsgericht wegen des ihm zuzurechnenden Übersetzungsfehlers tatsächlich nicht versucht hatte, Rechtsanwalt K zu erreichen.
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b) Das Amtsgericht hat darüber hinaus das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt.
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aa) Nach dieser Vorschrift ist von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu unterrichten. Zweck des Art. 104 Abs. 4 GG ist es, einer in Haft genommenen Person den Kontakt nach außen zu sichern und damit ein spurloses Verschwinden von Personen zu verhindern. Die mit Verfassungsrang angeordnete Benachrichtigungspflicht tritt selbstständig neben die Entscheidung über die Freiheitsentziehung und gewährt einem Festgehaltenen ein subjektives Recht darauf, dass die Vorschrift beachtet wird. Ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 4 GG liegt allerdings dann nicht vor, wenn die Haftanordnung dem Bevollmächtigten des Betroffenen bekanntgegeben wird, da ein von dem Betroffenen mandatierter Prozessbevollmächtigter in aller Regel als Person seines Vertrauens gelten kann, jedenfalls wenn dieser auf den ausdrücklichen Wunsch des Vertretenen tätig geworden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 2 BvR 2345/16,
InfAuslR 2020, 343 Rn. 42 f. mwN). Einen nicht anwaltlich vertretenen Festgehaltenen hat das Haftgericht mit Blick auf den subjektiven Rechtscharakter des Art. 104 Abs. 4 GG über die es treffende Benachrichtigungspflicht zu informieren und zu fragen, wen es als Angehörigen oder als Vertrauensperson benachrichtigen könnte (BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2023 – 2 BvR 656/20,
ZAR 2024, 97 Rn. 16 mwN). Verletzungen des Art. 104 Abs. 4 GG sind festzustellen; darüber hinaus ist keine weitere Rechtsfolge auszusprechen (siehe BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 2 BvR 2345/16,
InfAuslR 2020, 343 Tenor und Rn. 45).
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bb) Nach diesen Grundsätzen hätte das Beschwerdegericht den Antrag auf Feststellung des Verstoßes gegen Art. 104 Abs. 4 GG nicht zurückweisen dürfen. Es ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass eine Bevollmächtigung von Rechtsanwalt K nicht vorlag, und durfte daher nicht annehmen, das Amtsgericht habe die ihm obliegende Pflicht nach Art. 104 Abs. 4 GG mit der Benachrichtigung von Rechtsanwalt K erfüllt. Im Übrigen hat der Betroffene auf Nachfrage des Amtsgerichts, wer über die Verhaftung benachrichtigt werden sollte, unter Angabe ihrer Anschrift ausdrücklich seine Ehefrau benannt. Diesen eindeutig bekundeten Willen des Betroffenen zur Benachrichtigung eines bestimmten Angehörigen durfte das Amtsgericht nicht übergehen, zumal der vom Betroffenen benannte Rechtsanwalt eine Vertretung bei Gericht nicht angezeigt hatte und das Amtsgericht ihn im Rubrum als Verfahrensbevollmächtigten auch nicht aufgeführt hat.
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c) Das mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Begehren ist nach Maßgabe der dafür geltenden Grundsätze (siehe BGH, Beschlüsse vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22, FamRZ 2023, 719 Rn. 7; vom 21. März 2024 – IX ZB 56/22, NJW 2024, 1339 Rn. 18, jeweils mwN) dahin auszulegen, dass der Betroffene sich nicht gegen die Verwerfung seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 20. Mai 2021 (5 T 324/21) wendet. Es ist unter Heranziehung aller maßgeblichen Umstände nicht zweifelhaft, dass der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde lediglich gegen die Zurückweisung seiner Beschwerde wegen der Haftanordnung vom 17. Februar 2021 vorgehen und seinen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft weiterverfolgen will, zumal eine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss vom 20. Mai 2021 unbegründet wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2020 – XII ZB 243/19, NJOZ 2021, 58 Rn. 11 bis 14).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG; sie berührt nicht den Kostenausspruch im angefochtenen Beschluss betreffend die Aktenzeichen 3 T 323/21 und 3 T 324/21. Die Feststellung des Verstoßes gegen Art. 104 Abs. 4 GG bleibt bei der Kostenentscheidung unberücksichtigt (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – XIII ZB 29/22, juris Rn. 17).
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG. Der Antrag des Betroffenen auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist danach gegenstandslos.
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