BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 11.08.2022, AZ IX ZR 78/21, ECLI:DE:BGH:2022:110822UIXZR78.21.0
§ 174 Abs 2 InsO, § 179 Abs 2 InsO, § 180 Abs 2 InsO, § 240 S 1 ZPO, § 756 Abs 1 ZPO
Leitsatz
1. Es obliegt dem Bestreitenden, seinen Widerspruch zu verfolgen, wenn ein Gläubiger neben einem auf Zahlung Zug um Zug lautenden Titel auch über einen weiteren Titel verfügt, mit dem die Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung aus dem Zug-um-Zug-Titel nachgewiesen werden.
2. Bei einem unterbrochenen Rechtsstreit handelt es sich um einen anhängigen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung, wenn die angemeldete Forderung Gegenstand des Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erheblich sind.
3. Die Wirksamkeit der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter hängt nicht von den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ab.
Verfahrensgang
vorgehend OLG München, 13. April 2021, Az: 34 U 1437/16
vorgehend LG München I, 22. Februar 2016, Az: 34 O 9367/12
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Zwischenurteil des 34. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. April 2021 aufgehoben.
Der Beklagte hat den Rechtsstreit hinsichtlich der Klage und der Widerklage wirksam aufgenommen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin erwirkte gegen Dr. K. (nachfolgend: Schuldner) in einem Vorprozess vor dem Landgericht München I (34 O 6388/09) ein rechtskräftiges Urteil vom 6. Februar 2012, mit dem der Schuldner verurteilt wurde, an die Klägerin 21,25 Mio. € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Eigentums an 2,5 Mio. Stück Aktien der C. AG zu zahlen. Hintergrund dieses Vorprozesses war eine zwischen der Klägerin und dem Schuldner im Jahr 2008 geschlossene Optionsvereinbarung mit anschließendem Kaufvertrag über die Aktien im Jahr 2009.
2
Der Schuldner verweigerte nach Beendigung des Vorprozesses die Zahlung sowie die Annahme der ihm von der Klägerin angebotenen Übertragung der Aktien mit der Begründung, er sei bei Abschluss der Optionsvereinbarung sowie des Kaufvertrags geschäftsunfähig gewesen. Nach Androhung des freihändigen Verkaufs, deren Wirksamkeit der Schuldner in Abrede gestellt hat, verkaufte die Klägerin die Aktien am 12. Februar 2013 zu einem Kaufpreis in Höhe von 6,25 Mio. € an die K. AG.
3
Die Klägerin hat gegen den Schuldner Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass der Schuldner durch den freihändigen Verkauf der Aktien hinsichtlich der ihm aus dem Urteil des Vorprozesses vom 6. Februar 2012 Zug um Zug gebührenden Gegenleistung befriedigt ist. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Schuldners hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Schuldners hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2018 (XI ZR 74/17, MDR 2019, 692 ff) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2019 hat der Schuldner Widerklage auf Feststellung erhoben, dass der durch Urteil des Vorprozesses vom 6. Februar 2012 titulierte Anspruch dadurch erloschen sei, dass die Klägerin die ihr obliegende Übergabe und Übereignung der Aktien nicht mehr erbringen könne. Ferner hat der Schuldner mit der Widerklage beantragt festzustellen, dass der Klägerin aus dem Kaufvertrag über die Aktien keine Rechte mehr zustünden, weil ihm die Ausübungserklärung der Klägerin aufgrund seiner Geschäftsunfähigkeit nicht wirksam zugegangen sei oder er jedenfalls seine Willenserklärung hinsichtlich der Optionsvereinbarung wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten habe.
5
Mit Beschluss vom 18. Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin meldete am 5. Februar 2020 die durch Urteil des Vorprozesses vom 6. Februar 2012 titulierte Forderung in Höhe von 21,25 Mio. € nebst Zinsen ungekürzt zur Tabelle an. In dem am 6. März 2020 durchgeführten Prüfungstermin widersprach der Beklagte der Feststellung der Forderung.
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Mit Schriftsatz vom 31. März 2020 hat der Beklagte unter Hinweis auf § 180 Abs. 2 InsO die Aufnahme des Rechtsstreits hinsichtlich der Klage und hinsichtlich der Widerklage erklärt. Er hat nunmehr beantragt, seinen Widerspruch für begründet zu erklären. Hierbei hat er seinen Widerspruch darauf gestützt, dass die durch die Klägerin angemeldete Forderung schon nicht wirksam entstanden, jedenfalls aber durch den Verkauf der Aktien an Dritte vollständig oder zumindest in Höhe des von der Klägerin bei dem Verkauf der Aktien erzielten Erlöses erloschen sei.
7
Das Berufungsgericht hat mit Zwischenurteil ausgesprochen, dass das Verfahren seit dem 18. Dezember 2019 unterbrochen sei. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte die Aufnahme des Rechtsstreits weiter.
Entscheidungsgründe
8
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur eigenen Entscheidung des Senats über den Zwischenstreit.
I.
9
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Unterbrechung des Rechtsstreits dauere an. Sie sei durch die Erklärung des Beklagten, den Rechtsstreit hinsichtlich der im Berufungsverfahren anhängigen Klage aufzunehmen, nicht beendet worden. Es handele sich bei der Klage nicht um einen Aktivprozess im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO. Erweise sich die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Feststellungsurteil als begründet, könne die Klägerin zwar nicht die Zwangsvollstreckung wegen des ausgeurteilten Zahlungsanspruchs beginnen, da hierfür die Erbringung der Zug-um-Zug-Leistung Voraussetzung sei. Weitere Wirkungen seien hiermit aber nicht verbunden, namentlich stehe nicht fest, dass die Klägerin die Gegenleistung schulde.
10
Die Unterbrechung sei auch nicht durch die Erklärung des Beklagten, den Rechtsstreit hinsichtlich der Widerklage aufzunehmen, beendet worden. Die mit der Widerklage begehrte Feststellung, dass die Klägerin die ihr obliegende Leistung nicht mehr erbringen könne, führe im Falle des Obsiegens des Beklagten nicht zu einem Massezufluss.
11
Eine Aufnahme nach § 180 Abs. 2 InsO scheitere daran, dass die zur Tabelle angemeldete Forderung und die im Prozess verfolgten Ansprüche nicht identisch seien. Im Übrigen sei bei rechtskräftigen Urteilen der Widerspruch im Wege der Restitutions- oder Nichtigkeitsklage, ansonsten mit der Vollstreckungsabwehrklage zu verfolgen.
II.
12
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Beklagte hat den unterbrochenen Rechtsstreit wirksam aufgenommen.
13
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners am 18. Dezember 2019 ist der Rechtsstreit gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden. Die Unterbrechung ist durch die im Schriftsatz vom 31. März 2020 enthaltene Aufnahmeerklärung des Beklagten beendet worden. Gemäß § 240 Satz 1 ZPO kann das Verfahren nur nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen werden. Eine Aufnahme kommt demgemäß ausschließlich unter den Voraussetzungen der §§ 85, 86, 180 Abs. 2 InsO in Betracht. Sowohl für die Klage als auch für die Widerklage, für welche die Wirksamkeit der Aufnahme jeweils selbständig zu beurteilen ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 101/14, BGHZ 217, 103 Rn. 15 mwN), sind die Voraussetzungen des § 180 Abs. 2 InsO erfüllt.
14
1. Der Beklagte hat das zum Zeitpunkt seiner vorgenannten Erklärung in der Berufungsinstanz anhängige Klageverfahren wirksam gemäß § 180 Abs. 2 InsO aufgenommen.
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a) Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage hat den Zweck, mittels öffentlicher Urkunde den Nachweis führen zu können, dass der Schuldner befriedigt ist, um so die Vollstreckungsvoraussetzungen des § 756 Abs. 1 ZPO herzustellen (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 18. September 2018 – XI ZR 74/17, MDR 2019, 692 Rn. 24). Sie dient damit der Durchsetzung des durch Urteil des Vorprozesses vom 6. Februar 2012 titulierten Zahlungsanspruchs. Bei diesem Zahlungsanspruch handelt es sich um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 87 InsO, so dass eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens zur Abwehr dieser Forderung ausschließlich unter den Voraussetzungen der §§ 174 ff, 179, 180 Abs. 2 InsO in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2021 – V ZR 181/19, NZI 2021, 669 Rn. 13).
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b) Gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Diese Regelung verweist die Insolvenzgläubiger auf das Anmeldeverfahren nach §§ 174 ff InsO. Aus § 179 InsO folgt, dass eine bestrittene Forderung im Klageverfahren festzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – IX ZR 315/14, BGHZ 213, 362 Rn. 8). Liegt für die bestrittene Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so obliegt es gemäß § 179 Abs. 2 InsO dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen. Ist über die Forderung bereits ein Rechtsstreit anhängig, kann der Widerspruch gemäß § 180 Abs. 2 InsO grundsätzlich nur durch Aufnahme dieses Rechtsstreits verfolgt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2021, aaO).
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c) Voraussetzung für eine Aufnahme des Rechtsstreits nach § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 2 InsO ist zunächst, dass eine Forderung zur Tabelle angemeldet, geprüft und bestritten worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2014 – IX ZR 261/12, WM 2014, 1487 Rn. 10; vom 26. Januar 2017, aaO Rn. 13; vom 12. März 2021, aaO Rn. 14 mwN). Über diese angemeldete Forderung muss ein durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochener Rechtsstreit anhängig sein. Gemessen hieran ist der Anwendungsbereich des § 180 Abs. 2 InsO im Streitfall für das Klageverfahren eröffnet.
18
aa) Die Klägerin hat eine Forderung in Höhe von 21,25 Mio. € nebst Zinsen zur Tabelle angemeldet und als Grund (vgl. § 174 Abs. 2 InsO) das im Vorprozess erwirkte rechtskräftige Urteil vom 6. Februar 2012 angegeben. Dieser Forderung hat der Beklagte als Insolvenzverwalter nach Durchführung des Prüfungsverfahrens am 6. März 2020 widersprochen (vgl. § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO).
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bb) Bei dem anhängigen Klageverfahren handelt es sich um einen Rechtsstreit über die von der Klägerin zur Tabelle angemeldete Forderung.
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Die für eine Aufnahme gemäß § 180 Abs. 2 InsO erforderliche Übereinstimmung ist anhand der insolvenzrechtlichen Vorschriften zu beurteilen, die insoweit den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung vorgehen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1988 – IX ZR 172/87, BGHZ 105, 34, 37 zu § 146 Abs. 3 KO; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, InsO, 6. Aufl., § 180 Rn. 9; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2015, § 180 Rn. 11; FK-InsO/Kießner, 9. Aufl., § 180 Rn. 8). Dabei kommt es darauf an, ob die zur Tabelle angemeldete Forderung Gegenstand des unterbrochenen Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Tabelle erheblich sind. Nach diesem Maßstab stimmt die angemeldete Forderung mit dem Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Feststellungsklage überein. Die Klägerin hat ihre Forderung in voller Höhe und ohne Rücksicht auf die im Titel des Vorprozesses enthaltene Beschränkung durch die Zug-um-Zug-Verpflichtung zur Tabelle angemeldet. Gegenstand der Feststellungsklage ist bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ebenfalls die uneingeschränkte Forderung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der von der Klägerin im Vorprozess verfolgte Klageantrag von vornherein nicht auf die unbedingte Verurteilung des Schuldners, sondern lediglich auf die Verurteilung Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Eigentums an den Aktien gerichtet war. Daher ist durch den rechtskräftigen Abschluss des Vorprozesses über die sich aus der synallagmatischen Verknüpfung ergebende Beschränkung des Zahlungsanspruchs nicht rechtskräftig entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2018 – XI ZR 74/17, MDR 2019, 692 Rn. 25 mwN). Im Hinblick darauf läuft die mit der weiteren Klage erstrebte Herstellung der Vollstreckungsvoraussetzungen des § 756 Abs. 1 ZPO der Sache nach auf eine Wiederholung der Leistungsklage aus dem Vorprozess ohne einschränkenden Zug-um-Zug-Vorbehalt hinaus (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2018, aaO Rn. 24 mwN).
21
d) Dem Beklagten fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Aufnahme des unterbrochenen Klageverfahrens nach § 180 Abs. 2 InsO. Dies folgt bereits daraus, dass ihm gemäß § 179 Abs. 2 InsO die Betreibungslast obliegt.
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aa) Die Verteilung der Betreibungslast für die gerichtliche Feststellung bestrittener Forderungen ergibt sich aus § 179 InsO (vgl. Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 179 Rn. 1; MünchKomm-InsO/Schumacher, 4. Aufl., § 179 Rn. 1).
23
Gemäß § 179 Abs. 1 InsO liegt die Betreibungslast für die Feststellung nicht titulierter Forderungen bei dem anmeldenden Gläubiger. Diesem ist es überlassen, gegen den oder die Bestreitenden Klage auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle zu erheben. Grund hierfür ist einerseits, dass der Gläubiger es sich nicht gefallen lassen muss, gegen seinen Willen in einen Rechtsstreit verwickelt zu werden, und andererseits, dass Verwalter und widersprechende Gläubiger kein Interesse daran haben, ihrerseits die Feststellung des Nichtbestehens der Forderung zu betreiben, weil nach § 189 Abs. 1 InsO die bestrittene Forderung nicht berücksichtigt wird, wenn nicht der Gläubiger binnen der dort bestimmten Ausschlussfrist die Klageerhebung nachweist (vgl. Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 179 Rn. 7; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2015, § 179 Rn. 10).
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Liegt hingegen für die angemeldete Forderung bereits ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, wird die Betreibungslast gemäß § 179 Abs. 2 InsO dem Widersprechenden unabhängig davon auferlegt, ob der Titel rechtskräftig ist oder nicht (vgl. FK-InsO/Kießner, 9. Aufl., § 179 Rn. 18, 21; Jaeger/Gerhardt, InsO, 5. Aufl., § 179 Rn. 5). Zwar verhindert in diesem Fall der Widerspruch des Insolvenzverwalters zunächst die Feststellung in gleicher Weise wie bei nicht titulierten Forderungen (vgl. FK-InsO/Kießner, aaO Rn. 19). Wenn aber der Insolvenzverwalter den Widerspruch gegen die Forderung nicht spätestens bis zum Tag der Verteilung verfolgt, ist die Forderung bei der Abschlags- und Schlussverteilung durch Auszahlung der Quote zu berücksichtigen (arg. § 189 InsO; vgl. HmbKomm-InsO/Gerichhausen, 9. Aufl., § 189 Rn. 2; Jung in Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, § 189 InsO Rn. 1; siehe auch Uhlenbruck/Wegener, InsO, 15. Aufl., § 189 Rn. 20). Der Grund für diese Privilegierung des Gläubigers nach § 179 Abs. 2 InsO liegt zum einen in der mit der Titulierung verbundenen Rechtsschein- oder Vermutungswirkung für das Bestehen der Forderung. Zum anderen soll dem Gläubiger der titulierten Forderung die Rechtsposition, die er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Verhältnis zu dem Schuldner erlangt hat, auch im Verhältnis zu dem Widersprechenden erhalten bleiben (vgl. MünchKomm-InsO/Schumacher, 4. Aufl., § 179 Rn. 29; Jaeger/Gerhardt, aaO Rn. 25 f mwN).
25
bb) Im Hinblick darauf handelt es sich bei der von der Klägerin zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung um eine im Sinne des § 179 Abs. 2 InsO titulierte Forderung.
26
Die Klägerin verfügte vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem im Vorprozess erwirkten Urteil vom 6. Februar 2012 über einen (rechtskräftigen) Zahlungstitel. Insoweit kann dahinstehen, ob den Bestreitenden die Betreibungslast gemäß § 179 Abs. 2 InsO bereits dann trifft, wenn der Gläubiger lediglich über einen Titel verfügt, der – wie hier das von der Klägerin im Vorprozess erwirkte Urteil – auf Zahlung Zug um Zug lautet. Eine solchermaßen eingeschränkte Forderung ist jedenfalls dann im Sinne des § 179 Abs. 2 InsO tituliert, wenn der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen weiteren Titel erwirkt hat, mit dem – wie im Streitfall durch das erstinstanzliche Urteil – die Vollstreckungsvoraussetzungen des § 756 Abs. 1 ZPO nachgewiesen sind.
27
In einem solchen Fall hat der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens alles getan, um die Vollstreckung gegen den Schuldner betreiben zu können. Dies rechtfertigt es, ihm nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die gegenüber dem Schuldner bereits erlangte Rechtsposition in der Weise zu erhalten, dass seine Forderung bei der Verteilung berücksichtigt wird, wenn nicht der Bestreitende seinerseits die gerichtliche Feststellung betreibt.
28
Unter diesen Umständen erscheint die Befreiung des Gläubigers von der Betreibungslast auch deshalb gerechtfertigt, weil – umgekehrt – ein Titel über die seinen Anspruch einschränkende Gegenleistung nicht existiert. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass eine Feststellungsklage gemäß § 756 Abs. 1 ZPO, wie sie hier von der Klägerin erhoben worden ist, die Gegenleistung nicht zum Streitgegenstand erhebt (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2000 – XII ZR 332/97, NJW 2000, 2280, 2281 unter 1.b). Schon das auf Erfüllung Zug um Zug lautende Urteil ist nur insoweit der Rechtskraft fähig, als es über den mit der Klage erhobenen Anspruch – hier: den Zahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 21,25 Mio. € – entscheidet, nicht aber auch insoweit, als es der beklagten Partei das Recht vorbehält, die Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung zu verweigern. Die Feststellung der Verpflichtung der Klägerin zur Gegenleistung nimmt an der Rechtskraft nicht teil (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2000, aaO mwN; siehe auch Staudinger/Schwarze, BGB, 2020, § 322 Rn. 18, 20; MünchKomm-BGB/Emmerich, 9. Aufl., § 322 Rn. 7). Erst recht kann dann der zusätzliche – und ohnehin nur aus prozessökonomischen Gründen im Hinblick auf §§ 756, 765 ZPO ausnahmsweise zulässige (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2000 – XII ZR 41/98, NJW 2000, 2663 unter 5.) – Antrag, die Befriedigung oder den Annahmeverzug des Schuldners festzustellen, nicht dazu führen, dass nunmehr auch die Gegenforderung Streitgegenstand wird (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2000, aaO).
29
2. Der Beklagte hat auch den Rechtsstreit hinsichtlich der Widerklage wirksam gemäß § 180 Abs. 2 InsO aufgenommen.
30
a) Die Widerklage betrifft die Abwehr einer Insolvenzforderung im Sinne des § 87 InsO. Mit der Widerklage hat der Schuldner zum einen die Feststellung begehrt, dass die Klägerin die ihr obliegende Leistung nicht mehr erbringen könne. Darüber hinausgehend hat der Schuldner die Feststellung begehrt, dass der im Vorprozess rechtskräftig titulierte Zahlungsanspruch der Klägerin nicht beziehungsweise nicht mehr bestehe und der Klägerin aus dem mit dem Schuldner geschlossenen Kaufvertrag über die Aktien keine Rechte mehr zustünden. Insoweit richtet sich die Widerklage gegen den materiell-rechtlichen Bestand des Zahlungsanspruchs der Klägerin. Hätte eine solche negative Feststellungsklage – ihre Zulässigkeit unterstellt – Erfolg, wäre damit rechtskräftig ausgesprochen, dass der streitige Anspruch des Prozessgegners (hier: der Klägerin) nicht besteht (vgl. Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 322 Rn. 106; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 6. Aufl., § 322 Rn. 187; Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 322 Rn. 12).
31
b) Bei beiden Widerklageanträgen handelt es sich um einen Rechtsstreit über die zur Tabelle angemeldete Forderung. Denn eine Entscheidung über die Widerklageanträge würde – ihren Erfolg unterstellt – dazu führen, dass eine Feststellung zur Tabelle ausscheidet.
32
c) Dem Beklagten fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Aufnahme des unterbrochenen Widerklageverfahrens, denn die von der Klägerin angemeldete Forderung ist im Sinne des § 179 Abs. 2 InsO tituliert und begründet deshalb (vgl. oben Rn. 21 ff) die Betreibungslast des Beklagten.
33
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Wirksamkeit der Aufnahme gemäß § 180 Abs. 2 InsO nicht davon abhängig, ob die von dem Schuldner eingeleitete Widerklage zulässig und begründet und ob die Verfolgung des Widerspruchs durch den Insolvenzverwalter erfolgversprechend ist.
34
Zwar erweitern § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 2 InsO einerseits nicht die Möglichkeiten, die prozessual zum Angriff gegen (titulierte) Forderungen zur Verfügung stehen. Der bestreitende Insolvenzverwalter muss an „Gunst und Ungunst der bisherigen Prozesslage“ gebunden bleiben (vgl. Jaeger/Gerhardt, InsO, 5. Aufl., § 179 Rn. 23). Ihm stehen insoweit nur diejenigen Befugnisse zu, die dem Schuldner selbst zur Verfügung gestanden hätten (vgl. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl., § 179 Rn. 21; MünchKomm-InsO/Schumacher, 4. Aufl., § 179 Rn. 33 mwN). Andererseits sehen die vorgenannten Regelungen – umgekehrt – aber weder Einschränkungen der prozessualen Möglichkeiten noch weitergehende Voraussetzungen für die Aufnahme vor. Die Wirksamkeit der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter hängt insbesondere nicht von den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ab. Dies erklärt sich bereits mit dem von prozessökonomischen Erwägungen getragenen Ziel des § 180 Abs. 2 InsO, neben der Vermeidung des Kosten- und Zeitaufwands eines selbständigen Insolvenzfeststellungsprozesses die bisherigen Prozessergebnisse zu erhalten und es namentlich auch zu ermöglichen, den anhängigen Prozess zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 – IX ZR 47/19, WM 2020, 1443 Rn. 12; MünchKomm-InsO/Schumacher, 4. Aufl., § 180 Rn. 3 mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – IX ZR 315/14, BGHZ 213, 362 Rn. 21).
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