BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 10.08.2022, AZ VII ZB 14/21, ECLI:DE:BGH:2022:100822BVIIZB14.21.0
Verfahrensgang
vorgehend LG Mannheim, 5. Februar 2021, Az: 1 S 34/20
vorgehend AG Mannheim, 13. Februar 2020, Az: 3 C 4441/19
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 5. Februar 2021 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert: 8.706,23 €
Gründe
I.
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Auskunft und Schadensersatz im Zusammenhang mit Reparaturen an seinem Kraftfahrzeug. Die Beklagte macht im Wege der Widerklage Werklohnansprüche geltend.
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Mit Urteil vom 13. Februar 2020, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 31. März 2020 zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage hin verurteilt, an die Beklagte 4.206,23 € nebst Zinsen sowie weitere 216,95 € nebst Zinsen zu zahlen. Der Kläger hat am 15. April 2020 gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 2. Juli 2020 hat das Berufungsgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil eine Berufungsbegründung nicht rechtzeitig eingegangen sei. Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet.
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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger vorgetragen und durch anwaltliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten sowie eidesstattliche Versicherung seitens dessen Mitarbeiterin, Frau N. P. , Folgendes glaubhaft gemacht: Sein Prozessbevollmächtigter habe sich am Montag, den 8. Juni 2020 die Handakte vorlegen lassen, um die Berufungsbegründung zu fertigen oder die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen, da nach dem Terminbuch die Frist für die Berufungsbegründung am Dienstag, den 9. Juni 2020 geendet habe. Bei Durchsicht der Akte habe er dann festgestellt, dass das Urteil des Amtsgerichts am 31. März 2020 zugestellt worden sei. Da der 30. Mai 2020 ein Samstag gewesen sei, habe seine Mitarbeiterin Frau P. , den Fristablauf zunächst auf Montag, den 1. Juni 2020 eingetragen. Dieser Eintrag sei jedoch durchgestrichen worden. Dazu habe seine Mitarbeiterin Frau P. erklärt, dass sie etwa zwei Wochen nach diesem Eintrag bemerkt habe, dass der 1. Juni 2020 ein Feiertag (Pfingstmontag) gewesen sei und am Feiertag kein Fristablauf erfolge. Sie habe beabsichtigt, den Fristablauf auf Dienstag, den 2. Juni 2020 umzuschreiben, jedoch aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen den „falschen“ Dienstag erwischt und den Fristablauf für die Berufungsbegründung auf Dienstag, den 9. Juni 2020 notiert. Sie könne sich dieses Versehen nur damit erklären, dass sie durch eines der täglich eingehenden zahlreichen Telefonate unterbrochen worden sei und hierbei möglicherweise auch das Terminbuch benötigt habe, um eine Auskunft zu erteilen. Als sie danach den Fristablauf auf Dienstag habe eintragen wollen, sei dies versehentlich auf der falschen Seite im Terminbuch erfolgt. Die Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten, Frau P. , sei bei diesem seit dem 1. August 2011 vollschichtig als Rechtsanwaltsfachangestellte sowie mit dem ein Jahr später zuerkannten Diplom als geprüfte Rechtsfachwirtin beschäftigt. Sie sei ausschließlich zuständig für die Fertigung der Schriftsätze, die Eintragung von Fristen sowie deren Überwachung. Sie habe in all den Jahren nie die Eintragung einer Frist versäumt oder eine Frist falsch eingetragen.
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Mit Beschluss vom 5. Februar 2021 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
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Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Der angefochtene Beschluss verletzt weder den Anspruch des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen, weil es die Frist zur Begründung der Berufung für versäumt und das Wiedereinsetzungsgesuch für unbegründet erachtet hat.
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1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers, welches dieser sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlange von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlasse der Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, habe er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert würden. Hierzu gehöre, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert würden und die Handakte durch Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lasse, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden seien. Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung – hier der Einlegung der Berufung am 15. April 2020 – mit einer Sache befasst werde, müsse dies zum Anlass nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Die Überwachungspflicht beschränke sich nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert sei, sondern erstrecke sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist. Die Pflicht zur Überprüfung, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden sei, bestehe auch, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung vorgelegt werde, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen habe.
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Die danach erforderliche Überprüfung durch den klägerischen Prozessbevollmächtigten hätte ergeben müssen, dass die Frist durch seine Mitarbeiterin falsch auf den 1. Juni 2020 eingetragen worden sei. Die Eintragung wäre durch ihn auf den 2. Juni 2020 zu korrigieren gewesen. Die Fristversäumung beruhe letztlich auf diesem Sorgfaltsverstoß. Denn bei einer entsprechenden Korrektur der eingetragenen Frist auf den 2. Juni 2020 seitens des klägerischen Prozessbevollmächtigten wäre es nicht zu der späteren Falscheintragung auf den 9. Juni 2020 gekommen.
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2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
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a) Nach § 233 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht einem Verschulden der Partei gleich, § 85 Abs. 2 ZPO.
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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, verlangt die Sorgfaltspflicht von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Im Zusammenhang mit der Bearbeitung einer fristgebundenen Sache hat der Rechtsanwalt den Fristablauf eigenverantwortlich zu überprüfen, wobei er sich dann grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 – VI ZB 63/19 Rn. 10, NJW 2020, 2641; Beschluss vom 9. Juli 2014 – XII ZB 709/13 Rn. 12 m.w.N., NJW 2014, 3102). Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2005 – X ZB 31/03, juris Rn. 4; Beschluss vom 21. April 2004 – XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183, juris Rn. 5).
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bb) Darüber hinaus entspricht es der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass einmal eingetragene Rechtsmittelfristen grundsätzlich nicht gelöscht werden dürfen, bevor sie erledigt sind. Hieraus ist gefolgert worden, dass der Rechtsanwalt zur Wahrung seiner Sorgfaltspflichten organisatorische Vorkehrungen dagegen treffen muss, dass seine Mitarbeiter im Fristenkalender eingetragene Rechtsmittelfristen eigenmächtig abändern (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2020 – VI ZB 49/19 Rn. 9, NJW-RR 2020, 1128; Beschluss vom 12. November 2013 – II ZB 11/12 Rn. 16, FamRZ 2014, 295; Beschluss vom 8. März 2004 – II ZB 21/03, FamRZ 2004, 865, juris Rn. 10; Beschluss vom 17. April 1991 – XII ZB 40/91, FamRZ 1991, 1173, juris Rn. 9; Beschluss vom 27. September 1989 – IVb ZB 73/89, VersR 1989, 1316, juris Rn. 6). Dies gilt insbesondere dann, wenn eine außergewöhnliche Verfahrensgestaltung Anlass zur Prüfung gibt, ob die bereits eingetragenen Fristen maßgeblich bleiben oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2020 – VI ZB 49/19 Rn. 9, NJW-RR 2020, 1128; Beschluss vom 12. November 2013 – II ZB 11/12 Rn. 16, FamRZ 2014, 295). Dies gilt regelmäßig aber auch dann, wenn das Büropersonal eingetragene und vom Rechtsanwalt im Rahmen seiner Überwachungspflicht kontrollierte Rechtsmittelfristen eigenmächtig abändert (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 1989 – IVb ZB 73/89, VersR 1989, 1316, juris Rn. 6). Anderenfalls liefe die dem Rechtsanwalt insoweit auferlegte Überwachungspflicht ins Leere.
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b) Nach diesen Maßstäben liegt ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des klägerischen Prozessbevollmächtigten vor, das sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
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aa) Es ist allerdings zweifelhaft, ob – wie das Berufungsgericht meint – ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des klägerischen Prozessbevollmächtigten darin zu sehen ist, dass er im Rahmen der erforderlichen – und nach seinen ergänzenden Angaben im Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 auch vorgenommenen – Überprüfung der Berufungsbegründungsfrist anlässlich der Fertigung der Berufungsschrift keine Korrektur des zunächst auf den 1. Juni 2020 eingetragenen Fristablaufs auf den 2. Juni 2020 veranlasst hat. Denn mit dem einen Tag zu früh eingetragenen Fristablauf hätte die Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich eingehalten werden können. Dies kann letztlich jedoch dahinstehen.
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bb) Ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des klägerischen Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, ergibt sich jedenfalls daraus, dass er nicht vorgetragen hat, welche organisatorischen Vorkehrungen er dagegen getroffen hat, dass seine Mitarbeiterin einmal eingetragene und von ihm anlässlich der Bearbeitung einer fristgebundenen Sache überprüfte und nicht beanstandete Rechtsmittelfristen eigenmächtig und ohne Rücksprache mit ihm abändert.
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Nach dem Vortrag des Klägers hat die Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten, Frau P. , die ursprünglich auf den 1. Juni 2020 erfolgte Eintragung im Fristenkalender über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, die in der Handakte entsprechend vermerkt und von dem Prozessbevollmächtigten überprüft worden war, anlässlich einer von ihr später vorgenommenen Kontrolle eigenmächtig abgeändert. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass sein Prozessbevollmächtigter organisatorische Vorkehrungen gegen eine solche eigenmächtige Abänderung bereits eingetragener und von ihm kontrollierter Rechtsmittelfristen getroffen und dessen Mitarbeiterin (erstmalig) gegen eine in der Kanzlei bestehende diesbezügliche Anweisung verstoßen hätte.
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Die unzureichenden organisatorischen Vorkehrungen waren für die Fristversäumung ursächlich. Für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung der Frist ursächlich geworden ist, ist von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen und darf kein weiterer Fehler hinzugedacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2015 – XI ZB 8/15 Rn. 16 m.w.N., NJW-RR 2016, 635). Hätte die Mitarbeiterin des klägerischen Prozessbevollmächtigten aufgrund einer entsprechenden Anweisung die Frist nicht eigenmächtig im Fristenkalender abgeändert, wäre es nicht zu der Fristversäumung gekommen. Denn im Zeitpunkt des zunächst auf den 1. Juni 2020 eingetragenen Fristablaufs war die Frist zur Berufungsbegründung tatsächlich noch nicht abgelaufen, so dass die Berufungsbegründung oder ein Fristverlängerungsantrag noch rechtzeitig hätte eingereicht werden können.
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