Fiktive Versetzung eines Personalratsmitglieds; Referenzgruppenmodell; Erweiterung des Kreises der Referenzpersonen (Beschluss des BVerwG 1. Wehrdienstsenat)

BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 29.08.2024, AZ 1 WB 2/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:290824B1WB2.24.0

§ 17 Abs 3 S 1 WBO, § 27b SG, § 6 SG, § 62 Abs 3 S 1 SBG 2016, § 52 Abs 1 S 2 BPersVG 2021

Tenor

Die Referenzgruppe vom 29. August 2022 und der Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 17. November 2023 werden aufgehoben. Das Bundesministerium der Verteidigung wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Bildung einer neuen Referenzgruppe erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.

Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der ihm im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden zu 3/4 dem Bund auferlegt.

Tatbestand

1

Der Antrag betrifft die fiktive Versetzung auf einen Dienstposten der Besoldungsgruppe A 12 und die Bildung einer Referenzgruppe.

2

Der … geborene Antragsteller ist Offizier des militärfachlichen Dienstes und Berufssoldat. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich mit dem September 2024 enden. Im Dezember 2005 wurde er zum Hauptmann befördert und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 11 eingewiesen. Zum 1. Juli 2005 war er bereits auf einen mit A 11 bewerteten Dienstposten versetzt worden. Er gehört dem Werdegang … an. In seiner Verwendung als Lehroffizier, … und Hörsaalleiter wurde er zum Stichtag 31. März 2012 planmäßig beurteilt und mit dem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung „6,20“ bewertet. Die Entwicklungsprognose dieser Beurteilung lautete „individuelle Laufbahnperspektive erreicht“.

3

Als Mitglied des Bezirkspersonalrates beim Kommando … war er seit dem 30. April 2013 – nach Aktenlage bis zum 31. Mai 2024 – vom militärischen Dienst freigestellt. Daraufhin wurde am 30. März 2014 eine erste Referenzgruppe für den Antragsteller gebildet, in der er unter 10 Hauptleuten der Besoldungsgruppe A 11 den achten Rang einnahm. Nachdem drei Referenzpersonen aus dem aktiven Dienst ausgeschieden waren, so dass nach dieser Referenzgruppe eine Förderung des Antragstellers nicht mehr möglich war, wurde am 25. Februar 2019 eine zweite Referenzgruppe gebildet. In dieser nahm der Antragsteller unter sieben Hauptleuten den sechsten Rang ein. Unter dem 11. März 2019 wurde ein (erster, hier nicht streitgegenständlicher) Antrag des Antragstellers vom 30. November 2018 auf fiktive Versetzung auf einen Dienstposten der Besoldungsgruppe A 12 abgelehnt und der Antragsteller über die Neubildung der Referenzgruppe am 25. Februar 2019 informiert.

4

Unter dem 11. Juli 2022 beantragte der Antragsteller erneut seine fiktive Versetzung auf einen Dienstposten der Besoldungsgruppe A 12.

5

Am 29. August 2022 wurde eine dritte Referenzgruppe für den Antragsteller gebilligt.

6

Im Rahmen der Überprüfung aller Referenzgruppen wurde festgestellt, dass die Referenzgruppe des Antragstellers die Mindestgröße von 11 unterschritt, die Durchschnittswerte der Leistungsbeurteilungen ihrer Mitglieder um mehr als 0,3 Punkte abwichen, der angrenzende Wertungsbereich um mehr als 0,15 Punkte überschritten war und Referenzpersonen in der Entwicklungsprognose um mehr als eine Stufe besser eingeschätzt waren als der Antragsteller. Eine ausreichende Zahl von Referenzpersonen, die seit 2005 auf einem mit A 11 bewerteten Dienstposten verwendet wurden und bei der Entwicklungsprognose „0“ im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung zwischen „5,90“ und „6,20“ bewertet waren, konnte nicht festgestellt werden. Auch die Erweiterungen der Kriterien auf – im ersten Schritt – in den Jahren 2004 bis 2006 auf einen mit A 11 dotierten Dienstposten versetzte Soldaten, im zweiten Schritt auf fachverwandte Werdegänge/Kompetenzbereich, im dritten Schritt auf Soldaten mit einer um eine Stufe besseren Entwicklungsprognose sowie im vierten Schritt auf Soldaten im angrenzenden Wertungsbereich und einer bis zu 0,15 Punkten besseren Durchschnittsbewertung, ergab keine ausreichende Zahl von Referenzpersonen. Erst bei werdegangsübergreifender Betrachtung erfüllten 33 Offiziere die erweiterten Kriterien. Aus diesem Kreis wurde nach Beschränkung der Zahl der Referenzgruppenmitglieder unter Rückgriff auf das vorrangige Kriterium der gleichen Entwicklungsprognose eine – mit dem Antragsteller – 11 Personen erfassende Referenzgruppe gebildet, unter denen der Antragsteller den Rangplatz 3 einnahm.

7

Mit Bescheid vom 31. August 2022 lehnte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr den Antrag vom 11. Juli 2022 ab und informierte diesen über die Neubildung der Referenzgruppe am 29. August 2022. Die Voraussetzungen für eine Förderung nach der Referenzgruppe vom 29. August 2022 lägen noch nicht vor. Der Bescheid belehrte über die Möglichkeit einer beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr oder dem nächsten Disziplinarvorgesetzten innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe einzulegenden Beschwerde.

8

Am 15. September 2022 legte der Antragsteller beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr Beschwerde ein, die er unter dem 9. Dezember 2022 begründete und die im Juni 2023 dem Bundesministerium der Verteidigung zuständigkeitshalber vorgelegt wurde.

9

Mit dem Antragsteller am 4. Dezember 2023 ausgehändigten Bescheid vom 17. November 2023 wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung komme es nicht auf die verspätete Weiterleitung an das Bundesministerium der Verteidigung an. Die zulässige Beschwerde sei aber unbegründet. Die 2019 gebildete Referenzgruppe sei nicht hinreichend homogen und hätte daher aufgehoben werden müssen. Die Neubildung sei nach Maßgabe der Nummern 303, 304 und 309 der Allgemeinen Regelung (AR) A-1336/1 rechtmäßig erfolgt. In dieser sei noch kein Mitglied auf einen nach A 12 dotierten Dienstposten versetzt worden. Vier Mitglieder seien zwischenzeitlich in den Ruhestand versetzt worden. Danach sei der Zweck der Referenzgruppenbildung noch erreichbar, die Voraussetzungen für eine Förderung seien aber noch nicht erfüllt.

10

Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 14. Dezember 2023 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom 9. Januar 2024 dem Senat vorgelegt.

11

Der Antragsteller macht geltend, die für ihn maßgebliche Referenzgruppe genüge nicht den Anforderungen aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 10 BPersVG. Fünf Referenzpersonen würden bis zum Dienstzeitende des Antragstellers in den Ruhestand versetzt. Zwei unter diesen hätten bereits bei Referenzgruppenbildung eine Restdienstzeit von einem Monat gehabt. Damit sei die Referenzgruppe von vornherein absehbar zu klein, derzeit jedenfalls zu klein geworden, so dass eine vierte Referenzgruppe zu bilden sei. Der Kreis der in Betracht kommenden Personen hätte nicht unter Berücksichtigung des Kriteriums der gleichen Entwicklungsprognose wieder auf zehn verkleinert werden dürfen. Er betreibe ein Eilverfahren beim Verwaltungsgericht Hannover mit dem Ziel der Freihaltung einer Beförderungsplanstelle und habe bereits einen Antrag auf Schadlosstellung gestellt. Entgegen dem Vortrag des Bundesministeriums der Verteidigung seien die Verwendungsbereiche Flugabwehrraketendienst und Luftfahrzeugelektronik nicht vergleichbar. Die Referenzgruppe sei auch aus einem Personenkreis mit vergleichbaren Tätigkeiten gebildet worden. Die Handhabung der Verkleinerung einer zu großen Referenzgruppe sei in einer mit Art. 33 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden Weise erfolgt. Im Übrigen hätten die fraglichen Erlasse nicht die von § 27b Abs. 3 SG geforderte Qualität einer Rechtsverordnung.

12

Der Antragsteller beantragt,

die für ihn zuletzt gebildete Referenzgruppe aufzuheben und den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut eine Referenzgruppe für den Antragsteller zu bilden,

die Entscheidung zur fiktiven Versetzung des Antragstellers aufzuheben und den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, den Antragsteller fiktiv auf ein dienstpostenähnliches Konstrukt oder einen Dienstposten der Besoldungsgruppe A 12 zu versetzen.

13

Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

14

Zur Begründung verweist es auf den Beschwerdebescheid und ergänzt, es sei nach Nr. 308 Buchst. d AR A-1336/1 unerheblich, dass die Referenzperson auf dem sechsten Rangplatz erst 2007 zum Hauptmann befördert worden sei. Die Forderung nach einer Restdienstzeit von zwei Jahren für die Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 nach Nr. 2016 AR A-1340/49 schließe die Aufnahme von Referenzgruppenmitgliedern mit kürzerer Restdienstzeit nicht aus, da in diesen Fällen regelmäßig von der Ausnahmeregelung nach Nr. 2040 AR A-1340/49 Gebrauch gemacht werde. Zudem bestehe bei für eine förderliche Verwendung ausgewählten Berufssoldaten die Möglichkeit der Verschiebung des Ruhestandseintritts nach § 45 Abs. 1 SG.

15

Auf Nachfrage der Berichterstatterin ist eine amtliche Auskunft des Erlasshalters zur Handhabung von Nummer 309 Satz 2 AR A-1336/1 vorgelegt worden. Hiernach könne die Anwendung der im Vergleich mit den Kriterien der Nummer 308 AR A-1336/1 weniger individualisierten Kriterien der Nummer 309 AR A-1336/1 zu einem größeren Kreis von Referenzpersonen führen, der im Hinblick auf die Überwachung der Referenzgruppe administrativ nicht mehr handhabbar und deshalb „zu groß“ werde. Ab wann eine Referenzgruppe „zu groß“ werde, sei im Einzelfall zu prüfen. Dies sei etwa bei 30 bis 40 Referenzpersonen der Fall. In Ausnahmefällen könne aber auch eine über 40 Referenzpersonen hinausgehende Referenzgruppe gerechtfertigt sein. Führe beispielsweise die Nutzung des zweiten Erweiterungskriteriums der Nummer 309 AR A-1336/1 zu 35 Referenzpersonen, so sei die Referenzgruppe nicht weiter zu verringern. Würde als weiteres Beispiel die Nutzung des fünften Erweiterungskriteriums zu 60 Referenzpersonen führen, so sei diese Größe administrativ nicht mehr handhabbar und daher schrittweise wieder zu verkleinern. In einem Rückschrittverfahren seien dann zunächst im Rahmen des vierten Erweiterungsschritts zugefügte Referenzpersonen wieder zu entfernen. Sei die Referenzgruppe dann immer noch zu groß würden im dritten Erweiterungsschritt zugefügte Referenzpersonen entfernt und entsprechend fortgefahren bis sich eine administrativ handhabbare Größe ergebe.

16

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

17

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat teilweise Erfolg.

18

1. Die auf Aufhebung und Neubildung einer Referenzgruppe und fiktive Versetzung gerichteten Anträge sind jeweils zulässig.

19

a) Die Bildung einer Referenzgruppe für freigestellte Soldaten ist eine anfechtbare dienstliche Maßnahme im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2017 – 1 WB 5.16 – juris LS und Rn. 21 ff.). Sie bildet kein bloß vorbereitendes Element der innerdienstlichen Willensbildung, sondern stellt die wesentliche und vorentscheidende Weichenstellung für die Verwirklichung des Rechts des freigestellten Soldaten auf ein Fortkommen nach Eignung, Befähigung und Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 SG) dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2019 – 1 WB 12.18 – juris Rn. 14).

20

Der Antragsteller ist antragsbefugt. Er kann geltend machen, durch die Referenzgruppe vom 29. August 2022 in seinen Rechten aus Art. 33 Abs. 2 GG (i. V. m. § 6 SG) und § 3 Abs. 1 SG, in dem personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungsverbot (§ 62 Abs. 3 Satz 1 SBG i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG) und in dem Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nach den Verwaltungsvorschriften, die die Referenzgruppenbildung ausgestalten, verletzt zu sein.

21

b) Die fiktive Versetzung auf einen förderlichen Dienstposten ist eine truppendienstliche Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO, die Gegenstand eines Verpflichtungsbegehrens vor den Wehrdienstgerichten sein kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2018 – 1 WB 31.18 – juris Rn. 9 m. w. N. und vom 26. Januar 2023 – 1 WB 41.21 – NVwZ-RR 2024, 420 Rn. 19).

22

Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, hat er doch auch als für die Personalratstätigkeit freigestellter Soldat grundsätzlich einen auf dem speziellen personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungsverbot gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG i. V. m. § 62 Abs. 3 Satz 1 SBG, dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und aus Art. 33 Abs. 2 GG beruhenden Rechtsanspruch auf Förderung nach Maßgabe des in der seit dem 26. August 2021 geltenden Allgemeinen Regelungen (AR) A-1336/1 „Mil. Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte“ niedergelegten Referenzgruppenmodells.

23

2. Der Antrag ist allerdings nur im Hinblick auf das Verlangen nach einer Neubildung der Referenzgruppe begründet.

24

a) Die Referenzgruppe vom 29. August 2022 ist rechtswidrig und deshalb aufzuheben (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 WBO). Das Bundesministerium der Verteidigung ist verpflichtet, für den Antragsteller unter Beachtung der nachfolgend dargestellten Rechtsauffassung des Gerichts eine neue Referenzgruppe zu bilden (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 4 WBO).

25

aa) Maßgeblich für die Bildung einer Referenzgruppe und für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Freistellung des betroffenen Soldaten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. April 2018 – 1 WB 41.17 – juris Rn. 27 und vom 26. Januar 2023 – 1 WB 3.22 – BVerwGE 177, 360 Rn. 33). Etwas anderes gilt nur, wenn sich eine Referenzgruppe durch Funktionsloswerden erledigt oder sie mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen wird; in diesem Fall ist bei der Neubildung auf die Rechtslage nach Aufhebung der bisherigen Referenzgruppe abzustellen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Januar 2023 – 1 WB 45.22 – juris Rn. 27 f. und vom 20. März 2024 – 1 WB 55.22 – juris Rn. 13). Letzterer Fall ist hier gegeben. Maßgeblich ist deshalb die Rechtslage im Zeitpunkt der Neubildung der Referenzgruppe vom 29. August 2022. Hinsichtlich der Verwaltungsvorschriften ist damit die Allgemeine Regelung (AR) A-1336/1 „Mil. Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte“ in der Fassung der Version 2 vom 26. August 2021 zugrunde zu legen.

26

Im Ergebnis unschädlich ist, dass dem Referenzgruppenmodell zum damaligen Zeitpunkt eine dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes genügende normative Rechtsgrundlage fehlte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2022 – 1 WB 21.21 – BVerwGE 177, 121 Rn. 41 f.). Es bestand zwar das gesetzliche Benachteiligungsverbot für freigestellte Soldaten aus § 62 Abs. 3 Satz 1 SBG i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG, aber keine gesetzliche Direktive, auf welche Weise die berufliche Förderung freigestellter Personalratsmitglieder erfolgen sollte. Das Referenzgruppenmodell war bei Freistellung des Antragstellers und auch bei der hier gegenständlichen Neubildung der Referenzgruppe nur in Verwaltungsvorschriften geregelt. Seine gesetzliche Verankerung in § 27b SG erfolgte erst durch das „Gesetz zur Beschleunigung der Entfernung von verfassungsfeindlichen Soldatinnen und Soldaten aus der Bundeswehr sowie zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften“ am 23. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 392, S. 2). Dieser Rechtsmangel führt jedoch nicht zur Unanwendbarkeit der Verwaltungsvorschriften für Altfälle. Ein völliger Wegfall jeglicher Förderung der freigestellten Soldaten für die Vergangenheit würde das Benachteiligungsverbot verletzen und damit einen Zustand herbeiführen, der von der Rechtsordnung weiter entfernt wäre als die übergangsweise Anwendung der Verwaltungsvorschriften in Altfällen. Vielmehr verlangt der Gleichbehandlungsgrundsatz die weitere Anwendung des damals in Verwaltungsvorschriften ausgestalteten und heute vom Gesetzgeber in § 27b SG übernommenen Referenzgruppenmodells (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Januar 2023 – 1 WB 41.21 – NVwZ-RR 2024, 420 Rn. 22 ff. und vom 26. Januar 2023 – 1 WB 45.22 – juris Rn. 19 ff.).

27

bb) Hiernach verletzt die Neubildung der Referenzgruppe die Rechte des Antragstellers, weil sie den Vorgaben der genannten Vorschriften nicht entspricht.

28

aaa) Die Referenzgruppe ist nicht bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben.

29

Zwar sind die Angaben über die für die Festsetzung der fraglichen Referenzgruppe maßgeblichen Ermessensgesichtspunkte im Bescheid vom 31. August 2022 nicht in einer den Anforderungen aus § 39 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG genügenden Form wiedergegeben. Dieser Mangel ist aber jedenfalls im Beschwerde- und Gerichtsverfahren geheilt worden (§ 45 Abs. 2 VwVfG), indem im Beschwerdebescheid und im Vortrag des Bundesministeriums der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren die wesentlichen Gründe für die Festsetzung erläutert wurden. Dadurch ist auch der eine unzureichende Information zurückgeführte Anhörungsmangel im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG geheilt worden (§ 45 Abs. 2 VwVfG).

30

bbb) Die Bildung der Referenzgruppe ist aber materiell-rechtlich zu beanstanden. Die zuständige Stelle hat die ihr Ermessen bindenden bzw. regelnden Verwaltungsvorschriften unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG angewandt. Hier sind für die Aufhebung und Neubildung der Referenzgruppe im August 2022 die ab dem 26. August 2021 geltenden AR A-1336/1 „Mil. Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte“ maßgeblich gewesen.

31

(1) Nicht zu beanstanden ist, dass eine Neubildung der Referenzgruppe erfolgte und die weitere Förderung nicht von der 2014 oder der 2019 gebildeten Referenzgruppe abhängig blieb. Ausweislich des Bescheides vom 31. August 2022 und der zur Vorbereitung der Neuerstellung erarbeiteten Unterlagen hat sich der Dienstherr für eine Überprüfung aller Referenzgruppen und eine Neubildung entschieden, wenn diese aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Er muss sich daran festhalten lassen, dass er hiernach vorliegend von der Notwendigkeit einer Neubildung ausgegangen ist, weil die Referenzgruppe des Antragstellers von 2019 die Mindestgröße von 11 unterschritt, die Durchschnittswerte der Leistungsbeurteilungen ihrer Mitglieder um mehr als 0,3 Punkte abwichen, der angrenzende Wertungsbereich um mehr als 0,15 Punkte überschritten war und Referenzpersonen in der Entwicklungsprognose um mehr als eine Stufe besser eingeschätzt waren als der Antragsteller. Die Referenzgruppe von 2014 war schon deshalb funktionslos geworden, weil aus ihr unstreitig keine Förderung des Antragstellers mehr möglich war.

32

(2) Die Referenzgruppe von 2022 ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil die Homogenitätskriterien nach Nr. 308 Satz 2 Buchst. a, d und e AR A-1336/1 nicht gewahrt sind. Denn dies ist durch das Erfordernis, nach Maßgabe von Nr. 309 Satz 1 AR A-1336/1 zur Ermittlung einer ausreichend großen Zahl von Referenzpersonen deren Kreis schrittweise zu erweitern, grundsätzlich gerechtfertigt.

33

(a) Nach Nr. 308 AR A-1336/1 ist die Referenzgruppe aus Soldatinnen und Soldaten zu bilden, die zum Zeitpunkt der Freistellung laufbahnrechtlich über einen vergleichbaren Stand verfügen. Nach Nr. 308 Satz 2 Buchst. a AR A-1336/1 verfügen die Referenzpersonen in der zugrunde zu legenden Beurteilung gemessen an dem binnendifferenzierten Gesamturteil über das gleiche Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsbild. Gemäß Fußnote 17 ist bei Beurteilungen, die vor dem 31. Juli 2021 erstellt wurden, auf einen im Wesentlichen gleichen Durchschnittswert (+/- 0,3) der Aufgabenerfüllung innerhalb des jeweiligen Wertungsbereiches abzustellen. Nach Nr. 308 Satz 2 Buchst. d AR A-1336/1 sind als Referenzpersonen grundsätzlich solche Soldaten zu bestimmen, die im gleichen Jahr wie die betreffende Person erstmals auf einen der Besoldungsgruppe der betreffenden Person entsprechenden Dienstposten versetzt wurden. Nr. 308 Satz 2 Buchst. e AR A-1336/1 sieht vor, dass Referenzpersonen der gleichen Ausbildungs- und Verwendungsreihe, dem gleichen Werdegang oder Kompetenzbereich angehören.

34

Diese Anforderungen sind hier nicht gewahrt, da ausweislich der tabellarischen Übersicht des Beschwerdebescheides Soldaten unterschiedlicher Werdegänge und Uniformträgerbereiche, die in den Jahren 2004 bis 2006 auf einen nach A 11 bewerteten Dienstposten versetzt wurden, sowie ein der Leistungsbeurteilung nach in einem Wertungsbereich oberhalb desjenigen des Antragstellers bewerteten Soldat einbezogen wurden.

35

(b) Die Referenzgruppe soll aber neben der betreffenden Person mindestens weitere zehn nicht freigestellte Soldatinnen und Soldaten umfassen (Nr. 303 Satz 1 AR A-1336/1). Eine Unterschreitung dieser Zahl kommt nur in begründeten Ausnahmefällen in Betracht, nachdem alle priorisiert vorgegebenen Auswahlkriterien ausgeschöpft wurden; auch dann muss die Referenzgruppe mindestens fünf Soldatinnen oder Soldaten (einschließlich der betreffenden Person) umfassen (Nr. 303 Satz 3 und 4 AR A-1336/1). Sind nicht ausreichend Referenzpersonen zu identifizieren, die den Vorgaben der Nr. 308 AR A-1336/1 entsprechen, ist gemäß Nr. 309 AR A-1336/1 eine schrittweise Erweiterung des infrage kommenden Personenkreises geboten, wobei die Erweiterung schrittweise nach der vorgegebenen Priorisierung zu erfolgen hat. Dabei hat eine Erweiterung des Kreises der nach Nr. 308 AR A-1336/1 identifizierten Referenzpersonen um eine Erweiterung nach Nr. 309 AR A-1336/1 Vorrang vor einer Absenkung der Mindestzahl der Referenzpersonen von zehn auf vier.

36

Im vorliegenden Fall war eine Erweiterung des Kreises der Referenzpersonen geboten, weil ausweislich der Erläuterungen des Beschwerdebescheides und der zur Neubildung erstellten Unterlagen der Beschwerdeakte nach Maßgabe der Kriterien der Nr. 308 AR A-1336/1 keine ausreichende Zahl von Referenzpersonen zu ermitteln war. Hiernach war die Mindestzahl von 10 Referenzpersonen auch nicht durch eine schrittweise Erweiterung der Kriterien nach Nr. 309 Buchst. a bis d AR A-1336/1 zu erreichen. Vielmehr erlaubte erst der Erweiterungsschritt nach Maßgabe von Nr. 309 Buchst. e AR A-1336/1 die Identifikation von 33 möglichen Referenzpersonen. Dass dabei eine werdegangs- und uniformträgerbereichsübergreifende Betrachtung erfolgt, ist nicht zu beanstanden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2023 – 1 WB 45.22 – juris Rn. 42 ff.).

37

(c) Zu beanstanden ist allerdings die Aufnahme der Referenzpersonen mit den Rangplätzen 1, 2, 4, 5 und 11 im Hinblick auf deren weniger als zwei Jahre nach der Bekanntgabe der Referenzgruppe an den Antragsteller eintretenden Dienstzeitendes.

38

Zwar ist dem System der Förderung nach Maßgabe von Referenzgruppen die Möglichkeit immanent, dass ein Mitglied der Referenzgruppe zur Ruhe gesetzt wird, ohne bis dahin gefördert zu sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 2023 – 1 WB 12.22 und 24.22 – juris Rn. 39). Der nach Bildung der Referenzgruppe eintretende Ruhestand einzelner Mitglieder berührt grundsätzlich auch nicht den Bestand der Referenzgruppe (vgl. Nr. 316 Satz 1 AR A-1336/1).

39

Nach Nr. 308 Satz 2 Buchst. e Satz 2 AR A-1336/1 dürfen allerdings nur Referenzpersonen ausgewählt werden, die zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Referenzgruppe die allgemeinen Beförderungsvoraussetzungen erfüllen. Dies ist bei bereits in den Ruhestand getretenen Soldaten regelmäßig nicht mehr der Fall. Hingegen steht der Umstand, dass ein Soldat in wenigen Monaten in den Ruhestand tritt, nicht zwingend einer Beförderung entgegen. Nur für wenige Planstellen ist eine bestimmte Restdienstzeit als allgemeine Beförderungsvoraussetzung vorgeschrieben (Nr. 2016 AR A-1340/49). Wird diese Restdienstzeit nicht erreicht oder besteht aus anderen Gründen keine rechtliche Beförderungsmöglichkeit, ist die Aufnahme als Referenzperson unzulässig. Soldatinnen oder Soldaten in eine Referenzgruppe aufzunehmen, die vom Beginn der äußeren Wirksamkeit der Referenzgruppe durch Bekanntgabe an die betreffende Person an noch nicht einmal theoretisch eine berufliche Entwicklung im Sinne einer Beförderung machen können, widerspricht gleichfalls dem Sinn und Zweck des Referenzgruppenmodells und ist daher treuwidrig (BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2023 – 1 WB 45.22 – juris Rn. 47).

40

Da die in Rede stehende Referenzgruppe durch die Bekanntgabe an den Antragsteller frühestens am 31. August 2022 – dem Datum des Bescheides – und spätestens am 15. September 2022 – der Einlegung der Beschwerde – äußere Wirksamkeit erlangte, konnten die genannten Referenzpersonen die für die Beförderung nach A 12 gemäß Nr. 2016 AR A-1340/49 grundsätzlich erforderliche Mindestrestdienstzeit von zwei Jahren wegen ihres in der Tabelle angeführten Dienstzeitendes (30. September 2022, 30. September 2023 und 31. März 2024) – anders als der erst mit Ablauf des 30. Septembers 2024 in Ruhestand tretenden Antragsteller – nicht mehr erreichen. Ihre Aufnahme in die Referenzgruppe war daher systemwidrig. Die Aufnahme der Referenzpersonen mit den Rangplätzen 1 und 2 wirkte sich nachteilig für den Antragsteller aus, weil sie seinen Rangplatz nach hinten verschob. Ohne die fraglichen Referenzpersonen war zudem die Mindestgröße von 10 Referenzpersonen neben der betroffenen Person nicht zu erreichen. Die Aufnahme dieser Referenzpersonen war in keinem Fall zwingend, da unstreitig nach der nicht zu beanstandenden Erweiterung des Kreises der Referenzpersonen 33 mögliche Referenzpersonen identifiziert worden waren. Unabhängig davon, dass eine Einschränkung der Anzahl ermittelter Referenzpersonen nach Maßgabe von Nr. 309 Satz 2 AR A-1336/1 möglich ist, wenn die Anzahl zu groß ist, darf eine solche im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn stehende Einschränkung jedenfalls nicht zur Erreichung der Mindestgröße allein unter Einbeziehung von grundsätzlich nicht mehr für eine Förderung in Betracht kommenden Personen erfolgen.

41

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Bundesministeriums der Verteidigung auf Nr. 2040 AR A-1340/49 und § 45 Abs. 1 SG. Denn der Systematik des Referenzgruppenmodells, das auf einem Vergleich mit typischen Werdegangsentwicklungen von Soldaten basiert, widerspricht es, auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen abzustellen.

42

(d) Zudem ist die Referenzgruppe auch wegen einer fehlerhaften Handhabung der Einschränkungsmöglichkeit nach Nr. 309 Satz 2 AR A-1336/1 rechtswidrig.

43

Hierbei kann dahinstehen, ob das in der amtlichen Auskunft beschriebene Rückschrittverfahren vorliegend korrekt angewandt worden ist. Denn die Anzahl von 33 Referenzpersonen ist unter Berücksichtigung dieser Auskunft nicht zu groß, um die notwendige Überwachung der Referenzgruppe administrativ handhaben zu können. Vielmehr ist hiernach eine aus 35 Referenzpersonen gebildete Gruppe als hinnehmbar beschrieben worden. Wird – wie hier – erst nach Nutzung aller Erweiterungsmöglichkeiten die Mindestanzahl von Referenzpersonen überschritten, sind nach der amtlichen Auskunft jedenfalls 60 Referenzpersonen zu viel. Kann die personalführende Stelle aber im Einzelfall sogar mehr als 40 Referenzpersonen überwachen und regelmäßig bei sich nach dem zweiten Erweiterungskriterium auf 35 Referenzpersonen angewachsene Referenzgruppen administrativ handhaben, so ist kein Grund ersichtlich, warum dies nicht auch für 33 nach Nutzung aller Erweiterungsmöglichkeiten ermittelte Referenzpersonen gelten könnte. Da nicht auszuschließen ist, dass sich unter Berücksichtigung aller 33 ermittelten Referenzpersonen für den Antragsteller günstigere Förderungschancen ergeben, verletzt die Verringerung seine Rechte und stellt sich als gleichheitswidrige Handhabung der AR A-1336/1 dar.

44

b) Ein Förderungsanspruch aus Nr. 320 AR A-1336/1 ergibt sich vorliegend aus keiner der für den Antragsteller gebildeten Referenzgruppen.

45

Die 2014 gebildete Referenzgruppe ist unstreitig funktionslos geworden. Gegenstandslos durch die Neubildung 2022 ist auch die 2019 gebildete Referenzgruppe. In der 2022 gebildeten Referenzgruppe sind – unabhängig davon, dass sie ohnehin rechtswidrig ist und aufzuheben – noch keine drei Mitglieder gefördert worden, wie das Bundesministerium der Verteidigung mit Schriftsatz vom 25. Juli 2024 auf die Bitte um aktuelle Prüfung bestätigt hat. Ob sich aus der notwendigen Bildung einer vierten Referenzgruppe ein Anspruch auf Förderung ergibt, kann erst nach der hier tenorierten Neubildung geprüft werden und ist daher nicht spruchreif.

46

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.

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