Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 19.12.2022, AZ VIa ZR 306/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 19.12.2022, AZ VIa ZR 306/22, ECLI:DE:BGH:2022:191222UVIAZR306.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Koblenz, 18. Februar 2022, Az: 15 U 1551/21
vorgehend LG Koblenz, 27. Juli 2021, Az: 9 O 236/20

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 27. Juli 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 13. September 2021 wird zurückgewiesen, soweit der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 3) abgewiesen worden ist.

Im übrigen Umfang der Aufhebung (Klageanträge zu 1 und 2) wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb im Januar 2014 bei einem Vertragshändler der Beklagten ein Fahrzeug des Typs VW Touran 2.0 TDI zum Preis von 26.290,02 €. Das Fahrzeug wies bei seiner Übergabe eine Laufleistung von einem Kilometer auf. Es ist mit einem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die Motorsteuerungssoftware erkannte, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchlief. In diesem Fall schaltete sie in einen Betriebsmodus mit einer höheren Abgasrückführungsrate und einem deshalb geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb. Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet. Im Februar 2016 informierte die Beklagte den Kläger über die Software.

3

Mit seiner im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger in erster Instanz zuletzt die Zahlung von 18.003,08 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Antrag zu 1), die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 1.714,50 € (Antrag zu 2), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Antrag zu 3) sowie die Erstattung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Prozesszinsen (Antrag zu 4) begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Beklagte zur Zahlung von 15.774,06 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt sowie festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 1.714,50 € erledigt habe und die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die vollständige Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

5

Die uneingeschränkt statthafte (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.; Urteil vom 21. März 2022 – VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 7) und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Dem Kläger stehe gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB ein Schadensersatzanspruch auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 10.515,96 €, demnach auf Zahlung von 15.774,06 €, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu. Dieser Anspruch sei zwar verjährt, weil die dreijährige Verjährungsfrist spätestens mit dem Schluss des Jahres 2016 begonnen habe. Der Kläger könne jedoch nach § 852 Satz 1 BGB Schadensersatz in gleicher Höhe verlangen. Die Beklagte habe infolge der Veräußerung des Fahrzeugs den vom Kläger gezahlten Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge von 16,5%, mithin von 4.337,85 €, erlangt. Der Händlereinkaufspreis von 21.952,17 € übersteige den verjährten Schadensersatzanspruch und führe daher nicht zu einer Anspruchsbeschränkung.

8

Der Rechtsstreit habe sich in Höhe von 1.714,50 € erledigt, weil sich der Schadensersatzanspruch des Klägers durch die nachträgliche Fahrzeugnutzung jedenfalls um diesen Betrag reduziert habe. Aufgrund des vorgerichtlichen Angebots des Klägers auf Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs gegen Zahlung eines lediglich um 5,88% überhöhten Betrags befinde sich die Beklagte in Annahmeverzug.

II.

9

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

10

1. Als frei von Rechtsfehlern erweist sich allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, dem die Beklagte indessen die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff., 33 ff. mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 – VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 25 ff.).

11

2. Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten Dieselskandals ausgegangen. Insbesondere ist entgegen der Ansicht der Revision der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht – einen Anspruch des Klägers ausschließend – teleologisch zu reduzieren (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 54 ff.).

12

3. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann jedoch nicht angenommen werden, die Beklagte habe im Zuge des Fahrzeugerwerbs des Klägers im Sinne von § 852 Satz 1 BGB etwas auf seine Kosten erlangt. Die vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, zwischen dem Kläger und der Beklagten habe eine Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1 BGB gemäß den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 – VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27 f.; Urteil vom 12. September 2022 – VIa ZR 122/22, WM 2022, 2237 Rn. 13) stattgefunden.

13

Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Vertragshändler aufgrund der Bestellung des Fahrzeugs durch den Kläger zum Erwerb des Fahrzeugs bei der Beklagten veranlasst worden sei. Soweit es ausgeführt hat, der Beklagten sei infolge des Fahrzeugerwerbs der vom Kläger gezahlte und um die Händlermarge verminderte Kaufpreis zugeflossen, hat es ersichtlich keine entsprechenden Feststellungen treffen wollen. Solche Feststellungen waren aus Sicht des Berufungsgerichts nicht erforderlich, weil es rechtsfehlerhaft angenommen hat, bei dem Erwerb eines Fahrzeugs, das bei Übergabe ohne vorherigen Erstverkauf eine Laufleistung von einem Kilometer aufweise, liege ein dem Neuwagenkauf gleichzustellender Kauf vor, für den stets die Vorschrift des § 852 Satz 1 BGB eingreife.

14

Die vom Berufungsgericht in Bezug genommene Rechnung vom 8. April 2014 enthält ebenfalls keine eindeutige Feststellung, dass der Kauf des Fahrzeugs seitens des Klägers den Vertragshändler zum Erwerb des Fahrzeugs bei der Beklagten bewogen hätte. Soweit in der Rechnung eine Laufleistung von einem Kilometer ausgewiesen ist, ist nicht festgehalten, ob das Fahrzeug diesen Kilometerstand erst bei Übergabe oder – wie die Revision geltend macht und das Landgericht angenommen hat – bereits bei Abschluss des Kaufvertrags aufgewiesen hat. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen daher die Möglichkeit offen, dass der Vertragshändler das Fahrzeug bereits vor dem Kauf durch den Kläger auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-) Risiko erworben hatte. In diesem Fall stünde dem Kläger ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht zu.

15

4. Durchgreifenden Bedenken begegnen auch die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe eines Restschadensersatzanspruchs des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB. Das Berufungsgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass für die Ermittlung des von der Beklagten erlangten Vermögensvorteils der Händlereinkaufspreis und nicht ihr aus dem Fahrzeugverkauf erzielter Gewinn maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 82 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16 f.). Es hat jedoch außer Acht gelassen, dass – wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils ausgeführt hat (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 16) – der von der Beklagten erlangte Händlereinkaufspreis nicht lediglich als Vergleichsgröße heranzuziehen, sondern Ausgangspunkt für die Berechnung der Anspruchshöhe ist. Da auch der Restschadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung unterliegt, hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner unbeanstandeten Feststellungen zu der Händlermarge und den vom Kläger gezogenen Nutzungsvorteilen von dem festgestellten Händlereinkaufspreis in Höhe von 21.952,17 € eine Nutzungsentschädigung von 10.515,96 € in Abzug bringen müssen. Danach kann ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB lediglich auf die Zahlung von 11.436,21 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtet sein.

16

5. Ebenfalls von Rechtsfehlern beeinflusst ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Rechtsstreit habe sich wegen der vom Kläger nach Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen in Höhe von 1.714,50 € erledigt.

17

a) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist der Klageantrag zu 2 nicht dahin zu verstehen, dass der Kläger die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits unabhängig von der Höhe des weiter beanspruchten Schadensersatzes verlange. Der Senat hat die tatgerichtliche Auslegung des Klageantrags von Amts wegen uneingeschränkt zu überprüfen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1995 – XII ZR 194/93, BGHZ 131, 297, 301 f.; Urteil vom 7. Mai 1998 – I ZR 85/96, NJW 1998, 3350, 3352; Urteil vom 31. Oktober 2022 – VIa ZR 189/22, juris Rn. 9). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht den auf die Zahlung von 19.717,58 € gerichteten Klageantrag zu 1 mit der Maßgabe gestellt, dass nunmehr 18.003,08 € gefordert würden, und den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt erklärt (§ 559 Abs. 1 Satz 1, § 314 Satz 2 ZPO). Er hat die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits daher begehrt, soweit er zunächst die Zahlung eines Betrags von mehr als 18.003,08 € verlangt hatte.

18

b) Insoweit hat sich der Rechtsstreit auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts allenfalls teilweise erledigt. Danach stand dem Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung mit Blick auf die vom Berufungsgericht auf 7.667,86 € geschätzten Nutzungsvorteile ein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB in Höhe von 18.622,16 € zu. Der Klageantrag zu 1 kann wegen der weiter anzurechnenden Nutzungsentschädigung daher nachträglich allenfalls in Höhe von 619,08 € unbegründet geworden sein. Aus den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich indessen nicht, dass der Schadensersatzanspruch des Klägers sich wegen der nach Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen und nicht wegen des nach Erhebung der Verjährungseinrede allenfalls noch gegebenen Restschadensersatzanspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB auf einen Betrag von nicht mehr als 18.003,08 € verringert hat.

19

6. Als nicht tragfähig erweist sich auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte befinde sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug. In dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 30; Urteil vom 29. Juni 2021 – VI ZR 130/20, VersR 2021, 1178 Rn. 16; Urteil vom 25. Oktober 2022 – VI ZR 467/20, BB 2022, 2836 Rn. 10), war das wörtliche Angebot des Klägers zur Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Bedingung der Zahlung eines Betrags von 18.003,08 € geknüpft. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts beläuft sich ein von der Beklagten zu diesem Zeitpunkt gegebenenfalls geschuldeter Restschadensersatz jedoch lediglich auf 11.436,21 €. Die sich daraus ergebende Zuvielforderung von 6.566,87 € beziehungsweise von mehr als 57% schließt ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug um Zug zu erbringenden Leistung aus (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2021 – VI ZR 521/19, NJW-RR 2021, 952 Rn. 7; Urteil vom 29. Juni 2021, aaO, Rn. 17; Urteil vom 25. Oktober 2022, aaO, Rn. 11).

III.

20

Danach unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Insoweit stellt es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

21

Der Senat kann zugunsten der Beklagten in der Sache selbst entscheiden, soweit das Berufungsgericht den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt hat, weil die Aufhebung des Berufungsurteils insoweit nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und danach die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

22

Im übrigen Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

  • Menges
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  • Rensen
  • Wille