BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 14.07.2022, AZ VII ZR 422/21, ECLI:DE:BGH:2022:140722UVIIZR422.21.0
§ 195 BGB, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 826 BGB, § 852 S 1 BGB
Leitsatz
1. Zur Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB in einem sogenannten Dieselfall (hier: EA 189).
2. In der Konstellation des Erwerbs eines von einer Tochtergesellschaft des Motorherstellers hergestellten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugs, das mit einem vom Motorhersteller hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor ausgestattet ist, scheidet ein Anspruch des Geschädigten nach § 852 Satz 1 BGB gegen den Motorhersteller regelmäßig auch dann aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat (Anschluss an BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21, juris).
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 13. April 2021, Az: 12 U 327/20
vorgehend LG Ellwangen, 25. September 2020, Az: 5 O 246/20
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. April 2021 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen vom 25. September 2020 – 5 O 246/20 – in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28. Oktober 2020 im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug Audi Q5 2.0 TDI, das im Dezember 2011 bei einem Autohändler als Neuwagen zum Preis von 54.000 € erworben wurde, auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Steuerungssoftware, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb („Umschaltlogik“).
3
Am 22. September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, wonach Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 im Gesamtvolumen von weltweit elf Millionen Stück auffällig seien. In der Folge wurde über die Thematik in Presse, Funk und Fernsehen umfangreich berichtet und diese allgemein als „Abgasskandal“ beziehungsweise „Dieselskandal“ bezeichnet. Auch über die Betroffenheit anderer Konzernmarken wie Audi, Skoda und Seat wurde von Anfang an berichtet. Am 25. September 2015 gab die Beklagte öffentlich bekannt, dass an einer technischen Lösung gearbeitet werde. Am 29. September 2015 informierte die Beklagte darüber, dass sie einen Aktionsplan erarbeitet habe, nach dem den Behörden Maßnahmen vorgeschlagen, Kunden informiert und eine Webseite zur individuellen Überprüfung erstellt würden. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der jedermann unter Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Motor ausgestattet war. Hierüber informierte die Beklagte mit Pressemittelung vom 2. Oktober 2015, worüber in den Medien berichtet wurde. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch oder schriftlich bei der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Im Dezember 2015 gab die Beklagte das Ziel aus, die Erfüllung der Abgasnormen ohne Beeinträchtigung der Motorleistung, des Verbrauchs und der Fahrleistungen zu erreichen. Kunden wurden gebeten, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten.
4
Mit ihrer im Jahr 2020 eingereichten Klage hat die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt. Sie behauptet, erst durch ein Schreiben der AUDI AG im Januar 2017 von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Abgasskandal erfahren zu haben. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
5
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb weitgehend ohne Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf vollständige Abweisung der Klage gerichtetes Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
6
Die Revision hat Erfolg.
I.
7
Das Berufungsgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – ausgeführt, der Klägerin stehe gemäß §§ 826, 31 BGB analog i.V.m. § 249 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatzes zu; des Weiteren könne sie Verzugszinsen, vorgerichtliche Anwaltskosten und die Feststellung des Annahmeverzugs beanspruchen. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB habe nicht bereits mit Schluss der Jahre 2015 oder 2016, sondern erst mit Schluss des Jahres 2017 begonnen. Es sei nicht grob fahrlässig, wenn der Besitzer eines Fahrzeugs der Beklagten im Jahr 2015 – ohne von der Beklagten informiert worden zu sein – keine eigenen Nachforschungen unternommen habe, um die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Dieselskandal zu überprüfen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte in der Ad-hoc-Mitteilung ausdrücklich darauf hingewiesen habe, sie arbeite mit Hochdruck daran, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und stehe deswegen in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA. Angesichts dieser Ankündigung habe die Klägerin darauf vertrauen können, dass sich die Beklagte im Falle der Betroffenheit ihres Fahrzeugs bei ihr melde und die angekündigten technischen Maßnahmen durchführe. Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass die Klägerin bereits bis Ende 2016 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt habe. Entgegen der Annahme der Beklagten obliege der Klägerin keine sekundäre Darlegungspflicht. Vielmehr erscheine vor dem Hintergrund des an die Klägerin gerichteten Schreibens der AUDI AG vom Januar 2017 der Vortrag der Beklagten nicht nachvollziehbar. Dieses Schreiben habe genau die Informationen enthalten, welche die Beklagte der Klägerin schon im Februar 2016 mitgeteilt haben wolle. Wenn es im Februar 2016 bereits ein Anschreiben von der Beklagten gegeben hätte, wäre zu erwarten gewesen, dass die AUDI AG in ihrem Schreiben vom Januar 2017 darauf Bezug nehme. Demnach habe die Klägerin erst ab Januar 2017 positive Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs mit der Folge gehabt, dass die Verjährung am 1. Januar 2018 zu laufen begonnen habe und die im Juli 2020 erhobene Klage zur Hemmung der Verjährung geführt habe.
II.
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Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede nicht entgegen steht.
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1. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
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Darauf, ob die Klägerin – wie die Revision geltend macht – bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs hatte und ob das Berufungsgericht einen diesbezüglichen Beweisantritt der Beklagten fehlerhaft übergangen hat, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Denn jedenfalls hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs lag vielmehr schon bis Ende 2016 vor. Ausgehend hiervon ist die Klageforderung verjährt.
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a) Wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 365/21 Rn. 17 m.w.N., NJW 2022, 1311).
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b) Dass die Klägerin – spätestens im Jahr 2016 – allgemeine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte, steht nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts, die durch entsprechende Bezugnahme auch den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils und das dort wiederum in Bezug genommene Protokoll der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung umfassen, außer Streit. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer informatischen Anhörung durch das Landgericht erklärt, bereits vor dem Jahr 2017 vom „Abgasskandal“ gehört zu haben, wobei ihr lediglich nicht klar gewesen sei, dass ihr Auto davon betroffen sei.
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c) Das Berufungsgericht ist indes zu Unrecht nicht von einer – gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der positiven Kenntnis gleichstehenden – grob fahrlässigen Unkenntnis der Klägerin von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs im Jahr 2016 ausgegangen.
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aa) Die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 396/21 Rn. 22 m.w.N., MDR 2022, 558). Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts, der Lauf der Verjährungsfrist sei erst durch positive Kenntnis der Klägerin im Jahr 2017 in Gang gesetzt worden, rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat nicht in Bedacht genommen, dass die Klägerin der den Verjährungsbeginn auslösende Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB bereits im Jahr 2016 trifft.
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bb) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 396/21 Rn. 23 m.w.N., MDR 2022, 558).
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Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage – sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 396/21 Rn. 24 m.w.N., MDR 2022, 558).
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Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 396/21 Rn. 25 m.w.N., MDR 2022, 558).
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cc) Nach diesen Grundsätzen ist von einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB jedenfalls bis Ende 2016 auszugehen. Ausgehend von ihrer allgemeinen Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte sie spätestens bis Ende 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wurde über die Betroffenheit anderer Konzernmarken wie Audi, Skoda und Seat vom sogenannten Dieselskandal von Anfang an berichtet. Über die freigeschaltete Online-Plattform bestand seit Oktober 2015 ohne Weiteres die Möglichkeit, die tatsächliche Betroffenheit eines Fahrzeugs leicht in Erfahrung zu bringen. Daneben bestand die Möglichkeit, sich in direktem (schriftlichem oder telefonischem) Kontakt mit der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Weitergehender Feststellungen des Berufungsgerichts – etwa zu der Frage, ob die Klägerin von der Möglichkeit, auf der Internetplattform die Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal festzustellen, in den Jahren 2015 und 2016 Kenntnis hatte – bedurfte es nicht. Sie wäre bei den gebotenen Nachforschungen ohne Weiteres auf die Internetseite gestoßen. Darüber hinaus hätte sie sich ohne Weiteres telefonisch oder schriftlich mit der Beklagten in Verbindung setzen können. Sie hätte sich dadurch Gewissheit über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch Inanspruchnahme öffentlich verfügbarer Informationsquellen verschaffen können. Die Klägerin hat damit auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht hätten, nicht ausgenutzt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 31 m.w.N., juris).
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Auch der Umstand, dass die Klägerin nach einer allgemeinen Ankündigung der Beklagten, die Kunden zu informieren, kein Anschreiben im Jahr 2016 bekommen haben will, und Kunden Ende 2015 noch gebeten wurden, weitere schriftliche Informationen abzuwarten, bevor sie aktiv Kontakt zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb aufnehmen, begründete kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr Fahrzeug nicht betroffen sei (vgl. auch BGH, Urteil vom 9. Mai 2022 – VIa ZR 441/21 Rn. 14, NJW 2022, 2028). Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 32, juris). Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig.
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2. Der Klägerin, die Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 33 ff., juris).
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a) Die Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn ist gegeben, wenn die Klage bei verständiger Würdigung hinreichende Erfolgsaussichten hat; es ist nicht erforderlich, dass die Rechtsverfolgung risikolos möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 34, juris; Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 Rn. 11, NJW 2021, 918). Die Frage, wann eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung führt, unterliegt der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 34, juris; Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 Rn. 16, NJW 2021, 918).
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b) Die Rechtslage für die Haftung wegen manipulierter Dieselfahrzeuge war auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Jahre 2016 nicht mehr in einem die Unzumutbarkeit der Klageerhebung begründenden Maße zweifelhaft. Namentlich bedurfte es keiner näheren Kenntnis darüber, welche im Sinne des § 31 BGB maßgeblichen Personen im Einzelnen für den Abgasskandal verantwortlich sind (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 35, juris; Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 Rn. 23, NJW 2021, 918). Auch darauf, ob die Klägerin bereits im Jahr 2016 aus den ihr bekannten sowie grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse hätte ziehen, insbesondere aus ihnen einen Anspruch aus § 826 BGB hätte herleiten müssen, kommt es nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 35, juris; Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 Rn. 26 ff., NJW 2021, 918). Dass noch nicht alle Fragen aus dem sogenannten Dieselskandal durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt waren, kann die Unzumutbarkeit der Klageerhebung bei gesicherter Tatsachengrundlage ebenfalls nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 35, juris; Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 Rn. 11 ff., NJW 2021, 918).
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3. Die dreijährige Verjährungsfrist für den mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzanspruch begann folglich mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2019. Bei Klageerhebung im Jahre 2020 war daher bereits Verjährung eingetreten.
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4. Soweit die Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat geltend gemacht hat, die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte sei treuwidrig beziehungsweise rechtsmissbräuchlich, kann sie hiermit nicht gehört werden.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Erhebung der Verjährungseinrede gemäß § 242 BGB treuwidrig und unwirksam, wenn der Gläubiger aus dem gesamten Verhalten des Schuldners für diesen erkennbar das Vertrauen schöpfte und auch schöpfen durfte, dass der Schuldner die Verjährungseinrede nicht erheben, sondern sich auf sachliche Einwände beschränken werde. Dieser Vertrauensschutz reicht aber nur so weit und gilt nur so lange, wie die den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründenden Umstände fortdauern und den Gläubiger von der rechtzeitigen Klageerhebung abhalten (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 1999 – XII ZR 113/97, NJW 1999, 1101 juris Rn. 30; Urteil vom 6. Dezember 1990 – VII ZR 126/90, BauR 1991, 215, juris Rn. 11; Urteil vom 12. Dezember 1978 – VI ZR 159/77, VersR 1979, 284, juris Rn. 11).
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b) Gemessen daran vermag die Klägerin den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht mit Erfolg auf eine ihres Erachtens zum Abwarten auffordernde Mitteilungspraxis der Beklagten im Zeitraum seit 2015 zu stützen. Damit zeigt die Revision keinen konkreten Umstand auf, an den sich die berechtigte Erwartung der Klägerin knüpfen ließe, die Beklagte werde die Verjährungseinrede dauerhaft nicht erheben (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 692/21 Rn. 37 ff., MDR 2022, 559; Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 717/21 Rn. 31 ff., juris).
III.
28
Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
29
Soweit die Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung auf hilfsweises Vorbringen der Klägerin betreffend einen Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB Bezug genommen hat, folgt auch hieraus keine Haftung der Beklagten.
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1. Nach § 852 Satz 1 BGB ist der Ersatzpflichtige, der durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen demjenigen, der einen anderen durch unerlaubte Handlung schädigt und dadurch sein Vermögen mehrt, auch bei Verjährung des Schadens-ersatzanspruchs nicht die auf diese Weise erlangten Vorteile verbleiben (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21 Rn. 58, WM 2022, 731; Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 365/21 Rn. 26, NJW 2022, 1311; jeweils m.w.N.).
31
Das Erfordernis, dass der Ersatzpflichtige etwas auf Kosten des Verletzten erlangt hat, bedeutet nicht, dass sich die Vermögensverschiebung – wie bei der Eingriffskondiktion – unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollzogen haben muss. Denn die Vorschrift enthält nur eine Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht. Deshalb kann die Vermögensverschiebung auch durch einen oder mehrere Dritte vermittelt werden, solange sie in einem ursächlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Handlung steht. Wenn ein Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge gehabt hat, ist er daher nach § 852 Satz 1 BGB auch dann herauszugeben, wenn diese Vermögensverschiebung dem Schädiger durch Dritte vermittelt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21 Rn. 53, 68, WM 2022, 731; Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 365/21 Rn. 27, NJW 2022, 1311; jeweils m.w.N.). Unberührt bleibt davon die Notwendigkeit, dass der Vermögenszuwachs des Schädigers auf dem Vermögensverlust des Geschädigten beruhen muss (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 365/21 Rn. 27, NJW 2022, 1311).
32
Daher setzt ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB in Fällen der vorliegenden Art jedenfalls voraus, dass die Beklagte im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 365/21 Rn. 28, NJW 2022, 1311; Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 Rn. 29, NJW 2021, 918).
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2. Nach diesen Maßstäben ist eine Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1 BGB im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu verneinen.
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a) In der vorliegenden Konstellation des Erwerbs eines von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugs, das mit einem von der Beklagten hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor ausgestattet ist, scheidet ein Anspruch des Geschädigten nach § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte regelmäßig auch dann aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat (vgl. OLG Köln, Urteil vom 2. März 2022 – 5 U 104/21, juris Rn. 33; OLG Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2022 – 4 U 92/21, juris Rn. 58 ff.; OLG Schleswig, Urteil vom 11. Januar 2022 – 7 U 130/21, MDR 2022, 497, juris Rn. 75 ff.; a.A. OLG Stuttgart, Urteil vom 19. November 2021 – 3 U 350/20, juris Rn. 84 ff.). Denn in diesen Fällen hat die Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls im Zusammenhang mit der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde (vgl. zum Gebrauchtwagen bereits BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 43, BB 2022, 1170). Der schadensauslösende Vertragsschluss über den Fahrzeugerwerb zwischen Geschädigtem und Fahrzeughändler einerseits sowie ein möglicher Vorteil der Beklagten aus der konzerninternen Überlassung des Fahrzeugmotors an den Fahrzeughersteller andererseits beruhen gerade nicht auf derselben – auch nicht nur mittelbaren – Vermögensverschiebung, wie sie der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21 Rn. 14 a.E., WM 2022, 742). Dem Motorhersteller, der einen Vorteil bereits mit der Herstellung und Veräußerung des Motors realisiert hat, fließt im Zusammenhang mit dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags und dem hierauf beruhenden Vermögensschaden des geschädigten Fahrzeugerwerbers durch seine (des Motorherstellers) unerlaubte Handlung nichts – mehr – zu (ebenso BGH, Urteil vom 9. Mai 2022 – VIa ZR 441/21 Rn. 16, NJW 2022, 2028).
35
Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat vertretenen Einschätzung liegt in den in den Senatsurteilen vom 10. Februar 2022 (VII ZR 365/21 Rn. 30, NJW 2022, 1311; VII ZR 692/21 Rn. 45, MDR 2022, 559; VII ZR 717/21 Rn. 39, juris) verwendeten Begriffen eines „etwaigen“ Vorteils beziehungsweise „etwaigen“ Verkäufergewinns (siehe auch BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21 Rn. 43, BB 2022, 1170: „;allenfalls“ einen wirtschaftlichen Vorteil) keine Abweichung von der Rechtsprechung des VIa. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Anwendung von § 852 Satz 1 BGB auf Neuwagenfälle (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21 Rn. 51 ff., WM 2022, 731; Urteil vom 21. Februar 2021 – VIa ZR 57/21 Rn. 11 f., WM 2022, 742; Urteil vom 21. März 2022 – VII ZR 275/21 Rn. 26 ff., WM 2022, 745), die der erkennende Senat vielmehr inhaltlich teilt. Die betreffenden sprachlichen Einschränkungen sind, wie sich bereits aus dem Gesamtzusammenhang der jeweiligen Entscheidungsgründe ohne Weiteres erschließt, ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass das tatsächliche Vorhandensein eines „Gewinns“ oder „Vorteils“ mangels Entscheidungserheblichkeit jeweils dahinstehen kann beziehungsweise konnte.
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b) Dass im Ausgangspunkt auch eine deliktische Haftung des Motorherstellers gegenüber dem Fahrzeugerwerber in Betracht zu ziehen ist, wenn der Motorhersteller den Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausstattet und in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von seiner Tochtergesellschaft in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 148/20 Rn. 13, VersR 2022, 186; Urteil vom 28. September 2021 – VI ZR 29/20 Rn. 12, VersR 2022, 63), steht nicht entgegen. Denn die deliktische Haftung knüpft in diesen Fällen daran an, dass der Motorhersteller sich bereits bei der dem Fahrzeugerwerb vorgelagerten Herstellung des Motors und der Programmierung der Motorsteuerungssoftware die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer in die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zunutze gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 148/20 Rn. 13, VersR 2022, 186). Diese Tatbestandsvoraussetzung der Schadensersatzhaftung ist jedoch von der Frage zu trennen, ob der Schädiger durch die unerlaubte Handlung selbst etwas im Sinne von § 852 Satz 1 BGB auf Kosten des Geschädigten erlangt hat (vgl. BeckOGK/Eichelberger, BGB, Stand: 1. Juni 2022, § 852 Rn. 22, 24).
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c) Auch der Umstand, dass die beklagte Motorherstellerin als Konzernmutter der Fahrzeugherstellerin mit dieser wirtschaftlich verflochten ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Umsatzerlös der Tochtergesellschaft aus dem Verkauf eines von ihr hergestellten Fahrzeugs begründet weder unmittelbar noch mittelbar einen damit deckungsgleichen Wertzuwachs des Geschäftsanteils der Muttergesellschaft (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2022 – 4 U 92/21, juris Rn. 62 f.). Dass nach dem Vortrag der Klägerin zwischen der Beklagten und der Fahrzeugherstellerin ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht, ist ebenfalls unerheblich. Denn insoweit hat die Beklagte allenfalls einen Vorteil im Zusammenhang mit einem etwaigen Gesamtgewinn der Fahrzeugherstellerin im Geschäftsjahr 2011 erzielt, nicht jedoch – worauf es im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB entscheidend ankommt – konkret im Zusammenhang mit dem – im Streitfall an den Fahrzeughändler – gezahlten Kaufpreis (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2022 – 4 U 92/21, juris Rn. 63).
IV.
38
Das angefochtene Urteil hat daher keinen Bestand und ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Weitere tatsächliche Feststellungen, die für die jedenfalls Ende 2016 vorliegende grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs oder die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB bedeutsam sein könnten, sind weder erforderlich noch zu erwarten.
V.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
- Pamp
- Sacher
- Borris
- Brenneisen
- C. Fischer