Pfändung von Geldforderungen des Schuldners gegen Drittschuldner aufgrund vollstreckbarer Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses (Beschluss des BGH 9. Zivilsenat)

BGH 9. Zivilsenat, Beschluss vom 21.07.2022, AZ IX ZB 63/21, ECLI:DE:BGH:2022:210722BIXZB63.21.0

§ 80 Abs 1 InsO, § 148 Abs 1 InsO, § 148 Abs 2 S 1 InsO, § 840 Abs 1 ZPO

Leitsatz

Der Insolvenzverwalter kann auf Grund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses keine Geldforderungen des Schuldners gegen Drittschuldner pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.

Verfahrensgang

vorgehend LG Essen, 24. August 2021, Az: 7 T 216/21
vorgehend AG Gladbeck, 4. Mai 2021, Az: 13 M 200/21

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 24. August 2021 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Insolvenzgericht eröffnete mit Beschluss vom 16. November 2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Gläubiger zum Insolvenzverwalter. Der Gläubiger macht geltend, der Schuldnerin stünden Ansprüche gegen M.     N.     aus einem Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12. Mai 2020 in Verbindung mit dem Amendment 1 to Security Agreement and Marital Settlement Agreement vom 30. November 2020, insbesondere auf Zahlung von 290.000 USD zu. Gegen die Impression Inc. mit Sitz in Florida stünden der Schuldnerin Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung zu, weil die I.         Inc. die der Schuldnerin aus dem Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12. Mai 2020 zustehenden Zahlungsbeträge rechtsgrundlos vereinnahmt habe. Gegenüber W.      N.     stünden der Schuldnerin Ansprüche zu, soweit diese Zahlungen aufgrund des Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12. Mai 2020 vereinnahmt habe. Weiter bestünden Ansprüche der Schuldnerin gegen W.     N.      aus einem Treuhandverhältnis und auf Herausgabe weiterer Vermögenswerte.

2

Der Gläubiger beantragte am 5. Februar 2021 beim Vollstreckungsgericht, gegen die Schuldnerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen Geldforderungen zu erlassen. Als Vollstreckungstitel stützte er sich auf den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 16. November 2017 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin und machte geltend, insoweit bestünde eine Hauptforderung gegen die Schuldnerin über 290.000 USD. Wegen dieser Hauptforderung beantragte der Gläubiger, die von ihm behaupteten Ansprüche der Schuldnerin gegen W.     N.       , M.     N.     und die I.         Inc. als Drittschuldner zu pfänden und ihm zur Einziehung zu überweisen.

3

Das Vollstreckungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag weiter.

II.

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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

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1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der Eröffnungsbeschluss vom 16. November 2017 sei kein für einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach §§ 829, 835 ZPO geeigneter Titel. Es handele sich zwar um einen Titel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Jedoch ergebe sich aus ihm keine Geldforderung. Voraussetzung für einen Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei jedoch ein Titel, der auf Leistung eines bestimmten Geldbetrags gerichtet und inhaltlich bestimmt sei. Daran fehle es.

6

Aus § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO ergebe sich ebenfalls nicht, dass der Insolvenzverwalter wegen einer Geldforderung vollstrecken könne. Die Begriffe „Herausgabe“ und „Gewahrsam“ verwende das Gesetz bei der Zwangsvollstreckung in und wegen körperlicher Sachen. In diesem Sinne sei auch § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO zu verstehen. Geldforderungen seien keine beweglichen Sachen.

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2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.

8

a) § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt, dass der Insolvenzverwalter auf Grund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die Herausgabe der Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden, im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen kann. Diese Bestimmung betrifft nach Wortlaut, Sinn und Zweck und gesetzgeberischer Interessenbewertung nur die Vollstreckung zur Herausgabe im Sinne der §§ 883 ff ZPO. Hingegen stellt der Eröffnungsbeschluss keinen tauglichen Vollstreckungstitel dar, um eine Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen des Schuldners nach Maßgabe der §§ 828 ff ZPO zu betreiben.

9

aa) § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO bezieht sich ausdrücklich auf die Herausgabe von Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Die Bestimmung knüpft systematisch daran an, dass der Insolvenzverwalter gemäß § 148 Abs. 1 InsO das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen hat. § 148 Abs. 2 InsO soll dem Insolvenzverwalter ermöglichen, auch Besitz an solchen Sachen zu erlangen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden, ohne hierzu einen gesonderten Vollstreckungstitel erwirken zu müssen. Die gesetzgeberische Wertung betrifft allein die Herausgabe von beweglichen und unbeweglichen Sachen (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 170 f; BT-Drucks. 12/7302, S. 174, jeweils zu § 167).

10

bb) Bei der Beschränkung auf Sachen handelt es sich – anders als die Rechtsbeschwerde geltend macht – um kein Redaktionsversehen. Im Hinblick auf zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen des Schuldners bedarf es keiner gesonderten Vollstreckung gegen den Schuldner. § 148 Abs. 2 InsO beruht darauf, dass eine nicht gestattete Besitzentziehung gemäß § 858 BGB eine verbotene Eigenmacht darstellt und der Insolvenzverwalter deshalb einer besonderen Grundlage bedarf, um eine Herausgabe der sich im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sachen erzwingen zu können (vgl. Jaeger/Eckhardt, InsO, § 148 Rn. 87; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2018, § 148 Rn. 14). Die Regelung bezieht sich daher auf die Inbesitznahme des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens. Die Lage bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen (bestimmter) Geldforderungen in das bewegliche Vermögen ist damit nicht vergleichbar; sie werden von § 148 Abs. 2 InsO nicht erfasst (MünchKomm-InsO/Jaffé, 4. Aufl., § 148 Rn. 61; vgl. bereits Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 1 Rn. 148 zur Rechtslage unter der Konkursordnung). Auf der Grundlage des § 148 Abs. 2 InsO kommt daher eine Vollstreckung gegen den Schuldner wegen einer Geldforderung nicht in Betracht. Soweit sich aus dem Urteil des Senats vom 3. November 2011 (IX ZR 46/11, NZI 2011, 979 Rn. 6) etwas anderes ergeben sollte, wird daran nicht festgehalten.

11

Will der Insolvenzverwalter Ansprüche des Schuldners gegen Dritte durchsetzen, ist eine vorherige Pfändung und Überweisung der Ansprüche des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung nicht erforderlich. Vielmehr geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, gemäß § 80 Abs. 1 InsO bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Diese Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis betrifft alle Gegenstände des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens. Der Insolvenzverwalter ist daher in der Lage, zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen gegen Dritte ohne weiteres geltend zu machen und gegebenenfalls in einem Rechtsstreit zu verfolgen (vgl. Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2020, § 80 Rn. 51; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 80 Rn. 73 ff). Für die Forderungsverwertung bedarf es wegen der Eröffnungswirkung keiner vorherigen Beschlagnahme (Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl., § 159 Rn. 6).

12

b) Soweit der Insolvenzverwalter – wie er im Streitfall geltend macht – über keine hinreichenden Kenntnisse hinsichtlich der gegen Dritte bestehenden Ansprüche verfügt, verweist ihn die Insolvenzordnung auf die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners (§§ 97 f InsO). Zudem kann der Insolvenzverwalter grundsätzlich etwaige materiell-rechtliche Auskunftsansprüche des Schuldners gegen Dritte kraft seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 80 InsO geltend machen. Hingegen ergibt sich aus der Insolvenzordnung keine Grundlage dafür, dass der Insolvenzverwalter von jedem Dritten, dem gegenüber er zur Insolvenzmasse gehörende Ansprüche des Schuldners behauptet, eine Drittschuldnererklärung nach § 840 ZPO verlangen kann. Dies kann auch nicht über den Umweg einer auf den Eröffnungsbeschluss als Vollstreckungstitel gestützten Pfändung und Überweisung angeblicher Ansprüche des Schuldners erreicht werden. Ohnehin verschaffte dies dem Insolvenzverwalter keine wesentlichen Vorteile, weil dem Gläubiger aufgrund der Pfändung und Überweisung einer Forderung gegen den schweigenden Drittschuldner kein einklagbarer Anspruch auf die in § 840 Abs. 1 ZPO angesprochenen Auskünfte zusteht (BGH, Urteil vom 4. Mai 2006 – IX ZR 189/04, WM 2006, 1341 Rn. 10 mwN). Die Vorschrift begründet keine eigenständige Auskunftsverpflichtung, sondern nur eine Obliegenheit oder Handlungslast des Drittschuldners (BGH, Urteil vom 4. Mai 2006, aaO).

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