Beschluss des BVerwG 4. Senat vom 06.12.2022, AZ 4 BN 23/22

BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 06.12.2022, AZ 4 BN 23/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:061222B4BN23.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 15. März 2022, Az: 10 D 246/21.NE, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die die Antragstellerin ihr beimisst.

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Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – ZfBR 2020, 173 Rn. 4).

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1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob die Festsetzung eines urbanen Gebiets gemäß § 6a BauNVO rechtmäßig ist, obwohl die Plangeberin in dem in einem konzeptionell ausgewiesenen zentralen Versorgungsbereich belegenen Baugebiet die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe – auch solcher mit Wirkungen i. S. v. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO – bzw. die entsprechende Erweiterung vorhandenen Einzelhandels anstrebt,

und

ob die Plangeberin in einer solchen Konstellation voraussetzen kann, dieser Aspekt ihres planerischen Willens werde auf Genehmigungsebene im Wege der Atypik gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO umgesetzt.

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a) Die Beschwerde wahrt die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO allenfalls zum Teil. Ihrer Begründung ist jedenfalls bei Wohlwollen zu entnehmen, dass ihre Fragen auf die Anforderungen an die Erforderlichkeit eines Bebauungsplans nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB zielen. Inwieweit Klärungsbedarf hinsichtlich des – kursorisch erwähnten – Abwägungsgebots aus § 1 Abs. 7 und § 2 Abs. 3 BauGB bestehen soll, legt die Beschwerde jedenfalls nicht dar.

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b) Bezogen auf § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind die Fragen jedenfalls nicht entscheidungserheblich, weil sie Umstände voraussetzen, die das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Die Beschwerde meint, der Antragsgegnerin sei es darum gegangen, die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe zu forcieren. Auf die Atypik habe sie nur abgestellt, um die Festsetzung eines Sondergebiets zu umgehen.

6

Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wollte der Rat der Antragsgegnerin im Plangebiet ein verträgliches Nebeneinander von Wohnen und gewerblicher Nutzung ermöglichen (UA S. 11). An diese tatrichterliche Feststellung und die darauf aufbauende Auslegung des nicht revisiblen Ortsrechts ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO und § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO gebunden. An dem so formulierten Planungswillen geht die Beschwerde vorbei.

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c) Die Beschwerde zeigt auch keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, soweit sie sich gegen die prognostische Annahme des Rates der Antragsgegnerin und – dem folgend – des Oberverwaltungsgerichts wendet, die großflächigen Einzelhandelsnutzungen im MU1 ließen sich unter Anwendung von § 11 Abs. 3 Satz 3 und 4 BauNVO verwirklichen (UA S. 11 f.). Insoweit handelt es sich um eine tatrichterliche Würdigung, die revisionsgerichtlicher Kontrolle entzogen ist.

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2. Die Beschwerde wirft außerdem die Frage auf,

ob es solchen Festsetzungen an der städtebaulichen Erforderlichkeit i. S. v. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB fehlt, deren Umsetzbarkeit maßgeblich von dem Willen eines der Planung widersprechenden Planbetroffenen abhängt, der an dem überplanten Grundstück langfristig dinglich nutzungsberechtigt ist oder ob die Realisierung der Festsetzungen zur Verfehlung des Maßstabs schlechterdings ausgeschlossen sein muss.

9

Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie ist, soweit sie einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung zugänglich ist, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits beantwortet (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2022 – 4 BN 49.21 – BauR 2022, 1024 Rn. 3 f.).

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Ein Bebauungsplan, der auf Dauer oder unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt, vermag die Aufgabe der verbindlichen Bauleitplanung nicht zu erfüllen und verstößt deshalb gegen das in § 1 Abs. 3 BauGB enthaltene Gebot der Erforderlichkeit der Planung (BVerwG, Urteile vom 30. August 2001 – 4 CN 9.00 – BVerwGE 115, 77 <85>, vom 21. März 2002 – 4 CN 14.00 – BVerwGE 116, 144 <147> und vom 5. Mai 2015 – 4 CN 4.14 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 136 Rn. 10). Die Prognose, ob der Realisierung des Bebauungsplans dauerhafte Hindernisse tatsächlicher oder rechtlicher Art entgegenstehen, verlangt keine letzte Gewissheit, dass der Vollzug der Regelung unter allen Umständen ausgeschlossen sein wird, sondern die von den konkreten Einzelfallumständen abhängige Prüfung, ob auf der Grundlage der Darlegungen des Planungsträgers in der Planbegründung die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Bebauungsplan bzw. einzelne seiner Festsetzungen realistischerweise umgesetzt werden können. Dabei ist nicht zuletzt die Art der in Rede stehenden Festsetzungen von Bedeutung. Flächenfestsetzungen tragen in aller Regel schon dadurch die Vollzugswahrscheinlichkeit in sich, dass die Zulässigkeit neuer Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB) an ihnen zu messen ist (§ 30 BauGB) und sich so zumindest langfristig ein Gebietswandel einstellen wird. Deswegen können und müssen unter Umständen auch auf längere Dauer andere als die festgesetzten Nutzungen hingenommen werden (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2014 – 4 CN 4.13 – BVerwGE 150, 101 Rn. 14 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund lässt sich nur unter Würdigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilen, ob angesichts von Bekundungen des Nutzungsberechtigten davon auszugehen ist, dass die Verwirklichung der Festsetzung auf Dauer ausgeschlossen erscheint. Allein der Wille eines Berechtigten, die Realisierung einer bestimmten Festsetzung zu verhindern, führt regelmäßig nicht zur Rechtswidrigkeit dieser Festsetzung (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 2016 – 4 CN 2.16 – BVerwGE 156, 336 Rn. 10 und Beschluss vom 24. Februar 2022 – 4 BN 49.21 – BauR 2022, 1024 Rn. 4).

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.